Interview: „Wir müssen die Potentiale einer ‚Antifra‘-Bewegung weiterdenken“

Der Rechts­ruck in Deutsch­land, wel­cher 2015 bald nach dem Som­mer der Migra­ti­on ein­setz­te, ver­langt nach Ant­wor­ten. Bei der Suche danach hilft ein Blick in die Geschich­te des Kamp­fes gegen Rechts. Alex­an­der Hum­mel sprach mit Fried­rich ‚Fritz‘ Bur­schel über die Geschich­te der Anti­fa- und Anti­ra-Bewe­gung, ihre Unter­schie­de und Gemein­sam­kei­ten und die Per­spek­ti­ven einer ‚Antifra‘-Bewegung, wel­che die fal­schen Gegen­sät­ze aufhebt.

Com­mu­ne: Bevor wir auf die Ver­schrän­kung von Anti­fa­schis­mus und Anti­ras­sis­mus zu spre­chen kom­men, müs­sen wir zunächst die bei­den Kon­zep­te klar aus­ein­an­der hal­ten kön­nen. Wie wür­dest du Anti­fa­schis­mus einer­seits und Anti­ras­sis­mus ande­rer­seits definieren?

Fritz Bur­schel: Anti­fa­schis­mus zu defi­nie­ren, ist nicht so leicht; der his­to­ri­sche Bezugs­punkt ist die Anti­fa­schis­ti­sche Akti­on der 1920er und 1930er Jah­re, wo es ein kla­res Feind­bild gab und eine recht ein­deu­ti­ge Aus­rich­tung als mili­tan­te Gegen­wehr und Selbst­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on – natür­lich im Rah­men einer revo­lu­tio­nä­ren, zumin­dest sozia­lis­ti­schen Arbeiter_innenbewegung.

Geschicht­li­cher Dreh- und Angel­punkt unhin­ter­geh­ba­rer anti­fa­schis­ti­scher Selbst­ver­pflich­tung jedoch ist bis heu­te der Kampf gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus, der Zwei­te Welt­krieg, die Sho­ah und die Mas­sen­ver­nich­tung von Men­schen. Der viel­fäl­ti­ge kom­mu­nis­ti­sche, sozi­al­de­mo­kra­ti­sche, kirch­li­che und huma­nis­ti­sche Wider­stand und der ent­schlos­se­ne Kampf von Partisan_innen in allen Tei­len des besetz­ten Euro­pas bil­den bis heu­te den Kern anti­fa­schis­ti­scher Tra­di­ti­on. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem deut­schen Zivi­li­sa­ti­ons­bruch der Sho­ah und dem mons­trö­sen Ver­nich­tungs­krieg begrün­det das star­ke Enga­ge­ment anti­fa­schis­ti­scher Akti­ver im Bereich der Erin­ne­rungs­kul­tur, des Geden­kens an deut­sche Ver­bre­chen und der Pfle­ge von Gedenk­or­ten sowie in anti­fa­schis­ti­scher Bildung.

In Nach­kriegs­west­deutsch­land skan­da­li­sier­te eine wie­der­ent­ste­hen­de Anti­fa­schis­ti­schen Akti­on die bruch­lo­sen Kon­ti­nui­tä­ten aus der Nazi-Zeit und die Kar­rie­ren von Täter_innen aus den NS-Funk­ti­ons- und Ver­nich­tungs­eli­ten im neu ent­ste­hen­den Staat und stand damit immer mit unter Kom­mu­nis­mus-Ver­dacht und war Ziel von Ver­fol­gung und Repression.

Erst die Ver­jün­gung mit einer nächs­ten Post-68er-Gene­ra­ti­on – die heu­te auch schon wie­der alt gewor­den ist – und mit dem Auf­kom­men der Auto­no­men Anti­fa lös­te sich die Sub­kul­tur von Arbei­ter­mi­lieu und Par­tei­an­bin­dung. Jetzt waren es mehr die Kin­der gebil­de­ter Mittelschichtler_innen, den Schock der all­mäh­li­chen NS-Auf­ar­bei­tung in den Glie­dern, die Auto­no­mie woll­ten und den Anti­fa-Hut aufsetzten.

Com­mu­ne: Wie ging es im wie­der­ver­ein­ten Deutsch­land mit der Anti­fa weiter?

