«Dieser Prozess ist ein politischer Prozess! Die Beschuldigungen, die hier von Polizeizeugen vorgebracht werden, sollen lediglich der Einschüchterung der Angeklagten sowie der Kriminalisierung der Aktivist_innen in Gedenken an Oury Jalloh dienen», erklärt der Angeklagte Mbolo Yufanyi vor dem Amtsgerichts Dessau am 29. April 2014. Dem Aktivisten der Geflüchtetenselbstorganisation «The VOICE Refugee Forum» wird vorgeworfen, anlässlich der Gedenkdemonstration zum 7ten Todestages von Oury Jalloh am 7. Januar 2012 in Dessau Polizist_innen verletzt zu haben.
Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 in der Zelle Nummer fünf des Dessauer Polizeireviers verbrannt. Gegen den damaligen Dienstgruppenleiter der Dessauer Polizei lief im Jahr 2007 ein Gerichtsverfahren. Die Anklage lautete auf Körperverletzung mit Todesfolge. Denn fest steht: Der Dienstgruppenleiter hatte, als es in der Zelle fünf brannte, den Feueralarm mehrmals ausgeschaltet und die Hilfeschreie des Inhaftierten bewusst ignoriert. Zunächst wurden der Dienstleiter und sein mitangeklagter Kollege freigesprochen. Doch sowohl die Nebenklage als auch die Staatsanwaltschaft legten Revision ein, sodass das Verfahren im Jahr 2011 erneut aufgenommen wurde. Daraufhin wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 € verurteilt.
Justiz und Polizei nahmen stets an, dass Ouri Jalloh sich selber angezündet habe und die Beamten zu spät eingegriffen hätten. Doch Freunde von Ouri Jalloh glauben nicht an Selbstmord. Genauso wenig wie der Aktivist Mbolo Yufanyi: «Obwohl ich Oury niemals selber kennengelernt habe, war ich im Moment des Bekanntwerdens der Umstände seiner Festnahme und seines späteren gewaltsamen Todes von Anfang an überzeugt, dass Polizeibeamte ihn ermordet haben mussten.» Der Verdacht liegt nahe, denn die die Todes-Umstände sind bis heute ungeklärt. Bei der Obduktion wurde zwar ein – nahezu unversehrtes – Feuerzeug in der Zelle gefunden, es träft aber keine DNA-Spuren von Ouri Jalloh. Außerdem ist es nicht nachzuvollziehen, wie der an Händen und Füßen Gefesselte die schwer entzündbare Matratze selber angezündet haben soll. Es gibt viele Hinweise auf ein Vertuschung durch Polizeimitarbeiter_innen, es sind beispielsweise wichtige Beweisdokumente verschwunden. Zudem erklärte der bestellte Brandgutachter vor Gericht, dass er von der Justiz dazu aufgefordert worden sei, ein Gutachten zu erstellen, aus dem hervorgehe, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet habe. Außerdem wurden keine Spuren des bei Brandopfern üblichen Stresshormons Noradrenalin festgestellt, woraus sich schließen lässt, dass das Opfer beim Ausbruch des Brandes bewusstlos gewesen sein muss.
Am Todestag von Oury Jalloh gibt es deswegen jedes Jahr Demonstrationen, insbesondere von Schwarzen, die daran erinnern, dass ein Schwarzer in einem deutschen Polizeirevier umgekommen ist, und Aufklärung fordern. Zum ersten Mal riefen Ouri Jallohs Freunde im April 2006 unter dem Motto «Break the silence» zu Demonstrationen auf und forderten eine Aufklärung der Todesumstände. «Demonstrationen geben Minderheiten die Möglichkeit, eine Stimme zu haben. Deswegen sind Polizeibeamt_innen verpflichtet, Versammlungen zu gewähren», so der Verteidiger Mbolo Yufanyis, Felix Isensee am 29. April. 2014 vor Gericht.
In den Auflagen zur ersten Demonstration im Jahr 2006 stand, dass die Parole «Oury Jalloh – Das war Mord» ein strafbarer Inhalt und nicht zu nutzen sei. Doch das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt hatte kurz darauf entschieden, dass diese Aussage von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Bei der Demonstration zum siebten Todestag Oury Jallohs, am 7. Januar 2012, wurden den Demonstrierenden dann trotzdem die Transparente –ohne jeglichen Auflagenbescheid – entrissen. Die Begründung lautete erneut, der Slogan sei verboten. «Es ist unfassbar, dass die Einsatzkräfte nichts von dem Urteil wussten, dass die Parole ‹Ouri Jalloh – Das war Mord› erlaubt ist. Zumal die Parole jahrelang von den Demonstrationsteilnehmenden gerufen wurden», empört sich der der Verteidiger Felix Isensee. «Es ist logisch, dass es dann zur Eskalation kommt.» Im weiteren Verlauf sei es zu massiver Polizeigewalt gekommen, durch die zwei Demonstranten schwer verletzt wurden. Auch sein Mandant Mbolo Yufanyi sei von Polizeigewalt betroffen gewesen. Doch die Anzeigen, die sein Mandant gegen die Einsatzkräfte gestellt habe, seien eingestellt worden. Damit sei klar, in welche Richtung die Staatsanwaltschaft ermittle. Der Verteidiger betont: «Wir werden aufdecken können, dass Polizeibeamte gelogen haben, dass die Polizeiführung von Anfang an die Gedenkdemo zur Diskriminierung der Anliegen eindämmen wolle.»
