„Der Faschismus funktioniert nur, wenn viele Menschen mitmachen“, sagt Johannes M. eindringlich zu einem der Polizeibeamt*innen, die ihn hier im Münchener Gerichtssaal bewachen und die er als Büttel einer faschistischen Firma betrachtet. „Sans ma ned bös, Herr M., aber des interessiert mich nicht“, erwidert der sichtlich genervte Beamte. Seine Genervtheit ist gut nachvollziehbar, das Verfahren gegen den selbsternannten Propheten des Untergangs ist an Absurdität kaum zu überbieten.
Christliche Versatzstücke
M. ist angeklagt, Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung zu sein, die sich des Telefonterrors bei Behörden und der Bedrohung von Praxismitarbeiter*innen schuldig gemacht haben soll. Verhandelt wird seit Ende Juni vor dem Staatsschutzsenat des Landgerichts München, die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm, strenger als im parallel stattfindenden so genannten Reuß-Prozess gegen 8 Angeklagte. M. wiederholt in Endlosschleifen seine wahnwitzige Weltsicht zwischen Reichsbürgerdenken, Verschwörungsmythos QAnon und christlichen Versatzstücken. Er sagt, dass es sich bei den deutschen Behörden um 47.000 private Firmen handele und dass er hier gegen seinen Willen bei einer Firmenbesprechung sei.
M. wiederholt unbeirrt und mit lauter Stimme die immer gleichen Textbausteine seiner Verschwörungsidee. Am 18. Juli, so prophezeit er, werde das US-Militär unter Commander in Chief Donald J. Trump eh übernehmen und dann werde mit den Nazis hier, die seit 109 Jahren Krieg gegen das deutsche Volk führten, aufgeräumt: nach göttlichem Willen und nach der Offenbarung des – ja, wessen? – Johannes würden zwei Drittel der Leute hier wegen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen, vor allem gegen Kinder, vor’s Kriegsgericht gestellt und gerichtet. Wenn die Richter oder die beiden Vertreterinnen des Generalstaatsanwalts oder gar die psychiatrischen Sachverständigen es wagen ihn zu unterbrechen, belegt er sie mit unflätigen Schimpftiraden, Flüchen und Drohungen: er sei mit dem Militär in ständigem Kontakt und es werde hier alles aufgenommen.
Hörige Fangemeinde
Dabei bleibt er stehen und dreht dem Senat den Rücken zu und bespielt eine wachsende Zahl von Jünger*innen, die ihn aus dem Publikumsbereich anhimmeln. Der manipulative Prediger in eigener Sache versteht es sogar, seine Stimme brechen zu lassen und Tränen vorzuspielen, weil er zunächst im „Nazi-KZ Haar“ – er meint das Bezirksklinikum, wo er ein halbes Jahr im Maßregelvollzug verbrachte – oder in der U‑Haft festgehalten werde. Dabei hält er oft Heiligenbildchen in der Hand und betet gemeinsam mit seinen Anhänger*innen. Fast noch mehr als M. selbst, schockiert die Hörigkeit seiner Gemeinde, die offenbar Geld und Zeit genug hat, um regelmäßig zum Prozess aus ganz Deutschland anzureisen – da ist von Berlin, Winterberg, Soest die Rede. Gefragt, ob sie M.s Aussagen für bare Münze nähmen, antworten sie fest und überzeugt: Ja! Dass seine dystopischen Vorhersagen stets nicht eintreffen, stört sie offenbar gar nicht in ihrer messianischen Verzückung.
Über weite Strecken mutet das Geschehen im Gerichtssaal wie eine absurde, komische Oper an: Während der Senat versucht, Zeug*innen und Sachverständige zu befragen, fährt M. ungerührt mit dröhnender Stimme mit seiner Suada fort. Seine „Fangemeine“, wie der Vorsitzende die Besucher*innen mahnend anspricht und mit Sanktionen droht, wird im Laufe der psychiatrischen Begutachtung immer unruhiger, die hingezischten Worte „Folter“ und „Unrecht“ werden lauter. Der Richter wirkt recht hilflos, wenn er die Verhandlung alle Viertelstunde unterbricht, um danach ein Ordnungsgeld gegen M. zu verhängen, weil er stets in der Begründung die zum Teil sexistischen Beschimpfungen wiederholen muss. Bisweilen verhandeln bzw. brüllen das Gericht und M. im Chor, zu verstehen ist wenig, die Meute hinten wird noch unruhiger und bestärkt M. in seinem Wüten.
Zusammenrottung rechter Fanatiker*innen
Das Verfahren gegen M. ist nur eines der Verfahren, in denen – auch nicht nur in München – wohl die Corona-Folgen abgearbeitet werden. Mit der Pandemie und folgenden Krisen sind sehr viele Menschen im Lande dem politischen System der Bundesrepublik von der Fahne gegangen oder haben sich sogar den irrwitzigsten Verschwörungsideologien und terroristischen und Preppergruppen angeschlossen. Ebenso wie im Reuß-Prozess, wo Angeklagte unbeirrt an der QAnon-Story festhalten, oder im Verfahren gegen weitere Reichsbürger im benachbarten Gerichtssaal, wo es um die Ausgabe illegaler Urkunden eines „Bundesstaates Bayern“ geht, werden Thesen vertreten, von denen man nicht fassen kann, dass irgendjemand sich dem ernstlich verschreiben könnte. Man möchte sie als völlig durchgedrehten Unfug vom Tisch wischen. Aber das Drohszenario, das Täter*innen wie M. und seine zeitweise bis zu 50.000 Follower auf seinem Telegram-Kanal entfalten, oder die Tatsache, dass es im Reuß-Verfahren um Beamt*innen selbst, politische Mandatsträger*innen und eben auch (Elite-)Soldat*innen und Polizist*innen geht, die Waffen horteten, zeigen, dass es sich nicht um harmlose Spinner*innen, sondern um gefährliche Zusammenrottungen rechter Fanatiker*innen handelt, die keineswegs zu unterschätzen sind.
Dieser Beitrag erschien am 18. Juli 2024 in gekürzter Fassung im nd.