Wie viel Macht steckt in der Architektur des Gerichtssaals, wo der NSU-Prozess stattfindet? Wer erzählt was über den NSU und wessen Sichtweise wird gehört? Wer berichtet zum Prozess aus welchen Motiven? Und warum diskutieren so viele über den NSU, ohne über Rassismus in der Gesellschaft zu sprechen?
Der Blog nsuprozessentgrenzen stellt wichtige Fragen. Und er gibt mögliche Antworten.
Der Blog will nicht nur über den Prozess selbst informieren, sondern er will analysieren, nämlich die Art und Weise, wie berichtet wird. Ein tolles Angebot, aber es wird klar: Der Blog zum NSU-Komplex bleibt mit seiner Analyse komplex. nsuprozessentgrenzen behandelt «Macht- und Herrschaftsverhältnisse», «die Rolle von Recht und Raum» und «Narrative» – alles keine Alltagsworte und nicht so einfach zu lesen wie Zeitungsartikel.
Denn der Blog will den NSU-Prozess als «Raum» und «Diskurs» ent-grenzen und in Zusammenhänge setzen. Der NSU-Prozess wird aber nicht nur als Raum, den man ermessen kann, in Form des Gerichtssaals A101 im Münchner Strafjustizzentrum, analysiert und der Diskurs nicht nur als die Berichte der Medien etwa darüber, dass Zschäpe ein vierter Verteidiger zur Seite gestellt wurde. Stattdessen ist der Ausgangspunkt des Blogs, den NSU-Prozess als größeren sozialen Raum zu verstehen: Alles, was Beteiligte und völlig Unbeteiligte zum NSU-Prozess posten, wie sie sich verhalten oder auch «sich-nicht-verhalten», etwa dann, wenn ihnen der NSU-Prozess völlig egal ist, das alles bildet den «Raum» und «Diskurs» des NSU-Prozesses. Teile davon sind zum Beispiel auch die Gedenktafeln an den Tatorten der NSU-Morde, die Verstrickungen des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU als auch dessen Vertuschungsversuche durch Aktenschreddern oder die Verkaufszahlen von Büchern zum NSU-Komplex. Und genau dieser Raum und Diskurs zum NSU-Prozess soll auf dem Blog nsuprozessentgrenzen kritisch untersucht werden.
Der Blog wird von der «Forschungsgruppe Recht Raum NSU» besorgt.
Sie kritisiert: Erstens die «Leitmedien» dafür, dass sie nicht kritisch über den NSU-Prozess berichten.
Zweitens die Öffentlichkeit, vor allem die weiße Öffentlichkeit in Deutschland, dafür, dass sie «eingeschlafen» sei. Das öffentliche „Sich-nicht-verhalten“ zum Skandal NSU, weil viele nicht wirklich Aufklärung wollen.
Drittens das Problem, dass es keine wissenschaftliche Begleitung geschweige denn Analyse des NSU-Prozesses gibt.
Aus all dieser Kritik folgt für die Betreiber_innen: Einen Blog zu starten und dort eine wissenschaftliche Begleitung zumindest zu versuchen. Die Art der wissenschaftlichen Analyse erinnert mich an die Diskurstheorie des französischen Theoretikers Michel Foucault. Der Blog de-konstruiert den NSU-Prozess, er baut ihn auseinander, zerlegt ihn in Einzelteile und setzt diese in Verbindung zu anderen Themen. Die besondere Leistung ist, dass zum Beispiel der Zusammenhang zu Racial Profiling bei den Ermittlungen zur NSU-Mordserie hergestellt und auch eine Perspektive vom Institute of Race Relations aus London auf den NSU-Prozess dort veröffentlicht wird. Die Frage ist: Warum ist der NSU-Prozess so, wie er ist? Wer spielt aus welchen Gründen da mit? Die Annahme in der Diskurstheorie ist: Macht steckt überall drin. Wer wie viel Macht hat, ist entscheidend in der Berichterstattung, der Sitzordnung im Gerichtssaal und dafür, wie die Anklage lautet. Mit der Diskurstheorie kann man Macht erkennen und vor allem Rassismus aufzeigen und kritisieren. Der Blog versucht den NSU-Prozess und wie er gesellschaftlich verhandelt wird zu reflektieren und zu problematisieren.
Die Forschungsgruppe, die den Blog nsuprozessentgrenzen besorgt, diskutiert Rassismus in Artikeln, Videos sowie Interviews, zum Beispiel mit Vertreter_innen der Nebenklage aus dem NSU-Prozess. Der Blog bietet auch kurze, leicht verständliche Erfahrungsberichte und Filme. Unter der Kategorie «Raum» finden sich Einsichten in den NSU-Prozess in Form eines selbstgezeichneten Erklärfilms, der die Prozessbeteiligten vorstellt und ihre jeweilige Sitzposition mitsamt ihrer Sichtperspektive im Gerichtssaal.
nsuprozessentgrenzen bietet so die Möglichkeit für alle, die es nicht selbst in den Gerichtssaal zieht, sich ein differenzierteres Bild zu machen und regt zum kritischen Nachdenken über den Umgang mit dem NSU-Komplex und seiner gerichtlichen, parlamentarischen, gesellschaftlichen und institutionellen Aufarbeitung an.