Seit etwa einem halben Jahr demonstrieren montäglich tausende Menschen in Schneeberg, Dresden, Leipzig und einigen anderen Kommunen Sachsens gegen die Aufnahme von Geflüchteten und gegen das Grundrecht auf Asyl. Sie müssen das wohl tun, denn sie haben ihre parteipolitische «Heimat» verloren. Die NPD ist im vergangenen Jahr nach zehn Jahren abgewählt worden und nicht mehr im Sächsischen Landtag vertreten. Sie kann nur noch auf 100 Kreis- und Kommunalmandate für die Durchsetzung ihrer Forderungen zurückgreifen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die «Schutz suchenden» Demonstrierenden unter die Rettungsschirme neuer politischer Kräfte flüchten.
Ganz ohne Gegenleistung wird ihnen das freilich nicht gewährt und so müssen sie jetzt auch gegen die Genderisierung der Gesellschaft und die Frühsexualisierung von Kindern Gesicht zeigen. Die Bereitschaft der Abendspazierenden weitere Ziele zu verfolgen, ermöglichte die Konstituierung eines facettenreichen Netzwerkes. So streiten die inzwischen nach einem Formtief in Dresden am 16.2.2015 wieder auf mehr als 4000 geschätzten «Patrii» nun auch gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, gegen die Russland betreffenden Sanktionen, gegen die politische Einheit Europas, gegen alle Freihandelsabkommen, ganz en vogue auch gegen TTIP und – natürlich – für mehr Polizei.
Außer den ihnen fast zwangsläufig zueilenden Strömungen wie den «Identitären», der «Neuen Rechten», dem «Türsteher»-Milieu und den Hooligans bemühen sich auch politisch weitaus einflussreichere Kräfte um Verständnis und das «Ernstnehmen» ihrer Sorgen. So sicherte ihnen der sächsische Innenminister Ulbig (CDU) zu, dass es auf keinen Fall einen Abschiebestopp wegen des kalten Winters geben wird und dass er eine polizeiliche Sondereinheit gegen «straffällige» Asylsuchende einrichten werde. Der Ministerpräsident Sachsens, Stanislaw Tillich, versicherte, dass der Islam definitiv nicht zu Sachsen gehöre.
Als Anfang Januar die «Bild»-Zeitung für die Dresdner Oberbürgermeisterin zur «Kundgebung ‹Wir sind eine Stadt, ein Land, ein Volk›» aufruft, ist das nicht nur sprachlich ein Angebot für einen Burgfrieden. Die klassischen Schichten des Kleinbürgertums haben mit ihrer emotional vorgetragenen kulturrassistischen Debatte dauerhaft und fortdauernd bestätigt, dass sie eine, sagen wir, moderne pluralistische Gesellschaft ablehnen.
Für diejenigen, die sich trotz der sächsischen Verhältnisse für eine solche pluralistische und moderne Gesellschaft engagieren, muss sich in diesen Tagen nicht zwangsläufig alles «falsch» anfühlen. Vielleicht handelt sich einfach nur um einen Rechtsrucks in Sachsen, nicht wegen, sondern trotz Pegida.
Danilo Starosta ist seit 2005 Berater beim Kulturbüro Sachsen e.V.
Die regelmäßige Kolumne zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in den Themenfeldern dieses Blogs verweist unter dem poetischen Titel auf Gedankensplitter und Blüten der Kritik, die wir in diesem Garten sprießen lassen wollen. Und zwar aus der Feder namhafter Autor_innen und befreundeter Kolleg_innen – das Ganze mal bierernst, mal ironisch, literarisch, persönlich, mal polemisch, abwegig, sachlich und/oder zugespitzt.