99 Luftballons: Anti-Pegida-Protest in Dresden am 28. Februar 2015 Foto: Christine Buchholz
Wenn wir uns mit der rassistischen und in Teilen rechtsextremen Pegida aus einer Geschlechterperspektive auseinandersetzen, uns fragen, was könnte das mit «Frauen» oder «Männern» zu tun haben, treten folgende vier Aspekte zu Tage:
Zum einen spielt in der Berichterstattung, bis auf wenige Ausnahmen, die Kategorie Geschlecht wie so häufig keine Rolle. (Anders ausgedrückt, fragen sich ganz wenige, was die Tatsache, dass sich in den unterschiedlichen «Gidas» so viele Männer sehr gern tummeln, über deren Männlichkeit bzw. Männlichkeitsvorstellungen aussagt.)
Seit etwa einem halben Jahr demonstrieren montäglich tausende Menschen in Schneeberg, Dresden, Leipzig und einigen anderen Kommunen Sachsens gegen die Aufnahme von Geflüchteten und gegen das Grundrecht auf Asyl. Sie müssen das wohl tun, denn sie haben ihre parteipolitische «Heimat» verloren. Die NPD ist im vergangenen Jahr nach zehn Jahren abgewählt worden und nicht mehr im Sächsischen Landtag vertreten. Sie kann nur noch auf 100 Kreis- und Kommunalmandate für die Durchsetzung ihrer Forderungen zurückgreifen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die «Schutz suchenden» Demonstrierenden unter die Rettungsschirme neuer politischer Kräfte flüchten.
Ganz ohne Gegenleistung wird ihnen das freilich nicht gewährt und so müssen sie jetzt auch gegen die Genderisierung der Gesellschaft und die Frühsexualisierung von Kindern Gesicht zeigen. Die Bereitschaft der Abendspazierenden weitere Ziele zu verfolgen, ermöglichte die Konstituierung eines facettenreichen Netzwerkes. So streiten die inzwischen nach einem Formtief in Dresden am 16.2.2015 wieder auf mehr als 4000 geschätzten «Patrii» nun auch gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, gegen die Russland betreffenden Sanktionen, gegen die politische Einheit Europas, gegen alle Freihandelsabkommen, ganz en vogue auch gegen TTIP und – natürlich – für mehr Polizei.
Auf den Müll damit: AfD-Plakat in angemessenem Tonnen-Ambiente. Gesehen in der Hamburger Schützenstraße am Tag danach, den 16.2.2015 Foto: Burschel
DIE LINKE hat bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg mit 8,5 % (2011: 6,4%) und elf Mandaten (2011: acht) ein überzeugendes Votum für eine starke linke und konstruktive Oppositionspolitik erhalten. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, neben weiter sinkender Wahlbeteiligung, der Einzug der AfD. Sie erhielt 6,1% der Stimmen und acht Mandate und ist damit erstmals in einem westdeutschen Landesparlament vertreten.
Die AfD hat rund 8000 vormalige NichtwählerInnen mobilisiert. Die CDU verlor 8000 WählerInnen an die AfD, 7000 die SPD, 4000 die FDP und je 1000 LINKE und Grüne.
Es sind vor allem zwei Probleme, die ein zielführendes Gespräch über beziehungsweise eine funktionierende Arbeit gegen Rassismus erschweren. Zum einen wird er entweder als Phänomen der Nazizeit historisiert oder als Merkmal des aktuellen ‹Rechtsextremismus› debattiert. Rassismus ist unzweifelhaft eines der Ideologieelemente des Neonazismus, vieler populistischer Parteien, aber auch hetzerischer Rede in Büchern, an Wahlkampfständen oder bei Gästen von Fernsehtalkshows. Dass er aber wesentlich mehr ist als das, was lange zurückliegt oder bloß am sogenannten Rand der Gesellschaft stattfindet, taucht allzu selten auf: Kinder, die hier geboren werden, gelten nach wie vor zuerst einmal als das, was ihre Eltern sind oder die Großeltern einmal waren: Migrantinnen und Migranten, ‹mit Migrationshintergrund› oder ‹nicht-deutscher Herkunft›. Menschen, die aus einem Mitgliedsstaat der EU kommen, haben andere Rechte beim Zugang zu Arbeit, Gesundheit und politischer Teilhabe als ‹Drittstaatenangehörige›. Schwarze werden – unabhängig von Pass oder Migrationsgeschichte – nicht nur von der Bundespolizei anlassunabhängig kontrolliert. Tatsächliche oder vermeintliche Sprachkenntnisse, das Äußere, die Staatsangehörigkeit, der Name, die Religion und viele andere Merkmale, wie es im juristischen Antidiskriminierungs-Deutsch heißt, sorgen dafür, dass in Medien, Politik, auf dem Arbeitsmarkt, im Fitnessstudio oder in der Schule Menschen in Gruppen sortiert und diese Gruppen mit einer Wertigkeit versehen werden. Nicht zuletzt die Schulleistungsuntersuchungen der OECD (sogenannte Pisa-Studien) haben deutlich aufgezeigt, wie wenig es der individuelle (Un-) Wille ist, der Bildungsleistungen und -aufstiege beeinflusst. Die institutionellen und die strukturellen Bedingungen, unter denen wir allesamt leben, begünstigen die einen und benachteiligen – und zwar systematisch – die anderen: auch wenn es niemand böse meint, auch wenn die Meinenden nicht ‹-extrem› sind.