FB: Ein wich­ti­ger Ein­schnitt in die Geschich­te der Anti­fa ist der Fall der Ber­li­ner Mau­er, denn mit der Wen­de nah­men Akti­vi­tä­ten Mor­gen­luft wit­tern­der Neo- und Alt­na­zis, die die „fünf neu­en Bun­des­län­der nicht nur als Rekru­tie­rungs­feld für neue Kräf­te betrach­te­ten, son­dern auch die Schaf­fung „natio­nal befrei­ter Zonen“ sich vor­nah­men. Die Zeit per­ma­nen­ter pogrom­ar­ti­ger ras­sis­ti­scher Angrif­fe – ja nicht nur in Ost­deutsch­land, man den­ke an Mann­heim, Mölln, Solin­gen, Rosen­heim – mach­te eine rasche, zum Teil ver­zwei­fel­te anti­fa­schis­ti­sche Gegen­wehr bit­ter not­wen­dig und trieb zumal ost­deut­sche Jugend­li­che zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on als Not­wehr. Viel­fach stan­den sie den öffent­li­chen Raum kon­trol­lie­ren­den und in der Regel über­le­ge­nen Nazi­hor­den gegen­über und konn­ten eben­so wie als nicht-deutsch Wahr­ge­nom­me­ne nicht mit dem Schutz der insti­tu­tio­nell selbst ras­sis­ti­schen oder zumal anfangs auch völ­lig über­for­der­ten Behör­den rech­nen. Es war die Zeit der Nacht­wa­chen und Not­hil­fe-Aktio­nen rund um Asyl­su­chen­den-Unter­künf­te, sozio­kul­tu­rel­le Zen­tren und ande­ren nicht-rech­ten Treffs. Die Zeit der umstrit­te­nen „Feuerwehr“-Einsätze der Groß­stadt-Anti­fa im vor allem ost­deut­schen länd­li­chen Raum, wo von schwe­ren Gewalt­ta­ten trau­ma­ti­sier­te Anti­fa-Grup­pen mit dem Rücken zur Wand standen…

In jener bedrü­cken­den Zeit jeden­falls, deren nega­ti­ver Höhe­punkt der mie­se „Asyl­kom­pro­miss“ im Bun­des­tag 1993 war, ent­stand auch die anti­deut­sche Frak­ti­on der Anti­fa, der Lin­ken über­haupt. In die­ser Zeit war man auf Gedeih und Ver­derb mit einer anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gung ver­ban­delt, die – so die Arbeits­tei­lung – sich um ankom­men­de Geflüch­te­te im Asyl­ver­fah­ren küm­mer­ten, um Ille­ga­li­sier­te und um von Nazis und Poli­zei Ange­grif­fe­ne. In der unge­wöhn­lich erfolg­rei­chen Kam­pa­gne „kein mensch ist ille­gal“ (kmii – sie­he auch Erklär­box)  waren sich die bei­den lin­ken Stoß­rich­tun­gen so nah wie nie: Vie­le Anti­fas – wie ich sel­ber – betei­lig­ten sich an den kmii-Aktio­nen, waren im All­tag aber und in der Soli-Arbeit für Geflüch­te­te und Asyl­su­chen­de auch auf ihr „eigent­li­ches Metier“, die Anti­fa­schis­ti­sche Akti­on, zurück­ge­wor­fen. In die­ser Zeit ent­stan­den in Deutsch­land auch Anti­fa-Recher­che-Teams und Archi­ve, die mit hohen nahe­zu wis­sen­schaft­li­chen Stan­dards die Grund­la­gen anti­fa­schis­ti­scher Poli­tik lie­fern, was – mit Blick auf den Nach-Wen­de-Ter­ror, 200 von Nazis ermor­de­te Men­schen, den NSU und neu­es­te Ent­wick­lun­gen – enorm wich­tig ist.

