
Über die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wurde in den vergangenen Jahren viel publiziert und analysiert. Entlarvt wurden ihre antifeministischen Ressentiments, ihr völkischer Habitus und ihr antimuslimischer Rassismus. Analysiert wurden die Wählerstruktur und ihr kapitalistisch-neoliberales Grundverständnis. Aufgedeckt ihre Rolle als parlamentarischer Arm der Neuen Rechten mit Verbindungen zu Burschenschaften und den so genannten Identitären. Warum erscheint es notwendig, ein weiteres Puzzleteil hinzuzufügen und ein weiteres begrenztes Feld wie das Afrikabild näher zu betrachten? Reichen die vorliegenden Untersuchungen nicht? Und spielt Afrika im Gegensatz zum Beispiel zu Islam oder Türkei bisher nicht eine vergleichsweise untergeordnete Rolle in den politischen Äußerungen der AfD? Anhand des Afrikabildes werden jedoch nicht nur die völkisch-nationalistischen Argumentationslinien sichtbar, sondern ebenso die kapitalistisch-neoliberalen. Gleichzeitig verdeutlicht ein näherer Blick auf diesen Aspekt eine – besorgniserregende – relative Nähe der AfD-Position zu problematischen Politikansätzen auch anderer „etablierter“ Parteien.
Die Falschen bekommen Kinder
Im November 2015 hielt Björn Höcke, Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen, eine seiner berühmt-berüchtigten Reden. Ort war das weithin für seine Vorreiterrolle für die Neue Rechte bekannte Institut für Staatspolitik, geleitet von Götz Kubitschek. Während seiner Rede sagte Höcke: „In Afrika herrscht nämlich die sogenannte Klein-r-Strategie vor, die auf eine möglichst hohe Wachstumsrate abzielt. Dort dominiert der sogenannte Ausbreitungstyp und in Europa verfolgt man überwiegend die Groß-K-Strategie, die die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen möchte, hier lebt der Platzhaltertyp. Die Evolution hat Afrika und Europa vereinfacht gesagt zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert. Sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen […] Kurz: im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“[1] Dieses Zitat kann ohne Zweifel als rassistisch klassifiziert werden. Dass Höckes‘ Sichtweise nicht als Einzelmeinung gelten kann, sieht man in deren Eingang in das AfD-Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017. Im Kapitel 5 „Asyl braucht Grenzen: Zuwanderung und Asyl“ heißt es gleich hervorgehoben in der Überschrift „Die demografischen Probleme Europas und Afrikas“. So wird unter Rückgriff auf die Fertilitätsrate afrikanischer Frauen – die natürlich nur aufgrund internationaler Hilfe durch eine reduzierte Kindersterblichkeit, so die AfD-Argumentation, ansteigen konnte – ein Horrorszenario, quasi ein „malthusianischer Alptraum“ durch „Überbevölkerung auf engem Raum“, entwickelt. Weiter geht es mit den Wahnideen, denn weil es in Afrika eine zunehmende Anzahl von „failed states“ geben werde und vor allem „fehlende Geburtskontrolle“ [2] vorherrsche, sei mit umfangreichen „Wanderungsbewegungen“[3] migrationsbereiter junge Männer zu rechnen. Dabei argumentiert die AfD besonders doppelzüngig: Da nicht allen ein Asylrecht eingeräumt werden könne, könne dieses auch nicht Einzelnen zugestanden werden.[4] Die gesamte Programmatik der AfD geht von einem vermeintlichen „Bevölkerungsaustausch“ aus, weshalb Migration gestoppt werden müsse und eine aktive Bevölkerungspolitik im Sinne einer „mittelfristigen Erhöhung der Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“[5] gefordert wird. Der Geburtenüberschuss in Afrika gilt den AfD-Ideologen praktisch als Gegenbild zur geringen Reproduktionsrate in Deutschland — und ist damit ein entscheidender Ideologiekern der AfD zum „Erhalt der Volksgemeinschaft“ und somit einer aus ihrer Sicht „deutschen Identität“. Daher plädiert die