Sowas kommt von sowas her: 8. Mai und NSU

HeilbronnGedenken Im baden-würt­tem­ber­gi­schen Heil­bronn gibt es im Stadt­zen­trum, mit­ten in der Fuß­gän­ger­zo­ne, einen his­to­ri­schen Turm, der als eine Art zen­tra­le Gedenk­stät­te für die Lei­den der Heilbronner_innen in den Krie­gen des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts betrach­tet wer­den kann. Der­lei Denk­mä­ler, meist weni­ger monu­men­tal, gibt es in fast allen Städ­ten Deutschlands.

Auf der Spit­ze des Heil­bron­ner Turms sitzt ein gol­de­ner Phö­nix, als „Sym­bol für den Über­le­bens­wil­len der durch den Bom­ben­an­griff am 4. Dezem­ber 1944 stark zer­stör­ten Stadt“. Dass sie die­sen Auf­stieg aus der Asche geschafft hat, so heißt es wei­ter, „ver­dankt die Stadt den Frau­en und Män­nern, wel­che die Schre­cken des Krie­ges und des Natio­nal­so­zia­lis­mus über­lebt haben“.

HeilbronnGedenkKiesewetterIn dem Denk­mal in Heil­bronn wird das gan­ze Elend der deut­schen Erin­ne­rungs­kul­tur deut­lich: die gegen unan­ge­neh­me Fra­gen nach dem Hin­ter­grund des Krie­ges immu­ni­sie­ren­de Selbst­in­sze­nie­rung als Opfer eines unpo­li­ti­schen, schick­sal­haf­ten Krie­ges erspart es den Täter_innen nach ihrer eige­nen Rol­le im flugs exter­na­li­sier­ten Natio­nal­so­zia­lis­mus und im wahn­haf­ten Durch­hal­te­wil­len bis zum „Unter­gang“, zu fra­gen. Auch die Heilbronner_innen waren nur Über­le­ben­de der Schre­cken des Natio­nal­so­zia­lis­mus: eine dreis­te­re Ver­leug­nung eige­ner Ver­ant­wor­tung als „Volks­ge­mein­schaft“, jubeln­de Anhänger_innen oder gie­ri­ge Profiteur_innen von Juden­mord, Mas­sen­mord an zahl­lo­sen ande­ren Men­schen­grup­pen, von Ver­nich­tungs­krieg und Zwangs­ar­beit ist kaum denkbar.

Aber war­um bringt mich gera­de das (viel­leicht tat­säch­lich beson­ders dreis­te) Denk­mal in Heil­bronn so auf? Wenn man vom Hafen­markt­turm etwa andert­halb Kilo­me­ter wei­ter am Bahn­hof vor­bei zur The­re­si­en­wie­se geht, stößt man auf ein wei­te­res, jedoch wesent­lich unauf­fäl­li­ge­res, ja mick­ri­ges Denk­mal für die Poli­zis­tin Miché­le Kie­se­wet­ter, die hier am 25. April 2007 von Nazis ermor­det wur­de, und wei­te­re neun vom NSU Ermor­de­te. Die Täter näher­ten sich von hin­ten dem Strei­fen­wa­gen, in dem Frau Kie­se­wet­ter und ihr Kol­le­ge Mar­tin Arnold gera­de rau­chend ein Mit­tags­päu­schen ein­leg­ten. Sie töte­ten Frau Kie­se­wet­ter auf der Stel­le, ihr Kol­le­ge über­leb­te den Kopf­durch­schuss wie durch ein Wun­der. Sein Auf­tritt als Zeu­ge im NSU-Pro­zess gehör­te zu den bewe­gends­ten Momen­ten im unter­des­sen zwei Jah­re lau­fen­den Mam­mut­ver­fah­ren. Auch wenn bis heu­te nicht klar ist, wer hin­ter die­sem Mord­an­schlag auf die Poli­zis­tin und ihren Kol­le­gen steckt, gilt die offi­zi­el­le Ver­si­on der Bun­des­an­walt­schaft, dass die Täter Uwe Mund­los und Uwe Böhn­hardt gewe­sen sein sol­len, die bei­den unter­des­sen toten Ange­hö­ri­gen des so genann­ten Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds, NSU, als die unwahr­schein­lichs­te. Als sicher aber kann gel­ten, dass die­sen Mord jun­ge Men­schen ver­übt haben, die sich offen und nicht nur nament­lich auf den his­to­ri­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus beru­fen, der – glaubt man dem Denk­mal im Zen­trum – über die Deut­schen ja kam wie eine Naturkatastrophe.

