Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude in Frankfurt am Main, wo, das Oberlandesgericht den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verhandelt
Ahmed I. ist Nebenkläger im Prozess zum Mord an Walter Lübcke, der am 2. Juli 2019 im vergangenen Jahr von den beiden Angeklagten erschossen worden sein soll. Abends am 6. Januar 2016 stach mutmaßlich der Neo-Nazi Stephan E. dem aus dem Irak geflüchteten jungen Mann mit einem Messer in den Rücken. Ahmed I., zur Zeit des Anschlags auf sein Leben gerade einmal 20 Tage in Deutschland, vermutete damals schon einen rassistischen Tathintergrund. Die Polizei konnte jedoch damals keinen Täter ausfindig machen.
Ich bau‘ dir ein Schloss: NSU-Untersuchungsausschuss in märchenhafter Umgebung Foto: N. Lehmann
Das Thema NSU-Komplex ist noch nicht aus allen Parlamenten verschwunden. In Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin tagt noch immer der letzte aktive von insgesamt 13 Untersuchungsausschüssen, die es zu dem Thema in der Bundesrepublik gibt bzw. gab. Dafür, dass Schwerin eine Landeshauptstadt ist, ist es zumindest von Berlin aus nur vergleichsweise schwierig zu erreichen. Auf der immerhin zweistündigen Fahrt muss man einmal umsteigen und für die letzte Strecke eine Regionalbahn benutzen. Und dadurch, dass die Sitzung des Ausschusses im Schweriner Schloss, dem „schönsten Parlamentssitz Deutschlands“, bereits um 9:30 Uhr beginnt, muss man auch entsprechend früh losfahren.
Aus den Tiefen des Darknets in die tiefen Gänge des Moabiter Kriminalgerichts: Der Fall André M.
Seit Prozessbeginn im April hat André M. vor der 10 Strafkammer des Landgerichts Berlin beharrlich geschwiegen. Ihm wird zur Last gelegt, aus einer nazistischen, misogynen und rassistischen Motivationen heraus Nachrichten mit Mord- und Bombendrohungen an zahlreiche Personen und öffentliche Institutionen, wie Gerichte, versandt zu haben. Unterzeichnet waren diese unter anderem mit dem Namen „Nationalsozialistische Offensive“. Um trotz seines Schweigens einen Eindruck vom Angeklagten, seiner Weltanschauung und seinen persönlichen Lebensumständen zu bekommen, wurden seit Verhandlungsbeginn unzählige Sprachnachrichten von Messengerdiensten vor Gericht angehört. Mit einer Person tauschte er sich zu der Zeit, als die Bombendrohungen verschickt wurden, regelmäßig aus: Kerstin S. Sie war zu jener Zeit eine Vertrauensperson von André M., obwohl ihre Verbindung rein virtuell war.
Im imposanten historischen Justizgebäude in der Turmstraße in Moabit: Der Prozess gegen André M. gibt Einblicke in das Denken eines neonazistischen Drohbriefschreibers.
Schmächtig, in sich zusammen gesunken und mit dem Charme eines introvertierten Computernerds sitzt der Schleswig-Holsteiner André M. auf der Anklagebank und schweigt beharrlich zu den Verbrechen, die ihm vorgeworfen werden.
Für über 100 Drohmails an Behörden, Personen des öffentlichen Lebens und Politiker*innen wird der Angeklagte verantwortlich gemacht. Unter dem Namen „nationalsozialistische Offensive“ soll er Mord- und Bombendrohungen versandt haben — triefend vor nationalsozialistischem Gedankengut und inklusive brutaler Gewaltphantasien. Im April hatte die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin begonnen und wird wohl noch einige Monate andauern. Das Verfahren ist komplex, denn unübersichtlich scheinen die verschiedenen Stränge der Ermittlungsarbeiten gegen M. und kompliziert die technologischen Details für den Nachweis internetbasierter Straftaten.