Die Wahl zum Europäischen Parlament (23.–25. Mai 2014) steht kurz bevor und vielerorts finden sich Berichte über den bevorstehenden Einzug „rechtspopulistischer“ oder extrem rechter Parteien. Der Kontinent driftet nach rechts stellte kürzlich der Bayerische Rundfunk stellvertretend für die große Mehrheit der deutschen Medien fest. Vergleichbare Debatten in der Vergangenheit lehren uns, dass, sollte es zu einem starken Zugewinn rechter Parteien kommen, nach einem kurzen Aufschrei die Thematik ziemlich schnell wieder in der Versenkung verschwinden wird. Doch eine solche öffentliche Auseinandersetzung mit der extremen Rechten ist auch per se kein Gewinn. Sehr oft wird vergessen, dass der Wahlausgang selbst nur Ausdruck und Ergebnis einer sehr viel tiefer liegenden Entwicklung ist. Einige Ansätze einer fruchtbareren Analyse zeigten sich u.a. auf der von der Interventionistischen Linken (IL) ausgerichteten und von der Rosa Luxemburg Stiftung unterstützten Konferenz „Antifa in der Krise?!“ Mitte April in Berlin und auf dem „Gesprächskreis Rechts“ der RLS im Mai in Hamburg.
Sie sehen sich nach eigenen Angaben als die Friedensbewegung 2014 und wollen sich weder rechts noch links positionieren. Sie behaupten die Stimme des Volkes zu sein. Sie nutzen den Begriff «Montagsdemonstration» in Anspielung auf die Massendemonstrationen in der DDR und die Hartz-IV-Proteste. Doch ein Blick auf die Seiten der Organisator_innen zeigt, dass es sich bei den bundesweiten Montagsdemonstrationen um ein Sammelbecken antisemitischer Verschwörungstheoritiker_innen handelt.
Die Facebook-Seite «Anonymous.Kollektiv» gilt als wichtiger Initiator bei der Mobilisierung zu Montagsdemos und fällt immer wieder mit antisemitischen und völkischen Äußerungen auf. Anonymous-Aktivist_innen richten sich in einem Aufruf explizit gegen den Betreiber des Accounts. Sie weisen jede Beteiligung des Hackerkollektivs an den Aktionen von sich und sehen darin eine Aneignung eines bekannten Labels, um Werbung für sein Unternehmen und rechte Verschwörungstheorien zu verbreiten. Durch nicht gleich mit dem rechten Spektrum verbundene Themen, wie Kritik an Rundfunk- und Fernsehgebühren oder dem Einsatz für Frieden wird ein niederschwelliger Zugang für politisch Unentschlossene geschaffen. So wird ein heterogenes Spektrum zu den verschwörungstheoretischen Montagsdemonstrationen angezogen. Darin liegt auch das schwer fassbare der neuen «Friedensbewegung».
Bei einer näheren Betrachtung des Ganzen, lassen sich klare Denkmuster herausarbeiten. So seien alle Völker von Amerika fremdgesteuert und man müsse deswegen für Volkssouveränität kämpfen. «Das deutsche Volk hat dazugelernt! Das deutsche Volk ist viel besser als sein Ruf! Die amerikanisierten Medien und Politiker in Deutschland sind geil auf Krieg, unser Volk aber will den Frieden!», verkündet etwa Jürgen Elsässer in seiner Rede am 21. April. Die Konstruktion eines vereinigten deutschen Volkes, das gemeinsam gegen die bösen amerikanischen Mächte einsteht, folgt einem simplen Wir -Ihr-Antagonismus, der typisch ist für solche Argumentationmuster.
Interview mit Sebastian Friedrich, Sozialwissenschaftler und Publizist.
In seinem Artikel «Veränderte Verhältnisse» in dem von ihm mitherausgegebenen Buch «Nation – Ausgrenzung – Krise» gelingt Sebastian Friedrich eine Analyse des Verhältnisses von europäischer Finanz- und Wirtschaftsrise und europäischem Rassismus. Er beschreibt diesen Rassismus als vielschichtig und wandlungsfähig. Dieser geht von Individuen sowie von Institutionen aus, ist europäisch und nationalstaatlich. Vor allem aber ist Rassismus dynamisch. Analysen sind entsprechend schwierig. Ausgehend von der genannten Publikation gibt Sebastian Friedrich hier eine Standortbestimmung zu Rassismusforschung, Antirassismus und politischer Bildung ab. Im Verlauf eines Interview versucht er auch einen Ausblick auf mögliche und wünschenswerte Entwicklungen linker Forschung und Initiativen.