Fast gro­tesk mutet es an, dass mit­ten in den Ver­such, den NSU-Kom­plex auf­zu­klä­ren, nun auch noch das 70 Jah­re ver­spä­te­te Ver­fah­ren gegen einen 93-jäh­ri­gen KZ-Scher­gen aus Ausch­witz in Lüne­burg eröff­net wird. Ihm wird Mit­tä­ter­schaft oder Bei­hil­fe zum Mord an min­des­tens 300.000 Men­schen zur Last gelegt. In Wor­ten: Dreihunderttausend.

Zum 70. Jah­res­tag der Befrei­ung der Welt von deut­scher Bar­ba­rei drän­gen sich mir die­se Ereig­nis­se als Sinn­bil­der für eine grau­en­er­re­gen­de Ver­gan­gen­heit auf, die das Land der Täter in ihrer Tota­li­tät bis heu­te erfolg­reich ver­drängt, ver­nied­licht oder beschö­nigt hat. Der Geist des Natio­nal­so­zia­lis­mus lebt in den Köp­fen ras­sis­ti­scher und mord­be­rei­ter Nazis fort, die sich selbst in des­sen Tra­di­ti­on stel­len. Und das Heil­bron­ner Denk­mal steht für mich stell­ver­tre­tend für die kul­tu­rel­le Erle­di­gung von Schuld und Ver­ant­wor­tung der Deut­schen, die den NSU erst wie­der ermög­licht hat.

Fried­rich Bur­schel ist Refe­rent der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung und für den nicht-kom­mer­zi­el­len Lokal­sen­der Radio LOTTE Wei­mar sowie NSU-Watch stän­di­ger Beob­ach­ter des NSU-Pro­zes­ses in München. 

4 Gedanken zu “Sowas kommt von sowas her: 8. Mai und NSU

  1. Auch wenn bis heu­te nicht klar ist, wer hin­ter die­sem Mordanschlag
    auf die Poli­zis­tin und ihren Kol­le­gen steckt,.…Als sicher aber kann gel­ten, dass die­sen Mord
    jun­ge Men­schen ver­übt haben, die sich offen und nicht nur namentlich
    auf den his­to­ri­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus berufen“
    Ich ver­ste­he nicht, wie­so das letz­te­re als sicher gel­ten kann, wenn das ers­te­re so völ­lig unklar ist. Wer kommt denn als natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Täter noch in Fra­ge? Müss­te man nicht bald ein­mal Namen nen­nen kön­nen, wenn man sowas behauptet?
    Ist es nicht mög­lich, dass die Poli­zis­tin nor­ma­ler Kri­mi­na­li­tät oder auch Kol­le­gen­kri­mi­na­li­tät zum Opfer gefal­len ist?

