[Wir dokumentieren eine Pressemitteilung der Kolleg_innen der Berliner Opferberatungsstelle ReachOut]
Die Angriffszahlen in Berlin sind massiv gestiegen; Rassismus ist das häufigste Tatmotiv. Die meisten Angriffe finden in Marzahn statt.
ReachOut, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, verzeichnet 320 Angriffe für das Jahr 2015.
Das ist ein Anstieg von fast 80% der Gewalttaten und massiven Bedrohungen im Vergleich zu 2014. Rassismus steht als Tatmotiv im Vordergrund. Insgesamt werden 412 Menschen verletzt und bedroht. Allein im Umfeld von Geflüchtetenunterkünften erfuhren wir von 39 Angriffen.
Insgesamt erfasst ReachOut 320 Angriffe für das Jahr 2015 (2014: 179). Dabei werden mindestens 412 (2014: 266) Menschen verletzt, gejagt und massiv bedroht. Darunter sind 42 Kinder. Rassismus steigt an und ist mit 175 Taten das häufigste Motiv (2014: 100). Politische Gegner_innen werden 59 Mal (2014: 31) attackiert. Die antisemitisch motivierten Taten steigen von 18 auf 25 Angriffe an.
Im Stadtteil Marzahn finden 47 (2014: 5) und somit stadtweit die meisten Angriffe statt. Davon sind 23 der Gewalttaten rassistisch motiviert. Die Gewalttaten treffen die meisten Opfer völlig unvermittelt und ohne dass sich die Angreifer_innen und die Opfer zuvor kannten. Der größte Teil der Angriffe findet in aller Öffentlichkeit statt: 120 Angriffe (2014: 107) werden auf Straßen und Plätzen verübt. An Haltestellen, Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln geschehen 65 Gewalttaten und Bedrohungen (2014: 37). „Besonders erschreckend und brutal sind die rassistisch motivierte Angriffe auf Kinder“, so Sabine Seyb, Mitarbeiterin von ReachOut. „Für das vergangene Jahr mussten wir 15 Gewalttaten, von denen Kinder betroffen sind, dokumentieren.“ Zum Beispiel: Am 16. September wird ein 12-jähriges Kind in einem Schöneberger U‑Bahnhof von einem unbekannten Mann rassistisch beleidigt und gestoßen. Die Mutter erstattet Anzeige. Am 18. September werden in Hellersdorf am Abend fünf Kinder aus einer Geflüchtetenunterkunft aus einer Gruppe von 30 schwarz gekleideten und teilweise vermummten Personen heraus rassistisch beleidigt und von einem der Männer mit einem Messer bedroht. Am 4. Mai wird in Pankow eine Familie mit einem 1‑jährigen Kind von einer Frau und einem Mann rassistisch beleidigt. Die Frau wird gestoßen, so dass ihr das Kind vom Arm in den Kinderwagen rutscht.
Seit 2015 nimmt ReachOut gemeinsam mit den fachspezifischen Opferberatungsstellen in den anderen Bundesländern zusätzliche Erfassungskategorien in die Auswertung auf. Dazu zählen Angriffe gegen Journalist_innen und Politiker_innen. Die Angriffsorte wurden spezifiziert. So ist es nun möglich, die Gewalttaten und Bedrohungen im Umfeld von Geflüchtete nunterkünften und von Demonstrationen oder in Bildungsstätten und Jugendeinrichtungen abzubilden. Allein im Umfeld von Geflüchtetenunterkünften geschehen 43 Angriffe.
Journalist_innen sind 10 Mal betroffen. Sie werden im Zusammenhang mit extrem rechten, rassistischen Demonstrationen attackiert. Sabine Seyb weist darauf hin: „Je massiver und andauernder die rassistischen Proteste gegen Geflüchtete sind, desto häufiger werden offensichtlich Menschen geschlagen und bedroht. Dazu zählen auch diejenigen, die sich gegen Rassismus, Rechtspopulismus und für die Geflüchteten engagieren. Wichtig ist es, dass sich die politisch Verantwortlichen in Berliner und in den Bezirken konsequent gegen solche Entwicklungen positionieren und die Gewalttaten öffentlich verurteilen. Angeheizt wird die rassistische Stimmung zusätzlich, wenn Politiker_innen demokratischer Parteien die Situation der Geflüchteten verharmlosen, Gesetzesverschärfungen beschließen und für schnellere Abschiebungen plädieren.“
Auch Aktivist_innen, die öffentlich ihre Solidarität mit den Geflüchteten zum Ausdruck bringen, sind häufig Bedrohungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt. So erfuhren wir über das Antirassistische Register der ASH, dass Aktivist_innen von „Hellersdorf hilft e.V.“ am 6. Juli von einem Mann aus der wöchentlichen Demonstration der „Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf“ heraus durch symbolische Pistolenschüsse bedroht werden. Am Tag darauf legen Unbekannte vor dem Ladenlokal von „Hellerdorf hilft“, dem „LaLoKa“, fünf scharfe Patronenhülsen ab. Nach dem Stadtteil Marzahn mit 47, folgen Hellersdorf mit 24, Tiergarten mit 23, Mitte mit 21, Neukölln mit 19, Schöneberg mit 18 und Charlottenburg mit 17 Angriffen. Bei den meisten von uns dokumentierten Angriffen handelt es sich um Körperverletzungen (155) und gefährliche Körperverletzungen (96). Weitere Einzelheiten zu den Angriffszahlen entnehmen Sie bitte der Tabelle “Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe in Berlin“.
Berlin, 8. März 2015
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Sabine Seyb
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