Wirklich Willkommen? Anmerkungen zum Thema deutsche «Willkommenskultur»

Refu­gees Wel­co­me Ban­ner sind in jeder Stadt zu sehen. Pho­to: seven resist (Flickr)

Seit die kata­stro­pha­le Lage an den euro­päi­schen Gren­zen im Som­mer 2015 die Bun­des­re­gie­rung dazu nötig­te, mehr Geflüch­te­te auf­zu­neh­men, ist die Zahl der Asyl­su­chen­den in Deutsch­land stark gestie­gen. Als Reak­ti­on dar­auf erhal­ten einer­seits Pegi­da & Co. ver­stärkt Zulauf und es ereig­nen sich bei­na­he täg­lich Angrif­fe auf Flücht­lin­ge. Ande­rer­seits enga­gie­ren sich vie­le Men­schen, um die neu ankom­men­den Geflüch­te­ten zu unter­stüt­zen. Die Bil­der der beju­bel­ten Ankunft von syri­schen Geflüch­te­ten am Münch­ner Haupt­bahn­hof oder der unzäh­li­gen Frei­wil­li­gen, die Klei­der­kam­mern in Ham­burg orga­ni­sie­ren, gin­gen nicht nur in Deutsch­land, son­dern auch inter­na­tio­nal durch die Medi­en. Bald ent­stand der Begriff der «Will­kom­mens­kul­tur». Doch was genau steht hin­ter die­sem Begriff und wie ist er zu bewerten?

Willkommenskultur und bürgerliche Nothilfe

Was der Begriff «Will­kom­mens­kul­tur» genau meint, ist recht dif­fus. Wich­tig ist sicher­lich, dass Deutsch­land momen­tan grund­sätz­lich bereit ist, Geflüch­te­te auf­zu­neh­men. Dar­auf auf­bau­end kann mit «Will­kom­mens­kul­tur» die Bereit­schaft beschrie­ben wer­den, Geflüch­te­te als Teil der deut­schen Gesell­schaft zu begrei­fen. In der Pra­xis kann man die «Will­kom­mens­kul­tur» dort sehen, wo sich vie­le Bür­ge­rIn­nen ehren­amt­lich enga­gie­ren, um Geflüch­te­te auf unter­schied­li­che Arten zu unterstützen.
Nach­dem die The­men Flucht und Migra­ti­on in den letz­ten Jah­ren in wei­ten Tei­len der deut­schen Bevöl­ke­rung kaum Beach­tung fan­den, enga­gie­ren sich nun erstaun­lich vie­le ehren­amt­lich für Geflüch­te­te. Die Frei­wil­li­gen sor­tie­ren Klei­der, ver­tei­len Essen oder geben Deutsch­un­ter­richt. In der soge­nann­ten Flücht­lings­kri­se scheint die­se ehren­amt­li­che Hil­fe bit­ter not­wen­dig. Ohne die vie­len ehren­amt­lich Hel­fen­den wäre die Situa­ti­on gera­de in den vie­len Not­un­ter­künf­ten bun­des­weit noch viel schlim­mer, als sie ohne­hin schon ist. Denn dass es zu einem sol­chen «Not­stand» kom­men konn­te, kann als bewuss­tes Ver­sa­gen des Staa­tes bezeich­net wer­den: Jah­re­lang bau­te die Regie­rung Kapa­zi­tä­ten zur Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten oder auch zur Bear­bei­tung von Asyl­an­trä­gen ab. Und das trotz stei­gen­der Antragszahlen.
Doch anstatt die­ses Ver­sa­gen oder zumin­dest Feh­ler ein­zu­ge­ste­hen, wird von staat­li­cher Sei­te ein «Not­stand» beschwo­ren, der nur dank der vie­len Ehren­amt­li­chen halb­wegs bewäl­tigt wer­den kön­ne. Im schlimms­ten Fall wird die Hilfs­be­reit­schaft sogar gegen die Asyl­su­chen­den gewen­det. So recht­fer­tig­te Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re (CDU) die Wie­der­ein­füh­rung von Grenz­kon­trol­len damit, dass die «gro­ße Hilfs­be­reit­schaft, die Deutsch­land in den letz­ten Wochen gezeigt hat» nicht «über­stra­pa­ziert» wer­den dür­fe. (1)
Auch wenn das weit­ver­brei­te­te Enga­ge­ment für Geflüch­te­te der­art instru­men­ta­li­siert wird, ist es zu begrü­ßen, vor allem wenn zur sel­ben Zeit Sam­mel­un­ter­künf­te in Brand gesteckt wer­den. Dabei darf aller­dings nicht die poli­ti­sche Dimen­si­on die­ser soge­nann­ten Kri­se aus dem Blick gera­ten. Huma­ni­tä­re Hil­fe zu leis­ten, ist allei­ne nicht aus­rei­chend, um die Situa­ti­on von Geflüch­te­ten zu ver­bes­sern – zumal dem Hel­fen selbst auch eine gewis­se Pro­ble­ma­tik inne­woh­nen kann.