Wer heu­te aber, und das kommt vor, denkt, Anti­fa sei im Wesent­li­chen eine Sport­art oder ein männ­li­cher Initia­ti­ons­ri­tus ist nicht nur geschichts­los, son­dern sieht auch den Zusam­men­hang zwi­schen Anti­fa und Anti­ra nicht, die sia­me­si­sche Zwil­ling­s­chaft, man den­ke nur an den NSU-Kom­plex, an 2500 Angrif­fe auf Geflüch­te­ten­un­ter­künf­te allein im Jahr 2016, die 217 Angrif­fe auf Geflüch­te­ten-Unter­stüt­zer_in­nen und an den aktu­el­len kras­sen euro­päi­schen Rechts­ruck, der von Natio­na­lis­mus, Ras­sis­mus und völ­ki­scher For­mie­rung gegen ankom­men­de „Ande­re“ gekenn­zeich­net ist.

Com­mu­ne: Dann hat also die anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung seit den 30er Jah­ren eine Viel­zahl an Trans­for­ma­tio­nen durch­ge­macht, wäh­rend Anti­ras­sis­mus als Bewe­gung erst in den frü­hen 90er Jah­ren beginnt? Hier gab es doch sicher auch schon eini­gen Wan­del seit des­sen Entstehung?

FB: Es gab durch­aus eine Vor­ge­schich­te zur Ent­ste­hung der anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gung: Ende der 1980er Jah­re ver­üb­ten die Revo­lu­tio­nä­ren Zel­len (RZ) meh­re­re Anschlä­ge mit ras­sis­mus­kri­ti­schem Gehalt. Zu erin­nern wäre an die Knie­schuss­at­ten­ta­te auf den Chef der Ber­li­ner Aus­län­der­be­hör­de Hol­len­berg (1986) und den Bun­des­ver­wal­tungs­rich­ter Korb­ma­cher sowie an den Anschlag auf das „Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter“ in Köln 1986. Wie immer man zu die­sen Anschlä­gen ste­hen mag, sie soll­ten in der Sze­ne als Bei­trä­ge zu einer Ras­sis­mus-Dis­kus­si­on ver­stan­den wer­den. Das Echo blieb jedoch mini­mal, es ent­stand kei­ne Bewe­gung, die sich in irgend­ei­ner Wei­se auf die in den Beken­ner­schrei­ben der RZ ein­ge­nom­me­nen Posi­tio­nen bezog.

Wie gesagt und schon beschrie­ben, ent­stand eine anti­ras­sis­ti­sche Bewe­gung erst als Reak­ti­on auf den ras­sis­ti­schen Not­stand im Gefol­ge der Wen­de. Prak­ti­sche Hil­fe und Soli­da­ri­tät hat die gan­ze damals akti­ve lin­ke Gene­ra­ti­on geprägt. Schutz vor Abschie­bun­gen, Stö­rung von Abschie­bun­gen an Flug­hä­fen und Aktio­närs­ver­samm­lun­gen von Abschie­be-Air­lines („Depor­ta­ti­on Class“), Orga­ni­sa­ti­on heim­li­chen Unter­schlupfs für Geflüch­te­te, Schu­le für die Kin­der ille­ga­li­sier­ter Fami­li­en, medi­zi­ni­sche Flücht­lings­hil­fe, die ers­te mir bekann­te Online-Demo gegen die Luft­han­sa-Web­site, Ver­net­zung mit Anti­ra-Initia­ti­ven in ande­ren Län­dern, wie den „Sans Papiers“ in Frank­reich, bis hin zu akti­ver Flucht­hil­fe stan­den auf der Agen­da und wur­den eingeübt.

Der spek­ta­ku­lä­re Beginn von kmii auf der Docu­men­ta X in Kas­sel 1997, wel­cher sich dann mit den gro­ßen Anti­ras­sis­ti­schen Som­mer­camps ab 1998 fort­setz­te – zunächst an den dama­li­gen EU-Außen­gren­zen zu Polen, Tsche­chi­en und teils auch Öster­reich, dann in Jena, Frank­furt, Köln und Straß­burg. Es lie­ßen sich noch wei­te­re auf­zäh­len. Bis heu­te gibt es die­se Grup­pen flä­chen­de­ckend in ganz Deutsch­land und sie erle­ben augen­blick­lich eine Renais­sance, nach­dem das The­ma eini­ge Jah­re auf klei­ner Flam­me kochte.

Com­mu­ne: Wür­dest du vor dem Hin­ter­grund der von dir beschrie­be­nen Wand­lun­gen des Anti­fa­schis­mus und Anti­ras­sis­mus die­se als nega­ti­ve Spie­gel­bil­der des orga­ni­sier­ten Faschis­mus und Ras­sis­mus in Deutsch­land begreifen?

