Prozess gegen Antifa-Urgestein Bernd Langer: Gericht sieht in Zeitungsinterview den öffentlichen Frieden gestört

«Es handelt sich hier um einen politischen Prozess», so schließt Bernd Langer seine Erklärung vor dem Amtsgericht Tiergarten. Er ist angeklagt, weil er in einem Interview mit dem «neuen deutschland» (nd) gesagt hat, dass der Anschlag auf die Zeitung «Junge Freiheit» 1994 eine «Superaktion» gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft warf ihm deshalb Billigung einer Straftat vor: Laut Anklage habe er öffentlich einen Brandanschlag auf eine Druckerei in Weimar im Jahr 1994 in einer Weise gutgeheißen, die besonders durch seine Worte «Der Kampf geht weiter», zur Nachahmung aufrufe und somit geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören (§ 140 StGB Abs. 2).
Bernd Langer ist 55 Jahre alt. Vor Gericht sagt er, dass er seit 1978 in der Antifa organisiert sei. Er arbeitet freiberuflich, unter anderem als Künstler und Schriftsteller. Vergangenes Jahr erschien sein letztes Buch «Antifaschistische Aktion – Geschichte einer linksradikalen Bewegung», zu dem ihn das nd im November 2014 interviewt hatte.
Es erging Strafbefehl gegen Langer. Ungewöhnlich daran ist jedoch, dass die Staatsanwaltschaft erst durch den Hinweis von Alexander von Stahl darauf aufmerksam wurde. Von Stahl ist ehemaliger Generalbundesanwalt und gehört zum äußersten rechten, «nationalliberalen» Rand der FDP. Er hatte sich schriftlich an die Staatsanwaltschaft gewandt und sie gebeten, «tätig» zu werden. Der Gerichtsprozess gegen Langer erscheint teilweise als ein persönlicher Angriff von Alexander von Stahl. Von Stahl steht der Zeitung «Junge Freiheit» nahe. Er hatte sie Mitte der 2000er als Anwalt gegen den Verfassungsschutz in NRW rechtlich vertreten. Im Fall Langer hatte er seinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft das nd-Interview und einen Zeitungsartikel aus der «Jungen Freiheit» (JF) mit dem Titel «Der vergessene Terror» vom Dezember 2014 beigelegt: Die JF hatte über Langer als einem der «prominenten Köpfe» der Antifa berichtet, der den Brandanschlag gefeiert haben soll.
Langer legte gegen den Strafbefehl Widerspruch ein und es kam nun Ende September 2015 zur Verhandlung.

In der Anklage zitiert die Staatsanwältin die betreffende Stelle des nd-Interviews vom November 2014. Langer hatte darin die Frage, warum die Antifa nach den 1980er Jahren nicht mehr militant gewesen sei, mit einer Relativierung dieser Einschätzung kommentiert:
«Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die ‚Junge Freiheit‘ 1994. Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen. Es gab auch noch weitere Interventionen. Nicht mehr so viele, klar, weil es diese Antifa-Organisierung und die Leute nicht mehr gab. Ich finde aber nicht, dass der Antifa-Kampf nach den 1980er Jahren nicht mehr militant geführt wurde. Da würde ich den Genossinnen und Genossen, die bis heute viel riskieren, doch Unrecht tun. Der Kampf geht weiter!»
Mit dem «Anschlag gegen die ‚Junge Freiheit’ 1994» meint Langer einen Brandanschlag in Weimar auf die Druckerei, in der die neurechte Wochenzeitung «Junge Freiheit» produziert wurde. Bekannt hatten sich zu dem Anschlag damals unter anderem «Revolutionäre Lesbenfrauengruppen». Täter oder Täterinnen wurden jedoch nie ermittelt.
Nach Verlesung der Anklage gab Langers Anwalt Sven Richwin eine Erklärung ab, in der er argumentierte, dass sein Mandant die Straftat, die er gebilligt haben soll, nicht ausreichend konkret benenne. Für Leser_innen sei nicht klar, dass mit Langers Bezeichnung «Anschlag gegen die ‚Junge Freiheit’ 1994» der Brandanschlag auf deren Druckerei gemeint gewesen sei. Besonders für den Vorwurf, Langer würde zur Nachahmung aufrufen, sei es entscheidend, ob jemand nachvollziehen könne, welche konkrete Tat für Langer die «Superaktion» gewesen sei. Richwin betonte, er selbst habe diesen Brandanschlag nicht gekannt. Sogar Hinweisgeber von Stahl habe in seinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft zunächst erklären müssen, auf welches Ereignis Langer Bezug nehme. Dass die Aussage aus dem nd-Interview zu vage sei, belege auch, dass von Stahl den erklärenden Artikel aus der JF beigelegt habe, der mit Bezug auf Langers Kommentar selbst an den Brandanschlag erinnert habe.
