Ceterum Censeo gegen die AfD im Gremienalltag

Graffito: Schöner Leben ohne Nazis
Foto: CC BY-NC-ND von Jörg Kantel/flickr

Wie umge­hen mit den Ver­tre­tern und Ver­tre­te­rin­nen der AfD und ihrer Vor­feld­or­ga­ni­sa­tio­nen? Die­se Fra­ge stellt sich auch im All­tags­ge­schäft von Poli­tik und poli­ti­scher Ver­wal­tung, in Gre­mi­en der Kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung, den par­tei-nahen Stif­tun­gen genau­so wie in par­la­men­ta­ri­schen Aus­schüs­sen aller Ebe­nen, wo die eigent­li­che Arbeit des demo­kra­ti­schen Ver­fah­rens statt­fin­det, und nicht zuletzt dort, wo der Par­tei­en­pro­porz die Zusam­men­set­zung von Arbeits­zu­sam­men­hän­gen bestimmt, wie in vie­len öffent­lich-recht­li­chen Struk­tu­ren, etwa dem Rundfunk.

Ich möch­te hier einen all­tags­taug­li­chen Vor­schlag machen, der einer­seits eine kla­re Gren­ze zu den Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­tern der AfD und den Ihren zieht und ande­rer­seits eige­ne Hand­lungs­fä­hig­keit anti­fa­schis­ti­scher und demo­kra­ti­scher Akteu­re auf­recht erhält bzw. erwei­tern hel­fen kann. 

Ein ganz klas­si­sches „ceter­um cen­seo“ könn­te Teil unse­rer Umgangs­for­men wer­den. Als Abschluss jeder schrift­li­chen und münd­li­chen Äuße­rung in die­sen Gre­mi­en so etwas wie: „Und nun mein ceter­um cen­seo: Im übri­gen mei­ne ich, Faschis­ten und sol­che, die sich mit Faschis­ten gegen die Demo­kra­tie orga­ni­sie­ren, gehö­ren nicht in die­ses Gremium.“

Der Vor­teil die­ses Umgangs­ele­ments besteht nicht nur in sei­ner mora­li­schen Wir­kung nach Innen und Außen oder dar­in, dass eine sol­che Äuße­rung unter dem Schutz der Mei­nungs­frei­heit steht. Mir geht es in ers­ter Linie um die insti­tu­tio­nel­le Wir­kung der immer wie­der wie­der­hol­ten For­mel: Sie hält den Kon­flikt auf dem Tisch, aber die Gre­mi­en blei­ben arbeits­fä­hig, ohne den AfD-nahen (auf die Dau­er) Gele­gen­heit zur Nor­ma­li­sie­rung dort zu bieten.

Die Ver­fah­rens­for­men und Insti­tu­tio­nen der demo­kra­ti­schen Selbst­ver­wal­tung, in denen die AfD-nahen jetzt mit dabei sind, sind ja durch deren Anwe­sen­heit nicht schlech­ter als vor­her. Im Gegen­teil: Wich­ti­ges Ele­ment der faschis­ti­schen Stra­te­gie ist die Unter­gra­bung und Zer­set­zung demo­kra­ti­scher Ver­fah­ren und Insti­tu­tio­nen. Eine Ver­wei­ge­rung der Zusam­men­ar­beit in sol­chen Gre­mi­en wäre also nicht nur kon­tra­pro­duk­tiv, son­dern sogar genau im Sin­ne ihrer Zer­set­zung (statt ihrer per­ma­nen­ten Demo­kra­ti­sie­rung). Das stürzt uns in das Dilem­ma, damit ja aber auch nicht still­schwei­gend zum Tages­ge­schäft über­ge­hen zu wollen.

Gera­de wenn da plötz­lich Faschis­ten bzw. deren Kame­ra­den und Kame­ra­din­nen mit in sol­chen Insti­tu­tio­nen sit­zen, müs­sen „wir“ dazu bei­tra­gen, dass die Ver­fah­ren und Insti­tu­tio­nen wei­ter funk­tio­nie­ren. Die­ses Wir ist ein ganz gro­ßes Wir: Es umfasst alle außer den Faschis­ten — von Vertreter*innen öko-sozia­lis­ti­schen zivi­len Unge­hor­sams über die klas­si­sche Bür­ger­recht­le­rin bis hin zum kon­ser­va­ti­ven Ver­fas­sungs­pa­trio­ten. „Demo­kra­tie durch Ver­fah­ren“ nennt die poli­ti­sche Theo­rie den gemein­sa­men Boden, auf dem die­ses Wir steht.

Damit der Nor­ma­li­sie­rung der Faschis­ten­prä­senz im Tages­ge­schäft nicht Vor­schub geleis­tet wird, eig­net sich das ceter­um cen­seo. Es bestärkt uns selbst und viel­leicht auch den einen oder die ande­re um uns her­um, die neue Nor­ma­li­tät nicht als sol­che hin­zu­neh­men. Es zieht immer wie­der, mit jedem Mal, wenn wir es hören, schrei­ben, lesen oder aus­spre­chen, die Gren­ze zwi­schen dem Ver­fah­ren, der Insti­tu­ti­on, die wir gut­hei­ßen und denen, die zwar viel­leicht for­mal Teil die­ser Insti­tu­ti­on und am Ver­fah­ren betei­ligt sind, aber letzt­lich auf deren Zer­stö­rung hin­ar­bei­ten. Viel­leicht leis­tet es sogar noch mehr: Es lässt die Ver­tre­ter der AfD und die ihnen Nahen nicht in ihrem Schafs­pelz zur Ruhe kom­men. Immer wie­der ent­blößt das ceter­um cen­seo deren Wolfs­frat­ze. Immer wie­der müs­sen sie von vor­ne anfan­gen mit ihren Bemü­hun­gen, sich als zivil und dazu­ge­hö­rig dar­zu­stel­len, um ihr Zer­set­zungs­pro­jekt fort­füh­ren zu können.

Man mag zum älte­ren Cato, dem Urhe­ber des ceter­um cen­seo, und zu dem von ihm reprä­sen­tier­ten Römi­schen Reich ste­hen wie man will. Die einen wer­den den impe­ria­len Cha­rak­ter des sklav*innenarbeitsbasierten Unter­neh­mens ableh­nend her­vor­he­ben. Die ande­ren den zivi­li­sa­to­ri­schen, gesell­schafts­stif­ten­den Impuls, der in Rechts- und Ver­fas­sungs­ord­nun­gen bis heu­te fort­wirkt, begrü­ßen. Ich den­ke, bei­des ist anzu­er­ken­nen. Und ich den­ke, das ceter­um cen­seo steht mitt­ler­wei­le jen­seits davon für so etwas wie eine küh­le Beharr­lich­keit in ent­schlos­se­ner Geg­ner­schaft oder sogar Feind­schaft. Und das bewirkt die For­mel auch im All­tag: Sie erin­nert dar­an, wor­um es eigent­lich geht — auch wenn ver­meint­lich nur Finanz­ver­tei­lungs­fra­gen geklärt, Ter­mi­ne gemacht, Vertreter_innen gewählt und Tages­ord­nun­gen beschlos­sen wer­den müssen.