Pflaster drauf und fertig?

Ras­sis­ti­sche Aus­schlüs­se in der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung – ein Pro­jekt­be­richt aus der Jugend­bil­dung der RLS

«Die Aktivist_innen, die bei unse­rem Pro­jekt mit­ma­chen, sind viel­fach fran­zö­sisch­spra­chig und kom­men unter ande­rem aus Kame­run, Ben­in, Frank­reich, aber auch aus der BRD aus Kenia, und seit kur­zem gibt es auch jeman­den aus der Schweiz», über­setzt Juli­et­te ihren Mit­strei­ter Péguy. Bei­de enga­gie­ren sich seit zwei Jah­ren bei der Grup­pe Cora­sol, die ver­sucht, durch öffent­li­che Ver­an­stal­tun­gen und geziel­te Aktio­nen auf die schwie­ri­ge Situa­ti­on von Geflüch­te­ten und wei­te­ren Migrant_innen in Deutsch­land auf­merk­sam zu machen, direk­te Unter­stüt­zung anzu­bie­ten und soli­da­risch Hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu erschlie­ßen. Ziel­grup­pe sind Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne, die sie mit krea­ti­ven Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen, Soli-Par­tys, Demos und Kund­ge­bun­gen erreichen.

«Unser Kon­zept für Jugend­bil­dungs­ar­beit gestal­tet sich am ehes­ten über die For­ma­te und den nied­rig­schwel­li­gen Zugang zu Wis­sen», erklärt Péguy. So sind Nach­fra­gen bei den Ver­an­stal­tun­gen von Cora­sol aus­drück­lich erwünscht. Die Aktivist_innen ver­su­chen auf Inter­es­sier­te ein­zu­ge­hen, sie ernst zu neh­men und bei der Erklä­rung nicht an der Ober­flä­che zu blei­ben. Zu den For­men ein­fa­che­ren Zugangs gehört auch, dass die Grup­pe mit einem Inter­net­blog und auf Face­book prä­sent ist.

Ein­zel­ne Aktivist_innen haben auch Gesprä­che mit Parlamentarier_innen geführt, um poli­ti­sche For­de­run­gen genau­er zu erklä­ren und für kon­kre­te Reform­vor­ha­ben zu argu­men­tie­ren. Cora­sol selbst ist aller­dings weni­ger Reform­po­li­tik-ori­en­tiert. Im Fokus der poli­ti­schen Arbeit ste­hen Kämp­fe der Asyl­su­chen­den, Gedul­de­ten und Ille­ga­li­sier­ten, mit denen sie sich zusam­men orga­ni­sie­ren wollen.

Seit eini­gen Mona­ten legt die Grup­pe ihren Arbeits­schwer­punkt auf den Bereich Gesund­heit. Im Rah­men einer regel­mä­ßi­gen «Küfa» (Küche für alle) lud die Grup­pe Ende Juni 2014 Vertreter_innen des Medi­Bü­ros zu einem Dis­kus­si­ons­abend ein. Die Ver­an­stal­tung wur­de durch den Initia­ti­venfonds der RLS-Jugend­bil­dung unter­stützt. Das Medi­Bü­ro stellt eine Ver­bin­dungs­stel­le dar und ver­mit­telt Ärzt_innen, die auch ohne Iden­ti­täts­fest­stel­lung und Kran­ken­schein behan­deln, und bes­ten­falls die Spra­che der Patient_innen beherr­schen. Der Sprach­aspekt ist als Her­aus­for­de­rung nicht zu unter­schät­zen, da von staat­li­cher Sei­te kei­ne Dolmetscher_innen zur Ver­fü­gung gestellt wer­den und es auf­grund von Miss­ver­ständ­nis­sen zu Fehl­dia­gno­sen kom­men kann. Die Ver­an­stal­tung war in zwei Parts unter­teilt, zunächst erklär­te das Medi­Bü­ro, auf wel­che Art von medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung Asyl­su­chen­de und Gedul­de­te in der BRD offi­zi­ell Anspruch haben. Die­ser Teil der Ver­an­stal­tung rich­te­te sich an alle Inter­es­sier­ten. Danach berei­te­te das Medi­Bü­ro kon­kre­te Infor­ma­tio­nen für Betrof­fe­ne auf.

