Tödliche rassistische Eskalation in Italien: Morde und Angriffe vor und nach den Wahlen

Der sene­ga­le­si­sche Stra­ßen­ver­käu­fer Idris­sa Diè­ne, der am 5. März in Flo­renz ermor­det wur­de. Bild: screenshot

Ras­sis­ti­scher Mord auf offe­ner Stra­ße mit­ten in Flo­renz: Am 5. März 2018, einen Tag nach den ita­lie­ni­schen Par­la­ments­wah­len Wah­len, hat in der Innen­stadt von Flo­renz der 65-jäh­ri­ge Rober­to Pir­ro­ne den 54-jäh­ri­gen Sene­ga­le­sen Idris­sa Diè­ne mit meh­re­ren Schüs­sen auf der Brü­cke Pon­te Ame­ri­go Vespuc­ci erschos­sen. Nach der Tat wur­de Rober­to Pir­ro­ne ver­haf­tet. Dabei soll er ange­ge­ben haben, dass er sich mit sei­ner Ber­ret­ta eigent­lich selbst das Leben habe neh­men zu wol­len. Doch dann habe er nicht den Mut gehabt und sich ent­schie­den, den Rest sei­nes Lebens im Gefäng­nis zu ver­brin­gen. Mit die­sem Vor­satz will er auf der Pon­te Vespuc­ci den Regen­schirm­ver­käu­fer Idris­sa Die­ne erschos­sen haben.

Die­se schon recht aben­teu­er­li­che Begrün­dung wird der­zeit von ita­lie­ni­schen Medi­en ver­brei­tet: Ein Mann, der sich aus Finanz­pro­ble­men her­aus selbst töten will, dann statt des­sen aber kurz ent­schlos­sen einen ihm unbe­kann­ten Men­schen mit drei Schüs­sen liqui­diert, um sein zukünf­ti­ges Leben in einem Gefäng­nis zu verbringen. 

Idris­sa Diè­ne war vor 20 Jah­ren nach Ita­li­en ein­ge­wan­dert und ver­dien­te sich sei­nen Lebens­un­ter­halt als Stra­ßen­ver­käu­fer. Vor eini­gen Jah­ren hei­ra­te­te er Rok­ha­ya Mben­gue, deren ers­ter Mann Modou Samb im Dezem­ber auf der Piaz­za Dal­ma­zia von dem „CasaPound“-Sympathisanten Gian­lu­ca Cas­se­ri erschos­sen wur­de. Idris­sa Diè­ne war ein ange­se­he­nes Mit­glied der sene­ga­le­si­chen Gemein­schaft und zuletzt trat er im Dezem­ber 2017 zum Todes­tag sei­ner bei­den ermor­de­ten Lands­leu­te Modou Samb und Diop Mor an der Sei­te des sene­ga­le­si­schen Imans auf der Trau­er­fei­er auf. Rober­to Pir­ro­ne schoss am 5. März auf Idris­sa Diè­ne drei mal — in den Rücken, den Bauch und in den Kopf.

Ohn­macht und Wut ange­sichts des ras­sis­ti­schen Mor­des ent­la­den sich in der Innen­stadt von Flo­renz am 5. März Bild: Screenshot

Am Abend kam es zu einer auf­ge­brach­ten Demons­tra­ti­on in Flo­renz bei der wüten­de Senegales_innen Stra­ßen blo­ckier­ten, Müll­ei­mer umwar­fen, Schau­fens­ter­schei­ben und Blu­men­töp­fe demo­lier­ten. Sie bezeich­ne­ten den Mord als ras­sis­ti­schen Tat und erin­ner­ten an die Mor­de an Mor und Modou am 13.12.2011 in Flo­renz. Der aus Pis­toia stam­men­de „CasaPound“-Sympathisant Luca Cas­se­ri war mit sei­ner „Smith & Wesson“-Waffe in die Innen­stadt gefah­ren und hat­te gezielt auf afri­ka­ni­sche Händ­ler geschos­sen. Die Demons­trie­ren­den erin­ner­ten auch an den 36-jäh­ri­gen Nige­ria­ner Emma­nu­el Chi­di Nam­di, der, als er sich und sei­ne Frau im Juli 2016 gegen ras­sis­ti­sche Belei­di­gun­gen  wehr­te, von dem „CasaPound“-Anhänger Ame­deo Man­ci­ni in Fer­mo erschla­gen wur­de. Und an das „Dri­ve-by-shoo­ting“, das der 28-jäh­ri­ge Luca Trai­ni am 3. Febru­ar die­ses Jah­res in der Stadt Mace­ra­ta anrich­te­te: Luca Trai­ni war vier Wochen vor den ita­lie­ni­schen Wah­len zwei Stun­den lang durch die Klein­stadt gefah­ren und hat­te aus dem Fens­ter sei­nes Autos mit einer „Glock“-Pistole auf schwar­ze Einwander_innen geschos­sen. An einem „Krieger“-Denkmal war er dann mit der ita­lie­ni­schen Tri­co­lo­re aus­ge­stie­gen und hat­te den römi­schen Gruß gezeigt, „Viva Ita­lia“ gebrüllt und sich dann wider­stands­los ver­haf­ten lassen. Trai­ni war zwei Jah­re in der extrem rech­ten, ras­sis­ti­schen „Lega Nord“ aktiv und trat am 11. Juni ver­gan­ge­nen Jah­res für die Lis­te „Noi con Sal­vi­ni“ zur Wahl an. Er hat auf dem Arm eine Kel­ten­kreuz und im Gesicht eine Wolfs­an­gel täto­wiert. Die Namen der teil­wei­se schwer verletz­ten Afri­ka­ner in Mace­ra­ta lau­ten Gideon Aze­ke, Jen­ni­fer Otio­tio, Mah­ma­dou Tou­ré, Wil­son Kofi, Fes­tus Omag­bon und Omar Fadera.

