Fünfter Jahrestag des Mordes an Clément Meric: Ein Interview mit seinen Eltern

Der 18-jäh­ri­ge Anti­fa­schist Clé­ment Méric wur­de am 5. Juni 2013 mit­ten in Paris – im 9. Arron­dis­se­ment – von einem rechts­ra­di­ka­len Skin­head erschla­gen. In einem Beklei­dungs­ge­schäft in der Rue Caum­ar­tin tra­fen an die­sem Nach­mit­tag eine Grup­pe jun­ger Antifaschist*innen und eine etwa gleich­gro­ße Grup­pe Naziskin­heads auf­ein­an­der. Es ent­spann sich ein ver­ba­ler Streit. Die Rech­ten benach­rich­tig­ten ihre Kame­ra­den. Als ihre Ver­stär­kung ein­traf, kam es vor dem Geschäft zu einer Schlä­ge­rei. Der Nazi Este­ban Moril­lo schlug dabei so hart mit einem Schlag­ring zu, dass der schmäch­ti­ge Clé­ment Méric mas­si­ve Gehirn­ver­let­zun­gen erlitt. Zusätz­lich fiel Clé­ment bei dem ein­tre­ten­den Sturz mit dem Kopf auf einen Metall­pol­ler. Clé­ment kam nicht mehr zu Bewusst­sein und ver­starb im Krankenhaus. 

Anläss­lich des 5. Todes­tags von Clé­ment Méric fand in Paris vom 1. bis 3. Juni ein „Week-end anti­fa­scis­te de lut­te et d’hommage“ — ein „anti­fa­schis­ti­sches Wochen­en­de des Kamp­fes und des Erin­nerns“ statt. Ein Wochen­en­de mit Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen und Dis­kus­si­ons­run­den anti­fa­schis­ti­scher und anti­ras­sis­ti­scher Initia­ti­ven aus Spa­ni­en, Ita­li­en, Grie­chen­land, Deutsch­land, dem Bas­ken­land, der Schweiz und Frank­reich. Zudem fand eine Gedenk-Demons­tra­ti­on, ein Kon­zert und ein Fuß­ball­tur­nier statt. Auch tra­fen sich Eltern ermor­de­ter und inhaf­tier­ter Antifaschist*innen aus Frank­reich, Spa­ni­en und Ita­li­en, um sich zu koor­di­nie­ren und eine gemein­sa­me Orga­ni­sa­ti­on zu gründen.

Das „La Paro­le erran­te“ in der Rue Fran­çois Deber­gue — Mon­treuil (©️ H. Koch)

Die­ses Wochen­en­de nahm ich zum Anlass nach Paris zu rei­sen und die Eltern von Clé­ment Méric, Agnes und Paul-Hen­ri, zu inter­view­en. Am Abend des 2. Juni zogen wir uns von dem Tru­bel und der Laut­stär­ke des Ver­an­stal­tungs­or­tes „La Paro­le erran­te“ in der Rue Fran­çois Deber­gue, im Stadt­teil Mon­treuil, zurück und tra­fen uns in der Buch­hand­lung des anar­chis­ti­schen Ver­lags „Liber­ta­lia“ — die nur zwei Stra­ßen ent­fernt liegt. Zwar ist die Buch­hand­lung noch nicht offi­zi­ell eröff­net. Doch die Räum­lich­kei­ten des Kol­lek­tivs von Nico­las, Char­lot­te und Bru­no in der Rue Mar­ce­lin Bert­he­lot wir­ken viel­ver­spre­chend. Zwi­schen halb ein­ge­räum­ten Rega­len und geöff­ne­ten Bücher­kar­tons fand das Inter­view statt. Über­setzt wur­den wir von dem Musi­ker Fred Alpi.

——————————–

Hei­ko Koch: Erst ein­mal vie­len Dank, dass sie sich die Zeit genom­men haben für ein Interview.

Agnes Méric: Ger­ne doch.

HK: Wenn ich darf, möch­te ich Ihnen zunächst eini­ge per­sön­li­che Fra­gen zu Clé­ment stel­len. War Clé­ment ihr ein­zi­ges Kind?

AM: Paul-Hen­ri hat zwei Töch­ter. Ich habe eine Toch­ter. Aber Clé­ment war unser gemein­sa­mes Kind.

