Die Debatten über die Freizügigkeit von Arbeitnehmer_innen im EU-Raum im letzten Jahr waren nicht nur durch den populistischen Slogan der CSU «Wer betrügt der fliegt!» geprägt. Die öffentliche Diskussion über dieses migrationspolitische Themenfeld beschränkte sich in der Regel auf die Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen von «Zuwanderer_innen» für den bundesdeutschen Arbeitsmarkt. Dabei zeigt sich, dass die Verwertungslogik bereits seit Bestehen der BRD existiert und die Migrationspolitik als Instrumentarium für wirtschaftspolitische Zielvorgaben eingesetzt wird.
Lediglich Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre kam es zu einem hohen Ausmaß an Einwanderungen, im Besonderen von Schutzsuchenden aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen wie Jugoslawien und der Türkei. Sehr bald jedoch wurde die kurze Phase einer hohen positiven Wanderungsbilanz durch zunächst bundesgesetzliche Maßnahmen und schließlich über Vereinbarungen auf der europäischen Ebene gestoppt. Eine gesteuerte Einwanderung soll die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Migrant_innen berücksichtigen. Diesem Verständnis nach ist eine Asylpolitik nach humanitären Kriterien dem übergeordneten Ziel der wirtschaftlichen Nützlichkeit nicht dienlich. Während noch über die Art und Weise einer steuerbaren und wirtschaftlichen Effizienzkriterien genügenden Einwanderungspolitik diskutiert wird, treiben die Bundesregierung und die EU die Abschottung an den Grenzen der EU massiv voran.
Die Transformation der nationalen Produktions- und Arbeitsmärkte im Zuge der verstärkten internationalen Arbeitsteilung und die damit einhergehende Veränderung und Fokussierung von Migrationsprozessen führen zu erneuerten Forderungen von Arbeitgeber_innen, Unternehmer_innenverbänden und Politiker_innen: Ausgelernte und qualifizierte «Fachkräfte» sollen aufgenommen werden. Der Zusammenhang zwischen dem medialen wie öffentlichen Sprachgebrauch und der Rückkoppelung mit dem Wandel der Produktions- und Arbeitswelt und entsprechender Muster der Verwertungslogik zeigt sich besonders deutlich bei den Begriffen «Armutsmigration» und «Wirtschaftsflüchtling». Der Diskriminierungsdiskurs, der sich in öffentlichen und medialen Debatten wiederfindet, definiert als Ursache der «Armutszuwanderung und Migration» kumulative Effekte der Krisen der Staaten, aus denen «Zuwanderer_innen» kommen. Menschen werden so zur Projektionsfläche sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung. Damit einhergehen in der Regel Konzentrationsprozesse von Meinungen im medialen Diskurs und Ausgrenzungsprozesse in der Gesellschaft. Dieser Diskriminierungsdiskurs zeigt sich dabei in der Regel in unterschwelligen Argumentationsmustern und versteckt sich so beispielsweise hinter vermeintlich diskriminierungsfreien Äußerungen, die auf die Frage nach dem Nutzen der Zuwanderung für den nationalen Arbeitsmarkt basieren.
Arif Rüzgar ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Erfurt. Christian Schaft studierte von 2014 an der Universität Erfurt im Fachbereich Kommunikationswissenschaften und ist seit September Mitglied des Thüringer Landtages für die Fraktion DIE LINKE. Dies ist eine stark gekürzte Fassung des gleichnamigen Aufsatzes in Aced, Miriam/Düzyol, Tamer/Rüzgar, Arif/Schaft, Christian (Hg.): Migration, Asyl und (Post-) Migrantische Lebenswelten in Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven migrationspolitischer Praktiken. Münster: Lit-Verlag. (ISBN: 978−3−643−12463−0).