In seiner halbstündigen Rede im Gerichtssaal macht der Angeklagte Mbolo Yunfanyi klar, dass er davon ausgehe, dass das Urteil längst geschrieben sei und er es ablehne, sich von einem Gericht in Sachsen- Anhalt richten zu lassen. Er gibt zu verstehen, dass die falschen Menschen auf der Anklagebank säßen: «Dieses Verfahren, wie es hier heute geführt wird, ist, gemessen daran, dass es hier im eigentlichen Sinne um die Ermordung eines Menschen durch die Polizei geht, völlig absurd. Hinzu kommt noch, dass sämtliche rechtswidrig angeordneten Gewalttätigkeiten von Polizeibeamten gegen Teilnehmer der Erinnerungsdemonstration an den wider besseres Wissen bis heute aktiv vertuschten Polizeimord an Oury Jalloh von jeglicher Strafverfolgung ausgenommen bleiben sollen.» So führt Mbolo Yufanyi erneut Beweise an, die für eine Ermordung durch Polizist_innen sprechen und weist auf weitere ungeklärte Todesfälle im Dessauer Revier hin: 1997 starb Hans-Jürgen Rose dort an schwersten inneren Verletzungen. In der bekannt gewordenen Zelle Nummer fünf wurde 2002 Miro Bichtemann mit einem Schädelbasisbruch tot aufgefunden. Die Polizei würde in allen Fällen stets versuchen, den wahren Sachverhalt zu vertuschen. Die Beamten würden sich gegenseitig schützen. «Dass der Polizeiapparat auf ganzer Linie versagt hat, ist sowohl der Polizeiführung als auch jedem einzelnen Beamten vorzuwerfen, der sich an der Vertuschung des Mordes an Oury Jalloh allein durch die Akzeptanz dieser Situation beteiligt», sagt Yufanyi. Deswegen seien Proteste weiterhin dringend notwendig, denn „«Staatsanwaltschaft und Gerichte haben im mittlerweile 10. laufenden Jahr des bestialischen Mordes an Oury Jalloh noch immer kein Interesse daran, die wirklich Schuldigen in den Reihen der deutschen Polizei ausfindig zu machen. Stattdessen bemühen sie sich aber umso intensiver darum, jene zu verfolgen, die sich dafür einsetzen, dass die Gerechtigkeit am Ende siegen wird.»
Als nach der Rede im Gericht die rund zwanzig Unterstüzer_innen applaudieren, droht der Richter Jürgen Zahn sofort damit, den Gerichtssaal räumen zu lassen. Doch dazu konnte es gar nicht kommen. Denn die Gerichtsverhandlung sollte in wenigen Minuten zu Ende sein: Verteidiger Felix Isensee beantragt das Verfahren wegen Aktenunvollständigkeit auszusetzen. Zum einen befänden sich die Jahre 2008–2012, die wichtig seien, um zu erfahren, was die Beamten über das aufgehobene Verbot der Parole wussten, nicht bei den Akten. Zum anderen liege ihm das Beweisvideo zum Demoverlauf nicht vollständig vor. «Das Video ist ein zentraler Bestandteil, um zu wissen wie die Demo abgelaufen ist. Wir haben ein Recht auf Aktenvollständigkeit», so Felix Isensee. Es scheint, als würde die Staatsanwaltschaft – wieder einmal – versuchen, Beweise verschwinden zu lassen, die zu Lasten der Polizeibeamt_innen gehen würden. Denn in dem Beweisvideo seien entscheidende Szenen, in denen die Polizei Gewalt gegen Demonstrierende am 7. Januar 2012 anwendete, herausgeschnitten worden. Der Staatsanwalt versucht sich herauszureden, so sei es nicht gängige Praxis, alle Daten zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Datenmenge habe man nur geschnittenes Material herausgegeben. Als Felix Isensee an den rechtsstaatlichen Prinzipien festhält, wird ihm die Übergabe des vollständigen Videomaterials endlich zugesichert, die Verhandlung ausgesetzt und ein neuer Termin angesetzt.
Der Protest wird weitergehen. Mit Erfolg: Aktivist_innen sammelten inzwischen genug Geld, um ein erneutes Brandgutachten erstellen zu lassen: Der Brite Maksim Smirnou kam 2013 zu dem Ergebnis, dass der Körper Ouri Jallohs nur durch einen Brandbeschleuniger so verkohlt werden konnte. Die Staatsanwaltschaft hat nun ein neues Verfahren zur Klärung der Todesursache eingeleitet.
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