Helfen und Paternalismus

In Deutsch­land gibt es eine lan­ge Tra­di­ti­on einer anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gung und in den letz­ten Jah­ren auch ver­stärkt der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von Geflüch­te­ten. Der über­wie­gen­de Teil der­je­ni­gen, die seit dem Som­mer 2015 neu als Akti­ve hin­zu­ka­men, enga­giert sich in der Regel jen­seits davon in neu ent­stan­de­nen Grup­pen, die sich oft selbst als «unpo­li­tisch» bezeich­nen. Oft orga­ni­sie­ren sich die Frei­wil­li­gen in gro­ßer Zahl in soge­nann­ten Hel­fer­krei­sen. Aller­dings weist bei­spiels­wei­se die Frei­bur­ger Frei­wil­li­gen Agen­tur, die in der Stadt im Breis­gau Ehren­amt­li­che ver­mit­telt, auf ihrer Web­sei­te dar­auf hin, dass auf­grund der vie­len Nach­fra­gen von Men­schen, die sich für Geflüch­te­te enga­gie­ren möch­ten, momen­tan lei­der kei­ne Plät­ze ver­mit­telt wer­den kön­nen. Auch Pro­jek­te, die Paten­schaf­ten für geflüch­te­te Kin­der in Frei­burg ver­mit­teln, haben mitt­ler­wei­le mehr als vol­le War­te­lis­ten. Gleich­zei­tig sind Grup­pen, die sich poli­tisch und lang­fris­tig für die Rech­te von Geflüch­te­ten enga­gie­ren, wei­ter über­las­tet und auf der Suche nach Mitgliedern.
Wie die­se Bei­spie­le zei­gen, hat vor allem die huma­ni­tä­re Hil­fe in den letz­ten Mona­ten star­ken Zulauf erhalten.
Doch gera­de dabei tun sich auch Fall­stri­cke auf. So berich­tet eine Sozi­al­ar­bei­te­rin aus Baden-Würt­tem­berg etwa, das vie­le Hel­fer­krei­se im länd­li­chen Raum eine «sehr deut­sche Sicht­wei­se» hät­ten und ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen dar­über, was «gut» für Geflüch­te­te sei und wie sie zu inte­grie­ren sei­en. Häu­fig fehlt dabei ein tie­fer gehen­des Ver­ständ­nis für die Bedürf­nis­se und Rech­te der Geflüch­te­ten. Jemand, der mit sei­ner Fami­lie gera­de eine lebens­ge­fähr­li­che Flucht hin­ter sich hat, hat zu Beginn ver­mut­lich ande­re Sor­gen, als dem ört­li­chen Schach­klub beizutreten.
Mit Pro­ble­men die­ser Art geht die Gefahr eines pater­na­lis­ti­schen, also bevor­mun­den­den Umgangs mit Geflüch­te­ten ein­her. Als Hel­fe­rIn anzu­neh­men, zu wis­sen, was am bes­ten für die Geflüch­te­ten sei, bedeu­tet sich über deren Auto­no­mie als Per­son hin­weg­zu­set­zen, sich letzt­end­lich selbst über die­se Per­son zu stel­len. Dies geschieht in den meis­ten Fäl­len sicher­lich unbe­wusst. Den Hel­fen­den ist gewiss nicht dar­an gele­gen, Geflüch­te­te abzu­wer­ten. Den­noch tun sie es durch ihr Han­deln. Denn den Ande­ren als gleich­be­rech­tig­te Per­son anzu­er­ken­nen, beu­te­tet letzt­lich auch, hin­zu­neh­men, dass er oder sie Ent­schei­dun­gen trifft, die einem selbst nicht gefal­len oder die der eige­nen Mei­nung nach nicht zum Bes­ten des Ande­ren sind. Die Wenigs­tens mögen es, wenn ihnen gesagt wird, was sie zu tun haben und was gut für sie ist. War­um soll­te es bei Geflüch­te­ten anders sein?
Neben die­sen ethi­schen Über­le­gun­gen kön­nen durch pater­na­lis­ti­sches Han­deln auch ganz prak­ti­sche Pro­ble­me ent­ste­hen. Wenn Frei­wil­li­ge Geflüch­te­te bei Ent­schei­dun­gen und Erle­di­gun­gen nicht nur bera­ten oder unter­stüt­zen, son­dern ihnen die­se mehr oder weni­ger abneh­men, besteht die Gefahr, die Selbst­stän­dig­keit der Geflüch­te­ten nicht zu för­dern, son­dern viel­mehr ein­zu­schrän­ken. Für bei­de Aspek­te gilt: Unter­stüt­zung ist wün­schens­wert. Bevor­mun­dung nicht.