HK: Wo wuchs Clé­ment auf?

AM: Clé­ment wur­de in der bre­to­ni­schen Hafen­stadt Brest gebo­ren und wuchs dort bis zur Voll­jäh­rig­keit auf. 2012 ist er dann nach Paris gezo­gen, um zu studieren.

Paul-Hen­ri Méric: Clé­ment lieb­te Brest. Brest — La Rouge. Die Rote.

HK: Die Rote? War­um die Rote? Wegen der Far­be der Stadtmauern?

PHM: Nein, nein, die Stadt­mau­ern sind grau wie der Him­mel. Rot wegen der Poli­tik, wegen der Arbeiterklasse.

HK: Und Clé­ment kam von der Bre­ta­gne nach Paris zum Studium?

PHM: Ja, es gibt kein ver­gleich­bar gutes Stu­di­um der Poli­tik in Frank­reich. Und das woll­te er machen. Er woll­te sei­ne poli­ti­sche Sicht­wei­se und sei­ne Posi­tio­nen schär­fen und sei­ne Kri­tik als Waf­fe einsetzen.

HK: Das heißt, Clé­ment war schon vor sei­nem Stu­di­um sehr politisch?

PHM: Ja, sehr. Des­we­gen kam er nach Paris. Man kann ein sol­ches Stu­di­um nur machen, wenn man sehr moti­viert ist.

AM: Clé­ment war schon lan­ge im alter­na­ti­ven und anar­chis­ti­schen Milieu von Brest aktiv. Wir wohn­ten unweit des Plat­zes Gue­rin, wo es die Bar „Le Tris­kell Bihan“ gibt. Dort ver­kehr­te Clé­ment häu­fig. Seit sei­nem 14. Lebens­jahr. Über Zei­tun­gen, Bücher und die Kon­tak­te kam er an die poli­ti­schen Bewegungen.

PHM: Er wur­de Mit­glied der anarcho-syn­di­ka­lis­ti­schen „Con­fé­dé­ra­ti­on natio­na­le du tra­vail“ – der CNT.

HK: Und wie fan­den sie sein poli­ti­sches Engagement?

AM: Sehr gut.

PHM: Ich fand es sehr inter­es­sant, wie er sich mit sei­nen Gedan­ken und Ideen ent­wi­ckeln würde.

HK: Waren oder sind sie selbst poli­tisch aktiv?

PHM: Als Stu­dent natür­lich. Spä­ter war ich in der Gewerk­schaft. Clé­ment und ich waren z.B. auf den glei­chen Gewerk­schafts­de­mons­tra­tio­nen. Aber nicht in den­sel­ben Gewerk­schafts­blö­cken, haha.

©️Leo Ks — Coll­ec­tif OEIL

HK: Wie war das für Sie, ihren Sohn in das fer­ne Paris gehen zu sehen?

AM: 2011 erkrank­te Clé­ment an Leuk­ämie und war lan­ge im Kran­ken­haus. Und wir waren froh für ihn und über sei­nen Ent­schluss nach Paris zum Stu­di­um zu gehen.

PHM: Zur sel­ben Zeit sind wir dann auch von Brest weg gezo­gen – nach Südfrankreich.

HK: Was haben sie von Clé­ment und sei­nem Stu­di­um in Paris mitbekommen?

PHM: Nichts. Er schien sich an der Uni­ver­si­tät zu lang­wei­len und war ein Akti­vist. Von sei­nem anti­fa­schis­ti­schen Enga­ge­ment erfuh­ren wir erst spä­ter. Anti­fa­schis­ti­sche Akti­vi­tä­ten hat­te er schon in Brest unter­nom­men. Aber die Akti­vi­tä­ten in Paris waren anders.

©️Leo Ks — Coll­ec­tif OEIL

HK: Wie haben sie damals von den Ereig­nis­sen in Paris und Clé­ments Tod erfahren?

AM: Wir wur­den aus dem Kran­ken­haus ange­ru­fen. Zuerst hat uns ein Arzt benach­rich­tigt. Dann hat uns die Poli­zei ange­ru­fen. Es stand fest, dass Clé­ment nicht mehr lan­ge leben würde.

PHM: Auch Leo, ein sehr guter Freund von Clé­ment, eine Art gro­ßer Bru­der, hat uns angerufen.

