Rezension: Kommunisten gegen Hitler und Stalin

Mar­cel Bois: Kom­mu­nis­ten gegen Hit­ler und Sta­lin. Die lin­ke Oppo­si­ti­on der KPD in der Wei­ma­rer Repu­blik. Eine Gesamt­dar­stel­lung, Klar­text­ver­lag, Essen 2014, 613 S.

Die MonBois.inddogra­fie basiert auf der im Juli 2014 ver­tei­dig­ten Dis­ser­ta­ti­on des Autors. Nach dem Stu­di­um des Kom­pen­di­ums ist man geneigt, der selbst­be­wuss­ten Behaup­tung im Unter­ti­tel zu glau­ben. Eine Gesamt­dar­stel­lung über eine Grup­pie­rung in der deut­schen Arbei­ter­be­we­gung wird vor­ge­legt, ein facet­ten­rei­cher Text über die Lin­ke Oppo­si­ti­on der KPD der Wei­ma­rer Repu­blik. Vie­le Per­so­nen, Ereig­nis­se und Doku­men­te wer­den vor­ge­stellt und bewertet.

Die bemer­kens­wer­te Aus­sa­ge. Mar­cel Bois räumt mit der ver­brei­te­ten Illu­si­on auf, die Lin­ke Oppo­si­ti­on habe vor allem aus Intel­lek­tu­el­len wie Ruth Fischer, Arca­dy Maslow, wie Wer­ner Scholem, Iwan Katz, Karl Korsch und ande­ren bestan­den, sie hät­ten nur weni­ge Anhän­ger in der Arbei­ter­klas­se beses­sen. Vor allem am Wir­ken der erst­mals gründ­lich unter­such­ten soge­nann­ten Wed­din­ger Oppo­si­ti­on wird schlüs­sig nach­ge­wie­sen: Die Lin­ke Oppo­si­ti­on war kei­ne „rei­ne Intel­lek­tu­el­len-Strö­mung.“ Sie war viel­mehr „an vie­len Orten in der loka­len Arbei­ter­be­we­gung ver­an­kert.“ (S. 525f.)

Her­vor­he­bens­wert an der Kon­zep­ti­on wie den Aus­füh­run­gen von Mar­cel Bois ist es, dass neben der chro­no­lo­gi­schen Schil­de­rung poli­ti­scher Ereig­nis­se, der Nen­nung wich­ti­ger Akteu­re und der Inter­pre­ta­ti­on zen­tra­ler Doku­men­te eine Sozi­al­ge­schich­te der Lin­ken Oppo­si­ti­on vor­ge­stellt wird. Der Autor ent­schied sich mit sei­nem metho­di­schen Ansatz bei­des zu ver­su­chen. Aus­drück­lich wird einer opu­len­ten und detail­rei­chen Dar­stel­lung des poli­ti­schen Wir­kens der lin­ken Oppo­si­ti­on der KPD ihre Sozi­al­ge­schich­te an die Sei­te gestellt. Frei­lich kann hier auf weni­ger Quel­len­ma­te­ri­al zurück­ge­grif­fen wer­den. Eine Sozi­al­struk­tur der Lin­ken wird gebo­ten, regio­na­le Unter­schie­de wer­den her­aus­ge­ar­bei­tet und die orga­ni­sa­to­ri­sche Ent­wick­lung ihrer wich­tigs­ten Grup­pie­run­gen skizziert.

Was die inhalt­li­chen Haupt­ge­gen­stän­de der Aus­ein­an­der­set­zung betrifft, sieht Mar­cel Bois in der Lin­ken Oppo­si­ti­on — bei allen Unter­schie­den der ein­zel­nen Grup­pen sowie ihrer oft beson­ders beton­ten Gegen­sät­ze unter­ein­an­der in zahl­rei­chen Ein­zel­fra­gen — in der Hal­tung zur Sowjet­uni­on „so etwas wie ein Iden­ti­tät stif­ten­des und eini­gen­des Ele­ment“ (S. 212) ihrer Poli­tik. Fol­ge­rich­tig initi­ier­ten drei der lin­ken Grup­pie­run­gen (Fischer-Maslow-Grup­pe, Wed­din­ger Oppo­si­ti­on und Ver­ei­nig­te Lin­ke) erfolg­reich eine gemein­sa­me Brief-Akti­on. Etwa 700 Per­so­nen unter­zeich­ne­ten 1926 ein Pro­test­schrei­ben gegen inner­par­tei­li­ches Dis­kus­si­ons­ver­bot über „die rus­si­sche Fra­ge“ und rigi­des dis­zi­pli­na­ri­sches Vor­ge­hen gegen ein­zel­ne Funk­tio­nä­re durch die Füh­rungs­gre­mi­en von KPD und Kom­mu­nis­ti­scher Internationale.

Was für Rosa Luxem­burg in der Zeit der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on noch selbst­ver­ständ­lich war, die Poli­tik der Bol­sche­wi­ki soli­da­risch, aber auch kri­tisch zu beglei­ten, wur­de in der Kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung ab Mit­te der 20er Jah­re zum grund­sätz­li­chen Dif­fe­renz­punkt. Her­mann Weber hat die­sen Pro­zess Sta­li­ni­sie­rung genannt. Das vor­lie­gen­de Buch lie­fert dafür eine Fül­le von Bei­spie­len aus der Geschich­te der KPD als stärks­te Sek­ti­on der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le in einem kapi­ta­lis­ti­schen Land. Ver­su­che etwa, Stand­punk­te von Leo Trotz­ki zu ver­tei­di­gen oder gar zu ver­brei­ten, gal­ten zuneh­mend als Abkehr von der gemein­sam ver­tre­te­nen Par­tei­li­nie. Alles, was die sowjet­rus­si­sche Regie­rung und die füh­ren­de Par­tei beschloss und tat, galt hin­ge­gen immer rigo­ro­ser als von vorn­her­ein rich­tig und des­halb nicht diskutierenswert.

Hier nur ange­merkt sei, dass die lin­ken Abweich­ler vom KI-Kurs in Deutsch­land — wie auch ana­log die rech­ten (Brand­ler, Thal­hei­mer und ande­re) – auf­op­fernd gegen den Faschis­mus auf dem Vor­marsch und dann auch an der Macht kämpf­ten. Bei­den Frak­tio­nen der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung in Deutsch­land wur­de dies nach 1945 bekann­ter­ma­ßen kaum honoriert.

Das umfang­rei­che Buch (ver­se­hen auch mit einem leser­freund­li­chen Anhang) regt kaum zu Kür­zungs­vor­schlä­gen an. Auch das spricht für die Mono­gra­fie! Eher wünsch­te man sich nun eine Über­blicks­dar­stel­lung der Geschich­te der nicht sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Lin­ken in Deutsch­land (West wie Ost) nach dem 2. Welt­krieg. Aber das wäre sicher ein neu­es Buch, min­des­tens ähn­lich umfang­reich wie das vorliegende.

Bleibt die Emp­feh­lung: Die­ses Buch lesen und wei­ter emp­feh­len sowie und außer­dem Anre­gun­gen auf­zu­neh­men für das Fin­den heu­ti­ger lin­ker Poli­tik­an­sät­ze für die kon­ti­nu­ier­li­che Pfle­ge einer (eigent­lich selbst­ver­ständ­li­chen) Streit­kul­tur zwi­schen Men­schen, die sich alle als Lin­ke verstehen.

Horst Helas ist Mit­glied des Bun­des­spre­cher_in­nen-Rates der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Anti­fa­schis­mus der Par­tei DIE LINKE