Forderung nach Dankbarkeit

Mit dem Hel­fen geht häu­fig auch ein Anspruch auf Dank­bar­keit ein­her und es kommt zu Ent­täu­schun­gen auf­sei­ten der Hel­fen­den, wenn die­ser Anspruch in ihren Augen nicht erfüllt wird. Die Ent­rüs­tung, wenn Geflüch­te­te gespen­de­te Klei­der oder ähn­li­che Hilfs­gü­ter ableh­nen, weil sie ihnen nicht gefal­len, ist ein Bei­spiel dafür. Eben­so die Reak­ti­on von Frei­wil­li­gen aus Meck­len­burg-Vor­pom­mern, die sich dar­über frus­triert zeig­ten, dass Geflüch­te­te auf eige­ne Faust in Groß­städ­te «abge­hau­en» sei­en. Dabei reich­ten die vor­ge­tra­ge­nen Beschwer­den von der Kla­ge über «ver­lo­re­ne» Zeit, die die Hel­fen­den in die­se Geflüch­te­ten «inves­tiert» hät­ten, über die Aus­sa­ge, dass auf die­se Wei­se Inte­gra­ti­on nicht gelin­gen kön­ne, bis hin zu der Empö­rung dar­über, dass länd­li­che Gebie­te so nicht neu belebt wer­den könn­ten, was schein­bar als «Auf­ga­be» der Geflüch­te­ten gese­hen wurde.
Auch hier wird die Selbst­be­stim­mung der Geflüch­te­ten aus­ge­blen­det bezie­hungs­wei­se über­gan­gen. Geflüch­te­te sind nicht mehr eigen­stän­di­ge Sub­jek­te, die unter­stützt wer­den, son­dern wer­den zu Objek­ten in einem Inte­gra­ti­ons­pro­zess, der nach den Vor­stel­lun­gen der Mehr­heits­ge­sell­schaft abzu­lau­fen hat – es wird in sie «inves­tiert» und sie sol­len Mit­tel zum Zweck sein, in die­sem Fall der Neu­be­sied­lung ver­las­se­ner Land­stri­che. Ver­mut­lich wür­de nie­mand von uns es hin­neh­men, wenn er oder sie sich ihre Klei­dung und ihren Wohn­ort nicht selbst aus­su­chen könn­te. Doch gera­de in Hin­blick auf die per­sön­li­che Auto­no­mie scheint für Geflüch­te­te nicht zu gel­ten, was für die deut­sche Bevöl­ke­rung gilt. Eine Erklä­rung dafür könn­te sein, dass ange­nom­men wird, dass Geflüch­te­te in einer Bring­schuld ste­hen und daher zumin­dest dank­bar sein sollten.
Abge­se­hen davon, dass vie­le es tat­säch­lich sind, stellt sich grund­sätz­lich die Fra­ge, wofür Geflüch­te­te eigent­lich dank­bar sein sol­len. Dafür, dass sie in einer Turn­hal­le oder gar in einem Zelt­la­ger schla­fen müs­sen? Dafür, dass ihre Bewe­gungs­frei­heit ein­ge­schränkt wird? Dafür, dass sie unter staat­li­cher Über­wa­chung stehen?
Die­ser Wunsch nach Dank­bar­keit von vie­len Frei­wil­li­gen ist anschluss­fä­hig für die auch auf poli­ti­scher Ebe­ne immer wie­der geäu­ßer­te For­de­rung, dass Geflüch­te­te schlicht dank­bar dafür sein soll­ten, in Deutsch­land sein zu «dür­fen». Dabei wer­den zwei grund­le­gen­de Din­ge ver­ges­sen: Ers­tens ist es nicht Groß­zü­gig­keit, viel­mehr hat sich Deutsch­land recht­lich dazu ver­pflich­tet, Geflüch­te­te