Das hatte ich in den letzten Jahren selten, dass ich den gerade gelesenen Comic-Band aus der Hand lege und umgehend den Folgeband lesen will. Dies ist mir jetzt in der Vorweihnachtszeit mit dem ersten Band der Comicserie „Die Kinder der Résistance“ der Belgier Vincent Dugomier und Benoît Ers passiert.
Übersetzt und herausgegeben wurde der erste Band mit dem Titel „Erste Aktionen“ für ein deutschsprachiges Publikum im Dezember 2020 in dem österreichischen Verlag „bahoe books“. In Frankreich und Belgien ist die seit dem Jahr 2015 im Brüsseler Lombard Editions erscheinende Serie „Les enfants de la Résistance“ längst eine Erfolgsgeschichte, umfasst sechs Bände und wurde als Gesamtauflage schon 700.000 mal verkauft.
„Die Kinder der Résistance“ erzählt die Geschichte dreier Jugendlicher zur Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich. Dabei werden aus der Sicht des 13jährigen François die Ereignisse unter den Nazis und die Entwicklung des antifaschistischen Widerstands erzählt. François lebt zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Eusèbe in dem (fiktiven) Dorf Pontain l Écluse.
Die beiden Halbwüchsigen erleben wie im Sommer 1940 Flüchtlingstrecks durch ihr Dorf ziehen, wie die deutschen Truppen einmarschieren und sich ein brutales Besatzungsregime im nordwestlichen Teil Frankreichs installiert. Sie sind von dem passiven Verhalten der Erwachsenen enttäuscht und beginnen mit kleinen Propagandaaktionen, die zum Widerstand gegen die Wehrmacht aufrufen. Ihnen zur Seite gesellt sich Lisa. Das Flüchtlingsmädchen, das sich offiziell als Belgierin ausgibt, ist Kind deutscher Antifaschist*innen, die beim Einmarsch der Wehrmacht ermordet wurden. Ganz allein auf der Flucht findet sie sich eines Tages auf der Dorfstraße von Pontain l Écluse wieder. François und Eusèbe nehmen sich ihrer an, bringen sie in François‘ Familie unter und bald schon sind die drei ein unzerstrennliches Gespann in ihren Aktionen gegen die Besatzer. Eine spontane Idee von François führt zu einer ersten großen Sabotageaktion. Was sich aber als Erfolg erweist, wirkt sich repressiv auf die Dorfgemeinschaft aus. So erleben sie das erste Mal, das Widerstand seinen Preis hat. Dennoch wollen sie weitermachen. Hier endet der erste Teil der Serie.

Historisch versiert dokumentiert der Autor Vincent Dugomier in diesem ersten Band die unterschiedlichen Meinungen und Haltungen, die die französische Bevölkerung zu der deutschen Besatzung und den Nazis einnahm. Die Kinder erleben eine zerrissene Erwachsenenwelt, die von Resignation, Anpassung und Kollaboration, aber auch heimlichem Groll, leisem Widerspruch und stummer Widerständigkeit geprägt ist. Die unterschiedlichen Einstellungen gehen quer durch die Familien und die Dorfgemeinschaft, verwirren sie, zwingen alle so oder so Positionen zu beziehen – und, was die Protagonist*innen angeht, erwachsen zu werden. Auf sich gestellt beginnen sie mit ersten, zaghaften Widerstandsaktionen. Widerstandsaktionen, die die realen Bedingungen und Ansätze der französischen Résistance des Jahres 1940 widerspiegeln. Über unterschiedliche Erzählstränge gelingt es Dugomier didaktisch geschickt die historischen Ereignisse und Entwicklungen darzustellen und ein intelligentes und lehrreiches Narrativ zu inszenieren. Ein Narrativ, dass Leser*innen mit den Held*innen François, Eusèbe und Lisa mitfiebern lässt. Diese Identifikation mit den Jugendlichen ist vor allem das Verdienst des Zeichners Benoît Ers. Die von ihm kreierten Landschaften und Orte, Handlungen und Figuren sind mit Hingabe und Liebe zum Detail gezeichnet und stimmungsvoll umgesetzt worden. Sein schöner Stil ist angelehnt an der „ligne claire“ und die Zeichnungen sorgfältig koloriert. Hier ergänzen sich Autor und Zeichner kongenial. Und für die, die noch mehr Hintergrundinformationen über das erste Jahr deutscher Besatzung in Frankreich1940 wünschen, hat Vincent Dugomier im Anhang des Comics ein schön illustriertes Glossar mit historischen Fakten, Bildern und Literaturverweisen angehängt.
Mit ihrem Werk „Die Kinder der Résistance“ bereichern der Autor Vincent Dugomier und der Zeichner Benoît Ers die Comicwelt um ein didaktisch wertvolles und zeichnerisch brillantes Werk.Allein von einem Wermutstropfen ist zu berichten: Laut Verlag soll der 2. Band erst in einem halben Jahr erscheinen. Solange muss ich also meine Neugier zügeln.
Vincent Dugomier & Benoît Ers: Die Kinder der Résistance, Bahoe Books, Wien 2020, ISBN 978−3−903290−32−7, Leseprobe