Im Rahmen des Neujahrsempfanges der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg ist am Montag, 22. Januar 2018, auch wieder der „Wissenschaftlich-publizistische Förderpreis“ vergeben worden. Geehrt werden mit der Vergabe des Preises für das Jahr 2017 zwei junge Wissenschaftlerinnen, die sich ein heikles Thema vorgenommen haben: Fiona Schmidt und Isabella Greif reichten ihre Masterarbeit zum Thema „Staatsanwaltschaftlicher Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt. Eine Untersuchung struktureller Defizite und Kontinuitäten am Beispiel der Ermittlungen zum NSU-Komplex und dem Oktoberfestattentat“ ein. Sie kommen in ihrer Arbeit, die sie an der Humboldt-Universität zu Berlin vorlegten, zu einer ernüchternden Bilanz der Tätigkeit staatlicher Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden, wenn es um nazistische, rechte und rassistische Gewalttaten und terroristische Nazi-Anschläge geht.
Die Büroleiterin der Brandenburger RLS, Cathleen Bürgelt, hob in ihren einführenden Worten die hohe Qualität aller zehn eingereichten Arbeiten zum Förderpreis hervor, was der Jury die Arbeit nicht eben erleichtert habe. Bürgelt: „Für den heute zu vergebenen Förderpreis wurden 10 Arbeiten eingereicht, die allesamt von einer solch herausgehobenen Qualität waren, dass sie alle preiswürdig gewesen wären. Allein vier der eingereichten Arbeiten setzen sich mit Rechtsradikalismus in Theorie und/oder Praxis auseinander: Neben den Preisträgerinnen hat Gesine Dannenberg das oppositionelle Handeln der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg untersucht, Christopher Fritzsche einen kulturwissenschaftlichen-soziologischen Blick auf die geschlechtspolitischen Diskurse in der Neuen Rechten geworfen und Christina Thumann die Verwendung von Metaphern in Facebookeinträgen von Politiker*innen der AfD und des Front National und ihrer Kommentator*innen analysiert.“
Außerdem, so zählte Bürgelt die Einreichungen auf, haben Riccardo Altieri und Frank Jacob einen Band eingereicht, der sich mit dem 1. Weltkrieg und dem Handeln der Sozialdemokratie beschäftigt, Anna Eckert hat sich in ihrer Dissertation unter dem Titel „Respektabler Alltag“ mit einer Ethnographie von Erwerbslosigkeit in Wittenberge beschäftigt und dabei Kulturtheorie, Soziologie und Ethnologie interdisziplinär zur Anwendung gebracht. Mit dem Bildband „mitgebrachte Augenblicke“ hat Johannes Praus eine künstlerische Arbeit eingereicht, die in beeindruckender Weise einmalige Charaktere und Begebenheiten im Kontext sozialer Widersprüche spiegelt. Die Arbeit von Nikos Tzanakis Papadakis beschäftigt sich in einem originellen Ansatz mit dem philosophischen Thema Logik und Geschichte in der Kritik der politischen Ökonomie bei Karl Marx. Inga Filicitas Jensen stellt nicht nur einen historischen Vergleich der Protestbewegungen gegen Zwangsräumungen gegen Ende der Weimarer Republik und seit 2007 an, sondern wagt auch in beeindruckender Weise eine Methoden- und Theoriekritik gängiger Verfahren in der Bewegungs-und Protestforschung. Janette Otterstein hat in ihrer Arbeit „Intersektionalität. Sackgasse oder Grund zum Feiern?“ das versucht, was die Rosa-Luxemburg-Stiftung programmatisch vertritt, nämlich mit dem Spannungsfeld von Wissenschaft und politischer Praxis wie auch von Denkbarem und Machbarem oder Analysieren und Eingreifen produktiv umzugehen und dies für die politische Bildung verständlich aufzubereiten.
Der einstige Justizminister Brandenburgs, Volkmar Schöneburg, der als LINKEN-MdL und Jurist auch im Brandenburgischen NSU-Untersuchungsausschuss sitzt, konnte aus eigener Anschauung und Erfahrung die hohe Qualität der ausgezeichneten Arbeit in seiner Laudatio hervorheben und die Auswahl durch das Kuratorium der RLS Brandenburg begründen.
Danach hatte eine der Preisträgerinnen, Isabella Greif, das Wort. Ihre Ko-Autorin Fiona Schmidt war wegen eines Auslandsaufenthaltes verhindert. Wir dokumentieren hier ihre engagierte Dankesrede: „Sehr geehrte Damen und Herren, wir freuen uns sehr über diesen Förderpreis und möchten uns sehr herzlich bei dem Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg bedanken. Ich spreche auch für Fiona Schmidt, die sehr bedauert heute Abend nicht hier sein zu können und herzliche Grüße und ihren Dank ausrichten lässt. Unser besonderer Dank gilt denen, die wir zu dem Thema des staatsanwaltschaftlichen Umgangs mit rechter und rassistischer Gewalt interviewen durften und die uns in unserer Arbeit unterstützt haben: Dietrich Kuhlbrodt, Stephan Martin, Andrea Titz, Werner Dietrich, Ulrich Chaussy, Robert Andreasch, Antonia von der Behrens, Gideon Botsch, Heike Kleffner, die Person aus der Staatsanwaltschaft und Ayşe Güleç. Wir möchten uns auch für die anregenden Gespräche bei Lann Hornscheidt, Hajo Funke, Fritz Burschel, Doris Liebscher und Carsten Ilius bedanken.
