Berlin 2015: 320 rechte, rassistische und antisemitische Angriffe

[Wir doku­men­tie­ren eine Pres­se­mit­tei­lung der Kolleg_innen der Ber­li­ner Opfer­be­ra­tungs­stel­le ReachOut] 

Auch in Bay­ern schießt der Ras­sis­mus durch die Decke: Im ober­baye­ri­schen Zor­ne­ding pro­tes­tier­ten 3000 Men­schen gegen die ras­sis­ti­schen Angrif­fe, denen der schwar­ze katho­li­sche Seel­sor­ger Oli­vi­er Ndjim­bi-Tshien­de aus­ge­setzt war, nach­dem auch die ört­li­che CSU ihn u.a. wegen sei­nes Ein­sat­zes für Geflüch­te­te dis­kri­mi­niert hat­te Foto: Burschel

Die Angriffs­zah­len in Ber­lin sind mas­siv gestie­gen; Ras­sis­mus ist das häu­figs­te Tat­mo­tiv. Die meis­ten Angrif­fe fin­den in Mar­zahn statt.
ReachOut, die Ber­li­ner Bera­tungs­stel­le für Opfer rech­ter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt, ver­zeich­net 320 Angrif­fe für das Jahr 2015.
Das ist ein Anstieg von fast 80% der Gewalt­ta­ten und mas­si­ven Bedro­hun­gen im Ver­gleich zu 2014. Ras­sis­mus steht als Tat­mo­tiv im Vor­der­grund. Ins­ge­samt wer­den 412 Men­schen ver­letzt und bedroht. Allein im Umfeld von Geflüch­te­ten­un­ter­künf­ten erfuh­ren wir von 39 Angriffen.

Ins­ge­samt erfasst ReachOut 320 Angrif­fe für das Jahr 2015 (2014: 179). Dabei wer­den min­des­tens 412 (2014: 266) Men­schen ver­letzt, gejagt und mas­siv bedroht. Dar­un­ter sind 42 Kin­der. Ras­sis­mus steigt an und ist mit 175 Taten das häu­figs­te Motiv (2014: 100). Poli­ti­sche Gegner_innen wer­den 59 Mal (2014: 31) atta­ckiert. Die anti­se­mi­tisch moti­vier­ten Taten stei­gen von 18 auf 25 Angrif­fe an.

Im Stadt­teil Mar­zahn fin­den 47 (2014: 5) und somit stadt­weit die meis­ten Angrif­fe statt. Davon sind 23 der Gewalt­ta­ten ras­sis­tisch moti­viert. Die Gewalt­ta­ten tref­fen die meis­ten Opfer völ­lig unver­mit­telt und ohne dass sich die Angreifer_innen und die Opfer zuvor kann­ten. Der größ­te Teil der Angrif­fe fin­det in aller Öffent­lich­keit statt: 120 Angrif­fe (2014: 107) wer­den auf Stra­ßen und Plät­zen ver­übt. An Hal­te­stel­len, Bahn­hö­fen und in öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln gesche­hen 65 Gewalt­ta­ten und Bedro­hun­gen (2014: 37). „Beson­ders erschre­ckend und bru­tal sind die ras­sis­tisch moti­vier­te Angrif­fe auf Kin­der“, so Sabi­ne Seyb, Mit­ar­bei­te­rin von ReachOut. „Für das ver­gan­ge­ne Jahr muss­ten wir 15 Gewalt­ta­ten, von denen Kin­der betrof­fen sind, doku­men­tie­ren.“ Zum Bei­spiel: Am 16. Sep­tem­ber wird ein 12-jäh­ri­ges Kind in einem Schö­ne­ber­ger U‑Bahnhof von einem unbe­kann­ten Mann ras­sis­tisch belei­digt und gesto­ßen. Die Mut­ter erstat­tet Anzei­ge. Am 18. Sep­tem­ber wer­den in Hel­lers­dorf am Abend fünf Kin­der aus einer Geflüch­te­ten­un­ter­kunft aus einer Grup­pe von 30 schwarz geklei­de­ten und teil­wei­se ver­mumm­ten Per­so­nen her­aus ras­sis­tisch belei­digt und von einem der Män­ner mit einem Mes­ser bedroht. Am 4. Mai wird in Pan­kow eine Fami­lie mit einem 1‑jährigen Kind von einer Frau und einem Mann ras­sis­tisch belei­digt. Die Frau wird gesto­ßen, so dass ihr das Kind vom Arm in den Kin­der­wa­gen rutscht.