FB: In gewis­sem Sin­ne fin­de ich das Bild vom Spie­gel nicht so schlecht, weil es ein, um nicht zu sagen, das Pro­blem bei­der Strö­mun­gen beschreibt: Die Selbst­de­fi­ni­ti­on ex nega­tivo als Gegen­re­ak­ti­on, die sich damit zwang­läu­fig auch ex nega­tivo selbst beschrei­ben und nicht aus einer poli­ti­schen oder huma­nen Visi­on, aus einer welt­ver­än­dern­den Per­spek­ti­ve heraus.

Das ver­weist auch die grund­sätz­lich Ein­sicht, dass Anti­fa oder Anti­ra allein nicht aus­reicht, es muss immer um eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Kri­tik und Per­spek­ti­ve gehen: ohne die herr­schen­den Ver­hält­nis­se, Sexis­mus und Män­ner­herr­schaft, Ras­sis­mus und Kapi­ta­lis­mus, Natio­na­lis­mus und den sozia­len Krieg zu the­ma­ti­sie­ren, bleibt Anti­fa Sym­ptom­be­kämp­fung oder Hobby.

Com­mu­ne: Gab es auch etwas, was schon in der Früh­zeit die bei­den Bewe­gun­gen vereinte?

FB: Das Ver­bin­den­de zwi­schen den Anti­fas und der Anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gung war der Kampf gegen Ras­sis­mus mit den Slo­gans „Ras­sis­mus tötet“ oder „Das Pro­blem heißt Ras­sis­mus“. Bei­de führ­ten den Kampf gegen sich ermäch­tigt füh­len­de Nazis und den ras­sis­ti­schen Bür­ger­mob, gegen indif­fe­ren­te Behör­den und im Wind­schat­ten ras­sis­ti­scher Pogro­me mas­siv ver­schärf­te Asyl­ge­set­ze und das damit ver­bun­de­ne kru­de Abschie­be­re­gime sowie gegen eine ver­lo­ge­ne Poli­tik der Migra­ti­ons­ver­hin­de­rung und Geflüch­te­ten­ab­wehr, die zwar über die bru­ta­le Grenz­schlie­ßung durch den unga­ri­schen Faschis­ten Vik­tor Orban den erho­be­nen Zei­ge­fin­ger reckt, um dann aber bequem hin­ter des­sen Grenz­zaun sich mit zu ver­schan­zen. Immer­hin kann eine lin­ke, anti­ras­sis­ti­sche Bewe­gung in Kom­mu­ni­ka­ti­on tre­ten mit – laut Ehren­amts­stu­die der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät – rund 7 Mil­lio­nen Bundesbürger_innen, die sich aktiv für Geflüch­te­te ein­set­zen und die Men­schen in viel­fa­cher Wei­se ohne gro­ßes Tra­ra unterstützen.

Com­mu­ne: Wie wür­dest du dich selbst frü­her und heu­te in den eben beschrie­be­nen Bewe­gun­gen verorten?

FB: Von einer hand­ge­schnitz­ten Land­an­ti­fa kom­mend sahen mich die Pogro­me der frü­hen 1990er Jah­re bei „Feu­er­wehr­ein­sät­zen“ vor Geflüch­te­ten-Unter­künf­ten, beim Anti­ras­sis­ti­schen Tele­fon, in ent­spre­chen­den Not­fall-Tele­fon­ket­ten, aber eben auch in den Dis­kus­sio­nen um Wehr­machtss­aus­stel­lung, Gold­ha­gens „Hit­lers wil­li­ge Voll­stre­cker“ sowie durch­aus in anti­deut­schem Furor gegen das „wie­der erwa­chen­de“ und „wie­der gut gemach­te“ Deutsch­land. Eini­ges von die­ser Wut – zumal bei den Aus­ein­an­der­set­zung zum Dres­de­ner Jah­res­tag der Bom­bar­die­rung in den Nuller und 2010er Jah­ren – treibt mich noch heu­te um und an.

