Ein Gespräch mit Inva Kuhn vom Gesprächskreis Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Workshop-Reihe «Flucht, Asyl und Willkommenskultur in der Kommune», die vor dem Hintergrund der an vielen Orten gewalttätigen «Proteste» gegen die Unterbringung von Asylsuchenden bisher ein Dutzend mal angeboten wurde und Inhalte zu Fluchtursachen, Antragszahlen, Gesetzeslagen und Zuständigkeiten ermittelte und ein Forum bot, um gemeinsam lokal wirksame Argumentationsstrategien zu erarbeiten und lokalpolitische Akteure mit Selbstorganisationen von Asylsuchenden und antirassistischen Initiativen zu vernetzen.
Inva, du hast mit anderen Mitgliedern des Gesprächskreises Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung die «Refugees-Welcome»-Seminarreihe mitentwickelt. Worum geht es bei den Seminaren und was war der Anstoß für die Seminarreihe?
Angesichts der steigenden rassistischen und neonazistischen Angriffe sowie Brandanschläge auf (Sammel-) Unterkünfte von Asylsuchenden bundesweit – im Ost, West, Nord und Süd – wurde sich im Gesprächskreis Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung viel ausgetauscht. Im gemeinsamen Prozess mit den Referent_innen für Migration und Kommunalpolitik der RLS entstand dazu die Idee – passend zu den Kommunalwahlen in elf Bundesländern im Jahr 2014 – Mandatsträger_innen ein grundlegendes Bildungsangebot zum Thema Asyl, Migration und «Willkommenskultur» zur Verfügung zu stellen. Die Seminarreihe umfasst viele Aspekte der aktuellen Asylpolitik und versteht sich als ein Einstiegsangebot für kommunalpolitisch Aktive, die kommunale Migrationspolitik im Rat, im Kreistag oder auch in Bündnissen und Netzwerken mitgestalten wollen.
Neben der Einführung zu den Grundlagen des bundesdeutschen Asylrechts wurde die Möglichkeit geschaffen, lokale Strategien zu entwickeln, um rassistisch aufgeladene Konflikte in der Kommune, im Stadtteil oder im Bezirk zu vermeiden oder aber auch präventive Arbeit dazu zu leisten: Was tun, damit es nicht brennt? Des Weiteren setzten wir den Fokus auf kommunalpolitische Zuständigkeiten, wie die medizinische und psychosoziale Versorgung der Asylsuchenden oder die Unterbringung. Das sind klassisch kommunale Pflichtaufgaben, die mit der Bereitstellung bestimmter Leistungen und der Schaffung partizipativer Instrumente oder soziokultureller Angebote auf kommunaler Ebene zu tun haben. Ein wichtiges Anliegen war uns zudem auch selbstorganisierten Zusammenhängen von Asylsuchenden eine Plattform für Vernetzung und Austausch zu ermöglichen: Vertreter_innen aus Verwaltung, Politik, Selbstorganisationen und Unterstützer_innenkreisen tauschen sich aus und bieten ihre Ansprechbarkeiten an. Konkrete Unterstützungsangebote werden auch hier im Detail besprochen und über Koordinierungsmöglichkeiten beraten, um kommunale Kämpfe gemeinsam und auf Augenhöhe mit Asylsuchenden anzugehen.
In der Ankündigung wird von «Willkommenskultur» gesprochen. Was verstehst du darunter, und warum denkst du, dass das Thema für die Linke relevant ist?
Der Begriff «Willkommenskultur» ist insbesondere im Zusammenhang mit migrationspolitischen Themen vorsichtig zu genießen, um nicht zu sagen ein «no-go»- Kampfbegriff. Von «Willkommenskultur» spricht das «konservative Lager» wenn es um den utilitaristischen Diskurs von sogenannten nützlichen Zuwanderern geht. Westerwelle formulierte es sehr pointiert als er sagte: «Wir haben als Staat ein wohlverstandenes nationales Interesse zu fragen, wen wir einladen wollen, in Deutschland zu leben… Und wir haben ein Recht zu fragen, welchen Beitrag Einwanderer leisten wollen, damit nicht nur sie, sondern das ganze Land einen Gewinn davon haben.» Ausgehend von neoliberalen Verwertungslogiken heißt man hierzulande offiziell Menschen willkommen, die dem wachsenden Druck des demographischen Wandels begegnen und ihn auffangen sollen. Doch was ist mit dem Rest? Menschen, die aufgrund von Naturkatastrophen, autoritären Regimen, Bürgerkriegen, Entrechtung und Ausbeutung fliehen müssen? Wer heißt sie willkommen? Sicherlich nicht jene Staaten, die an den EU-Außentoren Fluchtsuchende aufhalten, ertrinken und ermorden. Auch nicht jene, die den Schutz der Fluchtsuchenden auf andere Länder auslagern.
Mit der Dublin-II-Verordnung konnte die Bundesrepublik bis Anfang der Finanzkrise erfolgreich Schutzsuchende abweisen. Damit ging auch der konsequente Abbau der Unterbringungskapazitäten einher. Im Jahr 2013 wurden aufgrund der Bürgerkriege in Syrien und im Irak über 100.000 Erstanträge auf Asyl in der Bundesrepublik gestellt. Das bedeutete auf kommunaler Ebene eine Herausforderung in der Organisierung und Planung von Unterkünften, die in den allermeisten Fällen Wohn- und Lebensbedingungen anbieten, die unzumutbar sind. Hinzu kommen noch zwei Grundprobleme: Zum einen ermöglichen die Rechtslage und die zuständigen staatlichen Institutionen kein einfaches Leben – insbesondere nicht für traumatisierte Flüchtlinge –, und zum anderen gehören rassistische und neonazistische Bedrohungen zum Alltag.
