Erstaunlich wenig wird über den Terrorprozess geschrieben und diskutiert, der Mitte April vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden begonnen hat. Angeklagt ist der mutmaßliche Islamist Abdullah Al‑H.. Der damals 20-Jährige soll am 4. Oktober vergangenen Jahres zwei Männer mit Messern angegriffen haben. Einer der Angegriffenen erlag auf dem Weg zum Krankenhaus seinen Verletzungen, der andere überlebte nur knapp. Als Motiv steht neben einer allgemeinen islamistischen Ideologie des Angeklagten auch Schwulenfeindlichkeit im Raum.
Die beiden Opfer, die als Touristen die Stadt besichtigten, waren Lebenspartner und verbrachten einen gemeinsamen Urlaub. Es ist das erste Mal, dass in einem Prozess zu rechtem Terror so offen über Homofeindlichkeit gesprochen wird. Ohnehin stehen Sexualität und Geschlecht ganz oben auf der Themenliste des Verfahrens. In unseren Beiträgen berichten wir in protokollarischen Zusammenfassungen über den Prozess. Darüber hinaus werden wir in weiterführenden Artikeln Analysen und Einordnungen zum Verfahren nachliefern, in denen wir einzelne Themen gesondert beleuchten.
Tag 1: Geständnis über Bande
Der erste Prozesstag steht ganz im Zeichen der Anklage. Entsprechend groß ist der Andrang, allerdings nur vonseiten der Presse. Überraschenderweise gibt es keinerlei rechte oder extrem rechte Präsenz beim ersten Prozesstag. Einige Linke sind im Zuschauer:innenraum anwesend, ansonsten bundesweite Presseberichterstatter:innen. Die beschweren sich lautstark über die sitzungspolizeiliche Verfügung, die vom Vorsitzenden Richter erlassen worden ist: Keine Getränke, keine Handys, Laptops im Flugmodus. Es sei „Behinderung der journalistischen Arbeit“, kritisiert ein Journalist der Bild-Zeitung die Auflagen. Er müsse ständig mit seiner Redaktion in Kontakt sein, dies werde so vom Gericht erschwert. Sich der Brisanz des Vorwurfs bewusst, kommt der Leiter des OLG selber in den Zuschauer:innenraum, um den Streit zu schlichten. Nach einigen Minuten ebbt die Debatte ab und das Verfahren kann mit 45 minütiger Verspätung beginnen.
Als erstes verliest die Bundesanwaltschaft die Anklageschrift. Es geht um Mord, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung. Als besonders schwerwiegend heben die beiden Sitzungsverrtreter des Generalbundesanwalts, Marco Mayer und Marcel Croissant, das Mordmerkmal der „niederen Motive“ hervor. Gemeint sind die „radikal islamistische Gesinnung“ sowie die Homofeindlichkeit des mutmaßlichen Täters, die auch der Vorsitzende Richter herausstellt. Aufgrund der Schwere der Tat und der Vorstrafen des Angeklagten komme nicht nur eine Höchststrafe in Betracht, sondern auch eine anschließende Sicherungsverwahrung, so die Bundesanwaltschaft (BAW). Der Angeklagte habe sich seit dem 16. Lebensjahr um das Jahr 2016 zunehmend islamistisch radikalisiert.
Theologische Rechtfertigung
Was die Vorstrafen betrifft: Kurz vor der Tat, am 29. September 2020, war Al‑H. aus der Haft entlassen worden. Er hatte eine Haftstrafe von drei Jahren und einem Monat abgesessen, weil er versucht hatte, Mitglieder für die islamistische Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) zu werben. Zudem hatte er sich eine salafistische Schrift besorgt, die eine theologische Rechtfertigung für Selbstmordattentate liefert. In Verbindung damit, dass er sich eine Anleitung zum Bau eines Sprengstoffgürtels besorgt hatte, sah es das Jugendschöffengericht Dresden als erwiesen an, dass er einen Anschlag in Deutschland geplant habe. Die ursprüngliche Haftstrafe war noch verlängert worden, weil Al‑H. im Gefängnis gegenüber Gefängniswärter:innen handgreiflich wurde.
