Anlässlich des zweiten Jahrestages des Mordes an Burak Bektaş gingen über 300 Menschen auf die Straße um Aufklärung zu fordern. Da es keinerlei Reaktion von verantwortlichen Politiker_innen gab, ruft die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ zu einer weiteren Mahnwache in Gedenken an Burak auf. Die Mahnwache: Burak unvergessen! — findet am Samstag, den 10. Mai, um 12 Uhr in der Rudower Straße 21 statt.
Für antifra* hat sich Katharina Helfrich mit Helga Seyb, Mitarbeiterin der Berliner Opferberatung „Reach out“, über den Mord an Burak Bektaş und Parallelen zu den NSU-Morden unterhalten.
Am Samstag jährt sich der Mord an Burak Bektaş zum zweiten Mal. Was hat sich am 5. April. 2012 ereignet?
Am 5. April 2012 wurde nachts in der Rudowerstraße in Rudow gegenüber dem Krankenhaus Neukölln von einem Unbekannten in eine Gruppe von jungen Männern hineingeschossen. Zwei Männer wurden sehr schwer verletzt und Burak Bektaş getötet. Der Mörder ist damals wie aus dem Nichts aufgetaucht, hat auf die Jungen geschossen und ist sofort wieder abgehauen. Da der Täter nichts gesagt hat, ist der Mord völlig unerklärlich. Bis jetzt wurde noch kein Mörder gefunden und es gibt zunächst kein Motiv.
Aber inzwischen spricht ja sogar der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) von einem Verbrechen mit rassistischem Hintergrund. Woran macht ihr ein rassistisches Tatmotiv fest?
Wir machen es nicht fest. Sondern wir sagen, dass Rassismus ein Motiv sein könnte. Die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“ hat sich auch vor dem Hintergrund der Selbstenttarnung des NSU-Trios, des angeblichen Trios, gegründet. Die NSU-Morde liefen genau nach dem gleichen Schema ab. Es taucht einer auf, schießt und verschwindet wieder. Die Tatsache, dass es beim Mord an Burak kein Motiv gibt, ist ein Hinweis darauf, dass der Mord nach dem Vorbild der NSU Morde geschehen sein könnte.
Hat der Staat bei seinen Ermittlungen versagt?
De facto hat der Staat natürlich versagt, weil er den Mörder noch immer nicht gefunden hat. Die Aufklärungsquote bei Mord liegt bei fast 97 Prozent. Wenn wir die Behörden nach dem Ermittlungsstand fragen, bekommen wir immer den gleichen Satz zu hören: „Wir ermitteln in alle Richtungen.“ Wir wissen aber gar nicht, welche Richtungen das sind. Um die Ermittlungsbehörden in Kenntnis zu setzen, was wir wissen und einen Denkanstoß in alle möglichen Richtungen zu geben, haben wir über die grüne Abgeordnete Canan Bayram eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus initiiert. In der Antwort auf die Frage, welche Konsequenzen aus den NSU-Morden für die heutige Ermittlungsarbeit der Polizei gezogen wird, merkt man dann schon, dass Henkel entweder frech ist oder sich tatsächlich nichts geändert hat. Die Antwort auf solche Fragen scheint er aus einem Antwort-Apparat zu bekommen. Sie lautet: „Dazu gehört unter anderem der stete Austausch mit anderen Polizeibehörden, wie zum Beispiel den Experten des Bundeskriminalamts.“ Auf die Frage „Wird ein Zusammenhang mit dem Reichsbürgerspektrum in Erwägung gezogen?“, ist die Antwort Henkels lediglich: „Es existiert kein polizeilich definierter Begriff eines Reichsbürgerspektrums.“ Die Antworten zeigen uns, wie unglaublich ignorant Henkel — beziehungsweise die Polizei oder die zuständige Abteilung, die die Antworten schreibt — ist.
Ich habe eine Frau angezeigt, die den Mord sozusagen gebilligt hat. Kurz bevor der Fall auf „Aktenzeichen XY…ungelöst“ zu sehen war, hatte sie auf ihrer Facebook Seite geschrieben: „Hoffentlich wird man den Mörder nicht finden, der den Kanaken vor meiner Haustür erschossen hat.“ Es dauerte viele Wochen, bis überhaupt entschieden wurde, wer in dieser Geschichte ermittelt. Es gab also schon in diesem kleinen Fall ein Zuständigkeitsproblem. Die Frage ist, wie ernst die Polizei den Fall Burak nimmt, wie ernst werden zum Beispiel die Reichsbürgergeschichten genommen. Seit den NSU-Morden hat sich nichts ausschlaggebend geändert. Trotz aller Hinweise auf institutionellen Rassismus gab es keine Konsequenzen; es hat kein Austausch des Personals stattgefunden.
Wie fühlen sich die Angehörigen von Burak?
Die Mutter von Burak sagt, solange der Mörder nicht gefunden wird, gibt es keine Ruhe für die Familie, auch nicht für Burak. Wenn es ein Unfall oder eine Krankheit gewesen wäre, gäbe es eine Form von Erklärung. Aber für die Eltern gibt es keine wirkliche Erklärung, warum sie ihr Kind verloren haben. Eine Aufklärung des Falles würde der Familie unglaublich helfen. Es ist sehr belastend zu wissen, dass der Mörder immer noch auf freiem Fuß ist. Es könnte jeder auf der Straße sein. Die Jungs hatten das Gefühl, dass der Täter sich in der Umgebung auskennen muss, weil er damals durch eine Grünanlage geflüchtet ist. Für die Leute, die da Wohnen, ist das ein Scheißgefühl.
Wie kann man die Angehörigen unterstützen?
Wenn die Familie in regelmäßigen Abständen bei den Ermittlungsbehörden nachfragt, bekommt sie die Antwort, dass es keine Neuigkeiten gibt. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen außerhalb des Ermittlungsapparates nachdenken, was man noch tun kann. Wir haben die Hoffnung, den Mord durch permanentes Erinnern aufzuklären. Es besteht ja die Hoffnung, dass sich doch noch ein Zeuge erinnert, dass ein Mitwisser spricht. Deswegen verteilen wir einmal im Monat Flyer bei Mahnwachen. Auch Berichte über den Fall helfen, ein Erinnern an den ungeklärten Mord aufrechtzuerhalten. Die Familie muss dabei unterstützt werden durchzuhalten. Ich habe den Eindruck, die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“ stärkt die Familie weiter zu machen. Der Schmerz wird bleiben, aber ich glaube, es wäre noch schlimmer, das Gefühl zu haben man hätte nichts getan. Auf der Demo letztes Jahr waren 500 Menschen, das gab der Familie Energie. Wir hoffen, dass dieses Jahr wieder viele Menschen an den Protesten teilnehmen.
Was erhofft ihr euch von den Protesten?
Wir wollen, dass der Mord nicht vergessen wird. Die Ermittlungsbehörden sollen nicht daran denken können, ihre Akten zu schließen. Vom NSU-Prozess wissen wir, dass viele Ermittlungsthesen sehr fantasievoll sein können. Wir wüssten gerne in welche Richtungen ermittelt wird und mit welcher Vehemenz. Was die Behörden bei den NSU-Morden gemacht haben, wissen wir ja inzwischen ziemlich genau.
Start der Gedenkdemo für Burak Bektaş ist am Samstag, 5. April, um 14 Uhr am S+U-Bahnhof Neukölln.