Skandal: Wandbild zum NSU-Terror zerstört

Eil­mel­dung vom 3.6.2014 zur lau­fen­den Zer­stö­rung des Wand­bilds zum Nagel­bom­ben­an­schlag in der Köl­ner Keup­stra­ße 2004 in Berlin-Kreuzberg

*Ber­li­ner Lan­des­kri­mi­nal­amt lässt Wand­bild zum zehn­ten Jah­res­tag des NSU-Nagel­bom­ben­an­schla­ges in Köln zerstören*

Kurz nach­dem das lang geplan­te Wand­bild heu­te Vor­mit­tag angebracht
wur­de, tra­fen Ber­li­ner Poli­zis­ten mit meh­re­ren Mann­schafts­wa­gen und Gefan­ge­nen­trans­por­ter an der Manteuffelstraße/ Ecke Ora­ni­en­stra­ße ein und nah­men die Per­so­na­li­en aller dort Anwe­sen­den (auch Pas­san­ten) auf. Begrün­dung: Der Satz „Staats & Nazis Hand in Hand“ sei eine straf­ba­re Ver­un­glimp­fung des Staates.
Mit gro­ßem Auf­ge­bot und Ein­satz einer Feu­er­wehr­dreh­lei­ter wur­de der Satz
aus dem Wand­bild her­aus­ge­ris­sen. Eine aus­führ­li­che Pres­se­mit­tei­lung zu die­sem Vor­fall folgt.

Pres­se­mit­tei­lung des Bünd­nis­ses gegen Ras­sis­mus und All­men­de e.V. vom 03.06.2014

Berliner Polizei zerstört Wandbild zur Erinnerung an den NSU-Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße

Wandbild zum terroranschlag auf die Keupstraße in Köln
Wand­bild zum NSU-Ter­ror­an­schlag auf die Keup­stra­ße in Köln am 9.6.2004 an einer Haus­wand in Kreuz­berg — vor der Zer­stö­rung durch die Polizei

Seit heu­te Mit­tag hat das frisch auf­ge­häng­te Wand­bild an der Ecke Manteuffelstraße/Oranienstraße ein Loch und damit eine inhalt­li­che Lücke – der Satz „NSU: Staat und Nazis Hand in Hand“ wur­de von der Ber­li­ner Feu­er­wehr im Auf­trag der Ber­li­ner Poli­zei aus dem Bild her­aus­ge­ris­sen, ohne rich­ter­li­che Anordnung.

Das Wand­bild erin­nert an den Nagel­bom­ben­an­schlag des soge­nann­ten Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds (NSU) auf die Köl­ner Keup­stra­ße vor 10 Jah­ren. Es the­ma­ti­siert das Ver­hal­ten der Ermitt­lungs­be­hör­den nach dem Anschlag, die Hin­wei­se auf einen rechts­ter­ro­ris­ti­schen Tat­hin­ter­grund sys­te­ma­tisch igno­rier­ten. Statt­des­sen ermit­tel­ten sie gegen die Anwohner_innen und Gewer­be­trei­ben­den der Keup­stra­ße und drang­sa­lier­ten sie jah­re­lang mit zwei­fel­haf­ten Methoden.

Nicht erst seit dem NSU-Unter­su­chungs­aus­schuss ist bekannt, dass ohne eine Zusam­men­ar­beit der Behör­den mit dem NSU die­ser nicht über zehn Jah­re hin­weg Men­schen mit Migra­ti­ons­ge­schich­te hät­te ermor­den kön­nen. Schon nach der Demons­tra­ti­on zum zwei­ten Jah­res­tag des Bekannt­wer­dens des NSU am 04.11.2013 ver­such­te die Ber­li­ner Poli­zei das ähn­lich lau­ten­de Demo-Mot­to „NSU-Ter­ror. Nazis und Staat Hand in Hand“ zu kri­mi­na­li­sie­ren: eine Laut­spre­cher­an­la­ge wur­de beschlag­nahmt, ein Ver­fah­ren nach § 90a (Ver­un­glimp­fung des Staa­tes) ein­ge­lei­tet und man­gels Erfül­lung eines Straf­tat­be­stan­des wie­der ein­ge­stellt. Die Rechts­wid­rig­keit der Beschlag­nah­mung wur­de gericht­lich festgestellt.

Heu­te hat die­sel­be Poli­zei­ein­heit im Auf­trag der­sel­ben Abtei­lung des Lan­des­kri­mi­nal­am­tes – des poli­zei­li­chen Staats­schut­zes – den Satz „NSU: Staat und Nazis Hand und Hand“ aus dem Wand­bild zensiert.