Im Anschluss ergreift der Angeklagte Langer selbst das Wort. Es sei «geradezu absurd», ihm zu unterstellen, er habe die Leser_innen des nd zu gewalttätigen Aktionen aufstacheln wollen. Außerdem erklärt Langer, der ehemalige Generalbundesanwalt sei «deutlich rechtslastig». Die Einschätzung, es handele sich um einen politischen Prozess, ergibt sich für Langer auch durch die Unterschiedlichkeit der Strafverfolgung. Während er seit den 1970er Jahren als Antifaschist kriminalisiert werde, sei ihm kein einziger Fall bekannt, in dem rechte Verbände wie diejenigen von Waffen-SS und Wehrmacht in den vergangenen Jahrzehnten jemals wegen Billigung einer Straftat angeklagt worden seien, obwohl sie ihre verbrecherische Vergangenheit feierten. Zum Brandanschlag auf die Druckerei und seine Sicht als «Superaktion» verweist Langer auf den Bericht zu «Rechtsextremismus» des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen. Der, so schiebt Langer dazwischen, «nicht für übertriebene Statistiken in dieser Hinsicht bekannt» sei. Selbst diese Behörde habe 1994 Anhaltspunkte «verfassungsfeindlicher» Bestrebungen bei der Wochenzeitung «Junge Freiheit» gesehen.
Im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen ist 1994 von Artikeln die Rede, in denen beispielsweise die Menschenwürde missachtet oder NS-Verbrechen verharmlost würden. 2005 hatte die JF mit von Stahl als Anwalt erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Land Nordrhein-Westfalen und dessen Erwähnung der JF im Verfassungsschutzbericht geklagt.
Langer beendete sein Statement mit Worten, die fast wie eine Drohung klangen: Der Rechtsfriede werde nicht durch «das freie Wort» gestört, sondern durch «politisch motivierte Urteile gegen Antifaschisten».
Bei den Zuschauer_innen führt das Auftreten Langers teilweise zu Schmunzeln. Alle gut 20 Sitzplätze des Gerichtssaals im pompösen Amtsgericht in der Turmstraße sind besetzt. Die Zuschauer_innen sitzen derart weit hinten im Saal, dass der Richter, der mit betont ruhiger und fast besänftigender Stimme spricht, manchmal kaum zu verstehen ist. Fast alle scheinen nach Alter, Desscode und danach, wie sie auf Statements in der Verhandlung reagieren, aus Solidarität mit Langer gekommen zu sein. Offensichtlich war aber auch mindestens ein_e Journalist_in der «Jungen Freiheit» da.
Im Abschlussplädoyer argumentiert die Staatsanwältin gegen die Strategie der Verteidigung. Die Straftat sei konkret genug benannt für die Leser_innen des nd. Unter ihnen wüssten ausreichend viele, welches Ereignis mit «Anschlag auf ‚Junge Freiheit’ 1994» gemeint gewesen sei. Für die Billigung dieser Straftat forderte sie als Strafe 60 Tagessätze zu 15 Euro. Langers Verteidigung plädiert auf Freispruch.
Der Richter erklärt, er habe die Erklärung der Verteidigung bereits am Vortag lesen können und sich so vorbereitet. Er stellt klar, dass das Urteil kein politisch abgekartetes Spiel sei und verlässt dann kurz den Saal. Wenige Minuten später verkündet er sein Urteil: 60 Tagessätzen zu 8 Euro. Der Richter sagt, er habe selbst im Internet recherchieren müssen, welcher Anschlag gemeint sei. Aber letztlich schien er sich der Staatsanwaltschaft anzuschließen. Seiner Meinung nach, so der Richter wisse unter der Leser_innenschaft des nd eine «relevante Menge», welche Straftat Langer als «Superaktion» bezeichnet habe, weil «es eine große Sache war». Im Wort «Superaktion» sieht er eine klare Positionierung: «Da komm‘ ich einfach nicht drum herum. Die kann ich auch nicht wegdifferenzieren.» Zur politischen Dimension des Falls sagt er: «Leider gibt es auch noch viele Nazis».
Die Geldstrafe ist hoch für Langer. Er hatte angegeben, als freiberuflicher Künstler und Schriftsteller von etwa 300 Euro im Monat zu leben. Auf den Hinweis seitens des Richters, dass es sich davon recht schwierig leben lasse, hatte Langer nur geantwortet: «Das ist richtig.» Der Angeklagte hatte ergänzt, Hartz IV lehne er aus ideologischen Gründen ab.
Dass die öffentliche Bezeichnung einer schweren Brandstiftung als «Superaktion» als Billigung einer Straftat ausgelegt werden kann, hätte Langer und dem nd bekannt sein können. Auch dass von Stahl den Hinweis für den Strafbefehl an die Staatsanwaltschaft gab, ist durch seine Position als ehemaliger Rechtsvertreter der JF wenig überraschend. Sein Vorgehen gibt dem Fall lediglich eine persönliche Note. Doch auch wenn dadurch im Ablauf der Strafverfolgung das Linkssein Langers eine motivierende Rolle spielen mag, verändert das nicht den Gegenstand: Die öffentliche Billigung der rechtswidrigen Tat, unabhängig von der politischen Positionierung des Angeklagten. Auslegungssache bleibt die Beurteilung durch Staatsanwaltschaft und Richter, dass Langers Aussage im nd-Interview «geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören» (§ 140, Abs. 2, StGB) und damit zur Straftat werde.