Nach dem Mord­ver­su­chen in Mer­ca­ta woll­te der Par­tei­chef der „Lega“, Matteo Sal­vi­ni, den Schüt­zen nicht ver­ur­tei­len. Er nann­te Luca Trai­ni ver­rückt und sah die Ursa­che der Tat nicht im Ras­sis­mus, son­dern in der „unkon­trol­lier­ten Ein­wan­de­rung“. Eine ähn­li­che Schuld­um­kehr fabri­zier­te „For­za Italia“-Chef, Sil­vio Ber­lus­co­ni, der im Zusam­men­hang mit der Ein­wan­de­rung von einer „sozia­len Bom­be“ sprach. Bei­de Par­tei­chefs über­bo­ten sich in den anvi­sier­ten Zah­len von Abschie­bun­gen, die sie nach einem für sie sieg­rei­chen Wahl­er­geb­nis ein­lei­ten wür­den. Die „Lega“ erziel­te 17,62 %, Ber­lus­co­nis „For­za Ita­lia“ 14,42 % und die (post-)faschistische Par­tei „Fratel­li d‚Italia“ unter Gior­gia Melo­ni 4,26 % der abge­ge­be­nen Stim­men. Das so genann­te Mit­te-Rechts-Bünd­nis stellt den größ­ten Macht­block im Par­la­ment und mög­li­cher­wei­se auch in der neu­en Regie­rung Ita­li­ens dar.

Die stärks­te Par­tei ist das „Movi­men­to 5 Stel­le“ (Fünf-Ster­ne-Bewe­gung) des Ex-Komi­kers Beppe Gril­lo. Es erhielt 32,21 % der abge­ge­be­nen Stim­men. Da sie sich der Wahl­er­folg sowohl aus rech­ten, als auch lin­ken Wähler_innen speist, hat­te die Par­tei sich nicht zu dem ras­sis­ti­schen Atten­tat in Mace­ra­ta geäu­ßert, um kei­ne Wähler_innen zu ver­lie­ren. Der Spit­zen­kan­di­dat di Maio ver­ord­ne­te der Par­tei ein Schwei­gen zu dem ras­sis­ti­schen Anschlag. Angeb­lich um Ras­sis­mus nicht zum The­ma des Wahl­kamp­fes zu machen. Um so lau­ter konn­ten die Mit­te-Rechts-Par­tei­en in ihrem Wahl­kampf mit Ras­sis­mus mobilisieren.

2013 hol­te die „Lega Nord“ bei den Wah­len noch nur knapp über 4 %. Am letz­ten Wochen­en­de erziel­te sie 17,62 % der abge­ge­be­nen Stim­men. Die Ver­brei­tung von Ras­sis­mus und ras­sis­ti­sche Stim­mungs­ma­che schei­nen im heu­ti­gen Ita­li­en Wahl­er­fol­ge zumin­dest zu begüns­ti­gen. Selbst Mor­de und Mord­ver­su­che tun dem kei­nen Abbruch. Auch das brach­ten die auf­ge­brach­ten Senegales_innen an den Tagen nach der Wahl in Flo­renz vor. Pape Diaw, ein Spre­cher der sene­ga­le­si­schen Com­mu­ni­ty, äußer­te sich zu dem Nar­ra­tiv der Medi­en, dass es sich bei Rober­to Pir­ro­ne um einen psy­chisch Kran­ken han­de­le: „Non cre­dia­mo al gesto di un paz­zo“ (deutsch: „Wir glau­ben nicht, dass es sich um die Tat eines geis­tig Ver­wirr­ten han­delt“). Und in einem Face­book Ein­trag ergänzt Pape Diaw: „Ha spa­ra­to a un nero. Quan­ti ita­lia­ni ha incro­cia­to pri­ma? Per­ché non ha spa­ra­to a loro? Nien­te mi con­vin­ce di ques­ta sto­ria“ (deutsch: „Er hat einen Schwar­zen erschos­sen. Wie vie­le Ita­lie­ner hat er vor­her getrof­fen? War­um hat er nie­man­den von ihnen erschos­sen? Nie­mand kann mich von die­ser Ver­si­on überzeugen“).