Die Per­so­na­li­en von Anwe­sen­den wur­den fest­ge­stellt. Zunächst behaup­te­te die Poli­zei, das Bild sei ohne Erlaub­nis der Hauseigentümer_innen ange­bracht wor­den. Die her­bei­ge­ru­fe­ne Ver­tre­te­rin der Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaft bestä­tig­te die aus­drück­li­che Geneh­mi­gung. Erst dar­auf­hin begrün­de­te die Poli­zei ihre Maß­nah­men mit dem § 90a (Ver­un­glimp­fung des Staa­tes) – wegen die­sem wer­de jetzt ermittelt.

Die Poli­zei ver­lang­te, die Zen­sur am Bild selbst vor­zu­neh­men und die strit­ti­ge Pas­sa­ge zu über­ma­len. Als kei­ner der poli­zei­li­chen Auf­for­de­rung nach­kam, konn­te auch ein her­bei­ge­eil­ter Anwalt nicht ver­hin­dern, dass die Poli­zei eine Dreh­lei­ter der Ber­li­ner Feu­er­wehr anforderte.

Unter Miss­fal­lens­äu­ße­run­gen von Anwohner_innen fuhr ein Feu­er­wehr­mann zum Bild hin­auf, mit einem Mes­ser bewaff­net und riss groß­flä­chig Tei­le des Bil­des ab. Ein Pres­se-Foto­graf foto­gra­fier­te die­se Akti­on. Dar­auf­hin wur­de er von der Poli­zei umstellt: Er sol­le sei­ne Bil­der zur Kon­trol­le vor­zei­gen. Als er sich wei­ger­te, wur­den sei­ne Per­so­na­li­en festgestellt.

Wir ver­ste­hen die Zen­sur des Wand­bil­des als eine wei­te­re Kri­mi­na­li­sie­rung poli­ti­scher anti­ras­sis­ti­scher Arbeit. Die Benen­nung der Rol­le des Staa­tes inner­halb des NSU-Kom­ple­xes soll unter­bun­den wer­den. Allein die­ses Vor­ge­hen der Poli­zei gegen kri­ti­sche Stim­men zeigt, dass die zen­sier­te Aus­sa­ge aktu­el­ler und berech­tig­ter ist denn je.
Gera­de ange­sichts der Unge­heu­er­lich­kei­ten der Ermitt­lungs­ar­beit zum NSU müs­sen staat­li­che Struk­tu­ren auch Kri­tik zulas­sen, ohne die­je­ni­gen, die die­se Kri­tik äußern, ein­zu­schüch­tern, zu über­wa­chen und zu verfolgen.
Mit die­ser Kri­mi­na­li­sie­rung wird ver­sucht, den Stand­punkt von Men­schen, die Ras­sis­mus erfah­ren, aus dem öffent­li­chen Raum zu ent­fer­nen und unsicht­bar zu machen.

Das Bünd­nis gegen Ras­sis­mus und All­men­de e.V. wer­den sich nicht zum Schwei­gen brin­gen las­sen. Wir kämp­fen wei­ter­hin gegen Ras­sis­mus und eben­so gegen die Repres­si­on gegen uns und unse­re poli­ti­sche Arbeit.

Wir for­dern die Ein­stel­lung der Ver­fol­gung Unschul­di­ger und ein Ende der Kri­mi­na­li­sie­rung anti­ras­sis­ti­scher Arbeit!

Bünd­nis gegen Rassismus
und All­men­de e.V.

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Ursprüng­li­che Pres­se­mit­tei­lung von All­men­de e.v.:

