Erklärung der unabhängigen Untersuchungskommission „Weimar im April“ zum Prozess vor dem Amtsgericht Weimar
Das Strafverfahren gegen drei Angeklagte wegen des Vorwurfs der falschen Verdächtigung bzw. der Vortäuschung einer Straftat ist kurz vor Ostern ohne eine Verurteilung zu Ende gegangen. In zwei Fällen hat die Staatsanwaltschaft Erfurt die Strafbefehlsanträge zurückgenommen, in einem Fall wurde das Verfahren eingestellt.
Wir hatten uns als unabhängige Untersuchungskommission zur Beobachtung dieses Strafverfahrens entschieden, weil dieses Verfahren exemplarische Merkmale dafür aufweist, was passieren kann, wenn sich von Polizeigewalt betroffene Menschen offensiv zur Wehr setzen.
Nach unserer Erfahrung ist regelmäßig zu beobachten, dass die institutionelle Nähe zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft dazu führt, dass Polizeizeug_innen ein besonderer Vertrauensvorschuss entgegen gebracht und ihren Aussagen ein deutlich höherer Wert beigemessen wird. Und es ist ja auch die Polizei selbst, die die Ermittlungsarbeit gegen ihre Kolleg_innen leistet. Dass diese Ermittlungen dann nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit und Unvoreingenommenheit geführt werden, verwundert insofern nicht. Die Art und Weise, wie zunächst das Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamt_innen und dann das Verfahren gegen die hiesigen Angeklagten geführt worden ist, ist deshalb Ausdruck einer über dieses Einzelverfahren hinausweisenden Problematik.
Die Angeklagten hatten öffentlich gemacht, dass es im April 2012 im Polizeigewahrsam zu Körperverletzungen, sexistischen und rassistischen Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen gegen sie gekommen war. Obwohl es eine Dokumentation und Bestätigungen der Verletzungen durch Zeug_innen und Fotos gab, wurde Anklage gegen die drei Betroffenen erhoben. Die Behauptung der Weimarer Polizeibeamt_innen, dass es zu keinerlei Übergriffen gekommen sei, führte nicht allein dazu, dass die Verfahren gegen die Beamt_innen eingestellt wurden. Im direkten Gegenzug behauptete die Staatsanwaltschaft dann noch, dass die drei Angeklagten ihre Vorwürfe konstruiert und aus einer grundsätzlich polizeifeindlichen Haltung heraus erhoben hätten.
Zum Prozessverlauf stellen wir fest, dass die Beweisaufnahme insbesondere durch die Verteidigung, aber auch durch das Gericht und den bearbeitenden Staatsanwalt selbst gründlich und ergebnisoffen erfolgte. Dies und die intensive Beobachtung des Vorganges durch eine kritische Öffentlichkeit stellt eine entscheidende und beispielgebende Besonderheit des Weimarer Verfahrens dar.
Zum Verlauf der insgesamt fünf Prozesstage bleibt festzuhalten:
- Es gab für die etwa 10-stündige Gewahrsamsnahme der drei Betroffenen keine rechtliche Grundlage, denn eine richterliche Anordnung ist laut Thüringer Polizeiaufgabengesetz „unverzüglich“ einzuholen. Bei einem Anfangsverdacht für eine Straftat (der sich später auch nicht bestätigt hat) wäre eine einfache Personalienfeststellung ausreichend gewesen. Alles darüber hinaus Gehende kann als Freiheitsberaubung im Amt betrachtet werden.
- Die Gewahrsamsnahme ist von rechtswidriger und übergriffiger Behandlung begleitet gewesen. Die Betroffenen mussten sich nicht nur ganz oder fast ganz nackt ausziehen, sondern wurden dann auch noch einer entwürdigenden körperlichen Untersuchung unterzogen – wie sich herausstellte, ist dies auf dem Weimarer Polizeirevier Routine.
- Den Polizeizeug_innen sind vor ihrer gerichtlichen Vernehmung nicht nur Aktenbestandteile zur Vorbereitung ausgehändigt worden. Darüber hinaus kam im Verfahren zutage, dass die Beamt_innen bei einem Dozenten der Polizeischule Meiningen speziell in Einzelgesprächen für ihre Befragung vor Gericht geschult worden sind. Die Enthüllung dieses skandalösen Vorganges erfolgte in einem recht späten Verfahrensstadium: etliche Polizeizeug_innen hatten dies zuvor in ihrer Aussage nicht erwähnt.
- Das Aussageverhalten der Polizeizeug_innen war von einer erstaunlichen Lückenhaftigkeit geprägt. Die ärztlich dokumentierten und großflächigen Verletzungen bei einer Betroffenen will keiner der vielen befragten Polizeizeug_innen wahrgenommen haben. Obwohl die meisten im Ermittlungsverfahren noch ausgeschlossen hatten, dass es diese Verletzungen überhaupt gegeben habe, zogen sich die meisten von ihnen vor Gericht darauf zurück, diese Verletzungen zumindest nicht wahrgenommen zu haben.
- Nicht nur die Betroffenen in diesem Verfahren haben von Polizeigewalt in der Nacht vom 19. auf den 20. April berichtet. Bekannt wurde auch, dass sich in jener Nacht ein weiterer Mann im Gewahrsam befand, der vor Gericht berichtete, dass er seitens der Polizei massiver Gewaltanwendung ausgesetzt war, was ein Begleiter dieses Zeugen bestätigte.
- Auf dem Polizeirevier herrschte offenbar eine organisierte Verantwortungslosigkeit, wobei auch gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden ist. Eine lückenlose Aufdeckung der Geschehnisse ist von der Polizei bereits dadurch verunmöglicht worden, dass Dienstbücher, insbesondere das sogenannte Haftbuch, nicht, lückenhaft oder auch eindeutig falsch geführt und rechtlich vorgeschriebene Kontrollen nicht durchgeführt worden sind. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung war, mit Nachlässigkeiten jedenfalls lassen sich diese Fehler nicht erklären.
Dieses Geschehen macht einmal mehr deutlich, dass es in den Fällen, wo Polizeibeamt_innen einer Straftat im Amt beschuldigt werden, einer gesetzlich geregelten unabhängigen Untersuchungskommission bedarf, welche – mit eigenen Rechten ausgestattet – diese Vorwürfe prüft. Die bisherige Kontrolle von Polizeihandeln ist mit gravierenden strukturellen Mängeln behaftet, die immer wieder zu Sanktionsimmunität von Polizeibeamt_innen führt.
Angesichts dieser Tatsache und angesichts der oft ausweglosen Situation von Opfern rechtswidriger Polizeigewalt sprechen sich die Unterzeichner_innen für die Errichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz, bspw. entsprechend dem Modell eines/einer vom Parlament gewählten Polizeibeauftragten bzw. einer Polizei-Ombudsperson, aus.
Der unabhängigen Untersuchungskommission gehörten an:
- Martina Renner, Mitglied des Bundestages
- Steffen Dittes, Mitglied des Thüringer Landtages
- Ulrich v. Klinggräff, Rechtsanwalt, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein
- Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte
- Dr. Helmut Krause, Arzt, Menschenrechtsbeauftragter der Landesärztekammer Thüringen
- Friedrich Burschel, freier Journalist und Korrespondent von Radio Lotte Weimar im Münchener NSU-Prozess
Weimar/Berlin/Erfurt/Ilmenau/Arnstadt/Bremen, 2.4.2015
Kontaktaufnahme: ukw@posteo.de
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