Ein Tag im NSU-Prozess: Impressionen eines Zwickauers
Verschlafen laufe ich durch den Münchener Morgen. Ich renne zur U‑Bahn, Stiglmayerplatz, Nymphenburgerstraße. Mein Ziel, ich steige aus und fühle mich nicht wohl in dieser Stadt, denke an die Wahlheimat Berlin und finde mich vor dem Strafjustizzentrum wieder. Hier findet der NSU-Prozess statt. Es ist 8 Uhr 12, ich habe noch Zeit, rauche eine Zigarette, zwei Zigaretten bis mein Kollege kommt und mir sagt, wo ich hin muss und so weiter. Ich warte kurz vor dem Gebäude, dann holen mich die Polizisten. Ich muss meine Taschen leeren, das Gepäck wird durchleuchtet, ein bayrischer Beamter tastet mich ab und nur Zettel und Stift bei mir tragend, steige ich eine Treppe hinauf. Die Zuschauer und die Presse sitzen auf einer Tribüne und vor ihnen, unten, liegt der erstaunlich kleine Gerichtssaal, noch leer. Ich warte eine halbe Stunde und denke an Zwickau, die Stadt, in der ich aufwuchs, aus welcher ich immer nur weg wollte und mit der ich doch untrennbar verbunden bin. Die Stadt, in der die „Zwickauer Terrorzelle“, bestehend aus den Jenaer Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, jahrelang gelebt und unbehelligt Morde geplant hat. Ich denke an Robert Schumann, auch ein Zwickauer Kind. Deutsche Kultur. Und dann denke ich an den Tag, vor ein paar Jahren, als ich mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, als da das gelbe Haus in der Frühlingsstraße ausgebrannt da lag, und niemand genau wusste, was passiert war. Denke an die Opfer, die zahlreichen Menschen, welche sterben mussten, da sie die „deutsche Rasse verunreinigen“ würden. Deutsche Kultur. Dann betritt die Hauptangeklagte Beate Zschäpe den Saal. Ihre Züge sind stählern und starr, ihr Blick geht ins Leere. Irritierend ist ihre eigenartige Mädchenhaftigkeit, ja fast Verspieltheit. Wie sie sich ständig Bonbons in den Mund steckt oder sich durch die Haare fährt. Die einzige erkennbare Gefühlsregung: Am Anfang ein Lächeln zu Wohlleben, dem einstigen NPD-Mann aus Thüringen, oder zu Olaf Klemke, seinem Verteidiger, der schon seit Jahren als Szene-Anwalt bekannt ist, genau habe ich es nicht gesehen. Das Blitzlicht prallt an Zschäpes langen schwarzen Haaren ab, dann verlassen die Fotografen den Saal, der Vorsitzende Richter der 6. Strafkammer des Oberlandesgerichts München, Manfred Götzl kommt herein und grüßt in alle Richtungen: Guten Morgen, Guten Morgen, Guten Morgen, Guten Morgen. Mir ist kalt. An der Wand stehen hohe Regale, voll von Akten, wie ein stilles Denkmal deutscher Bürokratie. Über der Tür ein Kruzifix, schwarz und schweigend.