Aber Mitte/Ende der 1990er Jah­re war klar, dass der mör­de­ri­sche Ras­sis­mus und staat­li­cher Ras­sis­mus im Umgang mit Geflüch­te­ten eine umfas­sen­de­re Per­spek­ti­ve auf­rie­fen als das beschrie­be­ne, oft auch regio­nal begrenz­te Klein-Klein des Anti­fa-Akti­vis­mus. Die Leu­te fan­den daher zusam­men. Für mich selbst hieß das, dass ich Teil der Mün­che­ner Grup­pe [über die gren­ze] wur­de, bei dem hoch­of­fi­zi­el­len Erschei­nen der Kam­pa­gne „kein mensch ist ille­gal“ auf der „docu­men­ta X“ dabei war, was   sich mit Eröff­nung der dies­jäh­ri­gen Docu­men­ta Anfang Juni zum 20. Mal jährt. Außer­dem habe ich akti­vis­tisch die Orga­ni­sa­ti­on des ers­ten Anti­ras­sis­ti­schen Som­mer­camps in Rothen­burg an der Nei­ße 1998 und des vier­ten Camps in Jena ver­ant­wor­tet. Bis heu­te zäh­len Inhalt, Dyna­mik und Lei­den­schaft der Kam­pa­gne und der Men­schen, die dar­in aktiv waren, zu den magi­schen Momen­ten mei­nes poli­ti­schen Lebens und bis heu­te erin­ne­re ich mich an unse­rer Erstau­nen dar­über, wie sich die­se fre­che, lau­te und kämp­fe­ri­sche Kam­pa­gne zu einer Zeit mit dem berühm­ten Logo und sei­nen selbst­be­wuss­ten Aktio­nen viral ver­brei­te­te, als es das Wort viral in die­sem Kon­text noch gar nicht gab. Ganz beson­ders wich­tig ist damals auch das Zusam­men­kom­men und Zusam­men­ge­hen mit migran­ti­scher Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Geflüch­te­ten­in­itia­ti­ven gewe­sen, auch wenn das schwie­ri­ge Aus­hand­lungs­pro­zes­se und schmerz­haf­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen waren. Zu nen­nen ist in die­sem Kon­text auf jeden Fall das selbst­or­ga­ni­sier­te Refu­gee-Netz­werk „The Voice“, das damals zunächst v.a. in Thü­rin­gen gegen das rigi­de und viel­fach ras­sis­ti­sche „Asyl­ma­nage­ment“ ent­stan­den war. Ergeb­nis war damals eine sehr weit­ge­hen­de Ver­schrän­kung anti­ras­sis­ti­schen und anti­fa­schis­ti­schen Engagements.

Com­mu­ne: Spä­ter gebo­re­ne ken­nen heu­te nur noch den Slo­gan „Kein Mensch ist ille­gal“. Wie kam es zum Ende der Kampagne?

FB: Nach­dem es der deut­schen Poli­tik jedoch gelun­gen war über gera­de­zu impe­ria­le Rück­über­nah­me­ab­kom­men, über Dritt­staa­ten- und Siche­re-Her­kunfts­län­der-Rege­lun­gen sowie mas­si­ve Mili­ta­ri­sie­rung der EU-Außen­gren­zen die Ankunft von Men­schen zu stop­pen, ver­lor auch das Migra­ti­ons­the­ma und das The­ma Ras­sis­mus wie­der an Bedeu­tung; der „Bun­des­an­ti­fa­som­mer“ im Jahr 2000 im Gefol­ge des Schrö­der­schen „Auf­stands der Anstän­di­gen“ sog in den Bun­des­pro­gram­men  eine gan­ze Rei­he von Anti­fa- und Anti­ra-Akti­vis­t_in­nen auf und ali­men­tier­te sie in den Pro­gram­men gegen “Rechts­extre­mis­mus“: Ich selbst etwa war im Civi­tas-Bun­des­pro­gramm Bera­ter von Opfern rech­ter Gewalt im ost­thü­rin­gi­schen Gera bei der „Anlauf­stel­le für Betrof­fe­ne ras­sis­ti­scher Angrif­fe und Dis­kri­mi­nie­run­gen“ (ABAD), danach saß ich auf der „Netz­werk­stel­le gegen rechts“ bei Radio Lot­te Wei­mar und habe schließ­lich Ende der 2000er Jah­re die „Lan­des­ko­or­di­nie­rungs­stel­le Bay­ern gegen Rechts­extre­mis­mus“  auf­ge­baut, was unge­fähr so anstren­gend war, wie die Namen klin­gen. Da ist viel Ener­gie in Ver­wal­tung, Bean­tra­gung und Bericht­erstat­tung anstatt in die drin­gend nöti­ge Arbeit geflossen.…