Seit 2015 nimmt ReachOut gemein­sam mit den fach­spe­zi­fi­schen Opfer­be­ra­tungs­stel­len in den ande­ren Bun­des­län­dern zusätz­li­che Erfas­sungs­ka­te­go­rien in die Aus­wer­tung auf. Dazu zäh­len Angrif­fe gegen Journalist_innen und Politiker_innen. Die Angriffs­or­te wur­den spe­zi­fi­ziert. So ist es nun mög­lich, die Gewalt­ta­ten und Bedro­hun­gen im Umfeld von Geflüch­te­te nun­ter­künf­ten und von Demons­tra­tio­nen oder in Bil­dungs­stät­ten und Jugend­ein­rich­tun­gen abzu­bil­den. Allein im Umfeld von Geflüch­te­ten­un­ter­künf­ten gesche­hen 43 Angriffe.

Journalist_innen sind 10 Mal betrof­fen. Sie wer­den im Zusam­men­hang mit extrem rech­ten, ras­sis­ti­schen Demons­tra­tio­nen atta­ckiert. Sabi­ne Seyb weist dar­auf hin: „Je mas­si­ver und andau­ern­der die ras­sis­ti­schen Pro­tes­te gegen Geflüch­te­te sind, des­to häu­fi­ger wer­den offen­sicht­lich Men­schen geschla­gen und bedroht. Dazu zäh­len auch die­je­ni­gen, die sich gegen Ras­sis­mus, Rechts­po­pu­lis­mus und für die Geflüch­te­ten enga­gie­ren. Wich­tig ist es, dass sich die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen in Ber­li­ner und in den Bezir­ken kon­se­quent gegen sol­che Ent­wick­lun­gen posi­tio­nie­ren und die Gewalt­ta­ten öffent­lich ver­ur­tei­len. Ange­heizt wird die ras­sis­ti­sche Stim­mung zusätz­lich, wenn Politiker_innen demo­kra­ti­scher Par­tei­en die Situa­ti­on der Geflüch­te­ten ver­harm­lo­sen, Geset­zes­ver­schär­fun­gen beschlie­ßen und für schnel­le­re Abschie­bun­gen plädieren.“

Auch Aktivist_innen, die öffent­lich ihre Soli­da­ri­tät mit den Geflüch­te­ten zum Aus­druck brin­gen, sind häu­fig Bedro­hun­gen und kör­per­li­chen Angrif­fen aus­ge­setzt. So erfuh­ren wir über das Anti­ras­sis­ti­sche Regis­ter der ASH, dass Aktivist_innen von „Hel­lers­dorf hilft e.V.“ am 6. Juli von einem Mann aus der wöchent­li­chen Demons­tra­ti­on der „Bür­ger­be­we­gung Mar­zahn-Hel­lers­dorf“ her­aus durch sym­bo­li­sche Pis­to­len­schüs­se bedroht wer­den. Am Tag dar­auf legen Unbe­kann­te vor dem Laden­lo­kal von „Hel­ler­dorf hilft“, dem „LaLo­Ka“, fünf schar­fe Patro­nen­hül­sen ab. Nach dem Stadt­teil Mar­zahn mit 47, fol­gen Hel­lers­dorf mit 24, Tier­gar­ten mit 23, Mit­te mit 21, Neu­kölln mit 19, Schö­ne­berg mit 18 und Char­lot­ten­burg mit 17 Angrif­fen. Bei den meis­ten von uns doku­men­tier­ten Angrif­fen han­delt es sich um Kör­per­ver­let­zun­gen (155) und gefähr­li­che Kör­per­ver­let­zun­gen (96). Wei­te­re Ein­zel­hei­ten zu den Angriffs­zah­len ent­neh­men Sie bit­te der Tabel­le “Rech­te, ras­sis­ti­sche und anti­se­mi­ti­sche Angrif­fe in Berlin“.

Ber­lin, 8. März 2015

Für Rück­fra­gen ste­hen wir Ihnen ger­ne zur Verfügung.
Sabi­ne Seyb
sabine_​seyb@​reachoutberlin.​de
Tel.: 030–695 68 339
Mobil: 0170–4265020


ReachOut – Opfer­be­ra­tung und Bil­dung gegen Rechts­extre­mis­mus, Ras­sis­mus und Antisemitismus

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