auf­zu­neh­men. In Arti­kel 16 des Grund­ge­set­zes heißt es: «Poli­tisch Ver­folg­te genie­ßen Asyl». Auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne besteht die­se Ver­pflich­tung durch die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on. Sie ent­stand nach dem Zwei­ten Welt­krieg unter dem Ein­druck von Mil­lio­nen euro­päi­scher Flücht­lin­ge, vor allem aber in Erin­ne­rung an die geschei­ter­te Kon­fe­renz von Evi­an, auf der 1938 Auf­nah­me­kon­tin­gen­te für aus Deutsch­land flie­hen­de Jüdin­nen und Juden fest­ge­legt wer­den soll­ten. Die Kon­fe­renz schei­ter­te unter ande­rem an der feh­len­den Ver­pflich­tung der betei­lig­ten Staa­ten, tat­säch­lich Geflüch­te­te auf­zu­neh­men. Frei­wil­lig­keit und Groß­zü­gig­keit erwie­sen sich als höchst unzu­ver­läs­sig und bedeu­te­ten schluss­end­lich das Todes­ur­teil für vie­le, die Deutsch­land nicht recht­zei­tig ver­las­sen konn­ten. Die Men­schen, die zu uns kom­men, neh­men also mit dem Asyl­recht ein ver­brief­tes Men­schen­recht in Anspruch. Inso­fern ist es schein­hei­lig, Dank­bar­keit von ihnen abzu­ver­lan­gen. Beson­ders, wenn die­se Dank­bar­keit in ers­ter Linie bedeu­ten soll, Ein­schrän­kun­gen der per­sön­li­chen Auto­no­mie sowie Miss­stän­de des deut­schen Asyl­sys­tems ein­fach hin­zu­neh­men. Ähn­lich absurd wäre es, zu erwar­ten, dass deut­sche Staats­bür­ge­rIn­nen aus Dank­bar­keit für das im Grund­ge­setz fest­ge­hal­te­ne Recht auf Rede­frei­heit oder Pri­vat­sphä­re die Bun­des­re­gie­rung nicht kri­ti­sie­ren dürf­ten, wenn sie die­se Rech­te in der prak­ti­schen Umset­zung einschränkt.
Neben die­sem fal­schen Ver­ständ­nis der Auf­nah­me von Geflüch­te­ten als groß­zü­gi­ge Ges­te wird noch ein wei­te­rer Aspekt igno­riert, wenn «Dank­bar­keit» ein­ge­for­dert wird: Geflüch­te­te haben Unfass­ba­res auf sich genom­men, um über­haupt die Mög­lich­keit zu haben, in Deutsch­land Asyl zu bean­tra­gen. Vie­le haben alles, was ihnen wich­tig war, in ihren Her­kunfts­län­dern zurück­ge­las­sen. Sie haben ihr Leben auf dem Mit­tel­meer ris­kiert und unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen die Bal­kan­rou­te über­wun­den. Im Som­mer ver­gan­ge­nen Jah­res haben sie die Fes­tung Euro­pa gestürmt und damit etwas erreicht, wofür sich euro­päi­sche Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen seit Jah­ren erfolg­los ein­ge­setzt haben – das Euro­pa sich sei­ner Ver­ant­wor­tung gegen­über Geflüch­te­ten stellt. Dies mag nur ein vor­über­ge­hen­der Zustand sein, den­noch ist es eine unglaub­li­che Leis­tung. Geflüch­te­te muss­ten sich das Recht auf Asyl, das ihnen zusteht, hart erkämpfen.