Mit der Explo­si­on rech­ter und ras­sis­ti­scher Gewalt seit dem „Som­mer der Migra­ti­on“ sehen sich vie­le Leu­te mei­nes Alters mit einen Deja-vú kon­fron­tiert: Die Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Lin­ken im Bun­des­tag nach Angrif­fen auf Geflüch­te­ten-Unter­künf­te allein im Jahr 2016 umfasst 145 Sei­ten und lis­tet über 2500 sol­cher ras­sis­ti­scher Angrif­fe auf, zuzüg­lich über 200 auf Geflüch­te­ten-Hel­fer_in­nen. Und wie­der fin­den Anti­ra und Anti­fa, manch­mal auch Geflüch­te­ten-Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on „not­ge­drun­gen“ zusam­men, um dem etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Das gro­ße NSU-Tri­bu­nal in Köln Mit­te Mai (sie­he Erklär­box) kann in die­ser Hin­sicht als ein neu­er Höhe­punkt betrach­tet werden.

Com­mu­ne: Was ist Kri­tik die aus einer anti­ras­sis­ti­schen Per­spek­ti­ve an gän­gi­gen Anti­fa­schis­mus-Kon­zep­ten kri­ti­siert wer­den kann und was kann aus einer anti­fa­schis­ti­schen Per­spek­ti­ve an Anti­ras­sis­mus kri­ti­siert werden?

FB: Die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven wer­fen der jeweils ande­ren immer Blind­heit für bestimm­te Aspek­te des Pro­blems vor. Wer nur auf die Nazis deu­tet und von der Faschi­sie­rung der Gesell­schaft spricht, über­sieht den ver­brei­te­ten Ras­sis­mus in gro­ßen Tei­len der Bevöl­ke­rung und die Rol­le des Staa­tes beim Schü­ren und Instru­men­ta­li­sie­rung die­ses ras­sis­ti­schen Main­streams. Wer indes nur auf gesell­schaft­li­chen, insti­tu­tio­nel­len und staat­lich gewoll­ten Ras­sis­mus blickt, über­sieht womög­lich die rechts­ter­ro­ris­ti­sche Bedro­hung und Ent­ste­hung ent­spre­chen­der Unter­grund­net­ze, sowie die Rol­le des Staa­tes in die­sen Sze­nen über V‑Leute und amt­li­che Verstrickungen.

Inso­fern ent­hielt das NSU-Tri­bu­nal in viel­fa­cher Hin­sicht hoff­nungs­vol­les Poten­ti­al, hat es doch nicht nur Aktivist_innen bei­der Sze­nen, son­dern auch Vertreter_innen von Betrof­fe­nen- und Opfer-Initia­ti­ven zusam­men­ge­führt und über den NSU-Kom­plex alle denk­ba­ren Bezü­ge zu Ras­sis­mus, neo­na­zis­ti­scher For­mie­rung, staat­li­cher Ver­stri­ckung und gesell­schaft­li­cher Indif­fe­renz, zu Aspek­ten inter­na­tio­na­len Rechts­rucks und geheim­dienst­li­chen Unwe­sens einer­seits sowie ande­rer­seits zu einer dezi­diert lin­ken, eman­zi­pa­to­ri­schen und auch kapi­ta­lis­mus­kri­ti­schen Posi­tio­nie­rung und einer star­ken Opfer­per­spek­ti­ve the­ma­ti­siert. Inso­fern soll­ten wir viel­leicht lie­ber vom Tri­bu­nal aus den­kend an den Poten­tia­len einer „Antifra“-Bewegung wei­ter­den­ken, als die his­to­ri­schen Dif­fe­ren­zen wei­ter breit­zu­tre­ten, oder?

Das Inter­view erschien in leicht gekürz­ter Ver­si­on in der SDS-Zeit­schrift Com­mu­ne 6/2017 erschienen.