Seit die katastrophale Lage an den europäischen Grenzen im Sommer 2015 die Bundesregierung dazu nötigte, mehr Geflüchtete aufzunehmen, ist die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland stark gestiegen. Als Reaktion darauf erhalten einerseits Pegida & Co. verstärkt Zulauf und es ereignen sich beinahe täglich Angriffe auf Flüchtlinge. Andererseits engagieren sich viele Menschen, um die neu ankommenden Geflüchteten zu unterstützen. Die Bilder der bejubelten Ankunft von syrischen Geflüchteten am Münchner Hauptbahnhof oder der unzähligen Freiwilligen, die Kleiderkammern in Hamburg organisieren, gingen nicht nur in Deutschland, sondern auch international durch die Medien. Bald entstand der Begriff der «Willkommenskultur». Doch was genau steht hinter diesem Begriff und wie ist er zu bewerten?
Willkommenskultur und bürgerliche Nothilfe
Was der Begriff «Willkommenskultur» genau meint, ist recht diffus. Wichtig ist sicherlich, dass Deutschland momentan grundsätzlich bereit ist, Geflüchtete aufzunehmen. Darauf aufbauend kann mit «Willkommenskultur» die Bereitschaft beschrieben werden, Geflüchtete als Teil der deutschen Gesellschaft zu begreifen. In der Praxis kann man die «Willkommenskultur» dort sehen, wo sich viele BürgerInnen ehrenamtlich engagieren, um Geflüchtete auf unterschiedliche Arten zu unterstützen.
Nachdem die Themen Flucht und Migration in den letzten Jahren in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung kaum Beachtung fanden, engagieren sich nun erstaunlich viele ehrenamtlich für Geflüchtete. Die Freiwilligen sortieren Kleider, verteilen Essen oder geben Deutschunterricht. In der sogenannten Flüchtlingskrise scheint diese ehrenamtliche Hilfe bitter notwendig. Ohne die vielen ehrenamtlich Helfenden wäre die Situation gerade in den vielen Notunterkünften bundesweit noch viel schlimmer, als sie ohnehin schon ist. Denn dass es zu einem solchen «Notstand» kommen konnte, kann als bewusstes Versagen des Staates bezeichnet werden: Jahrelang baute die Regierung Kapazitäten zur Unterbringung von Geflüchteten oder auch zur Bearbeitung von Asylanträgen ab. Und das trotz steigender Antragszahlen.
Doch anstatt dieses Versagen oder zumindest Fehler einzugestehen, wird von staatlicher Seite ein «Notstand» beschworen, der nur dank der vielen Ehrenamtlichen halbwegs bewältigt werden könne. Im schlimmsten Fall wird die Hilfsbereitschaft sogar gegen die Asylsuchenden gewendet. So rechtfertigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Wiedereinführung von Grenzkontrollen damit, dass die «große Hilfsbereitschaft, die Deutschland in den letzten Wochen gezeigt hat» nicht «überstrapaziert» werden dürfe. (1)
Auch wenn das weitverbreitete Engagement für Geflüchtete derart instrumentalisiert wird, ist es zu begrüßen, vor allem wenn zur selben Zeit Sammelunterkünfte in Brand gesteckt werden. Dabei darf allerdings nicht die politische Dimension dieser sogenannten Krise aus dem Blick geraten. Humanitäre Hilfe zu leisten, ist alleine nicht ausreichend, um die Situation von Geflüchteten zu verbessern – zumal dem Helfen selbst auch eine gewisse Problematik innewohnen kann.
Helfen und Paternalismus
In Deutschland gibt es eine lange Tradition einer antirassistischen Bewegung und in den letzten Jahren auch verstärkt der Selbstorganisation von Geflüchteten. Der überwiegende Teil derjenigen, die seit dem Sommer 2015 neu als Aktive hinzukamen, engagiert sich in der Regel jenseits davon in neu entstandenen Gruppen, die sich oft selbst als «unpolitisch» bezeichnen. Oft organisieren sich die Freiwilligen in großer Zahl in sogenannten Helferkreisen. Allerdings weist beispielsweise die Freiburger Freiwilligen Agentur, die in der Stadt im Breisgau Ehrenamtliche vermittelt, auf ihrer Webseite darauf hin, dass aufgrund der vielen Nachfragen von Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren möchten, momentan leider keine Plätze vermittelt werden können. Auch Projekte, die Patenschaften für geflüchtete Kinder in Freiburg vermitteln, haben mittlerweile mehr als volle Wartelisten. Gleichzeitig sind Gruppen, die sich politisch und langfristig für die Rechte von Geflüchteten engagieren, weiter überlastet und auf der Suche nach Mitgliedern.
