„Das Herz schlägt links“, sagt Sandro Kessel, seines Zeichens Stadtrat von Sonneberg für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Vor dem Rathaus sammelt sich langsam eine immer bunter und lauter werdende Menschenmenge, aufgekratzt und erwartungsvoll, Regenbogen- und Queer-Fahnen, dazwischen auch Parteifahnen, die Grünen, Jusos, Linksjugend Solid, dominierend die „Partei der Humanisten“ (PdH). Sie sind alle zur ersten „Christopher Street Day“-Parade (CSD) in die verschlafene südthüringische Kleinstadt gekommen, um dort – im wahrsten Sinne es Wortes – Farbe, oder vielmehr viele bunte und schillernde Farben zu bekennen. Gegen einen braun und brauner werdenden Alltag, in dem die AfD den Ton angibt und mit Robert Sesselmann den ersten faschistischen Landrat in Deutschland nach 1945 stellt. Jedenfalls hat sich in Sonneberg und in Südthüringen die Lage von Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passen, erheblich verschlechtert, laut der Opferberatungsstelle Ezra ist der Landkreis neben der Landeshauptstadt Erfurt und der Mittelstadt Weimar unterdessen zum dritten Hotspot rechter Gewalt geworden.
BSW drängt sich ins Bild
Trotzdem bleibt es an diesem Samstag, während die 650 Teilnehmende zählende Pride laut und fröhlich durch die fast ausgestorbenen Straßen der idyllisch gelegenen Stadt zieht, ruhig. Es zeigen sich kaum Einwohner*innen, Passant*innen geben sich freundlich tolerant. „Solange hinterher die Straßen nicht dreckig sind“, sagt eine junge Frau, sei das okay. Die erwarteten Gegendemonstrant*innen und Störungen bleiben völlig aus. Auch die Polizei gibt sich freundlich und entspannt, war ja auch nichts.
Also bleibt nur das BSW. Viele der Teilnehmenden stecken schon während des Zuges die Köpfe zusammen und fragen sich, weshalb diese erklärtermaßen trans- und queerfeindliche Partei sich hier so in die stolze Pride drängt. Sandro Kessel bleibt dabei, seine neue Partei BSW — er kommt ursprünglich von „Die Partei“ – gehöre hier mit dazu. Seinen T‑Shirt-Ärmel hat er extra hochgerollt, damit man sein umfangreiches Till-Lindemann-Tatoo nur ja gut sehen kann. Auch das bei einem CSD ein eher verstörendes Statement, wenn man sich die Debatte um den Rammstein-Frontmann ins Gedächtnis ruft. Auf die queerfeindlichen Statements seiner neuen Parteiführerin angesprochen, lässt Kessel seinen schrägen Vorstellungen von Geschlechtsumwandlung freien Lauf und meint, die gesetzliche Möglichkeit, „jedes Jahr einmal sein Geschlecht zu wechseln“, das gehe einfach zu weit.
Tolles Bühnenprogramm am PIKO-Platz
Natürlich ticken die Uhren in einem winzigen Provinznest im ehemaligen Zonenrand anders. Im Rathaus haben sich – in ihrer Not, möchte man sagen – SPD, Linke und eben BSW zusammengetan, um Fraktionsstärke gegen die übermächtige AfD zu erlangen. Da nimmt man es dann mit der „rot-roten“ Abgrenzung vielleicht nicht mehr so genau. Es bleibt dann der Grünen-Landtagsabgeordneten Madeleine Henfling überlassen, auf der Bühne der Abschlusskundgebung noch einmal das ganze entlarvende Wagenknecht-Zitat von den „skurrilen Minderheiten“ zu zitieren und ihr Unverständnis darüber auszudrücken, dass die Organisator*innen von #CSDinSonneberg sich nicht klar abgrenzten, sondern auch noch dem stellvertretenden BSW-Kreisvorsitzenden Steffen Schütz die Bühne für einen Redebeitrag überlassen. Ihre Kritik wird von lautstarken, zustimmenden Buh-Rufen der auf dem PIKO-Platz (benannt nach der weltberühmten DDR-Modelleisenbahn-Fabrik) versammelten Menge begleitet.
Die Organisator*innen bleiben dabei: Frederic Forkel (PdH Coburg) sagt, man wolle dem BSW diesmal die Chance geben „sich zu bewähren“. Tue es das nicht, sei es das nächste mal raus.
Leider verblassen hinter der Irritation über die BSW-Beteiligung die gute Stimmung, die engagierten antifaschistischen Redebeiträge und die starke klassenkämpferische Solidaritätserklärung des DGB-Jugendsekretärs Gregor Gallner mit dem Anliegen des CSD und den Teilnehmenden. Und das mitreißende Bühnenprogramm mit dem programmatischen Song „Dürüm und Ayran in der Thüringer Kleinstadt“ von Maurice Conrad und Bruneau, mit dem von Fans umlagerten Youtube-Star „Yu“ und der beeindruckenden Rapperin „Latifa Iguma“ aus dem ostthüringischen Gera.
Dieser Beitrag erschien zuerst in bearbeiteter Version im ND.