Zweiter Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU-Komplex, im Fokus diesmal die V‑Männer und der Verfassungsschutz
Vier Jahre nach dem Auffliegen des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sind längst nicht alle Fragen geklärt. Die Theorie einer abgeschotteten Dreier-Zelle scheint überholt, die Verzweigungen und Verstrickungen zwischen „Kerntrio“, den zahlreichen V‑Männern in ihrer Umgebung – es sollen bis zu 42 sein – und den Ermittlungsbehörden sind bisher weiter unklar und konnten auch von dem laufenden NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München nicht ausleuchtet werden. Hinzu kommt, dass der Verfassungsschutz und die Ermittlungsbehörden augenscheinlich so weiter machen wie zuvor und eine gesellschaftliche Debatte zum NSU derzeit durch heftige rassistische Proteste und nazistische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Personen überschattet wird oder sowieso ausbleibt.
Am vergangenen Freitag, 16.10.2015, stellten alle Bundestagsfraktionen, vertreten durch Petra Pau (Die LINKE), Clemens Binninger (CDU/CSU), Dr. Eva Högl (SPD) und Irene Mihalic (Bündnis 90/Die GRÜNEN), den neue, zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) des Bundestages zum NSU-Komplex vor. Nach unzähligen Anfragen v.a. der LINKEN-Bundestagsfraktion zum Themenkomplex NSU und speziell zu Verstrickungen der Ermittlungsbehörden sei die Zeit für einen weiteren Bundestags-PUA gekommen, der Innenausschuss alleine reiche nicht mehr aus, um alle Fragezeichen zu klären, erklärte der CDU-Obmann des ersten NSU-PUA, Clemens Binninger.
Es solle versucht werden, die offenen Fragen und Zweifel, die auch nach 7 PUAs in den Ländern (Thüringen I + II, Sachsen I + II, Hessen, Baden Württemberg und Nordrhein-Westfalen) sowie dem ersten PUA auf Bundesebene sowie dem NSU-Prozess in München und unzähligen investigativen Zeitungsartikeln immer noch bestehen, auszuräumen. Im Fokus stehen nicht die strafrechtlichen und ermittlungstechnischen Details der mindestens achtundzwanzig schweren Verbrechen (bekannt geworden sind: 10 Morde, 3 Bombenanschläge und 15 Bank- und Raubüberfälle) des NSU, sondern die Verstrickung der Sicherheitsbehörden. Das „Desaster des totalen Staatsversagens“ solle weiter aufgeklärt werden, forderte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die LINKE), Obfrau der LINKEN im ersten Ausschuss.
Aber auch die Gegenwart soll stärker in den Blick genommen werden. In Zeiten einer neuen Art rassistischer Mobilisierung etwa durch Pegida und täglichen Angriffen auf Heime von Geflüchteten müsse auch sehr genau darauf geschaut werden, wie Rechtsterrorismus entstehe. Schließlich gehe es im Artikel 1 des Grundgesetzes um den Schutz der Würde des Menschen, dieser müsse unter allen Umständen gewährleistet sein, führte Petra Pau aus.
Für Eva Högl (SPD), die auch dem zweiten PUA angehören wird, sind auch die Ergebnisse der bereits abgeschlossenen oder noch laufenden Untersuchungsausschüsse der Länderparlamente interessant. Diese sollten in dem neuen Ausschuss zusammengeführt und länderübergreifende Bezüge hergestellt werden, meinte sie. Dabei solle die Frage nach der Funktion der V‑Männer verstärkt geprüft werden. Im Gegensatz zum ersten Ausschuss sollten im zweiten bei Bedarf auch V‑Männer der unterschiedlichen Sicherheitsdienste selbst als Zeugen zu den Sitzungen geladen werden. Irene Mihalic von den Grünen schließlich erhofft sich dabei auch wichtige Erkenntnisse für eine effektivere Arbeit der Sicherheitsbehörden. Die „Sicherheitsarchitektur soll fit für den Kampf gegen Rechtsterrorismus“ gemacht werden, forderte die grüne Parlamentarierin.
Wer gedacht hat, das Interesse der Medien an einem zweiten NSU-Ausschuss würde gering ausfallen, sah sich bei der Pressekonferenz im Stucksaal des Jakob-Kaiser-Hauses eines besseren belehrt: Rund 50 Vertreter_innen von Presse, Funk und Fernsehen fanden sich dort ein. Auch dies ergibt sich vermutlich aus der rassistischen Stimmungsmache von Pegida und Co. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundes beginnt seine Arbeit im November. Ob durch ihn jedoch neue Erkenntnisse zu Tage gefördert werden, bleibt abzuwarten. Eins ist jedoch sicher, auch wenn der NSU-Prozess am Oberlandesgericht in München bald zu Ende gehen sollte, eine Aufarbeitung und Aufklärung des NSU-Komplexes ist noch lange nicht abgeschlossen.