Weimarer Frühling

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Nach einem klä­ren­den Gewit­ter: Regen­bo­gen über dem Wei­ma­rer Markt­platz Foto: Burschel

In Wei­mar hat sich etwas Unge­wöhn­li­ches ereig­net: dort ist die übli­che Opfer-Täter-Umkehr, wenn es um Poli­zei­ge­walt geht, gran­di­os geschei­tert. In der Nacht zum 20. April 2012 waren vier jun­ge Leu­te wegen des Ver­dachts der Sach­be­schä­di­gung von Wei­ma­rer Beamt_innen in Gewahr­sam genom­men und – nach Anga­ben der Betrof­fe­nen – in den poli­zei­li­chen Haft­zel­len gede­mü­tigt und – im Fal­le einer jun­gen Frau – belei­digt und hand­fest miß­han­delt wor­den. Nach dem Schock die­ser bra­chia­len Frei­heits­be­rau­bung brauch­ten die jun­gen Leu­te, die sich einer links­al­ter­na­ti­ven Sze­ne zurech­nen, erst­mal ein paar Wochen, ehe sie sich zur Anzei­ge gegen die Polizist_innen ent­schlos­sen. Lan­ge Zeit wer­den sie die­sen Schritt, wie vie­le ande­re in ähn­li­cher Situa­ti­on, bit­ter bereut haben, denn der Spieß der Straf­an­zei­ge wur­de recht bald zu ihren Unguns­ten umge­dreht und drei von ihnen fan­den sich schließ­lich auf der Ankla­ge­bank im Amts­ge­richt Wei­mar wie­der. Nach­dem das Ver­fah­ren gegen die beschul­dig­te Schicht der Poli­zei­in­spek­ti­on (PI) Wei­mar ein­ge­stellt wor­den war, muss­te fast auto­ma­tisch Kla­ge gegen die drei Betrof­fe­nen wegen „fal­scher Ver­däch­ti­gung“ der Beamt_innen und der „Vor­täu­schung einer Straf­tat“ erho­ben werden.

Und die­se Erfah­rung lässt sich ver­all­ge­mei­nern: Wer sich gegen poli­zei­li­che Über­grif­fe wel­cher Art auch immer zur Wehr setzt, gerät fast immer rou­ti­ne­mä­ßig in den Fokus der Ver­fol­gungs­be­hör­den, die in der Zurück­wei­sung jeg­li­cher Vor­wür­fe gegen Kolleg_innen enger zusam­men­rü­cken und dann mit der geball­ten Macht der Exe­ku­ti­ve gegen sich Beschwe­ren­de vor­ge­hen. Lei­der will­fah­ren Rich­ter all­zu­oft den so vor­ge­tra­ge­nen Gegen­an­zei­gen gegen Men­schen, die in die Fän­ge der Poli­zei gera­ten sind.

Nicht so in Wei­mar: Die zuvor der sexis­ti­schen und ras­sis­ti­schen Belei­di­gun­gen und Miss­hand­lung beschul­dig­ten Polizeibeamt_innen tra­ten im fünf­tä­gi­gen Pro­zess nun wie­der­um als Zeug_innen auf, um die Absur­di­tät der vor­her gegen sie erho­be­nen Vor­wür­fe zu erwei­sen. Das ging jedoch nach hin­ten los: Haar­sträu­ben­de rechts­wid­ri­ge Rou­ti­nen in der PI Wei­mar kamen in den zum Teil nichts weni­ger als dus­se­li­gen Aus­sa­gen zuta­ge, wie etwa Nackt­durch­su­chung und „Nach­schau in Kör­per­öff­nun­gen“. Schon die Fest­nah­me war jen­seits jeg­li­cher Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ange­sichts des nach­ran­gi­gen Vor­wur­fes der Sach­be­schä­di­gung. Fast treu­her­zig berich­te­ten die Polizeizeug_innen davon, wie sie zur Vor­be­rei­tung auf ihre Aus­sa­ge vor Gericht von der zunächst gegen sie ermit­teln­den LKA-Beam­tin Ein­sicht in Tei­le der Akten erhiel­ten. Mehr noch: eher zufäl­lig kam her­aus, dass die Zeug_innen in Ein­zel­ge­sprä­chen von einem Dozen­ten der Poli­zei­schu­le Mei­nin­gen geschult wor­den waren für ihren gro­ßen Tag vor Gericht. „Orga­ni­sier­te Ver­an­tungs­lo­sig­keit“ attes­tiert denn auch eine den Pro­zess beob­ach­ten­de Unab­hän­gi­ge Unter­su­chungs­kom­mis­si­on der damals täti­gen Schicht, da etwa aus den Prüf­be­rich­ten und Dienst­bü­chern kei­ner­lei stich­hal­ti­ge Erkennt­nis­se und Ver­ant­wort­lich­kei­ten zum Gesche­hen rekon­stru­iert wer­den konn­ten. Ein wei­te­rer in ande­rer Sache in jener Nacht inhaf­tier­ter Zeu­ge bestä­tig­te außer­dem, dass er im Poli­zei­ge­wahr­sam eben­falls mas­si­ven kör­per­li­chen Über­grif­fen aus­ge­setzt war.

Am Ende, kurz vor Ostern, muss­te ein bis zum Schluss ver­ur­tei­lungs­wil­li­ger Staats­an­walt zäh­ne­knir­schend die Straf­be­feh­le gegen zwei der Ange­klag­ten zurück­zie­hen und der Ein­stel­lung des Ver­fah­rens gegen die Haupt­an­ge­klag­te zustim­men: schon um nach dem Aus­sa­ge­de­sas­ter das Gesicht nicht zu ver­lie­ren und wei­te­re pein­li­che Ent­hül­lun­gen zu verhindern.

Was nun aus dem gan­zen Kom­plex „Wei­mar im April“ wird, ist unklar. Klar ist, das wir Zeu­gen eines sel­te­nen Schau­spie­les gewor­den sind, wel­ches die Not­wen­dig­keit unab­hän­gi­ger Unter­su­chun­gen beim all­fäl­li­gen Vor­wurf der Miss­hand­lung im Amt brau­chen, die Betrof­fe­nen unwür­di­ge Ankla­gen wie die­se erspa­ren und über­grif­fi­ge Beamt_innen – nach Recht und Gesetz – zur Rechen­schaft zieht.

Fried­rich Bur­schel ist Refe­rent der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung und für den nicht-kom­mer­zi­el­len Lokal­sen­der Radio LOTTE Wei­mar stän­di­ger Beob­ach­ter des NSU-Pro­zes­ses in Mün­chen. Er war Mit­glied der Unab­hän­gi­gen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on „Wei­mar im April“ (bestehend aus zwei Parlamentarier_innen, zwei Anwäl­ten, einem Arzt und einem Jour­na­lis­ten), deren öffent­li­ches Auf­tre­ten sicher zur Wen­dung im Wei­ma­rer Ver­fah­ren bei­getra­gen hat.