Laut Anklage war der Täter schon vor seiner Haftentlassung aus der JSA Regis-Breitingen in seiner Überzeugung gefestigt, einen Anschlag mit einem Stichwerkzeug zu begehen. Am 2. Oktober 2020 soll er mehrere scharfe Küchenmesser erworben haben und in der Dresdner Innenstadt auf die Suche nach möglichen Opfern gegangen sein, wobei er noch keine konkrete Vorstellung davon gehabt habe, wie er die Tat genau begehen würde. Um 21:16 soll er laut Anklage auf die Geschädigten getroffen sein. Er habe sich entschlossen, die beiden unbekannten Personen als „Repräsentanten der freiheitlichen Gesellschaftsordnung anzugreifen und ihnen das Leben zu nehmen“.
Die BAW führt weiter aus, dass er die beiden Opfer „als gleichgeschlechtliches Paar erkannt und beschlossen habe, sie mit dem Tod zu bestrafen“. Um 21:26 Uhr habe er sich in der Rosmaringasse den beiden Männern von hinten genähert. Dabei habe er „die Arglosigkeit seiner Opfer genutzt“ und gleichzeitig mit „zwei Messern und hohem Kraftaufwand zugestochen“. Er habe die beiden lebensbedrohlich im Rücken verletzt. Der Überlebende, Oliver L., habe sich mit Händen und Füßen gewehrt, wodurch er weitere Wunden in der linken Kniekehle und im Unterschenkel erlitten habe. Um 21:27 Uhr habe Al H. geglaubt, „alles für die Tötung getan zu haben und die Flucht ergriffen“. Gefragt nach seiner Einlassung, gibt sein Verteidiger Peter Hollstein zu Protokoll, dass der Angeklagte sich vor Gericht nicht zur Tat äußern werde. Er wolle „sich schweigend verteidigen“. Auch weil er das Gericht als “irdisches Gericht” nicht anerkenne.
Gruppe entgeht Anschlag
Ein Geständnis kommt stattdessen über die Bande: Vonseiten des psychiatrischen Gutachters Prof. Dr. Leygraf, der mit dem Angeklagten zwei Explorationsgespräche geführt hatte. Darin habe der Angeklagte nicht nur gestanden, sondern auch vollumfänglich über Leben, Motivation und Tathergang Auskunft gegeben. Aus dem Bericht des forensischen Psychiaters geht neben der ideologischen Festigung des Angeklagten im Sinne eines sunnitisch-islamistischen Weltbildes auch eine ausgeprägte patriarchale Sexualmoral hervor, die Frauen auf ihre reproduktiven Fähigkeiten und auf ihre Rolle als Sexualobjekte reduziert. Dies geht ferner mit einer ausgeprägten Feindschaft gegenüber schwulen Männern einher, die dem Angeklagten zufolge „Feinde Allahs“ seien und darum „geschlagen und getötet“ werden dürften.
Entscheidend sei dabei, dass Al‑H. am 4. Oktober nicht mit dem Vorsatz aufgebrochen sei, Schwule zu töten, sondern zunächst unbestimmt auf der Suche nach Anschlagsopfern war, sagt der Gutachter. So berichtet Leygraf, dass der Angeklagte zunächst eine andere Gruppe ins Visier genommen habe. Da aber eine Frau dabei gewesen sei und er sich an eine Sure aus der Versgruppe 190–195 erinnert habe, wonach Muslime keine „Frauen, Kinder und Alte“ töten dürften, habe er sie verschont. Zwei andere Männer hätten sich kurz bevor er zuschlagen wollte, getrennt. Ein weiterer Mann sei in einen Hauseingang gegangen. Erst danach habe er die Verfolgung der beiden späteren Opfer Thomas L. und Oliver L. aufgenommen und auf eine günstige Gelegenheit gewartet. Er will sie „händchenhaltend und lachend“ gesehen und sie darum als legitime Opfer auserkoren haben.
Vor der Tat soll Al‑H. noch islamistische Naschids gehört haben, um sich Mut zu machen. Zudem habe er sich Predigten des salafistisch-wahabitischen Gelehrten Khaled Al-Rashid angehört und noch am Nachmittag und Abend vor der Tat die Moschee des Vereins Marwa El-Sherbini Kultur- und Bildungszentrum (MEKBZ) Dresden besucht. Der Verein ist nach Marwa el-Sherbini benannt, die 2009 während einer Gerichtsvtrafverhandlung im Dresdner Landgericht aus rassistischen Motiven erstochen wurde. Der Vorsitzende der Moschee Saad Elgazar steht sächsischen Überwachungsbehörden zufolge der islamistischen Muslimbruderschaft nahe.