AM: Wir sind sofort am nächs­ten Tag nach Paris gefah­ren. Im Kran­ken­haus hiel­ten die Ärz­te die lebens­er­hal­ten­den Instru­men­te noch so lan­ge in Betrieb, damit wir Clé­ment noch ein­mal atmend – lebend – haben sehen können.

HK: Wie hat das Umfeld von Clé­ment, die Öffent­lich­keit und die Behör­den auf die Nach­richt von Clé­ments Tod reagiert?

AM: Der dama­li­ge Innen­mi­nis­ter Manu­el Valls hat uns ange­ru­fen und hat uns zum Kran­ken­haus beglei­tet. Er lud uns auch in das Innen­mi­nis­te­ri­um ein. Aber das haben wir abge­lehnt. Es gab zwei Demons­tra­tio­nen. Eine dort, wo die Tat pas­sier­te. Und eine am St. Michel. Die Bedeu­tung der Tat wur­de klar über die Grö­ße der Demons­tra­tio­nen und die vie­len Berich­te in den Medi­en – Zei­tun­gen, Rund­funk, Fern­se­hen. Wir beka­men sehr vie­le Brie­fe von offi­zi­el­len Stel­len und öffent­li­chen Per­so­nen. Und es waren kei­ne ober­fläch­li­chen Ver­laut­ba­run­gen, son­dern sehr per­sön­li­che Stellungsnahmen.

HK: In der Fol­ge­zeit scheint der Füh­rer der natio­nal-revo­lu­tio­nä­ren Kleinst­par­tei „Troi­siè­me Voie“, der rech­te Skin­head Ser­ge Ayoub, die Situa­ti­on genutzt zu haben, um sich in den Medi­en dar­zu­stel­len und von jeder Schuld rein zu waschen. Este­ban Moril­lo war ja ein Mit­glied sei­ner „Troi­siè­me Voie“.

PHM: Ja, Este­ban Moril­lo besuch­te sei­ne Bar „Le Local“ und hat vor und nach der Tat mit Ser­ge Ayoub telefoniert.

HK: Was wir in Deutsch­land über die Tat wis­sen, ist, dass in dem Beklei­dungs­la­den zwei Grup­pen lin­ker und rech­ter Jugend­li­cher auf­ein­an­der tra­fen und es zu einem Streit kam. Das die Rech­ten Ver­stär­kung rie­fen und es auf der Stra­ße zu einer Schlä­ge­rei kam. Kön­nen Sie uns den Tat­her­gang – so wie sie ihn ken­nen – schildern?

AM: Clé­ment war bei die­sem Streit nicht dabei. Drei Freund*innen von Clé­ment tra­fen in die­sem Geschäft in der Rue de Caum­ar­tin auf drei Nazi-Skin­heads. Es ent­stand ein Streit. Die anti­fa­schis­ti­schen Jugend­li­chen gin­gen aus dem Geschäft, wäh­rend die Nazis in dem Geschäft blie­ben und ihre Kame­ra­den anrie­fen. Mit die­sen kam auch Este­ban Moril­lo an. Clé­ment hat­te sich ver­spä­tet und traf sei­ne Freund*innen vor dem Geschäft an. Sie erzähl­ten ihm von dem Streit. Clé­ment ging in das Geschäft und kam wie­der her­aus. Die Nazis sag­ten spä­ter aus, er hät­te ihnen gedroht – sie wür­den auf sie vor dem Geschäft war­ten. Ob das stimmt, weiß man nicht. Dafür gibt es kei­ne Zeug*innen. Als die Nazi-Skins aus dem Geschäft kamen, haben sie sofort die Antifaschist*innen ange­grif­fen. Dabei benutz­ten die Nazis Schlagringe.

PHM: Die Nazis bestrei­ten das, aber alles weist dar­auf hin, dass Este­ban Moril­lo einen Schlag­ring benutzte.

AM: Einer der ange­klag­ten Nazi-Skins hat aus­ge­sagt, dass sie Schlag­rin­ge benutzt hät­ten. Aber nicht gegen Clé­ment. Das sind Daten aus einem Tele­fo­nat. Der Nazi bestrei­tet, die­se SMS-Nach­richt ver­fasst zu haben. Dies hät­te die Poli­zei getan, um ihn anzuklagen.