Am Rande einer der ersten Kundgebungen nach dem Massaker von Hanau, dem acht Besucher und eine Angestellte in zwei Shisha-Bars sowie die Mutter des Attentäters zum Opfer gefallen waren, stellte sich der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, nach den üblichen Betroffenheitsübungen auf der Bühne, live den Fragen des Reporters Markus Gürne für den ARD-Brennpunkt am 20. Februar. Gürne stellte die durchaus naheliegende Frage: „Warum hat Hessen eigentlich so ein besonderes Problem?“ Dass Bouffier sagen würde: „Ich glaube nicht, dass wir ein besonders Problem haben“, war klar.
Das Logo des „Uniter e.V.“
Die aktuelle Studie der Informationsstelle Militarisierung (Tübingen) widmet sich dem militanten Neo-Nazi-Netzwerk in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und Parlamenten. Die Studie is von Luca Heyer, hat 16 Seiten und ist datiert auf den 13. Juni 2019, einen Tag nach den Razzien in Mecklenburg-Vorpommern wegen Munitionsdiebstals gegen SEK-Beamte, die im Zusammenhang mit dem Netzwerk zu sehen sind. Heyer liefert eine beachtenswerte Zusammenfassung der Fakten über diesen Organisierungsansatz an der Schnittstelle zwischen Staat und faschistischer Bewegung.
Demonstration am Tatort des Brandanschlages von Solingen in der Unteren-Wernerstraße Foto: Von Sir James, CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4119365CC-lizenziert
Anlässlich des heutigen 25. Jahrestages des Brandanschlags in Solingen am 29.5.1993 gedenken wir der Opfer: Gürsün İnce (* 4. Oktober 1965), Hatice Genç (* 20. November 1974), Gülüstan Öztürk (* 14. April 1981), Hülya Genç (* 12. Februar 1984), Saime Genç (* 12. August 1988). Ein sechs Monate alter Säugling, ein dreijähriges Kind und der 15 Jahre alte Bekir Genç wurden mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. Wir dokumentieren gerne und dankbar einen Redebeitrag, den der hoch geschätzte Bremer Menschenrechtsanwalt Rolf Gössner anlässlich einer Gedenkveranstaltung am 23. Mai 2018 im Theater- und Konzerthaus Solingen hielt, an der über 300 Menschen teilgenommen haben:
Geisterfahrt im NSU-Prozess: Angela Wierigs Denunziation „Nazis Inside“ im Hamburger Osburg-Verlag
Den kennen Sie, oder? Ein Falschfahrer schaltet den Verkehrsfunk ein und hört die Warnmeldung, dass auf der Autobahn ein „Geisterfahrer“ entgegenkommt. „Einer? Hunderte!“, kommentiert er die Durchsage empört. In unserer Geschichte hier heißt die Geisterfahrerin Angela Wierig und war Anwältin einer Angehörigen des am 27. Juni 2001 vom NSU ermordeten Hamburger Kleinunternehmers Süleyman Taşköprü. Sie ist es nicht mehr, ihre fassungslose Mandantin hat ihre Nebenklage entnervt zurückgezogen, um Wierig nach viereinhalb Jahren Prozess loszuwerden, nachdem sie am 396. Prozesstag Ende 2017 mit dem Inhalt ihres Plädoyers bereits für einen Eklat gesorgt hatte. Sie hatte darin so mir nichts, dir nichts die Existenz eines „institutionellen Rassismus“ im NSU-Komplex geleugnet und einen Freispruch für den Angeklagten Ralf Wohlleben gefordert, der den Kauf der Tatwaffe Ceska 83 für die rassistische Mordserie des NSU in Auftrag gegeben und bezahlt haben soll und der der Anklagebehörde als „Mastermind“ hinter dem NSU gilt.
„Wir Opfer sind die Hauptzeugen des Geschehens“ (Ibrahim Arslan)