Wie diese Beispiele zeigen, hat vor allem die humanitäre Hilfe in den letzten Monaten starken Zulauf erhalten.
Doch gerade dabei tun sich auch Fallstricke auf. So berichtet eine Sozialarbeiterin aus Baden-Württemberg etwa, das viele Helferkreise im ländlichen Raum eine «sehr deutsche Sichtweise» hätten und ihre eigenen Vorstellungen darüber, was «gut» für Geflüchtete sei und wie sie zu integrieren seien. Häufig fehlt dabei ein tiefer gehendes Verständnis für die Bedürfnisse und Rechte der Geflüchteten. Jemand, der mit seiner Familie gerade eine lebensgefährliche Flucht hinter sich hat, hat zu Beginn vermutlich andere Sorgen, als dem örtlichen Schachklub beizutreten.
Mit Problemen dieser Art geht die Gefahr eines paternalistischen, also bevormundenden Umgangs mit Geflüchteten einher. Als HelferIn anzunehmen, zu wissen, was am besten für die Geflüchteten sei, bedeutet sich über deren Autonomie als Person hinwegzusetzen, sich letztendlich selbst über diese Person zu stellen. Dies geschieht in den meisten Fällen sicherlich unbewusst. Den Helfenden ist gewiss nicht daran gelegen, Geflüchtete abzuwerten. Dennoch tun sie es durch ihr Handeln. Denn den Anderen als gleichberechtigte Person anzuerkennen, beutetet letztlich auch, hinzunehmen, dass er oder sie Entscheidungen trifft, die einem selbst nicht gefallen oder die der eigenen Meinung nach nicht zum Besten des Anderen sind. Die Wenigstens mögen es, wenn ihnen gesagt wird, was sie zu tun haben und was gut für sie ist. Warum sollte es bei Geflüchteten anders sein?
Neben diesen ethischen Überlegungen können durch paternalistisches Handeln auch ganz praktische Probleme entstehen. Wenn Freiwillige Geflüchtete bei Entscheidungen und Erledigungen nicht nur beraten oder unterstützen, sondern ihnen diese mehr oder weniger abnehmen, besteht die Gefahr, die Selbstständigkeit der Geflüchteten nicht zu fördern, sondern vielmehr einzuschränken. Für beide Aspekte gilt: Unterstützung ist wünschenswert. Bevormundung nicht.
Forderung nach Dankbarkeit
Mit dem Helfen geht häufig auch ein Anspruch auf Dankbarkeit einher und es kommt zu Enttäuschungen aufseiten der Helfenden, wenn dieser Anspruch in ihren Augen nicht erfüllt wird. Die Entrüstung, wenn Geflüchtete gespendete Kleider oder ähnliche Hilfsgüter ablehnen, weil sie ihnen nicht gefallen, ist ein Beispiel dafür. Ebenso die Reaktion von Freiwilligen aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich darüber frustriert zeigten, dass Geflüchtete auf eigene Faust in Großstädte «abgehauen» seien. Dabei reichten die vorgetragenen Beschwerden von der Klage über «verlorene» Zeit, die die Helfenden in diese Geflüchteten «investiert» hätten, über die Aussage, dass auf diese Weise Integration nicht gelingen könne, bis hin zu der Empörung darüber, dass ländliche Gebiete so nicht neu belebt werden könnten, was scheinbar als «Aufgabe» der Geflüchteten gesehen wurde.
Auch hier wird die Selbstbestimmung der Geflüchteten ausgeblendet beziehungsweise übergangen. Geflüchtete sind nicht mehr eigenständige Subjekte, die unterstützt werden, sondern werden zu Objekten in einem Integrationsprozess, der nach den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft abzulaufen hat – es wird in sie «investiert» und sie sollen Mittel zum Zweck sein, in diesem Fall der Neubesiedlung verlassener Landstriche. Vermutlich würde niemand von uns es hinnehmen, wenn er oder sie sich ihre Kleidung und ihren Wohnort nicht selbst aussuchen könnte. Doch gerade in Hinblick auf die persönliche Autonomie scheint für Geflüchtete nicht zu gelten, was für die deutsche Bevölkerung gilt. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass angenommen wird, dass Geflüchtete in einer Bringschuld stehen und daher zumindest dankbar sein sollten.
