Tagung: Kontinuitäten rechter Gewalt

Selbst­er­mäch­ti­gung Betrof­fe­ner rech­ter und ras­sis­ti­scher Gewalt: Ein ein­drück­li­che­res Bei­spiel für die­ses Empower­ment als die jähr­li­che Oury-Jal­loh-Demo am 7. Janu­ar in Des­sau — hier 2020

Kon­ti­nui­tä­ten rech­ter Gewalt. Ideo­lo­gien – Prak­ti­ken – Wir­kun­gen“ woll­te eine Tagung Mit­te Febru­ar am Leib­niz-Zen­trum für zeit­his­to­ri­sche For­schung in Pots­dam abschrei­ten. Der Zeit­his­to­ri­sche Arbeits­kreis Extre­me Rech­te hat­te dazu ein­ge­la­den, aus­ge­rich­tet wur­de sie vom Leib­niz-Zen­trum für Zeit­his­to­ri­sche For­schung Pots­dam, dem Moses Men­dels­sohn Zen­trum Pots­dam, dem Han­nah Are­ndt Insti­tut für Tota­li­ta­ris­mus­for­schung Dres­den und dem Fritz Bau­er Insti­tut Frank­furt am Main. In der Ein­la­dung wie­sen die Organisator*innen dar­auf hin, dass „extrem rech­tes Den­ken stets Teil der deut­schen Geschich­te im 20. Jahr­hun­dert“ war und gewalt­för­mi­ges Han­deln seit jeher zur poli­ti­schen Pra­xis der „natio­na­len Oppo­si­ti­on“ gehört.
Mit die­ser zutref­fen­den Ansa­ge schob der Inhalt die­ser Tagung die nach 1945 von den west­deut­schen Sicher­heits­be­hör­den erfun­de­ne Matrix eines „Rechs­t­ex­tre­mis­mus“ sou­ve­rän bei­sei­te. Nicht zuletzt der aus einem „Netz­werk von Kame­ra­den“ bestehen­de NSU hat in dem Anfang Novem­ber 2011 ver­schick­ten Selbst­ent­tar­nungs­vi­deo mit der Eigen­be­zeich­nung „Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund“ unmiss­ver­ständ­lich deut­lich gemacht, dass er sei­ne Ver­bin­dungs­li­ni­en bis in die Zeit der 1930er Jah­re des 20. Jahr­hun­dert zurück­rei­chen sieht.

Gewalt ist keine Anomalie

Der Ver­lauf der Tagung schloss mit einer Rei­he von Panels unter­schied­li­che Zugän­ge zur The­ma­tik auf. Im Eröff­nungs­vor­trag „Gewalt­so­zio­lo­gie und rech­te Gewalt“ plä­dier­te Tere­sa Kolo­ma Beck unter Bezug auf For­schun­gen zu der Neue­ren Gewalt­so­zio­lo­gie dafür, Gewalt nicht als Anoma­lie, son­dern als Teil der con­di­tio huma­na zu ver­ste­hen. Das bedeu­te, dass es als Phä­no­men aus mensch­li­chen Gesell­schaf­ten nie ver­schwin­det, son­dern nur zu unter­schied­li­chen Zei­ten an unter­schied­li­chen Orten auf ver­schie­de­ne Wei­se bear­bei­tet wird. Hier gel­te es der „Eigen­lo­gik der Gewalt auf die Spur“ zu kom­men. Ihre Posi­ti­on, dass „Rech­te Gewalt“ des­halb für den von ihr ver­tre­te­nen For­schungs­an­satz kein Gegen­stand sein kön­ne, da das Attri­but „rechts“ auf ideo­lo­gi­sche Kate­go­rien ver­wei­se, die sich in der Gewalt selbst nicht wider­spie­gel­ten, stieß aber in der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on auf Wider­spruch: Spä­tes­tens aus Opfer­sicht, so hieß es, spie­le es sehr wohl eine Rol­le, aus wel­chen auch ideo­lo­gi­schen Grün­den jemand von den Täter*innen ange­grif­fen werde.