Gesetzesverschärfungen im Schatten der Willkommenskultur

Durch die Kon­zen­tra­ti­on auf huma­ni­tä­re Hil­fe besteht die Gefahr, die poli­ti­sche Dimen­si­on des The­ma Asyls aus­zu­blen­den. Natür­lich ist es wich­tig, und in vie­len Fäl­len schlicht eine huma­ni­tä­re Not­wen­dig­keit, die hier Ankom­men­den mit Essen, Klei­dung, Unter­kunft und so wei­ter zu ver­sor­gen. Den­noch sind Hilfs­be­reit­schaft und Betrof­fen­heit, zum Bei­spiel über ertrun­ke­ne Kin­der oder die Zustän­de ent­lang der Flucht­rou­te über den Bal­kan, nicht genug. Die aktu­el­le Kri­se in Deutsch­land und Euro­pa ist kei­ne huma­ni­tä­re, sie ist eine poli­ti­sche. Die Kri­se besteht nicht dar­in, dass momen­tan mehr Men­schen nach Euro­pa kom­men, als das büro­kra­ti­sche Sys­tem ohne grö­ße­re Pro­ble­me bewäl­ti­gen könn­te. Die Kri­se besteht viel­mehr dar­in, dass Euro­pa und Deutsch­land jah­re­lan­ge eine Asyl­po­li­tik betrie­ben haben, die auf Abschre­ckung, Abschot­tung und Aus­gren­zung beruht. Jah­re­lan­ge star­ben Men­schen auf dem Weg über das Mit­tel­meer, jah­re­lang wur­den Geflüch­te­te in Deutsch­land dis­kri­mi­niert, jah­re­lang hat es nie­man­den inter­es­siert. Nun inter­es­siert es und das ist gut so.
So not­wen­dig die huma­ni­tä­re Hil­fe ist, die vie­ler­orts geleis­tet wird, so bekämpft sie jedoch nur die Sym­pto­me. Die Ursa­chen der Kri­se kön­nen nur auf poli­ti­scher Ebe­ne ange­gan­gen wer­den. Hier­für müss­te die indi­vi­du­el­le Hil­fe mit einem kol­lek­ti­ven poli­ti­schen Han­deln ver­bun­den wer­den, ande­rer­seits besteht die Gefahr, dass die Miss­stän­de, die die Kri­se mit her­bei­führ­ten, nur noch ver­stärkt wer­den. Aller­dings begrei­fen sich vie­le der Hel­fer­krei­se als expli­zit unpo­li­tisch. Und es gibt auch nicht weni­ge unter denen, die Geflüch­te­te huma­ni­tär unter­stüt­zen, die von «rich­ti­gen» Flücht­lin­gen spre­chen bzw. von Flücht­lin­gen mit «Blei­be­per­spek­ti­ve». Das impli­ziert umge­kehrt, dass es «fal­sche» Geflüch­tet gibt. Das ist Aus­druck davon, dass Tei­le der Hel­fen­den die aktu­el­le Asyl­po­li­tik und gera­de die momen­ta­ne, pro­ble­ma­ti­sche Rechts­la­ge zum The­ma Asyl nicht kri­tisch hinterfragen.
Zum 1. Novem­ber ver­gan­ge­nen Jah­res trat mit dem soge­nann­ten Asyl­pa­ket eine mas­si­ve Ver­schär­fung des Asyl­rechts in Kraft. Geflüch­te­te sol­len län­ger in Lagern unter­ge­bracht wer­den und wie­der ver­stärkt Sach­leis­tun­gen erhal­ten. Damit ist einer der größ­ten prak­ti­schen Erfol­ge der anti­ras­sis­ti­schen Bewe­gung der letz­ten Jah­re, näm­lich die Ent­schär­fung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes, fak­tisch rück­gän­gig gemacht wor­den. Zudem dür­fen Abschie­bun­gen nicht mehr ange­kün­digt wer­den, was eine enor­me psy­chi­sche Belas­tung für die Betrof­fe­nen dar­stellt. Gleich­zei­tig wur­den mehr Län­der zu soge­nann­ten Siche­ren Dritt­staa­ten erklärt, damit Men­schen aus die­sen Staa­ten ein­fa­cher abge­scho­ben wer­den können.
