Probleme mit Prostitution?

Ich dan­ke PG Macio­ti für den durch­dach­ten Bei­trag. Er zeigt her­vor­ra­gend auf, wie Pro­sti­tu­ti­on auf his­to­risch spe­zi­fi­sche Wei­se gesell­schaft­lich her­vor­ge­bracht wird. Macio­ti sieht die Ursa­chen deut­li­cher Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­se, von denen eini­ge Sexarbeiter_innen betrof­fen sind, nicht in der Pro­sti­tu­ti­on per se. Viel­mehr sei­en die­se bedingt durch Huren­stig­ma, recht­li­che Dis­kri­mi­nie­rung und eine Viel­zahl gesell­schaft­li­cher Bedin­gun­gen, die nicht unmit­tel­bar mit der Pro­sti­tu­ti­on zu tun haben, sich aber beson­ders stark im stig­ma­ti­sier­ten Sex­ge­wer­be nie­der­schla­gen: v.a. herr­schen­de Geschlech­ter­ver­hält­nis­se, Migra­ti­ons­re­gime, kapi­ta­lis­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on der Erwerbs­ar­beit und unglei­che Ver­mö­gens­ver­tei­lung. Dem kann ich nur zustimmen.

Ledig­lich an einer Stel­le bemüht Macio­ti ent­ge­gen der sons­ti­gen Argu­men­ta­ti­on dann doch eine «Beson­der­heit die­ser Tätig­keit» (also der Pro­sti­tu­ti­on), um Macht­po­si­tio­nen im Sex­ge­wer­be zu begrün­den. Dazu wäre im Sin­ne einer kon­se­quen­ten Anti-Essen­tia­li­sie­rung von Pro­sti­tu­ti­on zu ergän­zen: Auch die­se «Beson­der­heit» ist Ergeb­nis der his­to­risch spe­zi­fi­schen Art, wie unse­re Gesell­schaft Pro­sti­tu­ti­on her­vor­bringt. D.h., die «Beson­der­heit» der Pro­sti­tu­ti­on ent­steht v.a. durch gesell­schaft­li­che Zuschrei­bun­gen und hege­mo­nia­le Denk­wei­sen. Denn wie z.B. Inti­mi­tät dis­ku­tiert, gedacht und erlebt wird, ist kei­nes­falls uni­ver­sell ein­heit­lich. Viel­mehr unter­schei­den sich Vor­stel­lung von kör­per­li­cher Nähe und Inti­mi­tät zwi­schen his­to­ri­schen Pha­sen und unter­schied­li­chen Gesell­schaf­ten. Da jedoch ein­zel­ne Sub­jek­te immer von hege­mo­nia­len Dis­kur­sen geprägt (aber nicht deter­mi­niert) sind, ist Sex­ar­beit unter heu­ti­gen Bedin­gun­gen emo­tio­nal beson­ders anstren­gend. Denn Sexarbeiter_innen leben in unse­rer gegen­wär­ti­gen (west­li­chen) Gesell­schaft mit der Bür­de, dass ihr Beruf als Beschä­di­gung von Ehre, Wür­de, Weib­lich­keit oder als Ver­kauf des Kör­pers gedacht wird. Zu sagen, dass Pro­sti­tu­ti­on auf his­to­risch spe­zi­fi­sche Wei­se gesell­schaft­lich her­vor­ge­bracht wird, bedeu­tet auch, dass sie ver­än­der­bar ist. Gegen­wär­tig gibt es zur Ver­än­de­rung des recht­li­chen Rah­mens der Pro­sti­tu­ti­on ver­schie­de­ne Vor­schlä­ge, die ich im Fol­gen­den kom­men­tie­ren möchte.