Wandbild „Terroranschlag auf die Keupstraße“

Das Wand­bild im zer­stör­ten Zustand

Seit heu­te hängt an einer Wand des Hau­ses Man­teuf­fel­stra­ße /Ecke Ora­ni­en­stra­ße ein 3x6m gro­ßes Wand­bild, weit­hin sicht­bar über die gesam­te Kreu­zung am Gör­lit­zer Bahn­hof. Zu sehen: ein Stra­ßen­schild mit der Auf­schrift „Keupstr.“, dar­an ange­lehnt ein Fahr­rad. Als Über­schrift „9.6.2004 – Ter­ror­an­schlag“. Mit dem Bild erin­nern wir an den Nagel­bom­ben­an­schlag des soge­nann­ten Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds (NSU) auf die Köl­ner Keup­stra­ße vor zehn Jahren.
Am Nach­mit­tag des 9. Juni 2004 explo­dier­te in der stark beleb­ten Stra­ße eine Bom­be, gefüllt mit über 5 kg Spreng­stoff und 800 Zim­mer­manns­nä­geln, die auf einem Fahr­rad depo­niert war. Sie soll­te in der haupt­säch­lich von Men­schen mit Migra­ti­ons­ge­schich­te aus der Tür­kei bewohn­ten Stra­ße ein bru­ta­les Blut­bad anrich­ten. Nur durch Glück starb nie­mand. Mehr als 22 Men­schen wur­den zum Teil schwer ver­letzt. Die Keup­stra­ße ist weit über Köln hin­aus als ein Zen­trum des migran­ti­schen Geschäfts­le­bens bekannt. So war für die Anwohner_innen und die Geschäfts­trei­ben­den sofort klar: Das war ein gezielt ras­sis­ti­scher Ter­ror­an­schlag. Die Ermitt­lungs­be­hör­den schlos­sen jedoch noch am sel­ben Tag (!) einen rechts­ter­ro­ris­ti­schen Hin­ter­grund aus und ver­däch­tig­ten die Anwohner_innen. Statt die Betrof­fe­nen zu unter­stüt­zen und ihre Beob­ach­tun­gen wahr­zu­neh­men, über­zo­gen sie sie mit einem jah­re­lan­gen Ermitt­lungs­ter­ror: sie kri­mi­na­li­sier­ten sie, späh­ten sie mit ver­deck­ten Ermitt­lern aus, drang­sa­lier­ten sie durch per­ma­nen­te Ver­hö­re, säten Miss­trau­en inner­halb der Stra­ßen­ge­mein­schaft und igno­rier­ten Par­al­le­len zu ande­ren faschis­ti­schen Anschlä­gen. Noch nach­träg­lich recht­fer­tig­te ein Ver­tre­ter der Ermitt­lungs­be­hör­den vor dem NSU-Unter­su­chungs­aus­schuß das kon­se­quen­te Wei­gern, in Rich­tung rech­ter Sze­ne und ras­sis­ti­schem Tat­mo­tiv zu ermit­teln, mit der Begrün­dung, dass Nazis nicht Fahr­rad füh­ren. Das kon­se­quen­te Leug­nen der Tat­her­kunft trug dazu bei, dass der NSU immer wei­ter unbe­hel­ligt mor­den konnte.

Daran soll das Wandbild erinnern.

Wir wol­len und wer­den nach den Gewalt­ta­ten, den Mor­den und der Selbst­ent­tar­nung des NSU nicht zum All­tag über­ge­hen. In Öffent­lich­keit, Medi­en und Poli­tik wird zuneh­mend der Ein­druck erweckt, das The­ma sei mit dem der­zeit in Mün­chen statt­fin­den­den Straf­pro­zess ‚erle­digt‘. Für uns ist das unfass­bar und unerträglich.
Wir sind ein Zusam­men­schluss von Ber­li­ner Initia­ti­ven und Ein­zel­per­so­nen, der in unter­schied­li­chen For­men die Erin­ne­rung an die Opfer leben­dig zu hal­ten ver­sucht. Wir erken­nen nach wie vor kei­ne kon­se­quen­te gesamt­ge­sell­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit struk­tu­rel­lem Ras­sis­mus, der für die Ver­bre­chen des NSU mit­ver­ant­wort­lich ist. Wir erken­nen wei­ter­hin nicht, dass aus den offen­sicht­li­chen Ver­stri­ckun­gen der Ermitt­lungs­be­hör­den, Ver­fas­sungs­schutz­äm­ter und Poli­zei­struk­tu­ren mit der rech­ten Sze­ne Kon­se­quen­zen gezo­gen wur­den. Mit dem groß­for­ma­ti­gen Wand­bild benen­nen wir öffent­lich die­se skan­da­lö­sen Miss­stän­de und brin­gen unse­re Wut zum Ausdruck.
Wir beob­ach­ten besorgt, wie sich im Straf­pro­zess in Mün­chen die respekt­lo­se Behand­lung der Betrof­fe­nen fort­schreibt. Mit dem Bemü­hen um Auf­klä­rung wird die Neben­kla­ge allein gelas­sen. Um die­sen Pro­zess kri­tisch zu reflek­tie­ren, laden wir am 10. Juni ein zu der Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung „Ein Jahr NSU-Pro­zess – eine Bilanz“ im Ball­haus Nau­ny­stra­ße in Ber­lin, unter ande­rem mit einem Ver­tre­ter der Köl­ner Initia­ti­ve „Keup­stra­ße ist überall“.
Die Anschlä­ge des NSU rich­ten sich gegen alle, die eine offe­ne Gesell­schaft wollen.

Deshalb fordern wir:

Einen respekt­vol­len Umgang mit allen von den Anschlä­gen Betrof­fe­nen und ein wür­de­vol­les Geden­ken an alle vom rech­ten Ter­ror Ermordeten!

Eine umfas­sen­de Auf­ar­bei­tung von Nazi-Struk­tu­ren und behörd­li­chen Verstrickungen!

Eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit ras­sis­ti­schen Insti­tu­tio­nen und Strukturen!

Und wir for­dern alle auf, gegen die ras­sis­ti­sche Spal­tung der Gesell­schaft aktiv vorzugehen!

All­men­de e.V.
Bünd­nis gegen Rassismus 
Kon­takt: bundgrass@​yahoo.​de  
buend​nis​ge​gen​ras​sis​mus​.org