In ihren Bei­trä­gen stell­ten Johan­na Lan­gen­brinck und Mar­kus End auf die Inter­ak­ti­on ras­sis­ti­scher Gewalt von Tei­len der Bevöl­ke­rung mit den Sicher­heits­be­hör­den ab. Lan­gen­brinck zeig­te, wie die Ber­li­ner Poli­zei durch ent­pre­chen­de Ein­sät­ze im Scheu­nen­vier­tel den Boden für das dann am 5. Novem­ber 1923 dort ver­üb­te Pogrom berei­te­te. Mar­kus End erin­ner­te an die heu­te wenig beach­te­te anti­zi­ga­nis­ti­sche Dimen­si­on des tage­lan­gen Wütens eines Mobs Ende August 1992 am „Son­nen­blu­men­haus“ in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen. Dabei sei die Funk­ti­on des Anti­zi­ga­nis­mus in den Debat­ten um Migra­ti­on und Asyl bis jetzt kaum sys­te­ma­tisch unter­sucht wor­den. Dabei stün­den Roma in die­sen Debat­ten regel­mä­ßig sym­bo­lisch für die „uner­wünsch­ten Flücht­lin­ge“, die ‚„uner­wünsch­ten Migran­ten“, von denen die „Erwünsch­ten“ unter­schie­den wür­den, womit die – in sich bereits sozi­al­ras­sis­ti­sche – Unter­schei­dung zwi­schen erwünscht und uner­wünscht noch­mals eth­ni­siert werde.

Manue­la Bojad­zi­jev ver­wies in ihrem Vor­trag auf die akti­ve Rol­le der Arbeitsmigrant*innen in der Bun­des­re­pu­blik seit den 1960er Jah­ren im Kampf gegen den Ras­sis­mus. Eben die­ser sei in Reak­ti­on auf deren Ansprü­che nach einem bes­se­ren Leben sowohl durch Dis­kur­se als auch durch Insti­tu­tio­nen ent­stan­den. Auf­grund der gedräng­ten Zeit konn­te hier die Fra­ge nicht dis­ku­tiert wer­den, ob im Ver­gleich zu den von den Rassist*innen als „über­flüs­sig“ ange­se­he­nen Opfer­grup­pen der Jüdin­nen und Juden und Sin­ti die Arbeitsmigrant*innen in der BRD ab den 1960er Jah­ren des­halb über bes­se­re Kampf­be­din­gun­gen ver­füg­ten, weil immer auch über ihre kon­kre­te Stel­lung im Arbeits­markt ver­han­delt wer­den konnte.
In einem Panel zur „Orga­ni­sier­ten Gewalt“ rück­ten Struk­tu­ren und Protagnist*innen nazis­ti­scher Gewalt in den Fokus der Bei­trä­ge. Gideon Botsch stell­te dabei die Vita des Natio­nal­so­zia­lis­ten Arthur Ehr­hardt (1896−1971) vor, der als Her­aus­ge­ber der Monats­schrift „Nati­on Euro­pa” bis zu sei­nem Tod als einer der ein­fluss­reichs­ten Publi­zis­ten und Netz­wer­ker des Nazis­mus in der Bun­des­re­pu­blik gel­ten kann. Des­sen Ende 1944 aus­ge­ar­bei­te­tes soge­nann­tes „Werwolf“-Konzept die­ne auch heu­te noch Neo-Nationalsozialist*innen als Blau­pau­se für Ter­ror­kon­zep­te. Bar­ba­ra Man­the beschrieb die Kon­junk­tu­ren rechts­ter­ro­ris­ti­scher Gewalt in der Bun­des­re­pu­blik in den 1970er und 1980er Jah­ren. Im Zen­trum stand dabei die Dar­stel­lung eines der ers­ten gro­ßen Straf­ver­fah­rens gegen sechs Nazis, dar­un­ter Micha­el Küh­nen, in Bücke­burg 1979 wegen Bil­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Vereinigung.

Rassistische Morde im Blick

Johan­nes Morel­li wid­me­te sich am Bei­spiel der Regi­on Nürnberg/Erlangen in den frü­hen 1980er Jah­ren der Selbst­er­mäch­ti­gung (Empower­ment) der Opfer nazis­ti­scher Gewalt, die aus sei­ner Sicht eine Zäsur in der gesell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Neo­na­zis­mus dar­stell­te. Dabei sei in dem „ver­ges­se­nen Jahr des Ter­rors 1980“ (Anschlä­ge der deut­schen Akti­ons­grup­pen auf Flücht­lings­wohn­hei­me, Anschlag auf das Okto­ber­fest, ins­ge­samt 18 Tote) in der Reak­ti­on auf die Ermor­dung des jüdi­schen Ver­le­gers Shlo­mo Lewin und sei­ner Lebens­ge­fähr­tin Fri­da Poesch­ke im Dezem­ber 1980 durch ein Mit­glied der Wehr­sport­grup­pe Hoff­mann ein über­durch­schnitt­li­ches Selbst­or­ga­ni­sa­ti­ons­po­ten­ti­al von Ange­hö­ri­gen und der jüdi­schen Kul­tus­ge­mein­de Nürn­berg-Erlan­gen sicht­bar geworden.