Nun steht ein zwei­tes Asyl­pa­ket kurz vor der Ver­an­schei­dung, wel­ches der­art weit­ge­hen­de Ein­schrän­kun­gen ent­hält, dass Pro Asyl das Vor­ha­ben als «Fron­tal­an­griff auf das indi­vi­du­el­le Asyl­recht» bezeich­net. Unter ande­rem soll durch das neue Paket mög­lich wer­den, eine gro­ße Anzahl von Asyl­su­chen­den Schnell­ver­fah­ren zu unter­wer­fen, in den die Flucht­grün­de nicht hin­rei­chend fest­ge­stellt wer­den kön­nen. Außer­dem soll der Fami­li­en­nach­zug mas­siv ein­ge­schränkt wer­den. Gegen kei­nes der bei­den Asyl­pa­ke­te regt sich der­zeit aus­rei­chend Wider­stand. Anstatt end­lich eine huma­ne Asyl­po­li­tik zu ent­wer­fen, ver­sucht die Bun­des­re­gie­rung gera­de, mög­lichst vie­le Asyl­su­chen­de per Gesetz zu soge­nann­ten Wirt­schafts­flücht­lin­gen zu erklä­ren, um sie dann mög­lichst schnell abschie­ben zu kön­nen. Und nie­mand widerspricht.
Auch die Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten in Lagern, Arbeits­ver­bo­te und Ähn­li­ches soll­ten Gegen­stand von Pro­tes­ten sein. Doch bis­her blie­ben Pro­tes­te im grö­ße­ren Stil aus. Viel­mehr schei­nen die Miss­stän­de durch die Kon­zen­tra­ti­on auf die huma­ni­tä­re Hil­fe über­deckt zu wer­den. Teil­wei­se wird die­se Hil­fe sogar als Recht­fer­ti­gung für die Asyl­rechts­ver­schär­fung her­an­ge­zo­gen, wor­in sich ein zen­tra­les Pro­blem der «Will­kom­mens­kul­tur» zeigt. Ganz nach dem Mot­to: Die Deut­schen kön­nen nicht allen hel­fen, des­halb müs­sen jene abge­wehrt wer­den, die sich die­se Hil­fe unbe­rech­tig­ter­wei­se zu erschlei­chen versuchen.
Die­se Argu­men­ta­ti­on ist per­fi­de und men­schen­ver­ach­tend. Geflüch­te­te kom­men nicht nach Deutsch­land, um sich Sozi­al­leis­tun­gen oder Hilfs­gü­ter zu «erschlei­chen». Gera­de Roma aus den Bal­kan­staa­ten, die von der Asyl­rechts­ver­schär­fung beson­ders betrof­fen sind, wird aber häu­fig genau das unter­stellt. Sie gel­ten als das Para­de­bei­spiel des «Wirt­schafts­flücht­lings», der es gar nicht ver­dient hat, in Deutsch­land Unter­stüt­zung zu erhal­ten. Dabei gerät völ­lig aus dem Blick, dass Roma in Ost­eu­ro­pa mas­si­ver poli­ti­scher, wirt­schaft­li­cher und sozia­ler Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt sind, die in man­chen Fäl­len lebens­be­droh­lich ist. Der Skan­dal soll­te also nicht sein, dass Kapa­zi­tä­ten des Asyl­sys­tems und der Hel­fen­den von angeb­li­chen «Wirt­schafts­flücht­lin­gen» blo­ckiert wer­den, son­dern viel­mehr, dass die Bun­des­re­gie­rung per Gesetz eine gan­ze Regi­on als sicher ein­stuft und dadurch vie­len Men­schen das Recht auf Asyl ver­wei­gert. Die regel­mä­ßi­ge Ver­let­zung von Grund­rech­ten in der Regi­on und der noch immer andau­ern­de NATO-Ein­satz im Koso­vo wer­den bei der Ein­stu­fung der Bal­kan­staa­ten als «Siche­re Dritt­staa­ten» ein­fach ignoriert.