«Wäh­rend der Ver­an­stal­tung wur­de deut­lich, dass vie­le im Publi­kum dach­ten, das Medi­Bü­ro wür­de alle Kos­ten für die Betrof­fe­nen über­neh­men. Das ist jedoch nicht der Fall, denn dort, wo es ernst wird und zum Bei­spiel ope­riert wer­den muss, fehlt dem Büro das Geld!», erklärt Péguy. Das Medi­Bü­ro arbei­tet an den Gren­zen sei­ner Kapa­zi­tä­ten und ver­sucht schnellst­mög­lich Ärzt_innen zu ver­mit­teln und damit Men­schen auf­zu­fan­gen, die drin­gend eine Behand­lung brau­chen. Das kom­pli­zier­te Ver­fah­ren, nach dem die zustän­di­gen Stel­len Kran­ken­schei­ne aus­stel­len, dau­ert oft zu lang, gera­de wenn es um den Besuch bei Spezialist_innen geht. Aber auch ein­fa­che Ver­sor­gung — wie Zahn­arzt­be­su­che oder Ter­mi­ne bei Orthopäd_innen — geneh­mi­gen die Behör­den sel­ten, da so etwas als «Bequem­lich­keit» gilt. «Neu­lich ist ein Geflüch­te­ter mit Band­schei­ben­vor­fall nach Wochen end­lich zu einem behan­deln­den Arzt gekom­men. Ihm wur­de pro­vi­so­risch ein Kor­sett (!) ver­schrie­ben und die Behör­de lehn­te die Kos­ten­über­nah­me letzt­lich ab», erzählt Juli­et­te. Cora­sol ver­sucht, tie­fer­ge­hen­de Struk­tu­ren zu beleuch­ten, Miss­stän­de und Zusam­men­hän­ge zu ver­deut­li­chen – und kämpft für eine Ver­bes­se­rung der Zustände.

Einen gro­ßen Erfolg bedeu­tet für die Grup­pe die Abschaf­fung der Lebens­mit­tel­gut­schei­ne, die Asyl­su­chen­de und Gedul­de­te statt Geld beka­men (in  Bran­den­burg erst abge­schafft seit März 2015). Mit Lebens­mit­tel­gut­schei­nen kann bei­spiels­wei­se kei­ne Zuzah­lung zu einem Bril­len­ge­stell geleis­tet wer­den. Auch die Locke­rung der Resi­denz­pflicht zwi­schen Land­krei­sen in Bran­den­burg und zwi­schen Bran­den­burg und Ber­lin trägt zur Ver­bes­se­rung im Gesund­heits­be­reich bei, da die Patient_innen somit auch geo­gra­phisch frei­er bei der Ärzt_innenwahl sind. Gera­de im länd­li­chen Raum ara­bisch­spra­chi­ge Psycholog_innen zu fin­den, ist eine Auf­ga­be für sich. «Die freie Orts­wahl wäre bereits ein Fort­schritt, sowie nicht immer drei Wochen auf einen Kran­ken­schein war­ten zu müs­sen… In eini­gen Bun­des­län­dern wird zur­zeit eine Kran­ken-Chip­kar­te dis­ku­tiert», über­setzt Juliette.

Eins ist der Grup­pe klar: die Arbeit zum Gesund­heits­be­reich ist ein poli­ti­scher Kampf. Die Unter­brin­gung in Lagern macht vie­le Men­schen krank, es geht des­halb nicht um eine Unter­ver­sor­gung, die tech­nisch zu lösen wäre, son­dern um die Been­di­gung ras­sis­ti­scher Ausschlüsse.

 

Nach einem Inter­view mit den Aktivist_innen Péguy und Juli­et­te von der Grup­pe «Cora­sol – Initia­ti­ve gegen Ras­sis­mus und für Soli­da­ri­tät mit Geflüch­te­ten». Das Inter­view führ­te Ann-Kat­rin Lebuhn, Koor­di­na­to­rin der RLS-Jugend­bil­dung und stadt­po­li­ti­sche Aktivistin.