Abgesehen davon, dass viele es tatsächlich sind, stellt sich grundsätzlich die Frage, wofür Geflüchtete eigentlich dankbar sein sollen. Dafür, dass sie in einer Turnhalle oder gar in einem Zeltlager schlafen müssen? Dafür, dass ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird? Dafür, dass sie unter staatlicher Überwachung stehen?
Dieser Wunsch nach Dankbarkeit von vielen Freiwilligen ist anschlussfähig für die auch auf politischer Ebene immer wieder geäußerte Forderung, dass Geflüchtete schlicht dankbar dafür sein sollten, in Deutschland sein zu «dürfen». Dabei werden zwei grundlegende Dinge vergessen: Erstens ist es nicht Großzügigkeit, vielmehr hat sich Deutschland rechtlich dazu verpflichtet, Geflüchtete aufzunehmen. In Artikel 16 des Grundgesetzes heißt es: «Politisch Verfolgte genießen Asyl». Auf internationaler Ebene besteht diese Verpflichtung durch die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie entstand nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Eindruck von Millionen europäischer Flüchtlinge, vor allem aber in Erinnerung an die gescheiterte Konferenz von Evian, auf der 1938 Aufnahmekontingente für aus Deutschland fliehende Jüdinnen und Juden festgelegt werden sollten. Die Konferenz scheiterte unter anderem an der fehlenden Verpflichtung der beteiligten Staaten, tatsächlich Geflüchtete aufzunehmen. Freiwilligkeit und Großzügigkeit erwiesen sich als höchst unzuverlässig und bedeuteten schlussendlich das Todesurteil für viele, die Deutschland nicht rechtzeitig verlassen konnten. Die Menschen, die zu uns kommen, nehmen also mit dem Asylrecht ein verbrieftes Menschenrecht in Anspruch. Insofern ist es scheinheilig, Dankbarkeit von ihnen abzuverlangen. Besonders, wenn diese Dankbarkeit in erster Linie bedeuten soll, Einschränkungen der persönlichen Autonomie sowie Missstände des deutschen Asylsystems einfach hinzunehmen. Ähnlich absurd wäre es, zu erwarten, dass deutsche StaatsbürgerInnen aus Dankbarkeit für das im Grundgesetz festgehaltene Recht auf Redefreiheit oder Privatsphäre die Bundesregierung nicht kritisieren dürften, wenn sie diese Rechte in der praktischen Umsetzung einschränkt.
Neben diesem falschen Verständnis der Aufnahme von Geflüchteten als großzügige Geste wird noch ein weiterer Aspekt ignoriert, wenn «Dankbarkeit» eingefordert wird: Geflüchtete haben Unfassbares auf sich genommen, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, in Deutschland Asyl zu beantragen. Viele haben alles, was ihnen wichtig war, in ihren Herkunftsländern zurückgelassen. Sie haben ihr Leben auf dem Mittelmeer riskiert und unter menschenunwürdigen Bedingungen die Balkanroute überwunden. Im Sommer vergangenen Jahres haben sie die Festung Europa gestürmt und damit etwas erreicht, wofür sich europäische Menschenrechtsorganisationen seit Jahren erfolglos eingesetzt haben – das Europa sich seiner Verantwortung gegenüber Geflüchteten stellt. Dies mag nur ein vorübergehender Zustand sein, dennoch ist es eine unglaubliche Leistung. Geflüchtete mussten sich das Recht auf Asyl, das ihnen zusteht, hart erkämpfen.