Die netten Kolleg_innen von kritisch-lesen.de haben in ihrer aktuellen Online-Ausgabe eine Rezension zu dem Buch „Europas radikale Rechte“ von mir veröffentlicht, auf die ich Euch hiermit aufmerksam machen will:
Martin Langebach, Andreas Speit 2013: Europas radikale Rechte. Bewegungen und Parteien auf Straßen und in Parlamenten. Orell Füssli, Zürich. ISBN: 978−3−280−05483−3. 287 Seiten. 21,95 Euro.
Eine gefällige Reportage-Sammlung haben die beiden Autoren und „Rechtsextremismus“-Experten Martin Langebach und Andreas Speit mit ihrem Buch „Europas radikale Rechte“ vorgelegt. Für Leute, die sich noch nicht viel mit dem rasanten Rechtsruck in Europa beschäftigt haben, mag das Buch eine gute, schnell wegzulesende Einführung sein. Wer schon mal etwas vom Überraschungssieger der österreichischen Nationalratswahlen „Team Stronach“, der Casa-Pound-Bewegung in Italien und der Rechtspartei „Europäische Allianz für Freiheit“ gehört hat, wird das Buch müde zur Seite legen. Immerhin macht es eines deutlich: die Entwicklungen am rechten Rand des europäischen politischen Spektrums sind so schnelllebig, bisweilen diffus und auf so vielen, sich zum Teil völlig widersprechenden Ebenen zu betrachten, dass man sie schlicht nicht überblicken kann. Insofern ist die Reportage vielleicht nicht unbedingt das richtige Mittel, um diese hochkomplexe Materie aufzuschlüsseln, vielleicht war das auch gar nicht die Absicht der Autoren. Weiter
Augenblicklich eskalieren wieder Konflikte um Einwanderer_innen aus Osteuropa und Asylsuchende in ganz Deutschland. Die Situationen rund um prekäre Wohnquartiere von Migrierenden (zumeist aus Rumänien und Bulgarien, häufig vor allem Roma) sowie um Asylsuchenden-Unterkünfte nehmen an Heftigkeit und Gefährlichkeit zu, organisierte Nazis machen sich eine rassistische Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung zu Nutze und befeuern die agressive Stimmung noch mit Hetze, Demonstrationen und indem sie „Bürgerinitiativen“ gegen Sammelunterkünfte und weiteren Zuzug unterwandern.
Die aufgeladenen Anwohner_innen-Proteste in Berlin Hellersdorf, in Wolgast, Leipzig und anderswo, sowie rassistische Ausgrenzung wie etwa in Berlin-Reinickendorf wecken Erinnerungen an die rassistische Pogromstimmung nach der Wende Anfang der 1990er Jahre im ganzen Land. Besonders bedrohlich stellt sich die Situation in Duisburg dar, wo vor dem prekären Wohnquartier süd
osteuropäischer Einwanderer_innen aufgebrachte Anwohner_innen und Nazis sich versammeln. Es gibt zwar allerorten auch starke antirassistische und antifaschistische Initiativen, Proteste und nächtliche Wachen vor den bedrohten Gebäuden, aber die Situation kann jederzeit außer Kontrolle geraten.
Unser langjähriger Partner, das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), hat sich nun mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit gewandt und vor weiterer Eskalation gewarnt. Wir dokumentieren die PE hier und schließen uns der Einschätzung und dem politischen Weckruf der Kolleg_innen in Duisburg (nicht nur mit Blick auf die Berliner Situation) an:
Kommunen haben für rechte Parteien besondere Bedeutung: Rechtspopulistische Akteure versuchen, lokale Konflikte für ihren Rassismus und die Kulturalisierung sozialer Zustände zu vereinnahmen, freie Kameradschaften sprechen mit einem breiten Freizeitangebot junge Menschen nicht nur in strukturschwachen Regionen an. In diesem Buch von Yves Müller und Benjamin Winkler, das in der Reihe «Crashkurs Kommune» erschienen ist, werden lokale und überregionale Problemlagen aufgezeigt und mögliche Formen der zivilgesellschaftlichen und kommunalpolitischen Auseinandersetzung mit NPD und Co. in der Kommune vorgestellt und erörtert: Argumente und das Handwerkszeug für erfolgreiche Strategien gegen Rechts.
Die von Katharina Weise herausgegebene Reihe «Crashkurs Kommune» richtet sich vor allem an kommunalpolitisch Interessierte, kommunale Mandatsträger_innen und lokal engagierte Menschen in Vereinen und Initiativen.