Seit nunmehr drei Jahren beschäftigen wir uns im Rahmen des Projekts Lux like Studium mit der Förderung einer Gruppe von Menschen, die von uns als diejenigen «ohne akademischen Bildungshintergrund» bezeichnet werden – eine Gruppe, für die es im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs eine relativ breite und teilweise diffus verwendete Palette von Bezeichnungen gibt: Sie reicht von bildungsfern über Arbeiterkinder bis hin zu first generation Studierenden – und selbst mit dem Vorschalten eines «so genannten» lässt sich bei allen diesen Begriffen eine defizitäre Konnotation nicht vermeiden, die zu suggerieren scheint, dass es diesen Menschen an etwas fehle.
Was dabei in der Tat fehlt, ist die Reflexion des normativen Bildungsverständnisses und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse: Es bedarf einer Auseinandersetzung, in der hinterfragt wird, was als Kompetenz oder Qualifikation angesehen und anerkannt wird, wer und was als «gebildet» gilt und inwiefern dies in der Schule anhand von Noten in vermeintlich objektiven Leistungsbeurteilungen erfasst und in Form von Bildungsabschlüssen honoriert wird. Es gerät allzu schnell in den Hintergrund, welche tragende Rolle Bildung und Bildungsinstitutionen bei der Aufrechterhaltung der Verhältnisse, in denen wir leben, spielen.
Nicht nur für unsere Arbeit bedeutet dies, sich die Auswirkungen von Bildungszertifkaten in Bezug auf Arbeits- und Lebenswelten bewusst zu machen, diese strukturell zu kritisieren – jedoch ohne ihnen ihre reale Wirkmächtigkeit und Bedeutung für Individuen abzusprechen. Darüber hinaus bedeutet es auch, das eigene Verständnis von Bildung kritisch zu überprüfen, wenn pauschal über die eine oder andere von uns als benachteiligt ausgemachte Gruppe bzw. deren spezielle Bedarfe zu diskutiert wird – meistens ohne einen gemeinsam Austausch mit denjenigen, um deren Partizipation es in den Überlegungen meistens doch gehen soll.
Dem entgegen zu wirken und genau diese Stimmen zu Wort kommen zu lassen, war unser Anliegen im Rahmen der Ausstellung Lux like Comic (http://www.rosalux.de/lux-like-comic). Sie soll Anstoß sein, über Machtverhältnisse nach- und weiterzudenken, ohne dabei die Menschen aus dem Blick zu verlieren. Wir wollten einen Zugang jenseits von gähnend leeren Worten, müde auf den Tisch sinkenden Köpfen und Selbstdarsteller_innen schaffen, indem das Verhältnis von Individuum und Struktur thematisiert und die Mehrdimensionalität von Ungleichheiten aufgezeigt wird.
Unsere Reflexionsprozesse im Anschluss an die Ausstellung und der Wunsch, einen Ort zu schaffen, an dem alle Stimmen miteinander und unkommentiert ihre persönlichen Geschichten sowie eigene Verstrickungen und gesellschaftliche Kritik ausformulieren konnten, führte uns an den Punkt, an dem wir gerade stehen: Un_mögliche Bildung schreibt und publiziert. Mit über 20 Personen, mit denen wir im Laufe der letzten drei Jahre zusammengearbeitet haben, ist nun ein Buch entstanden, in dem sowohl die Comics veröffentlicht sind und in dem die Autor_innen ihre Perspektive auf Bildung und ihre Erfahrungen im Bildungssystem mit uns teilen – auf eine sehr persönliche, unkonventionelle und emanzipatorische Art und Weise!
An der Publikation beteiligt sind folgende Autor_innen: Marwa Al-Radwany, Rojda Uçar, Andreas Kemper, Katrin Reimer, Gürcan Kökgiran, Toan Nguyen, Ceren Türkmen, Mano Krach, Stefania Maffeis, Patrick Henze, Philip Mettke, Alissa, Janek Niggemann, Shir, Tanja Berg, Danilo Ziemen, Carolin Fiedler, Diren, Petra Rosenberg, André Ebeling, Jacqueline Aslan, Claudia de Coster, Koray Yılmaz-Günay, Heike Barnes, Olli Kornau, Juliane Karakayali, 123comics
Hier finden Sie das Inhaltsverzeichnis des Buches.
Die Publikation erscheint im August 2013 im Unrast Verlag.
Dieser Artikel ist verfasst worden für RosaLux – Journal der Rosa-Luxemburg-Stiftung.