HK: Wie vie­le Nazis wur­den angeklagt?

AM: Inhaf­tiert wur­den anfangs drei Skin­heads. Este­ban Moril­lo ist seit vier Jah­ren im Gefäng­nis. Die bei­den Ande­ren waren jeweils 1 Jahr im Gefäng­nis und wur­den ent­las­sen. Aber was hat das Gefäng­nis für einen Sinn für die­se beiden?

PHM: Wir ver­spü­ren nicht den Wunsch, sie in ein Gefäng­nis zu schicken.

AM: Zwei der drei wer­den vor Gericht erschei­nen müs­sen. Theo­re­tisch kön­nen sie zu einer Maxi­mal­stra­fe von 15 Jah­ren in Frank­reich ver­ur­teilt werden.

HK: Gab es schon Urtei­le auf die Anklagen?

AM: Nein, der Pro­zess ist erst für den kom­men­den Sep­tem­ber terminiert.

HK: Wer­den Sie zu dem Pro­zess gehen?

AM: Ja, auf jeden Fall. Vie­le Freund*innen von Clé­ment sehen eine Teil­nah­me an dem Pro­zess sehr kri­tisch. Sie glau­ben nicht an die staat­li­che Gerech­tig­keit und sehen auch dort eine Ursa­che des Faschis­mus. Wir den­ken, dass es rich­tig ist, an dem Pro­zess teil zu neh­men. Dass es eine Ant­wort auf die­se Tat geben muss. Es ist eine Mög­lich­keit kla­re Fak­ten und Infor­ma­tio­nen über den Tat­her­gang zu erhal­ten und somit ein Stück der Wahr­heit. Es ist eine Mög­lich­keit nach Ver­ant­wort­lich­kei­ten zu fra­gen. Es gibt dabei nicht nur die per­sön­li­chen Ver­ant­wort­lich­kei­ten. Die Men­schen der extre­men Rech­ten sind ja aus gewis­sen Grün­den so gewor­den, wie sie sind. Aber es gibt auch eine per­sön­li­che Ver­ant­wort­lich­keit, die nicht abzu­strei­ten ist. Und es ist wich­tig, dass sie per­sön­lich zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den. Die Stra­fe ist dabei nicht das Entscheidende.

PHM: Es ist eine Situa­ti­on in der die Wahr­heit öffent­lich wer­den muss. Die Bestra­fung ist nicht so wich­tig. Obwohl damit klar wird, dass das, was pas­siert ist, ein Ver­bre­chen war. Für die Öffent­lich­keit ist die Bestra­fung wich­tig. An ihrer Höhe ist zu ermes­sen, ob eine Tat gesell­schaft­lich Gewicht hat.
Für uns selbst ist es zweit­ran­gig, ob z.B. die bei­den wie­der in das Gefäng­nis zurück keh­ren müs­sen. Das heißt nicht, das uns eine Bestra­fung unwich­tig ist. Sie müs­sen bestraft wer­den. Es ist schwie­rig, wie Men­schen für sol­che Taten zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen sind bzw. wie sie die­se zei­gen können.

HK: Im Sep­tem­ber wird also der Pro­zess stattfinden?

AM: Ja, und ist wird schwer und anstren­gend für uns.

HK: Wer­den die ande­ren Müt­ter zur Unter­stüt­zung kommen?

AM: Das haben wir noch nicht bespro­chen. Wir haben erst letz­te Woche erfah­ren, dass der Pro­zess im Sep­tem­ber ange­setzt ist. Das ist kurz­fris­tig. Wir hat­ten lan­gen gewar­tet und uns auf das nächs­te Jahr eingerichtet.

HK: Haben Sie eigent­lich in all den letz­ten Jah­ren an den Ver­an­stal­tun­gen zum Geden­ken an Clé­ment teilgenommen?

PHM: Ja. Wir haben in den letz­ten Jah­ren ein sehr gutes Ver­hält­nis zu den Freund*innen von Clé­ment ent­wi­ckelt. Und die­se Form der Soli­da­ri­tät bringt uns allen etwas von Clé­ment zurück.

HK: Und seit wann neh­men die ande­ren Müt­ter von ermor­de­ten lin­ken Akti­vis­ten an die­sen Kund­ge­bun­gen teil? Die Müt­ter aus Ita­li­en und Spanien?