Der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Bür­ger­meis­ter von Flo­renz, Dario Nar­del­la, sieht in der ohn­mäch­ti­gen Wut und Empö­rung, die sich auf den Stra­ßen der Stadt ent­lud, kei­ne Berech­ti­gung, son­dern ver­kün­de­te: „Ci sono per­so­ne a cui non inter­es­sa nulla del dolo­re di Idy ma sono solo inter­es­sa­te a sfrut­ta­re ques­to dolo­re per port­are avan­ti una vera e pro­pria guer­ri­glia poli­ti­ca“. (deutsch: „Es gibt Per­so­nen, die kei­ner­lei Inter­es­se an dem Schmerz der Fami­lie Idris­sa Diè­nes haben, sie haben nur ein Inter­es­se die­sen Schmerz aus­zu­beu­ten für ihre wahr­haf­tig anste­hen­de poli­ti­sche Gue­ril­la“). Er spricht dabei von einer anti­de­mo­kra­ti­schen Lin­ken und den Cen­tri Socia­li (deutsch: Sozia­le Zen­tren), die die sene­ga­le­si­sche Com­mu­ni­ty unter­stüt­zen. Selbst für die ita­lie­ni­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie scheint der Feind links zu ste­hen und sich zu einer Gue­ril­la rüs­ten zu wol­len: Plat­ter geht Opfer-Täter-Umkehr kaum.

Quel­len:

Spa­ra e ucci­de pas­san­te a Firen­ze. La rab­bia dei sene­ga­le­si: div­el­te fio­rie­re, pau­ra in cen­tro (05.03.2018): http://​firen​ze​.repubbli​ca​.it/​c​r​o​n​a​c​a​/​2​0​1​8​/​0​3​/​0​5​/​n​e​w​s​/​f​i​r​e​n​z​e​_​s​p​a​r​i​_​a​_​p​o​n​t​e​_​a​l​l​a​_​v​i​t​t​o​r​i​a​-​1​9​0​4​9​7​773

La tra­ge­dia sul pon­te Vespuc­ci. „San­gue e ter­rore, ucciso davan­ti ai miei occhi“ (05.03.2018): http://www.lanazione.it/firenze/cronaca/sangue-terrore-ucciso‑1.3769782

Omic­i­dio Diè­ne, fio­ri e mess­ag­gi sul pon­te: „Scu­sa per ques­ta fine orren­da“ (06.03.2018): https://​video​.repubbli​ca​.it/​e​d​i​z​i​o​n​e​/​f​i​r​e​n​z​e​/​o​m​i​c​i​d​i​o​-​d​i​e​n​e​-​f​i​o​r​i​-​e​-​m​e​s​s​a​g​g​i​-​s​u​l​-​p​o​n​t​e​-​s​c​u​s​a​-​p​e​r​-​q​u​e​s​t​a​-​f​i​n​e​-​o​r​r​e​n​d​a​/​2​9​9​0​1​5​/​2​9​9​639

Ucciso a Firen­ze: sit-in sene­ga­le­si, spin­te a Nar­del­la (06.03.2018): http://​www​.ansa​.it/​t​o​s​c​a​n​a​/​n​o​t​i​z​i​e​/​2​0​1​8​/​0​3​/​0​6​/​u​c​c​i​s​o​-​a​-​f​i​r​e​n​z​e​-​s​i​t​-​i​n​-​s​e​n​e​g​a​l​e​s​i​-​s​p​i​n​t​e​-​a​-​n​a​r​d​e​l​l​a​-​_​6​9​f​d​1​2​0​f​-​3​3​b​b​-​4​a​b​4​-​b​f​0​7​-​8​d​b​c​0​4​f​f​1​4​7​4​.​h​tml

Esce per sui­ci­dar­si, poi spa­ra a caso e ucci­de un sene­ga­le­se (06.03.2018): http://www.ansa.it/toscana/notizie/2018/03/05/omicidio-in-strada-firenze-fermato-uomo_d567043d-ff75-4be2-8022–9d5349902a86.html

Firen­ze, par­la la mog­lie di Idy Diè­ne: „Sto male, bas­ta ammaz­z­are i neri“ (08.03.2018): http://​www​.tgcom24​.media​set​.it/​c​r​o​n​a​c​a​/​f​i​r​e​n​z​e​-​p​a​r​l​a​-​l​a​-​m​o​g​l​i​e​-​d​i​-​i​d​y​-​d​i​e​n​e​-​s​t​o​-​m​a​l​e​-​b​a​s​t​a​-​a​m​m​a​z​z​a​r​e​-​i​-​n​e​r​i​-​_​3​1​2​7​3​0​8​-​2​0​1​8​0​2​a​.​s​h​tml

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