In vielen Orten wurde die Problematik früh erkannt. Es bildeten sich schnell Initiativen und Bündnisse aus zivilgesellschaftlichen Akteuren, die Konzepte von «Willkommenskultur» entwickelten und umsetzten. Dazu gehörten zum Beispiel, ein gemeinsames Willkommensessen zu organisieren, Asylsuchende bei Behördengängen zu unterstützen oder auch Übersetzungen und Beratung jeglicher Art. Jenseits der karitativen Unterstützungsarbeit ist meiner Ansicht nach der politische Kampf für Bleiberecht, für menschenwürdige Unterbringung, für humane medizinische Standards usw. unentbehrlich. Unser Referenzpunkt für den Begriff «Willkommenskultur» waren die zivilgesellschaftlichen Akteure und selbstorganisierten Initiativen, die in der politischen Arbeit und in der humanitären Unterstützung einen erheblichen Teil leisten.
Das Thema ist für die parlamentarische und außerparlamentarische Linke von grundlegender Bedeutung: Es muss dafür sowohl auf Parlamenten oder in Bezirksversammlungen oder Kreistagen als auch auf der Straße gestritten und gekämpft werden. Das mag inhaltsleer klingen, aber was ich damit meine, ist die Verknüpfung von asyl- und migrationsthematischen Aspekten mit anderen kommunalen Themen: Angelegenheiten, wie die Unterbringung haben auch direkt mit Stadt- und Raumplanung zu tun. Die Schnittmengen für gemeinsame Politik lassen sich auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene erkennen. Flucht kann nicht als ein isoliertes Problem wahrgenommen werden, es muss auf allen Ebenen mitthematisiert und angegangen werden.
Was für Unterschiede gibt es in den verschiedenen Orten, wo die Seminare stattfinden? Wie geht ihr auf die lokalen Gegebenheiten ein?
An einigen Orten war es nicht möglich, selbstorganisierte Gruppen und Initiativen von Geflüchteten in diesem Prozess einzubeziehen, da es sie nicht überall gibt. Das erschwert zum Teil die Arbeit um Vernetzung erheblich, da eine «Willkommenskultur» immer mit den Beteiligten gemeinsam organisiert werden kann und auch muss. Des Weiteren mussten wir immer wieder feststellen, dass die Dichte der angebotenen inhaltlichen Schwerpunkte teilweise zu Zeitverschiebungen und somit zu Verzögerungen geführt hat, vor allem weil wir auch den Anspruch haben, prozess- und teilnehmerorientiert zu arbeiten. Aber grundsätzlich tauschen wir uns im Vorfeld mit den Verantwortlichen über die lokalen Gegebenheiten aus und versuchen – soweit uns das möglich ist – die lokalen Gegebenheiten in unser Konzept zu integrieren.
Wie kommt es, dass es so ein großes Interesse an den Seminaren gibt?
Das Thema «Flucht» ist allgegenwärtig. Brandanschläge auf Unterkünfte sind keine Seltenheit. In vielen bundesdeutschen Großstädten toben seit einiger Zeit rassistische Proteste – neulich gingen allein in Dresden über 15.000 Pegida-Anhänger auf die Straße. Das ist besorgniserregend, denn nicht nur in Dresden, sondern auch in Dortmund, Düsseldorf, Leipzig und Ostfriesland sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten. Themen wie «Islamisierung» oder «Überflutung» bringen Menschen in großer Zahl auf die Straße: Die völkische und rassistische Haltung kann bei diesen Zahlen nicht mit irgendeiner diffusen Angst gerechtfertigt werden. Man muss das Kind beim Namen nennen – es ist ein Rassismus-Problem, das wir in der Gesellschaft haben. Denn die Tatsache, dass Themen wie «Heimatschutz» als gemeinsamer Nenner fungieren, verdeutlicht auch die weichen Übergänge zwischen großen Teilen der Mitte der Gesellschaft und der extremen Rechten, die Seite an Seite gegen «die Zerstörung der deutschen Identität» vorgehen. Zudem wird auch klar, wie dieses hoch emotionalisierte Thema zum Einfallstor für die extreme Rechte wird, die in den letzten Jahren immer wieder durch gut organisierte Bündnisse mehrere Niederlagen erlebt hatte. Ich sehe das als neue Inszenierung vom «Kampf der Kulturen», der in den letzten 30 Jahren immer wieder Konjunktur hatte, ob Anfang der 1990er Jahre oder bei «9÷11». Jetzt erleben wir ihn reloaded – um die Themen Flucht und Asyl ergänzt. An vielen Orten – vermute ich – besteht Interesse, sich auszutauschen, zu vernetzen, lokale Strategien gegen diese zunehmende rassistische Entwicklung zu entwickeln – diese Reihe eignet sich gut dafür.
Und wie wird es mit 2015 mit der Reihe weitergehen?
Bis März 2015 sind wir in Brandenburg, Thüringen und NRW noch unterwegs. Danach wollen wir die Reihe erst einmal ruhen lassen. Bei Bedarf werden aber «Bildungskontakte» bzw. Referent_innen vermittelt. Zudem sind wir gerade dabei, eine inhaltliche und methodische Handreichung zu diesem Seminar zusammenzustellen, die dann Multiplikator_innen und Interessent_innen zur Verfügung gestellt werden kann. Auch überlegen wir eine Fortbildung für interessierte Teamer_innen durchzuführen. Wir werden sehen…