Unser Kooperationspartner Amaro Foro e.V. veröffentlicht aus Anlass des Gedenktages an den Genozid an Sinti und Roma während des Nationalsozialismus eine Pressemitteilung zu den aktuell im Zuge der aggressiven, von der CSU eskalierten «Zuwanderungsdebatte» geforderten Sonderlagern für «Balkanflüchtlinge». Der von Horst Seehofer eingebrachte Vorschlag, die Geflüchteten aus Staaten wie Mazedonien und Kosovo in Sonderlager unterzubringen, wird von Amaro Foro auf das Schärfste kritisiert. Viele der «Balkanflüchtlinge» seien Roma, weshalb der rassistische Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten von einer «unfassbare[n] Geschichtsvergessenheit» zeuge. Der Vorsitzende Merdjan Jakupov, selbst Rom aus Mazedonien, erklärt dazu: «Anlässlich des 2. August wird in Deutschland von Sinti und Roma des Genozids im Nationalsozialismus gedacht. In der Nacht zum 2. August wurden in Auschwitz fast 3000 Menschen im sogenannten Zigeunerlager ermordet. Es ist unfassbar, dass heute ein Ministerpräsident in Deutschland tatsächlich Sonderlager für eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen vorschlagen kann, ohne sofort zurücktreten zu müssen.»
Letztes Jahr erklärte die Bundesregierung Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina zu «sicheren Herkunftsstaaten», sodass Asylbewerber_innen von dort nach einem Schnellverfahren abgeschoben werden können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fordert, Albanien und Kosovo ebenfalls zu so genannten sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.
Die Pressesprecherin von Amaro Foro, Andrea Wierich, kritisiert die Diskussion: «Bisheriger moralischer Tiefpunkt der Debatte ist jedoch der Vorschlag von Horst Seehofer, Flüchtlinge aus den Westbalkanländern in gesonderten Lagern unterzubringen, um sie möglichst schnell wieder abschieben zu können. Da in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem Roma aus diesen Ländern in Deutschland Asyl beantragen, schlägt Seehofer de facto Sonderlager für eine bestimmte ethnische Gruppe vor. […] Ebenfalls indiskutabel ist der Vorschlag vom Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Manfred Schmidt, Flüchtlingen aus den Westbalkanländern das Taschengeld zu streichen», so Wierich.
Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten beruht auf einer einseitigen Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung. Ein von Pro Asyl in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten und die Richtlinien des Europäischen Rates legen fest, dass eine politische Verfolgung nicht zwingend von staatlichen Akteur_innen ausgehen muss. Außerdem dürfen Geflüchtete nach den Richtlinien des Europäischen Rates dann nicht abgeschoben werden, wenn ihnen ein «ernsthafter Schaden» droht, der auch von nichtstaatlichen Akteur_innen ausgehen kann, etwa Menschenrechtsverletzungen oder Übergriffe durch die Justiz (vgl. Art. 2, 6 und 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Die Bundesregierung erkennt hingegen nur schwerwiegende staatliche Repression als politische Verfolgung an.
«Das ist auch der Grund für die extrem niedrigen Anerkennungsquoten von Asylanträgen aus den Westbalkanländern. Deutschland ist hier als Hardliner einzustufen – die Anerkennungsquote für Asylanträge aus Mazedonien etwa liegt in Deutschland bei 0,6 Prozent, in Frankreich jedoch bei 16,9 und in der Schweiz gar bei 22,2 Prozent», erklärt Wierich.
«In den Westbalkanstaaten sind Roma sowohl vom Arbeitsmarkt als auch vom Bildungs- und Gesundheitssystem ausgeschlossen. Sie leben in undokumentierten, offiziell nicht existierenden Slums und sind gewalttätigen Übergriffen sowohl durch rechte Gruppierungen als auch immer wieder durch die Polizei ausgesetzt», so der Vorsitzende von Amaro Foro, Jakupov, «sie haben keinen Zugang zu Sozialleistungen; elementare Bürgerrechte scheinen für sie nicht zu gelten. Hinzu kommt, dass Mazedonien – vom Westen bisher weitgehend ignoriert – dabei ist, sich zu einer Diktatur zu entwickeln. Präsident Nikolai Gruevski schürt Spannungen zwischen ethnischen Gruppen, um seine Macht zu festigen, die Medien sind gleichgeschaltet und es gibt politische Gefangene – etwa Oppositionelle und kritische Journalisten. Weitgehend unbekannt ist bisher auch, dass bei der Polizeiaktion im Mai, bei der es 22 Tote gab, die Opfer vor allem Roma waren.»
Wierich schlussfolgert: «Auch die Einstufung von Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer ist deshalb eigentlich nicht mit europäischem Recht vereinbar.»
«In Serbien ist die Situation von Roma ähnlich. Dort können rassistische Mobs ungestraft zu Hate Crime gegen Roma aufrufen, gewalttätige Übergriffe sind keine Seltenheit», erklärt Violeta Balog, serbische Romni und Gründungsmitglied von Amaro Foro. Balog weiter: «Es ist unfassbar, dass dennoch Roma aus den Westbalkanstaaten in Deutschland nicht als schutzbedürftig anerkannt, sondern als Wirtschaftsflüchtlinge diskreditiert werden. In einem Land, in dem es bereits einmal Sonderlager für Roma gab, ist eine solche Geschichtsvergessenheit unfassbar.»
Amaro Foro e.V. ist eine interkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma mit dem Ziel, Menschen durch Empowerment gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und einen Raum zu schaffen, in dem sich Roma und Nicht-Roma begegnen können. Der Vereinsname ist Romanes (Sprache der Roma) für «Unsere Stadt».