    1. Guter Punkt, lie­ber Andre­as Mül­ler: dan­ke für die Nach­fra­ge. Am schwers­ten bei der bis­he­ri­gen Ein­schät­zung des Heil­bron­ner Gesche­hens vom 25.4.2007 ist die Tat­sa­che, dass der Mord an Miché­le Kie­se­wet­ter (und der Mord­an­schlag auf ihren Kol­le­gen Mar­tin Arnold) im NSU-Beken­ner­vi­deo pro­mi­nent auf­taucht. War­um soll­ten die NSU-Leu­te das machen, wenn sie nicht irgend­ei­nen Bezug zu der Tat hät­ten. Die Bun­des­an­walt­schaft stützt ihr Behar­ren auf der allei­ni­gen Täter­schaft von Mund­los und Böhn­hardt im Wesent­li­chen dar­auf und auf eine Zeu­gen­aus­sa­ge eines Bahn­mit­ar­bei­ters. Mund­los und Böhn­hardt sol­len von jen­seits des Neckars mit Fahr­rä­dern gekom­men und nach der Tat dort­hin wie­der ver­schwun­den sein. Die sons­ti­gen Zeu­gen­aus­sa­gen sind damit jedoch in kei­ner Wei­se in Über­ein­stim­mung zu brin­gen, sie deu­ten eher dar­auf hin, dass betei­lig­te, zum Teil blut­ver­schmier­te Per­so­nen sich nach Süden Rich­tung Wert­wie­sen­park und Kol­ping­stra­ße bewegt haben. Die Beschrei­bun­gen der Per­so­nen haben kei­ne Ähn­lich­keit mit den bei­den NSU-Uwes.
      Im Raum steht also die Fra­ge, wer waren die­se Leu­te, waren sie — wor­auf das Beken­ner­vi­deo hin­deu­tet — mit dem NSU in Ver­bin­dung, lau­fen sie noch frei herum?
      Ja, es gibt noch vie­le ande­re Unge­reimt­hei­ten, etwa die Fra­ge, ob die Tat etwas mit Kie­se­wet­ters Her­kunft aus Thü­rin­gen zu tun hat­te, es mit­hin ein irgend­wie gear­te­tes Kenn­ver­hält­nis zwi­schen ihr und ihren Mödern gab? Ob ihre Ermor­dung etwas mit dem Ku-Klux-Klan zu tun hat­te, der in der Baden-Würt­tem­ber­gi­schen Poli­zei eine „Nei­gungs­grup­pe“ unter­hielt, zu der auch Kie­se­wet­ters Vor­ge­setz­ter am Tat­tag, T.H., gehört hat? Ob es Zufall ist, dass auch ein Beam­ter bei den über­aus has­tig und schlam­pig geführ­ten Ermitt­lun­gen zum Tod des Zeu­gen Flo­ri­an Hei­lig dem Klan nahe­get­stan­den haben soll? Dass auch der auf sehr außer­ge­wöhn­li­che Art ver­stor­be­ne Zeu­ge Tho­mas Rich­ter, als V‑Mann des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz „Corel­li“ genannt, eben­falls Mit­glied des KKK war, trägt noch zur Irri­ta­ti­on in die­sem Fra­gen­kom­plex bei.
      Was bleibt, ist die doch nahe­lie­gen­de Ver­mu­tung, dass die Täter Nazis waren, was zu mei­ner tat­säch­lich etwas unschar­fen For­mu­lie­rung führ­te. Aber: War­um hören die Mor­de nach Heil­bronn auf? Wie kommt es nach 9 ras­sis­ti­schen Mor­den zum Mord an der Staats­be­am­tin Miché­le Kiesewetter?
      Es ist, da gebe ich Dir recht, auch nicht aus­ge­schlos­sen, dass alles ganz anders war und hier schlicht „nor­ma­le“ kri­mi­nel­le Mör­der am Start waren? Aber das hal­te ich für eben­so unwahr­schein­lich wie die Ver­si­on der Ankla­ge­schrift: Was sol­len sol­che Mör­der sich von der Tat ver­spro­chen haben? Die Dienst­waf­fen von den bei­den? Und dafür einen Mord?
      Egal, ich wer­de mich bemü­hen, gera­de an die­sen völ­lig unkla­ren Rän­dern und Grau­zo­nen des NSU-Kom­ple­xes etwas vor­sich­ti­ger zu for­mu­lie­ren. Dan­ke noch­mal für den Hin­weis. Schö­ne Grü­ße: Fritz

    2. Guter Punkt, lie­ber Andre­as Mül­ler: dan­ke für die Nach­frage. Am
      schwers­ten bei der bis­he­ri­gen Ein­schät­zung des Heilbronner
      Gesche­hens vom 25.4.2007 ist die Tat­sa­che, dass der Mord an Michéle
      Kie­se­wet­ter (und der Mord­an­schlag auf ihren Kol­le­gen Martin
      Arnold) im NSU-Beken­ner­vi­deo pro­mi­nent auf­taucht. War­um soll­ten die
      NSU-Leu­te das machen, wenn sie nicht irgend­ei­nen Bezug zu der Tat
      hät­ten. Die Bun­des­an­walt­schaft stützt ihr Behar­ren auf der
      allei­ni­gen Täter­schaft von Mund­los und Böhn­hardt im Wesentlichen
      dar­auf und auf eine Zeu­gen­aus­sage eines Bahnmitarbeiters.
      Mund­los und Böhn­hardt sol­len von jen­seits des Neckars mit
      Fahr­rä­dern gekom­men und nach der Tat dort­hin wie­der verschwunden
      sein. Die sons­ti­gen Zeu­gen­aus­sa­gen sind damit jedoch in keiner
      Wei­se in Überein­stim­mung zu brin­gen, sie deu­ten eher dar­auf hin,
      dass betei­ligte, zum Teil blut­ver­schmierte Per­so­nen sich nach Süden
      Rich­tung Wert­wie­sen­park und Kol­ping­straße bewegt haben. Die
      Beschrei­bun­gen der Per­so­nen haben kei­ne Ähnlich­keit mit den beiden
      NSU-Uwes.