AfD dafür, durch eine „aktivierende Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ [6] zu erreichen, wie es im Grundsatzprogramm heißt. Interessant erscheint jedoch die „geographische“ Verschiebung. Im Grundsatzprogramm 2016 werden eher die islamischen Länder verantwortlich gemacht für „Masseneinwanderung“[7], aktuell der afrikanische Kontinent. Diese Raumwahrnehmung enthält deutliche Reminiszenzen zu der Zeit nach dem 1. Weltkrieg zu: Damals hatten nationalistische, reaktionäre und kolonialrevisionistische Kreise schwarze belgische und französische Besatzungssoldaten aus Afrika in ähnlich rassistischer und sexualisierter Weise als Bedrohung „unserer Frauen“ und „unseres Volkes“ wahrgenommen. Die vermeintliche Bedrohung schlägt sich noch heute in der AfD-Forderung nieder, dass das Geburtsortprinzip (ius soli) für den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) im Sinne des Erhalts der „Volksgemeinschaft“ zu ersetzen sei.[8]
Fluchtabwehr durch Investitionen
Aufgrund eines behaupteten Bevölkerungsüberschusses in Afrika und der prekären wirtschaftlichen und sozialen Lage, sieht die AfD Afrika als den Hort von Migrationsbewegungen. Dafür schlägt die AfD zweierlei Lösungen vor: Einerseits eine andere Entwicklungspolitik – die sich bei der AfD anscheinend nur auf Afrika bezieht und andere Kontinente und Länder völlig außer Acht lässt – und andererseits eine stärkere Förderung der deutschen Wirtschaft. Damit steht die AfD nicht allein: Die Angst vor Migration aus Afrika weckte, wie bei anderen Parteien oder der Bundesregierung, ein neues Interesse an dem Kontinent. Entwicklungspolitische Rhetorik und Lyrik der AfD unterscheiden sich nicht von der der Bundesregierung, wie sie sich im „Marshall-Plan“ des BMZ oder anderen Strategien aktuell wiederfinden. Mit der Forderung nach „diskriminierungsfreien Zugang zu ausländischen Import- und Exportmärkten“[9] für deutsche Unternehmen und nach Rechtsstaatlichkeit[10] steht die AfD nicht allein. Wie im Rahmen der Bundespolitik müssen, nach den Vorstellungen der AfD, „Partnerländer und Projekte […] unter Berücksichtigung von Erfolgspotenzial, Nachhaltigkeit und des möglichen Eigenanteils ausgewählt werden“.[11] Damit führt der Weg zwar weg vom Gießkannenprinzip, es werden jedoch selektiv nur reformbereite, d.h. unterwürfige Länder unterstützt. Man folgt so einem Entwicklungsmantra, welches gerade en vogue erscheint. Ebenso wird ein stärkerer Anteil der deutschen Privatwirtschaft an Entwicklungsprojekten gefordert.[12] Anderenfalls müssten aber die Exportmöglichkeiten der „Entwicklungsländer“ verbessert sowie die Entfaltung ihrer eigenen Wirtschaftsinteressen gewährleistet werden, immerhin. So heißt es im Grundsatzprogram: „Dazu gehört beispielsweise ein Exportstopp für hochsubventionierte landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Afrika, die dort die lokalen Märkte ruinieren und den Menschen ihre Lebensgrundlage nehmen. Dasselbe gilt für den Export von Waffen, Altkleidern, Giftmüll und anderer westlicher Abfallprodukte sowie für die EU-Fischerei vor den afrikanischen Küsten.“[13] Natürlich liest sich das gut, bleibt aber in der kapitalistischen Verwertungslogik verhaftet. Es liegt nahe, dass es sich nicht um die Einführung ein faires Handelssystem handelt, sondern lediglich um rassistisch motivierte Migrationsverhinderung. Dabei befindet sich die AfD in einem Dilemma auf das sie keine Antwort weiß. Denn folgt man dem Berliner Abgeordneten Georg Pazderski würden kurzfristige Einkommenserhöhungen – etwa durch Entwicklungszusammenarbeit – den Migrationsdruck weiter erhöhen. Im schlichten Weltbild des Berliner Fraktionschefs gemäß flösse Entwicklungshilfe dann direkt an Schlepper.[14]
Rassismus offen ausgesprochen … aber wie weiter?