AM: Im Janu­ar 2015 kamen die Müt­ter aus Rom nach Paris, um sich hier mit den Antifaschist*innen zu tref­fen. Und in dem­sel­ben Jahr fuh­ren wir im April mit den Antifaschist*innen nach Rom. Dort lern­ten wir vie­le jun­ge Aktivist*innen und die Arbeit der Cen­tri Socia­li ken­nen. Wir tra­fen uns mit Ste­fa­nia Zuc­ca­ri, der Mut­ter von Rena­to Bia­get­ti. 2016 kamen die Müt­ter aus Rom ein wei­te­res mal nach Paris. Dann gab es ein Tref­fen anläss­lich des 10. Todes­tag von Car­los Palo­mi­no in Madrid. Dort wur­de die­se Koor­di­na­ti­on der Müt­ter gegründet.

HK: Hat die Koor­di­na­ti­on einen Namen?

AM kei­nen Namen. Wir haben uns heu­te Nach­mit­tag getrof­fen und dar­über dis­ku­tiert. Aber der Namen steht noch nicht fest.

HK: Und wer betei­ligt sich bei die­ser Koordination?

AM: Die „Madri Per Roma Cit­ta‘ Aper­ta“ aus Rom, die „Mam­me in piaz­za per la liber­tà di dis­sen­so“ aus Turin und die „Mad­res Con­tra la Repre­sión“ aus Madrid. Die Mut­ter von Car­lo Giu­lia­ni, Hai­di Giu­lia­ni, ist lei­der erkrankt. In Frank­reich nen­nen wir uns „Coll­ec­tif des Mères solidai­res“. Wir sind zu zweit. Ich und Gene­viè­ve Ber­na­nos, die Mut­ter von Anto­nin Bernanos.

Demons­tra­ti­on am 2. Juni 2018 zur Erin­ne­rung an Clé­ment Méric in Paris

Fred Alpi: Anto­nin Ber­na­nos ist nicht ermor­det wor­den. Er ver­büßt zur Zeit eine lan­ge Haft­stra­fe. Er soll im Mai 2016 wäh­rend einer Demons­tra­ti­on ein Poli­zei­fahr­zeug ange­zün­det haben. Ver­mut­lich liegt der Grund für die fünf­jäh­ri­ge Haft­stra­fe dar­in, dass er eine tra­gen­de Rol­le in der Anti­fa­be­we­gung inne hatte.

HK: Haben sie auch Kon­takt zu der Fami­lie von Her­vé Ryb­ar­c­zyk, der 2011 von „Iden­ti­tä­ren“ in Lil­le ermor­det wurde?

AM: Lei­der nicht. Wir hät­ten sehr ger­ne Kon­takt zu der Familie.

HK: Die Koor­di­na­ti­on soll ein Netz­werk der Müt­ter aus Spa­ni­en, Ita­li­en und Frank­reich sein. War­um eigent­lich nur der Müt­ter? Wo sind da die Väter?

AM: Es fing mit den Ita­lie­ne­rin­nen an. So kam das.

PHM: Die Grup­pe in Madrid hat einen Mann als Mit­glied. Sie nen­nen ihn „Mut­ter mit Bart“.

[All­ge­mei­nes Gelächter]

AM: Sie haben einen Mann akzeptiert.

HK: Wel­che Auf­ga­ben hat sich die Koor­di­na­ti­on gestellt?

AM: Zum einen macht uns die enor­me Stra­ßen­ge­walt Sor­gen. Wir möch­ten sie ver­rin­gern. Zum ande­ren wol­len wir die Moti­ve und Hin­ter­grün­de anti­fa­schis­ti­scher Aktio­nen trans­pa­ren­ter und der Öffent­lich­keit zugäng­li­cher machen. Viel­leicht gelingt es uns auch, ande­re Wege jen­seits der Stra­ßen-Mili­tanz zu fin­den. Aber das ist ver­mut­lich uto­pisch. Unser Ziel ist es, ein soli­da­ri­sches Netz­werk auf­zu­bau­en, um Jugend­li­che bei Pro­zes­sen und Inhaf­tie­run­gen zu unterstützen.