Wirklich Willkommen?

Dass die­sen Zustän­den bis­her kein nen­nens­wer­ter Wider­stand ent­ge­gen­ge­bracht wur­de, wirft ein trau­ri­ges Licht auf die «Will­kom­mens­kul­tur». Kommt die Bun­des­re­gie­rung mit ihrer Poli­tik der Ein­schrän­kung des Asyl­rechts durch, dann wäre die Wel­le der Hilfs­be­reit­schaft nur ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein gewe­sen. An der men­schen­ver­ach­ten­den Asyl­po­li­tik und den ras­sis­ti­schen Zustän­den in Deutsch­land hät­te sich nichts geän­dert. Dabei gibt es vie­le prak­ti­sche Ansatz­punk­te, die dazu bei­tra­gen könn­ten, zukünf­ti­ge «Kri­sen» zu ver­mei­den und die unzu­mut­ba­ren Zustän­de auf Dau­er zu bekämp­fen – und zwar ohne das Recht auf Asyl qua­li­ta­tiv oder quan­ti­ta­tiv zu beschneiden.
Unver­zicht­bar ist zu aller erst die Schaf­fung von aus­rei­chen­den lega­len Wegen nach Euro­pa. Es kann nicht sein, dass Geflüch­te­te ihr Leben ris­kie­ren müs­sen, um über­haupt die Mög­lich­keit zu erhal­ten, in Deutsch­land und Euro­pa Asyl bean­tra­gen zu kön­nen (und dann viel­leicht abge­wie­sen zu wer­den). Die Schaf­fung lega­ler Rou­ten nach Euro­pa wür­de dem Ster­ben im Mit­tel­meer ein Ende berei­ten und chao­ti­sche Sze­nen, wie sie sich seit dem Som­mer immer wie­der an unter­schied­li­chen Gren­zen auf der Bal­kan­rou­te ereig­net haben, verhindern.
In Deutsch­land selbst müss­te end­lich das unsäg­li­che Sys­tem der Lager­un­ter­brin­gung abge­schafft wer­den. Lager und die mög­lichst weit­rei­chen­de behörd­li­che Kon­trol­le der Geflüch­te­ten sind men­schen­un­wür­dig und bedeu­ten zudem einen rie­si­gen Kos­ten- und Ver­wal­tungs­auf­wand. Wei­te­re Ein­schrän­kun­gen, unter denen Geflüch­te­te lei­den, wie bei­spiels­wei­se das Arbeits­ver­bot, ver­ur­sa­chen eben­falls mas­si­ve Kos­ten. Die aktu­el­le Asyl­po­li­tik ist zu ver­ur­tei­len, weil sie die Men­schen­wür­de der Geflüch­te­ten ver­letzt. Das soll­te als Anlass für Kri­tik völ­lig aus­rei­chen. Die hier genann­ten Bei­spie­le und Kos­ten­ar­gu­men­ta­tio­nen die­nen vor allem als real­po­li­ti­sches Argu­ment gegen jene, die von einer Über­for­de­rung Deutsch­lands spre­chen und eine Ein­schrän­kung des Asyl­rechts als ein­zi­ge Mög­lich­keit, die­se Über­for­de­rung abzu­wen­den, darstellen.
All das sind poli­ti­sche For­de­run­gen, die schwer mit dem Selbst­ver­ständ­nis vie­ler Hel­fer­krei­se ver­ein­bar sind. Vie­le legen Wert dar­auf, dass ihre Arbeit rein huma­ni­tä­rer Natur ist. Dabei ver­ges­sen sie, dass ihre Unter­stüt­zung hoch poli­tisch ist.
Der Begriff «huma­ni­tär» lei­tet sich vom latei­ni­schen Wort für Mensch­lich­keit ab. War­um also nicht gemein­sam, gera­de auch mit Betrof­fe­nen, dafür kämp­fen, dass Geflüch­te­te nicht mehr ihr Leben ris­kie­ren müs­sen, um nach Deutsch­land zu kom­men? War­um nicht gemein­sam dafür strei­ten, dass Geflüch­te­te in Deutsch­land men­schen­wür­dig behan­delt wer­den. War­um also nicht sich für eine euro­päi­sche Asyl­po­li­tik ein­set­zen, die an der Ach­tung des Men­schen als Men­schen aus­ge­rich­tet ist.

 

Laris­sa Scho­ber hat Poli­tik­wis­sen­schaft und Geschich­te an der Uni­ver­si­tät Frei­burg und Con­flict Reso­lu­ti­on in Divi­ded Socie­ties am King’s Col­lege in Lon­don stu­diert. Sie setzt sich seit sie­ben Jah­ren als poli­ti­sche Akti­vis­tin für die Rech­te von Geflüch­te­ten ein.

1) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/09/grenzkontrollen-an-der-grenze-zu-oesterreich-wiedereingef%C3%BChrt.html