      Im Raum steht also die Fra­ge, wer waren die­se Leu­te, waren sie — wor­auf das Beken­ner­vi­deo hin­deu­tet — mit dem NSU in Ver­bin­dung, lau­fen sie noch frei herum?

      Ja, es gibt noch vie­le ande­re Unge­reimt­hei­ten, etwa die Fra­ge, ob die
      Tat etwas mit Kie­se­wet­ters Her­kunft aus Thü­rin­gen zu tun hatte,
      es mit­hin ein irgend­wie gear­te­tes Kenn­ver­hält­nis zwi­schen ihr
      und ihren Mödern gab? Ob ihre Ermor­dung etwas mit dem Ku-Klux-Klan zu
      tun hat­te, der in der Baden-Würt­tem­ber­gi­schen Poli­zei eine
      „Nei­gungs­gruppe“ unter­hielt, zu der auch Kiesewetters
      Vor­ge­setz­ter am Tat­tag, T.H., gehört hat? Ob es Zufall ist, dass
      auch ein Beam­ter bei den über­aus has­tig und schlam­pig geführten
      Ermitt­lun­gen zum Tod des Zeu­gen Flo­rian Hei­lig dem Klan
      nahe­get­stan­den haben soll? Dass auch der auf sehr
      außer­ge­wöhn­li­che Art ver­stor­bene Zeu­ge Tho­mas Rich­ter, als
      V‑Mann des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz „Corel­li“ genannt,
      eben­falls Mit­glied des KKK war, trägt noch zur Irri­ta­tion in die­sem Fra­gen­kom­plex bei.

      Was bleibt, ist die doch nahe­lie­gende Ver­mu­tung, dass die Täter
      Nazis waren, was zu mei­ner tat­säch­lich etwas unscharfen
      For­mu­lie­rung führ­te. Aber: War­um hören die Mor­de nach Heil­bronn auf?
      Wie kommt es nach 9 ras­sis­ti­schen Mor­den zum Mord an der
      Staats­be­am­tin Miché­le Kiesewetter?

      Es ist, da gebe ich Dir recht, auch nicht aus­ge­schlos­sen, dass alles
      ganz anders war und hier schlicht „nor­male“ kri­mi­nelle Mör­der am
      Start waren? Aber das hal­te ich für eben­so unwahr­schein­lich wie die
      Ver­sion der Ankla­ge­schrift: Was sol­len sol­che Mör­der sich von der
      Tat ver­spro­chen haben? Die Dienst­waf­fen von den bei­den? Und dafür
      einen Mord?

      Egal, ich wer­de mich bemü­hen, gera­de an die­sen völ­lig unklaren
      Rän­dern und Grau­zo­nen des NSU-Kom­ple­xes etwas vor­sich­ti­ger zu
      for­mu­lie­ren. Dan­ke noch­mal für den Hin­weis. Schö­ne Grü­ße: Fritz

      1. Dan­ke für die freund­li­che Ant­wort. Den Beweis­wert des Vide­os sehe ich noch nicht: es scheint mir kein exklu­si­ves Täter­wis­sen zu offen­ba­ren. Die Macher des Vide­os müs­sen also weder die Täter gewe­sen sein, noch Zugang zu Wis­sen gehabt haben, das nur die Täter haben konn­ten. Das ZOB hat das Video ja kom­plett öffent­lich gemacht: [von Fritz Bur­schel gelöscht]

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