Die gro­ße Koali­ti­on will Pro­sti­tu­ti­on wie­der mehr kon­trol­lie­ren. Eine an Auf­la­gen gekop­pel­te Kon­zes­si­on für Bor­del­le qua Gewer­be­recht gilt als ers­ter Lösungs­schritt. Denn mit der «För­de­rung der Pro­sti­tu­ti­on» (z.B. Bereit­stel­len guter Arbeits­be­din­gun­gen) sei 2002 ein «Ermitt­lungs­tat­be­stand» weg­ge­fal­len. D.h. die Poli­zei braucht seit­her (wie im Rechts­staat bei ande­ren Gewer­ben auch!) einen Anfangs­ver­dacht, um zu ermit­teln. Eine Kon­zes­sio­nie­rung bräch­te Gewer­be­äm­tern und Poli­zei umfas­sen­de Kon­troll­an­läs­se und Betre­tungs­rech­te – je nach Defi­ni­ti­on von Pro­sti­tu­ti­ons­stät­ten auch in der Woh­nungs­pro­sti­tu­ti­on. Die Uni­on for­der­te zudem jüngst, ver­dachts­un­ab­hän­gi­ge Betre­tungs- und Durch­su­chungs­rech­te gleich im Poli­zei­recht zu ver­an­kern (wie bereits in eini­gen Bun­des­län­dern), här­te­re Stra­fen für Men­schen­han­del, Alters­gren­ze für Pro­sti­tu­ti­on bei 21 Jah­ren, Ver­bot von Flat­rate-Bor­del­len, obli­ga­to­ri­sche medi­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen u.v.m. Vie­les davon fin­det Zustim­mung, z.B. beim Deut­schen Städ­te- und Gemein­de­bund und der Gewerk­schaft der Poli­zei. Die­se for­der­ten kürz­lich eine Gebüh­ren­pflicht für die geplan­ten Kon­zes­sio­nen, um Ord­nungs­äm­ter zu finan­zie­ren. Ali­ce Schwar­zer und die Unter­zeich­nen­den ihres Appels gegen Pro­sti­tu­ti­on wol­len das Gewer­be gar äch­ten und abschaf­fen, z.B. durch Kri­mi­na­li­sie­rung des Kaufs von sexu­el­len Diensten.

Dies soll zwar auch Kund_innen und Nachbar_innen vor Unmo­ral, Lärm und Krank­hei­ten schüt­zen oder Frau­en vor Ehe­bruch – wie die einst ehe- und patri­ar­chats­kri­ti­sche Schwar­zer pro­pa­giert. Doch meist gilt der Schutz der Pro­sti­tu­ier­ten als Ziel. Dabei wür­den die Neu­re­ge­lun­gen Rech­te der Schutz­wür­di­gen aus­höh­len: z.B. die Unver­letz­lich­keit von Woh­nung durch poli­zei­li­che Woh­nungs­durch­su­chun­gen oder des Kör­pers durch medi­zi­ni­sche Zwangs­un­ter­su­chun­gen. Und die­se Zumu­tun­gen sol­len Sexarbeiter_innen auch noch über Kon­zes­si­ons-Gebüh­ren indi­rekt finan­zie­ren. Für Sexarbeiter_innen bie­ten die Vor­schlä­ge ledig­lich Bera­tung und gewis­se Auf­ent­halts­rech­te für Men­schen­han­dels­op­fer – just seit­dem Opfer meist aus der EU stam­men und damit auch ohne Geset­zes­än­de­rung legal in Deutsch­land leben und arbei­ten dürfen.

Dass Kon­trol­le als Lösung gese­hen wird, liegt an einer Pro­blem­de­fi­ni­ti­on, die zwei Mythen auf­sitzt: Ers­tens ver­ste­hen kon­ser­va­ti­ve Femi­nis­tin­nen Pro­sti­tu­ti­on über­his­to­risch als patri­ar­chal – anstatt kon­kre­te Ursa­chen beson­ders aus­ge­präg­ter Aus­beu­tung oder Gewalt, die es im Gewer­be z.T. gibt, zu unter­su­chen. Eine inter­sek­tio­na­le Per­spek­ti­ve zeigt: Im Sex­ge­wer­be arbei­ten auf­grund jahr­hun­der­te­lan­ger Stig­ma­ti­sie­rung und recht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rung über­pro­por­tio­nal vie­le öko­no­misch erpress­ba­re und sym­bo­lisch abge­wer­te­te Men­schen; wäh­rend öko­no­misch und sym­bo­lisch Bes­ser­ge­stell­te ganz vor­ran­gig kon­su­mie­ren. Lösun­gen müss­ten daher neben Ent­stig­ma­ti­sie­rung v.a. sozia­le Absi­che­rung sowie Arbeits- und Auf­ent­halts­rech­te beinhal­ten, z.B. Auf­ent­halts­rech­te, bevor Men­schen­han­dels­op­fer pro­du­ziert wur­den, Sozi­al­hil­fe auch für neue Migrant_innen und Gleich­stel­lung mit ande­ren Beru­fen (einen Geset­zes­ent­wurf für Letz­te­res for­mu­lier­te jüngst Doña Car­men e.V.). Wer Aus­beu­tung (im Sex­ge­wer­be) wirk­lich abschaf­fen will, soll­te sicher­lich auch das Ende des Kapi­ta­lis­mus, offe­ne Gren­zen und Aner­ken­nung ver­schie­dens­ter Dif­fe­ren­zen nicht vergessen.