Gesetzesverschärfungen im Schatten der Willkommenskultur
Durch die Konzentration auf humanitäre Hilfe besteht die Gefahr, die politische Dimension des Thema Asyls auszublenden. Natürlich ist es wichtig, und in vielen Fällen schlicht eine humanitäre Notwendigkeit, die hier Ankommenden mit Essen, Kleidung, Unterkunft und so weiter zu versorgen. Dennoch sind Hilfsbereitschaft und Betroffenheit, zum Beispiel über ertrunkene Kinder oder die Zustände entlang der Fluchtroute über den Balkan, nicht genug. Die aktuelle Krise in Deutschland und Europa ist keine humanitäre, sie ist eine politische. Die Krise besteht nicht darin, dass momentan mehr Menschen nach Europa kommen, als das bürokratische System ohne größere Probleme bewältigen könnte. Die Krise besteht vielmehr darin, dass Europa und Deutschland jahrelange eine Asylpolitik betrieben haben, die auf Abschreckung, Abschottung und Ausgrenzung beruht. Jahrelange starben Menschen auf dem Weg über das Mittelmeer, jahrelang wurden Geflüchtete in Deutschland diskriminiert, jahrelang hat es niemanden interessiert. Nun interessiert es und das ist gut so.
So notwendig die humanitäre Hilfe ist, die vielerorts geleistet wird, so bekämpft sie jedoch nur die Symptome. Die Ursachen der Krise können nur auf politischer Ebene angegangen werden. Hierfür müsste die individuelle Hilfe mit einem kollektiven politischen Handeln verbunden werden, andererseits besteht die Gefahr, dass die Missstände, die die Krise mit herbeiführten, nur noch verstärkt werden. Allerdings begreifen sich viele der Helferkreise als explizit unpolitisch. Und es gibt auch nicht wenige unter denen, die Geflüchtete humanitär unterstützen, die von «richtigen» Flüchtlingen sprechen bzw. von Flüchtlingen mit «Bleibeperspektive». Das impliziert umgekehrt, dass es «falsche» Geflüchtet gibt. Das ist Ausdruck davon, dass Teile der Helfenden die aktuelle Asylpolitik und gerade die momentane, problematische Rechtslage zum Thema Asyl nicht kritisch hinterfragen.
Zum 1. November vergangenen Jahres trat mit dem sogenannten Asylpaket eine massive Verschärfung des Asylrechts in Kraft. Geflüchtete sollen länger in Lagern untergebracht werden und wieder verstärkt Sachleistungen erhalten. Damit ist einer der größten praktischen Erfolge der antirassistischen Bewegung der letzten Jahre, nämlich die Entschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, faktisch rückgängig gemacht worden. Zudem dürfen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden, was eine enorme psychische Belastung für die Betroffenen darstellt. Gleichzeitig wurden mehr Länder zu sogenannten Sicheren Drittstaaten erklärt, damit Menschen aus diesen Staaten einfacher abgeschoben werden können.
Nun steht ein zweites Asylpaket kurz vor der Veranscheidung, welches derart weitgehende Einschränkungen enthält, dass Pro Asyl das Vorhaben als «Frontalangriff auf das individuelle Asylrecht» bezeichnet. Unter anderem soll durch das neue Paket möglich werden, eine große Anzahl von Asylsuchenden Schnellverfahren zu unterwerfen, in den die Fluchtgründe nicht hinreichend festgestellt werden können. Außerdem soll der Familiennachzug massiv eingeschränkt werden. Gegen keines der beiden Asylpakete regt sich derzeit ausreichend Widerstand. Anstatt endlich eine humane Asylpolitik zu entwerfen, versucht die Bundesregierung gerade, möglichst viele Asylsuchende per Gesetz zu sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen zu erklären, um sie dann möglichst schnell abschieben zu können. Und niemand widerspricht.
Auch die Unterbringung von Geflüchteten in Lagern, Arbeitsverbote und Ähnliches sollten Gegenstand von Protesten sein. Doch bisher blieben Proteste im größeren Stil aus. Vielmehr scheinen die Missstände durch die Konzentration auf die humanitäre Hilfe überdeckt zu werden. Teilweise wird diese Hilfe sogar als Rechtfertigung für die Asylrechtsverschärfung herangezogen, worin sich ein zentrales Problem der «Willkommenskultur» zeigt. Ganz nach dem Motto: Die Deutschen können nicht allen helfen, deshalb müssen jene abgewehrt werden, die sich diese Hilfe unberechtigterweise zu erschleichen versuchen.