PHM: Ich fin­de die­sen Aspekt sehr wich­tig. Die Mut­ter von Anto­nin hat sehr vie­le Eltern inhaf­tier­ter Jugend­li­cher getrof­fen, die gro­ße Schwie­rig­kei­ten mit den Behör­den, mit Besuchs­er­laub­nis­sen und ähn­li­chem hatten.

HK: Bezieht ihr Vor­ha­ben auch sozia­le Gefan­ge­ne ein?

AM: Ja, die Mut­ter von Anto­nin ist da sehr strikt. Sie will auch hier mehr Eltern zusammenbringen.

HK: Was den­ken sie über die jähr­li­chen Erin­ne­rungs­ver­an­stal­tun­gen zu Clément?

PHM: Die­se Ver­an­stal­tun­gen haben sich in den letz­ten Jah­ren gut ent­wi­ckelt. Die bei­den letz­ten Jah­re haben poli­ti­sche Debat­ten statt­ge­fun­den. Davor gab es nur Konzerte.

AM: Es ist gut, das sich so vie­le zum Aus­tausch und zur poli­ti­schen Dis­kus­si­on tref­fen. Manch­mal sind wir etwas müde, wenn wir sehen, dass aus Clé­ment eine Art Bild, eine Legen­de gemacht wird.

PHM: Vor allem die Schwes­tern fin­den, dass ein Bild von Clé­ment geschaf­fen und er funk­tio­na­li­siert wird. Das die­ses Bild nicht stimmt. Das es eine Art Folk­lo­re ist.

HK: Was ist das für eine Folklore?

AM: Die­se Folk­lo­re erzählt eben nicht viel von Clé­ment. Es ist wirk­lich ein Pro­blem. Clé­ment wird funktionalisiert.

PHM: Aber es gibt auch eine SMS von Clé­ment, wo er sich über Gedenk­ver­an­stal­tun­gen zu dem 1986 durch die Poli­zei ermor­de­ten ara­bi­schen Stu­den­ten Malik Ous­se­ki­ne und den am 1. Mai 1995 in Paris durch Nazi-Skin­heads ermor­de­ten Marok­ka­ner Bra­him Bouar­ram äußert. Hier­in mein­te er, dass es nicht so wich­tig sei, einen Men­schen gekannt zu haben und viel von ihn gewusst zu haben, um sei­ner zu gedenken.

HK: Das stimmt. Aber dies ent­spricht eher dem Den­ken jun­ger Men­schen, die selbst noch nicht wis­sen, wer sie sind. Mit wach­sen­der Lebens­rei­fe stel­len sich ja Erkennt­nis­se über sich und ande­re ein. Und die Fähig­keit, die Ein­zig­ar­tig­keit und den Wert eines ande­ren Men­schen zu schät­zen, erschließt sich mehr. Auch steigt das Inter­es­se dies anzu­er­ken­nen und zu würdigen.

AM: Ja, vielleicht.

PHM: Es wird aber nicht nur in Paris an Clé­ment gedacht. In Aix-en-Pro­vence und auch in ande­ren Städ­ten fin­den Erin­ne­rungs­ver­an­stal­tun­gen für ihn statt.

HK: Was für ein Mensch war Clément?

AM: Ein jun­ger Mensch mit einer radi­ka­len Sicht auf die Din­ge. Ein fröh­li­cher Mensch, der Musik lieb­te und sich als DJ betä­tig­te. Er lieb­te es, durch­dach­te Sachen zu machen.

PHM: Er war nicht gewalt­tä­tig. Und hat­te viel Humor.

AM: Konn­te aber auch schlecht gelaunt sein.

PHM: Man konn­te mit ihm über vie­le Sachen spre­chen. Clé­ment war mutig. Er bekämpf­te sei­ne Leuk­ämie mit viel Mut. Er hin­ter­frag­te viel — bei sich und bei ande­ren. Und er erwar­te­te von sich und ande­ren viel.
Wir nah­men damals die­se anti­fa­schis­ti­schen Aktio­nen, an denen er sich betei­lig­te, nicht so ernst. Denn in Brest war dies ein Spiel, ein paar Auf­kle­ber kle­ben. Das dies so anders in Paris war, konn­ten wir uns nicht vorstellen.

HK: Vie­len Dank für die­ses auf­schluss­rei­che Interview.

AM: Vie­len Dank an Sie.

[Hei­ko Koch, 2. Juni 2018]