Insbesondere seit dem Frühjahr 2015 lässt sich eine erneute Zunahme rechter und rassistisch motivierter Gewalt beobachten. Diese Entwicklungen finden im Kontext eines erstarkenden Rechtspopulismus statt, der sich auch im wachsenden Einfluss rechter Parteien und neurechter Gruppen zeigt. Die Mehrheitsgesellschaft, die Medien und die Politik versäumen es, der alltäglichen, rassistischen Gewalt deutlich entgegenzutreten. Verbände von Opfern rassistischer Gewalt weisen seit jeher auch auf den verharmlosenden Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit rechten und rassistischen Tatmotiven hin, die in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren entnannt, entkontextualisiert und entpolitisiert — oder gar nicht erst aufgenommen werden. Sie betonen die strukturell und institutionell rassistischen Dimensionen der Ermittlungen, in denen Opfer zu Täter*innen gemacht werden. Es findet eine strukturelle Ungleichbehandlung durch die Justiz statt, die dem Anspruch der Opfer auf die Aufklärung von Straftaten und allgemein ihrem Schutz nicht gerecht wird.
Schützt ein Staat seine Bürger*innen nicht vor Gewalt und Kriminalität, versäumt er es, den Rechtsfrieden zu wahren — eine der grundlegenden Voraussetzungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. In der Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus und den strukturellen Defiziten und Kontinuitäten des justiziellen Umgangs mit rechter und rassistischer Gewalt ist ein Perspektivwechsel zentral, wie ihn u.a. das NSU-Tribunal fordert. Das migrantisch situierte Wissen als einen Zugang und eine Perspektive zu begreifen, ist im Kontext rechter und rassistischer Gewalt entscheidend, um die staatlichen Narrative herauszufordern, die das Wissen und die Vielzahl an Erfahrungen von Betroffenen außen vorlassen. Der „Schaffung von Rechtsfrieden“ kommt auch der NSU-Prozess nicht nach. Und mit Blick auf Ende des Prozesses stehen wir vor der Herausforderung, dass kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex gezogen werden darf. Im Prozess wird vor allem das staatliche Narrativ über den NSU gestärkt. Die Geschichte zum NSU-Komplex schreiben hingegen die Nebenkläger*innen und ihrer Vertretung.
Die zentralen Fragen sind nach wie vor unbeantwortet: Wie wurden die Opfer ausgesucht? Gab es Helfer*innen an den Tatorten? Wie groß war das Netzwerk von Mitwisser*innen, Unterstützer*innen und möglicherweise sogar Mittäter*innen? Was wussten die Sicherheitsbehörden und Ihre V‑Leute in mehr oder weniger unmittelbarer Nähe zum NSU-Kerntrio? Hätten mit dem staatlichen Wissen Morde verhindert können? Die Aufklärung des NSU-Komplexes wird von staatlichen Stellen, insbesondere und wiederholt von den Verfassungsschutzämtern und den Strafverfolgungsbehörden im Prozess und den mittlerweile 12 Untersuchungsausschüssen immer wieder limitiert. Es stellt sich die Frage nach dem staatlichen Aufklärungswillen, gerade wenn zum Schutze des Staatswohls der Quellenschutz, also das Decken der V‑Leute, über der Strafverfolgung steht.
Wie kann es weitergehen? Einen wichtigen Beitrag muss die Wissenschaft liefern. Unsere Arbeit hat gezeigt, dass eine weitergehende transdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Behörde der Staatsanwaltschaft und der BAW überfällig und notwendig ist. Vor allem aber braucht es angesichts von zum Teil 120-jährigen Sperrfristen von Verfassungsschutz-Akten zum NSU-Komplex einen langen Atem und die Auskunftsbereitschaft von aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter*innen aus den Behörden. Im Fall des Oktoberfestattentats und auch bei der Aufklärung des NSU-Komplexes waren es zum Teil private Recherchen und anwaltliche Ermittlungen, die Fragen und der Durchhaltewille der Betroffenen und Geschädigten sowie Enthüllungen durch journalistische und antifaschistische Investigation, die offene Fragen zu beantworten halfen und nicht die pflicht- und rechtmäßigen Ermittlungen der Behörden. Im Gegenteil: Nicht-Ermittlung durch die BAW und offene, kriminelle Vertuschung durch die Inlandsgeheimdienste sind für das magere Ergebnis nach über 400 Prozesstagen und fast 5 Jahren Verhandlung verantwortlich.
Der staatliche Selbstschutz und die Aufkündigung des Aufklärungsversprechens dürfen nicht geduldet werden. Das ist unsere Aufgabe, wenn es um die Rechtsstaatlichkeit als Mindeststandard einer offenen Gesellschaft geht.“
Die Arbeit der Preisträgerinnen ist im Buchhandel gedruckt erhältlich. Der Band ist im Potsdamer Wissenschaftsverlag „WeltTrends“ unter der ISBN-Nummer 978−3−945878−78−1 erschienen.
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