Aktionstag gegen Rassismus in Tunesien

csm_Handous_Mnemty_demo_in_Tunis_21_March_2016_f9efb4add7Schwar­ze Tune­sie­rIn­nen sehen sich als Bür­ge­rIn­nen zwei­ter Klasse

Tune­si­en ist stolz auf sei­ne wech­sel­haf­te Geschich­te. Das Land ist ein leben­di­ges Muse­um von den puni­schen Besied­lun­gen über die Fati­mi­den bis zum Ara­bi­schen Früh­ling, und die­se viel­fäl­ti­gen Ein­flüs­se sind sicher­lich ein Grund für die gerühm­te tune­si­sche Bereit­schaft zur Kon­flikt­lö­sung durch den Kom­pro­miss. Leben und leben las­sen ist hier eine Devi­se, mit der gewor­ben wird.

Schwar­ze Tune­sie­rin­nen und Tune­si­er, etwa 15 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, sehen das jedoch ganz anders. Sie bekla­gen sich über den Ras­sis­mus auf der Stra­ße und in den Insti­tu­tio­nen. Zwar wur­de die Skla­ve­rei im Jah­re 1846 abge­schafft – Jah­re vor die­sem Schritt in den USA oder vie­len euro­päi­schen Kolo­nien –, ein Über­bleib­sel die­ser Zeit ist jedoch heu­te noch in offi­zi­el­len Doku­men­ten gegen­wär­tig. So tra­gen die Nach­kom­men ehe­ma­li­ger Skla­vIn­nen noch heu­te den Namen des „Besit­zers“ ihrer Vor­fah­ren, der der Bezeich­nung „Atiq“ („befreit von“) folgt.

Die­se sehen sich des­halb zurecht als Staats­bür­ge­rIn­nen zwei­ter Klas­se behan­delt. Auch ange­sichts der Rede­wei­se vie­ler Tune­sie­rIn­nen drängt sich der Ein­druck auf, dass Ras­sis­mus weit ver­brei­tet ist. Ver­un­glimp­fen­de Bezeich­nun­gen für die schwar­zen Mit­bür­ge­rIn­nen bis hin zum Sam­mel­be­griff „Skla­ven“ sind kei­ne Sel­ten­heit. Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen schwar­zer Tune­sie­rIn­nen sehen eine fast voll­stän­di­ge Igno­ranz der The­ma­tik durch die Gesellschaft.

Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Mnem­ty („mein Traum“) set­zen sich für einen Schutz gegen Ras­sis­mus ein. Ein neu­es Gesetz besagt zwar, dass alle Bür­ge­rIn­nen vor dem Gesetz gleich sind. Dies ist jedoch offen­sicht­lich zu wenig für eine voll­stän­di­ge Gleich­stel­lung. Mnem­ty for­dert des­halb ein spe­zi­el­les Gesetz gegen Dis­kri­mi­nie­rung auf der Basis eth­ni­scher Her­kunft. Schwar­ze bewer­ben sich oft ver­geb­lich in ver­schie­de­nen Beru­fen. Auf gesell­schaft­li­cher Ebe­ne sind Ehen zwi­schen schwar­zen und ande­ren Tune­sie­rIn­nen gera­de­zu ein Tabu. Hier wären staat­li­che Bil­dungs­pro­gram­me in der Pflicht, jedoch war bis­her das Gegen­teil der Fall. In einem Ort im Bezirk Mede­ni­ne wur­den im Jahr 2000 auf gesell­schaft­li­chen Druck hin nach „Ras­sen“ getrenn­te Schul­bus­se ein­ge­führt, angeb­lich nach­dem dort eine soge­nann­te Misch­ehe geschlos­sen wur­de. Schwar­ze Schü­le­rIn­nen wer­den in spe­zi­el­len Bus­sen gefah­ren. Dies soll Lie­bes­be­zie­hun­gen zu nicht-schwar­zen Jugend­li­chen ver­hin­dern. Die­se Bus­se exis­tie­ren bis heute.

Beson­ders ernüch­ternd ist, dass sich auch zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen nicht mit der The­ma­tik beschäf­ti­gen, so Saa­dia Mos­bah, die Lei­te­rin von Mnem­ty. „Wir sto­ßen bei ihnen auf tau­be Ohren, wenn es um ras­sis­ti­sche Angrif­fe geht.“ Eine sol­che Atta­cke wur­de im letz­ten Dezem­ber an einer Schu­le ver­übt. Ein Leh­rer beschul­dig­te eine schwar­ze Schü­le­rin, schlech­ten Geruch in der Klas­se zu ver­brei­ten. Sie muss­te ihre Schu­he und ihre Hose aus­zie­hen. Eine nach Pro­tes­ten unter­nom­me­ne Unter­su­chung durch das Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um konn­te kei­ne ras­sis­ti­sche Hand­lung feststellen.

Die Vor­wür­fe von Mnem­ty gegen die tune­si­sche Zivil­ge­sell­schaft trieb am 21. März, dem inter­na­tio­na­len Tag gegen Ras­sis­mus, selt­sa­me Blü­ten. Eine Rei­he der gro­ßen, eta­blier­ten Orga­ni­sa­tio­nen stell­ten auf einer Pres­se­kon­fe­renz einen anti­ras­sis­ti­schen Geset­zes­ent­wurf vor. Mnem­ty jedoch erfuhr erst an die­sem Tag von der Initia­ti­ve und der Pres­se­kon­fe­renz, die Saa­dia Mos­bah dann dazu nutz­te, vor der ver­sam­mel­ten Pres­se auf die Igno­rie­rung der Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen schwar­zer Tune­sie­rIn­nen hin­zu­wei­sen. Mnem­ty und ande­re orga­ni­sier­ten an die­sem Tag selbst, mit Unter­stüt­zung der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung, eine Ver­an­stal­tung auf der Ave­nue Habib Bour­gi­ba, der Pracht­stra­ße der Haupt­stadt. Das Inter­es­se der Bevöl­ke­rung und die ent­stan­de­nen Dis­kus­sio­nen zeig­ten posi­ti­ves Inter­es­se und gesell­schaft­li­ches Ver­än­de­rungs­po­ten­zi­al auf. Jetzt geht es dar­um, die Par­la­ments­par­tei­en zu einer Geset­zes­in­itia­ti­ve für die gefor­der­te voll­stän­di­ge Gleich­stel­lung aller Tune­sie­rIn­nen zu bewegen.

Peter Schä­fer lei­tet das Nord­afri­ka­bü­ro der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung in Tunis