Statt­des­sen, und das ist der zwei­te, his­to­risch neue­re Mythos, gilt die Lega­li­sie­rung der Pro­sti­tu­ti­on als Ursa­che von Men­schen­han­del. Dies wischt kri­mi­no­lo­gi­sche Erkennt­nis­se zu Gewalt in kri­mi­na­li­sier­ten Öko­no­mien bei­sei­te. Die Behaup­tung beruht auf nur einer Stu­die, deren Ergeb­nis­se in der Medi­en­dar­stel­lung stark über­zeich­net wer­den. Die Stu­die «Does lega­li­zed pro­sti­tu­ti­on increase human traf­fi­cking?» errech­net Zusam­men­hän­ge mit unzu­rei­chen­den Daten für die abhän­gi­ge Varia­ble und schwach defi­nier­ter unab­hän­gi­ger Varia­ble. Dage­gen zei­gen qua­li­ta­ti­ve Fall­stu­di­en aus Schwe­den, dass Kri­mi­na­li­sie­rung das Gewer­be ledig­lich ver­un­sicht­bart. Zudem bil­den Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­ti­ken nicht Kri­mi­na­li­tät ab, son­dern deren Ver­fol­gung und Erfas­sung; und «güns­ti­ge» Sta­tis­ti­ken spie­geln z.B. auch ein gerin­ges Inter­es­se des kri­mi­na­li­sie­ren­den Staats an hohen Menschenhandelsfallzahlen.

Ins­ge­samt gilt daher: Wer Armut­s­pro­sti­tu­ti­on als Ursa­che sieht, soll­te Armut bekämp­fen, nicht Pro­sti­tu­ti­on. Wer Unter­drü­ckung von Frau­en als Pro­blem sieht, soll­te die­se gesamt­ge­sell­schaft­lich bekämp­fen, nicht stell­ver­tre­tend Pro­sti­tu­ti­on. Wer sich wirk­lich um Migrant_innen sorgt, soll­te ihnen glei­che Rech­te geben, welt­weit, statt Arbeits­mög­lich­kei­ten in der Pro­sti­tu­ti­on zu ent­zie­hen. Die umge­kehr­te Logik legi­ti­miert Pre­ka­ri­sie­rung, hege­mo­nia­le Geschlech­ter­ver­hält­nis­se und ras­sis­ti­sche Ausgrenzung.

Jen­ny Kün­kel ist wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin am Insti­tut für Human­geo­gra­phie der Johann-Wolf­gang-von-Goe­the Uni­ver­si­tät in Frank­furt am Main und forscht u.a. über Pro­sti­tu­ti­ons­re­gime. Eine Kurz­fas­sung die­ses Arti­kels erscheint im nächs­ten Jour­nal der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung (Rosa­Lux 2/2014). Die letz­te Aus­gabe des Jour­nals fin­den Sie hier.

3 Gedanken zu “Probleme mit Prostitution?

  1. Pro­sti­tu­ier­te wer­den in ers­ter Linie von ihren „Kun­den“ stig­ma­ti­siert, belei­digt, benutzt, ver­ge­wal­tigt, miß­han­delt. Des­halb: Sexkauf-Ver­bot und „Stig­ma­ti­sie­rung“ von „Frei­ern“, die mei­nen, sich gegen bil­lig-Geld einen Men­schen zur Ver­fü­gung und Ver­ach­tung kau­fen zu können.

  2. Und wie bekämp­fen Sie die Ver­ar­mung und Aus­beu­tung von Frau­en? Lohn für Haus­ar­beit und Kin­der­er­zie­hung — oder ist das ein „Tabu“? Gerech­te Löh­ne und Ren­ten? Auch nicht so „sexy“ wie Pro­sti­tu­ti­on. Lie­be lin­ke Frau­en hier, seid Ihr so ent­frem­det von Eue­ren kör­pern, Eue­rer Sexua­li­tät und Eue­ren Gefüh­len, dass Ihr den Ver­kauf von Frau­en für sexu­el­le Benut­zung und Ent­wür­di­gung gegen — im übri­gen immer weni­ger „Ver­dienst“ für die Pro­sti­tu­ier­ten, dafür immer höhe­ren Pro­fi­ten für Bor­dell­be­trei­ber, Zuhäl­te­rIn­nen, Staat und Kom­mu­nen — als „Job­an­ge­bot“ für Frau­en und sogar für Migran­tin­nen aus pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen anprei­sen müsst?

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