Ein wei­te­res Panel widm­te sich der rech­ten Gewalt im Über­gang von der DDR zur BRD. Beson­ders ein­drück­lich schil­der­te Clau­dia Paw­lo­witsch in ihrem Vor­trag „Todes­ur­sa­che: Schwarz“ die Ermitt­lun­gen und die Debat­ten zum Tod des ehe­ma­li­gen Ver­trags­ar­bei­ters Jor­ge João Gomon­dai im April 1991 in Dres­den, der von Skin­heads aus einer Stras­sen­bahn gesto­ßen wor­den war. Der Tod Gomon­dais ste­he dabei sym­pto­ma­tisch für die ras­sis­ti­sche Gewalt in der Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft. Anhand der Aus­sa­gen der elf Beschul­dig­ten vor den Ermitt­lungs­be­hör­den rekon­stru­ier­te Paw­lo­witsch deren Moti­ve zur Tat. Nie­mals sei von den Befrag­ten Gomon­dais Namen erwähnt wor­den, statt­des­sen wur­den ras­sis­ti­sche Bezeich­nun­gen benutzt. Der aus Dres­den stam­men­de und seit Kur­zem in der BRD woh­nen­de Beschul­dig­te R., lehn­te, wie auch ande­re, für sich nicht nur die Bezeich­nung Neo­na­zi ab: Er „habe nur gegen­über einer bestimm­ten Grup­pe von Aus­län­dern Vor­be­hal­te und das sind die aus Kreuz­berg“, erklär­te er bei sei­ner Ver­neh­mung. In den Auto­no­men und Punks sah hin­ge­gen der Beschul­dig­te B., der aus West­deutsch­land stamm­te, des­halb ein wei­te­res Feind­bild, „weil die­se Leu­te mei­ner Mei­nung nach über­haupt kein Rechts­be­wusst­sein haben. Ich bin der Mei­nung, dass man in unse­rem Staat nicht kos­ten­los leben kann, was die­se Leu­te aber den­ken, indem sie Häu­ser besetzen“.
Aus der Sicht der Skin­heads, so Paw­lo­witsch, gehör­te Gomon­dai, wie die „Kreuz­ber­ger“, die Punks oder Auto­no­men zu den Frem­den, die ihre Nor­ma­li­tät stör­ten und derer man sich zu ent­le­di­gen such­te. Die Dis­kus­si­on war bestimmt von der Fra­ge, ob sich in der Pha­se der Trans­for­ma­ti­on der DDR zur BRD ab Ende der 1980er Jah­re nicht so etwas wie ein nach­ge­hol­tes blu­ti­ges „Nati­on­buil­ding“ voll­zo­gen habe, in dem von der poli­ti­schen Rech­ten mit zum Teil bar­ba­ri­schen Mit­teln ver­sucht wor­den sei, zu bestim­men, wer nicht mehr dazu gehö­ren soll.

Die Tagung war mit etwa 130 Teil­neh­me­rIn­nen außer­or­dent­lich gut fre­quen­tiert. Auf­grund des begrenz­ten Raum­an­ge­bo­tes und der gro­ßen Nach­fra­ge muss­te lei­der noch einer erheb­li­chen Zahl von Inter­es­sen­ten abge­sagt wer­den. Auch das unter­streicht die Aktua­li­tät der behan­del­ten The­men­stel­lung. Jen­seits der durch die Sicher­heits­be­hör­den in der BRD stets viel­ge­stal­tig durch­ge­führ­ten poli­ti­schen Bewirt­schaf­tung des „Rechts­extre­mis­mus“ — inklu­si­ve der hier immer mal wie­der zu skan­da­li­sie­ren­den „Ver­säum­nis­se“ — lös­te die­se Tagung ihren Anspruch ein, einen mit his­to­ri­scher Tie­fen­schär­fe pro­fi­lier­ten Blick auf ein über­ra­schend unter­forsch­tes The­ma zu lenken.