Wie einer Berliner Mutter ihr „Migrationshintergrund“ zum Verhängnis wird
„Jetzt hielt mich der Polizeibeamte am Arm fest und sagte: ‚Sie dürfen nicht telefonieren‘ Ich: ‚Warum darf ich nicht telefonieren?Was habe ich denn gemacht? Bitte lassen Sie mich in Ruhe! Lassen Sie meinen Arm los!‘ Er hält immer noch meinen Arm fest. Der zweite Polizeibeamte gibt mir einen Schlag mit der Faust aufs rechte Auge. Ich stolperte nach hinten undfiel an die Wand neben der Klassenzimmertür. Beide Polizeibeamten liefen auf mich erneut zu. Der eine fasste mich wieder am Arm, in welchem ich immer noch das Telefon hielt, als der andere ein zweites Mal ausholte und mir auf den Mund schlug. Dabei sagte er: ‚Ihr scheiß Türken!‘“ (Aus dem Gedächtnisprotokoll von Ayfer H. / Das Gedächtnisprotokoll ist in der Chronik rassistischer Polizeigewalt in Berlin“ auf Seite 132 nachzulesen)
Ayfer H. steht am 28. August 2013 wieder vor Gericht. Nachdem das Amtsgericht Tiergarten sie im März verurteilt hatte, ging sie gegen die 1600 Euro Strafe und die Aburteilung als Täterin in Berufung. Eins will sie heute klarstellen: Sie hat keinen Hausfriedensbruch begangen und sie hat keine Polizisten verprügelt. Im Gegenteil.
Der zu erörternde Sachverhalt spielte sich am 14. März 2012 ab. Eine missglückte Klassenkonferenz an der Schule des Sohnes von Ayfer H. artete in einen Polizeieinsatz aus. Nach den Geschehnissen an der Schule ging sie an die Öffentlichkeit und machte ihre Erlebnisse mit der Polizei, die sie zusammengeschlagen haben soll, publik. Das sollte ihr zum Verhängnis werden: Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe, der Richter bestätigt das ohnehin schon drastische Urteil des Amtsgerichts. Der Tenor der Staatsanwaltschaft ist der gleiche wie der auf dem Richterstuhl: Ayfer H. spiele ihre Migrationskarte aus und störe durch falsche Beschuldigungen gegenüber den Polizeibeamten den Frieden zwischen Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund. „Für das gegenseitige Verständnis zwischen Deutschen und Ausländern ist es abträglich, politisch ungesund und kriminell, wenn man sich als Opfer darstellt, obwohl man keins ist, und das Ganze auch noch mit dem Etikett ‚ausländerfeindliche Attacke‘ versieht“, sagt Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra in seinem Plädoyer.
Was war geschehen? Am 14. März 2012 besuchte die Angeklagte Ayfer H. eine Klassenkonferenz der Ernst-Schering-Schule in Berlin, die wegen ihres Sohnes einberufen wurde. Dieser steckt mitten in der Pubertät. Laut der Schule macht er schon seit Längerem Probleme. Es war nicht die erste Klassenkonferenz, zu der Ayfer H. geladen wurde. Sie kann die Probleme nicht verstehen, die die Schule mit ihrem Sohn hat. Dabei ist sie eher schon eingeschüchtert, da die Schule, trotz mangelnder Befugnis, ihr zuvor mit den Familiengericht und Sorgerechtsklage gedroht hat. Sie nahm sich das Recht eine fakultative Maßnahme für ihren Sohn abzulehnen. Zu ihrer Unterstützung war bei den letzten Terminen ein Familienhelfer des Jugendamts dabei, diesmal kam als Beistand eine Freundin mit. Nach vorheriger Absprache mit dem Familienhelfer, schlug Ayfer H. dem Schulleiter vor, eine Zeitlang die Klasse zu begleiten. Ein Hospitationsrecht, welches den Eltern zusteht. Der Schulleiter reagierte verärgert. Ein Wort gab das nächste und die Situation eskalierte. Warum, ist im Nachhinein nicht mehr klar nachvollziehbar. Sicher ist nur: Am Ende verwies der Schulleiter Ayfer H. und ihre Begleitung des Raumes und rief die Polizei.
Über das, was nach dem Eintreffen der Polizei geschah, gibt es unterschiedliche Angaben. Ayfer H. sagt, sie habe die Schule verlassen wollen als die Klassenkonferenz beendet wurde. Die zwei eintreffenden Beamten hätten sich ihr aber in den Weg gestellt. Sie habe versucht, ihnen die Situation, die sich abgespielt habe, zu beschreiben, fand aber kein Gehör. Spöttelnd hätten die Beamten sie ständig unterbrochen, sagt Ayfer H. Der Schulleiter spricht hier von „Rumgeschreie“ und von „umsichtigen Polizisten“, die sie „behutsam“ hätten beruhigen wollen.