Billiges Messerset von Woolworth
Als weitere Zeug:innen sind ein Polizeibeamter und zwei Rechtsmediziner:innen geladen. Der Streifenpolizist ist als erster am Tatort eingetroffen. Von der Tat sichtlich mitgenommen, beschreibt er den Tatort und die Versuche, Erster Hilfe vor Ort zu leisten. Er ringt merklich mit seiner Stimme und muss mehrfach seine Aussage unterbrechen, da er weinen muss. Die beiden Rechtsmediziner:innen, die das Mordopfer und den überlebenden Geschädigten untersucht hatten, sagten über Verletzungen und ihre kriminologische Untersuchungen aus. In ihren Gutachten leisten sie den Nachweis, dass die Verletzungen mit dem rekonstruierten Tathergang korrespondieren und der Täter mit besonderem Kraftaufwand zugestochen haben müsse. Nur durch ein Wunder habe Oliver L. seine Verletzungen überlebt. In jedem Fall könne von den lebensgefährlichen Verletzungen auf eine Tötungsabsicht geschlossen werden.
Weiterhin sind zwei Polizeibeamte des LKA Sachsen, die mit der Sichtung und Auswertung des Bildmaterials befasst waren, im Zeugenstand. Zunächst wird der Polizeibeamte gehört, der rekonstruiert hatte, wo Al H. die Messersets gekauft hat – bei “Woolworth” in der Dresdner Innenstadt: Ausgehend von Videoaufnahmen habe er die Beschaffung der Tatwaffen des Angeklagten rekonstruiert und sie mit dem Tatverdächtigen in Verbindung bringen können. Auf den Videoaufnahmen sei der Angeklagte insbesondere an seiner auffälligen Kleidung zu erkennen gewesen. Der rote Pullover mit der Aufschrift „Unknown“ war später beim Angeklagten in der Wohnung gefunden worden. Durch Sichtung der Videoaufnahmen wurde nicht nur rekonstruiert, wann der Beschuldigte die Messer gekauft hatte, sondern auch, wann er mit seinem Einkauf wieder in seiner Unterkunft angelangte.
Im Anschluss sagt ein weiterer Beamte des LKA Sachsen aus – ein Kommandoführer des Sondereinsatzkommandos, das mit der Verhaftung des Tatverdächtigen in der Dresdner Innenstadt beauftragt war. Die Bereitschaftspolizei habe den Angeklagten zunächst in der Wilsdruffer Straße im Rahmen eines sogenannten Raumauftrags während einer Routinekontrolle angehalten. Das in Bereitschaft versetzte SEK sei dann herbeigerufen worden, um die Festnahme vorzunehmen. Anschließend sei Al‑H. wieder der Bereitschaftspolizei zur Ingewahrsamnahme übergeben worden. Bei ihm seien ein Koran, ein Schlüsselbund, ein Gebetsteppich, ein Messer, eine Geldbörse, ein Handy und ein Feuerzeug gefunden worden. Der Angeklagte habe bei seiner Festnahme „Alahu Akbar, ich bekomme euch alle“ gerufen.
Der Prozesstag endet um 18 Uhr, nachdem der Richter das Durchsuchungsprotokoll aus der Wohnung des Angeklagten in das Verfahren eingeführt hatte. Darauf sind auch die Kleidungsstücke aus der Videoauswertung vermerkt. Bereits nach dem ersten Prozesstag ist die Beweislast gegen den Angeklagten erdrückend, seine Schuld kaum bestreitbar. Auch darum scheint die Strategie des Verteidigers Hollstein darauf zu zielen, den Angeklagten in das Jugendstrafrecht zu ziehen und zu versuchen, die drohende Sicherungsverwahrung zu verhindern. So äußert er es jedenfalls in einem Interview in der Mittagspause des ersten Verhandlungstages.
2 Gedanken zu “OLG Dresden: Prozess wegen tödlicher Messerattacke”
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