Dass die AfD ein Rassismusproblem hat, ist nicht neu. Das sie jedoch jede Hemmschwelle in ihrer rassistischen Wortwahl verliert, machen Äußerungen von Parteichef Alexander Gauland, welcher missliebige, als nicht-deutsch markierte Personen am liebsten „entsorgen“ möchte, oder von AfD-Politiker Jens Maier deutlich, der Boris Beckers Sohn Noah offen krude rassistisch beschimpft hat.[15] Damit bewegt sich Maier klar auf Linie des Wahlprogrammes: „’Politisch korrekte’ Sprachvorgaben lehnen wir entschieden ab, weil sie einer natürlichen Sprachentwicklung entgegenstehen und die Meinungsfreiheit einengen“.[16] Auch hier kommen die diskursiven und rhetorischen Kontinuitäten aus der Zeit der „Rheinlandbastarde“, die Kinder schwarzer französischer Besatzungssoldaten und deutscher Frauen, mehr als deutlich zum Tragen. Und wie klitternd die deutsche Kolonialvergangenheit in der AfD reflektiert wird, macht die Einschätzung des Bundestagsabgeordneten Götz Frömmig klar: Kämpfe um Umbenennungen von kolonialrassistischen Spuren im öffentlichen Raum seien selbst koloniale Attitüde und die Aktivist*innen „würden sich wie Kolonialisten des 19. Jahrhunderts gebärden“.[17]
Wie kann mit solch inakzeptablem Biologismus á la Höcke und den historischen Verzerrungen des Kolonialismus umgegangen werden? Zunächst müssen natürlich die reaktionäre Rhetorik und der verkürzte Diskurs der AfD entlarvt werden. Das dürfte zwar nicht schwerfallen, die oben zitierten Statements können als Steilvorlagen betrachtet werden. Problem ist nur, dass die „etablierten“ Parteien und ihre Vertreter*innen, von der CDU/CSU über die SPD zu anderen Parteien, teilweise ganz ähnlich argumentieren. Sowohl das Narrativ von Identität, Leitkultur und Heimat als auch andere Versatzstücke rechter Ideologie findet man — wie stark auch immer — ubiquitär.
Besonders wichtig erscheint es, eine explizit postkoloniale Erinnerungspolitik, die tradierte koloniale Denkweisen und Stereotype aufbricht und demontiert. Gerade Linke sollten sich von der einseitigen Einschätzung lösen, dass es sich bei der AfD nur um eine Erscheinung eines „Abstiegsnationalismus“ handelt, dass AfD-Wähler*innen sich einfach nur schlecht repräsentiert fühlen und die AfD aus Angst vor einem sozialen Abstieg wählen. Kern der Wahlentscheidungen sind oftmals schlicht rassistische Einstellungen. Dem muss eine progressive Erinnerungspolitik entgegengehalten werden. Alltagsrassismus in Sprache, Gesellschaft und öffentlichen Räumen muss benannt und bekämpft, im Schulunterricht behandelt und ebenso in der politischen Arbeit berücksichtigt werden. Daneben scheint es aus linker Sicht fundamental, die neoliberale Logik hinter der Wirtschaftsprogrammatik zu benennen: Rassismus und Kapitalismus gehen bei der AfD Hand in Hand.
Andreas Bohne arbeitet im Afrikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Fußnoten:
[1] Zit. nach Kemper, Andreas: »…die neurotische Phase überwinden, in der wir uns seit siebzig Jahren befinden«. Zur Differenz von Konservatismus und Faschismus am Beispiel der »historischen Mission« Björn Höckes (AfD), 2016, S. 108, online unter http://www.th.rosalux.de/fileadmin/ls_thueringen/dokumente/publikationen/RLS-HeftMissionHoecke-Feb16.pdf
[2] AfD: Programm für Deutschland. Wahlprogramm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen Bundestag am 24. September 2017, S. 28.
[3] Ebd., S. 28.
[4] Ebd., S. 28
[5] Ebd., S. 37.
[6] AfD: Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, 2016, S. 41.
[7] Ebd., S. 42.
[8] AfD: Wahlprogramm, S. 32.
[9] Ebd., S. 20.
[10] Pazderski, Georg: Migrationsursachen wirksam bekämpfen – Entwicklungshilfe intelligenter gestalten, 29. November 2017, online unter https://www.afd.de/georg-pazderski-migrationsursachen-wirksam-bekaempfen-entwicklungshilfe-intelligenter-gestalten/
[11] AfD: Wahlprogramm, S. 21.
[12] Ebd., S. 21.
[13] AfD: Grundsatzprogramm, S. 61.
[14] Siehe Fußnote 10.
[15] Weiland, Severin: Rechte keilen gegen Rechtsextreme, Spiegel online, 4.1.2018, online unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jens-maier-hetzt-gegen-noah-becker-afd-streitet-ueber-rassistischen-tweet-a-1186182.html
[16] AfD: Wahlprogramm, S. 47.
[17] Götz Frömming: Umbenennungspraxis ist zutiefst kolonialistisch, 29. Januar 2018, online unter https://www.afdbundestag.de/goetz-froemming-umbenennungspraxis-ist-zutiefst-kolonialistisch/