Diese Argumentation ist perfide und menschenverachtend. Geflüchtete kommen nicht nach Deutschland, um sich Sozialleistungen oder Hilfsgüter zu «erschleichen». Gerade Roma aus den Balkanstaaten, die von der Asylrechtsverschärfung besonders betroffen sind, wird aber häufig genau das unterstellt. Sie gelten als das Paradebeispiel des «Wirtschaftsflüchtlings», der es gar nicht verdient hat, in Deutschland Unterstützung zu erhalten. Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass Roma in Osteuropa massiver politischer, wirtschaftlicher und sozialer Diskriminierung ausgesetzt sind, die in manchen Fällen lebensbedrohlich ist. Der Skandal sollte also nicht sein, dass Kapazitäten des Asylsystems und der Helfenden von angeblichen «Wirtschaftsflüchtlingen» blockiert werden, sondern vielmehr, dass die Bundesregierung per Gesetz eine ganze Region als sicher einstuft und dadurch vielen Menschen das Recht auf Asyl verweigert. Die regelmäßige Verletzung von Grundrechten in der Region und der noch immer andauernde NATO-Einsatz im Kosovo werden bei der Einstufung der Balkanstaaten als «Sichere Drittstaaten» einfach ignoriert.
Wirklich Willkommen?
Dass diesen Zuständen bisher kein nennenswerter Widerstand entgegengebracht wurde, wirft ein trauriges Licht auf die «Willkommenskultur». Kommt die Bundesregierung mit ihrer Politik der Einschränkung des Asylrechts durch, dann wäre die Welle der Hilfsbereitschaft nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. An der menschenverachtenden Asylpolitik und den rassistischen Zuständen in Deutschland hätte sich nichts geändert. Dabei gibt es viele praktische Ansatzpunkte, die dazu beitragen könnten, zukünftige «Krisen» zu vermeiden und die unzumutbaren Zustände auf Dauer zu bekämpfen – und zwar ohne das Recht auf Asyl qualitativ oder quantitativ zu beschneiden.
Unverzichtbar ist zu aller erst die Schaffung von ausreichenden legalen Wegen nach Europa. Es kann nicht sein, dass Geflüchtete ihr Leben riskieren müssen, um überhaupt die Möglichkeit zu erhalten, in Deutschland und Europa Asyl beantragen zu können (und dann vielleicht abgewiesen zu werden). Die Schaffung legaler Routen nach Europa würde dem Sterben im Mittelmeer ein Ende bereiten und chaotische Szenen, wie sie sich seit dem Sommer immer wieder an unterschiedlichen Grenzen auf der Balkanroute ereignet haben, verhindern.
In Deutschland selbst müsste endlich das unsägliche System der Lagerunterbringung abgeschafft werden. Lager und die möglichst weitreichende behördliche Kontrolle der Geflüchteten sind menschenunwürdig und bedeuten zudem einen riesigen Kosten- und Verwaltungsaufwand. Weitere Einschränkungen, unter denen Geflüchtete leiden, wie beispielsweise das Arbeitsverbot, verursachen ebenfalls massive Kosten. Die aktuelle Asylpolitik ist zu verurteilen, weil sie die Menschenwürde der Geflüchteten verletzt. Das sollte als Anlass für Kritik völlig ausreichen. Die hier genannten Beispiele und Kostenargumentationen dienen vor allem als realpolitisches Argument gegen jene, die von einer Überforderung Deutschlands sprechen und eine Einschränkung des Asylrechts als einzige Möglichkeit, diese Überforderung abzuwenden, darstellen.
All das sind politische Forderungen, die schwer mit dem Selbstverständnis vieler Helferkreise vereinbar sind. Viele legen Wert darauf, dass ihre Arbeit rein humanitärer Natur ist. Dabei vergessen sie, dass ihre Unterstützung hoch politisch ist.
Der Begriff «humanitär» leitet sich vom lateinischen Wort für Menschlichkeit ab. Warum also nicht gemeinsam, gerade auch mit Betroffenen, dafür kämpfen, dass Geflüchtete nicht mehr ihr Leben riskieren müssen, um nach Deutschland zu kommen? Warum nicht gemeinsam dafür streiten, dass Geflüchtete in Deutschland menschenwürdig behandelt werden. Warum also nicht sich für eine europäische Asylpolitik einsetzen, die an der Achtung des Menschen als Menschen ausgerichtet ist.
Larissa Schober hat Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Freiburg und Conflict Resolution in Divided Societies am King’s College in London studiert. Sie setzt sich seit sieben Jahren als politische Aktivistin für die Rechte von Geflüchteten ein.
1) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/09/grenzkontrollen-an-der-grenze-zu-oesterreich-wiedereingef%C3%BChrt.html