In der Hoffnung, ihr Familienhelfer könne vermitteln, habe sie diesen angerufen und das Handy einem Polizisten in die Hand gedrückt. Der Beamte habe aber einfach aufgelegt und Ayfer H. am Arm gepackt. Es gab kein Grund länger in der Schule zu bleiben, also wollte sie das Gebäude verlassen. Die Beamten machten Ayfer H. Angst, sie versuchte sich loszumachen, dabei sei ihr ihre Tasche aus der Hand gefallen. Ein Polizist hätte ihr daraufhin mit dem Kommentar „Ihr Scheiß-Türken!“ ins Gesicht geschlagen. Der andere Beamte habe sie festgehalten, während er weiter auf sie eingeschlagen hat.
Die Beamten bestreiten das alles. Mehr noch: Die Polizisten sagen, Ayfer H. habe sie angegriffen. So berichtet es auch der Schulleiter, der alles beobachtet haben will. Die Polizisten hätten Ayfer H. gebeten, das Gebäude zu verlassen und sie am Arm sanft in Richtung Ausgang geschoben. Dagegen habe sie sich „wie eine Furie“ mit den Fäusten gewehrt. Sie habe sich nicht beruhigen lassen, weder von einer Sozialpädagogin der Schule, die zufällig zugegen war, noch von den angeblich deeskalierend handelnden Polizisten selbst.
Die Erinnerung des Schulleiters versagt jedoch, wo es um die Frage nach dem Auslöser der Auseinandersetzung zwischen ihm und Ayfer H. geht. Auch will er sich nicht an die — laut dem Familienhelfer – ungewöhnliche Anwesenheit von Polizeibeamten bei einer früheren Klassenkonferenz erinnern.
Es steht Aussage gegen Aussage. Klar ist jedoch: Für Ayfer H. endete der Tag im Krankenhaus. Die Ärzte attestierten ihr mehre Verletzungen an Armen, Beinen und der Brust. Gleichzeitig erstatteten die Polizisten eine Anzeige gegen die Verletzte: wegen Hausfriedensbruchs, Widerstands gegen Polizeibeamte und gefährlicher Körperverletzung, die ein Beamter durch die zierliche 1,60 Meter große Frau erlitten haben will. Ein Attest liegt hierzu nicht vor.
Besonders unglaubwürdig wirkt Ayfer H. im Prozess nicht. Der ehemalige Familienhelfer, ebenfalls als Zeuge geladen, bezeichnet sie als eine offene und kooperationsbereite Frau. Den Oberstaatsanwalt Kamstra interessiert all das nicht: Er verübelt ihr, dass sie gleich die Presse verständigt hat und von ihrer Sicht der Dinge nicht abweichen will. Im Plädoyer versteigt er sich zu einer bemerkenswerten Aussage: Die Angeklagte sei „extrem sozialschädlich und für nichts gut, außer Ressentiments zu vertiefen.“ Er fühlt sich offenbar von der breiten Öffentlichkeit, die Ayfer H. erreicht hat, persönlich attackiert. So etwa von einem Politiker der Grünen, der angesichts der NSU-Affäre gefordert hatte, Polizeigewalt stärker zu bekämpfen. Für Zuhörer_innen klingt es, als unterstelle der Oberstaatsanwalt der Angeklagten, sie wolle lediglich auf der Welle des NSU-Skandals mitschwimmen und verstecke ihre Gewalttätigkeit gegenüber den Polizeibeamten hinter ihrem „Migrationshintergrund“. Er fordert für Ayfer H. eine Freiheitsstrafe von drei Monaten und eine Entschädigung an die Polizeibeamten in Höhe von 600 Euro.
Verteidigerin Maren Burkhardt bewertet die Situation naturgemäß anders. „Für die Schärfe der Strafe sind Äußerungen vor der Presse irrelevant“, sagt sie und fordert den Richter dazu auf, die vom Amtsgericht verhängte Strafe deutlich abzumildern. Erfolg hatte sie damit nicht. Der Richter des Landgerichtes ist überzeugt, dass Ayfer H. lügt, und bestätigt die Verurteilung aus der ersten Instanz. Gegen das Urteil kann Ayfer H. Revision einlegen. Gute Nachrichten gibt es für die Verurteilte derzeit also nur von ihrem Sohn. Der hat die Schule mittlerweile gewechselt. Die neue Schule hat mit ihm keine Probleme.
„Auch wenn das Urteil ernüchternd ist, lohnte sich die Berufung“, sagte Verteidigerin Burkhardt nach der Verhandlung. Biblab Bassu, von Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt ReachOut, die Ayfer H. von Anfang an unterstützte, fügt hinzu: „Es ist immer wichtig, Polizeigewalt publik zu machen.“
Ein sehr gut geschrieber Berlicht. Wir vom KOP und ReachOut freuen uns über den Berlich. Vielen Dank an die Autorin