Rezension: Das Buch zum Mandantenverrat oder Geisterfahrt im NSU-Prozess

Geis­ter­fahrt im NSU-Pro­zess: Ange­la Wie­rigs Denun­zia­ti­on „Nazis Insi­de“ im Ham­bur­ger Osburg-Verlag

Den ken­nen Sie, oder? Ein Falsch­fah­rer schal­tet den Ver­kehrs­funk ein und hört die Warn­mel­dung, dass auf der Auto­bahn ein „Geis­ter­fah­rer“ ent­ge­gen­kommt. „Einer? Hun­der­te!“, kom­men­tiert er die Durch­sa­ge empört. In unse­rer Geschich­te hier heißt die Geis­ter­fah­re­rin Ange­la Wie­rig und war Anwäl­tin einer Ange­hö­ri­gen des am 27. Juni 2001 vom NSU ermor­de­ten Ham­bur­ger Klein­un­ter­neh­mers Süley­man Taş­köprü. Sie ist es nicht mehr, ihre fas­sungs­lo­se Man­dan­tin hat ihre Neben­kla­ge ent­nervt zurück­ge­zo­gen, um Wie­rig nach vier­ein­halb Jah­ren Pro­zess los­zu­wer­den, nach­dem sie am 396. Pro­zess­tag Ende 2017 mit dem Inhalt ihres Plä­doy­ers bereits für einen Eklat gesorgt hat­te. Sie hat­te dar­in so mir nichts, dir nichts die Exis­tenz eines „insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus“ im NSU-Kom­plex geleug­net und einen Frei­spruch für den Ange­klag­ten Ralf Wohl­le­ben gefor­dert, der den Kauf der Tat­waf­fe Ces­ka 83 für die ras­sis­ti­sche Mord­se­rie des NSU in Auf­trag gege­ben und bezahlt haben soll und der der Ankla­ge­be­hör­de als „Mas­ter­mind“ hin­ter dem NSU gilt.
Weni­ge Wochen nach ihrem bizar­ren Abgang im OLG Mün­chen erschien nun das Buch zum Eklat. Man braucht ein gerüt­telt‘ Maß an Affekt­kon­trol­le, um das rechts­of­fe­ne Pam­phlet zu lesen. In einem uner­träg­lich selbst­ge­fäl­li­gen und zwang­haft „wit­zi­gen“ Ton, der sich herz­lich wenig um die men­schen­recht­li­chen Maß­ga­ben von „Scherz, Sati­re, Iro­nie und tie­fe­rer Bedeu­tung“ schert, „ent­hüllt“ sie, war­um alle ande­ren in der fal­schen Rich­tung unter­wegs gewe­sen sei­en in vier­ein­halb Jah­ren Pro­zess — in denen übri­gens kaum je etwas von Wie­rig zu hören war. Alle ande­ren außer ihr und Wohl­le­bens rech­ten Nazi-Sze­ne­an­wäl­ten, mit denen sie schon ger­ne mal an der Hotel­bar kun­gel­te und Rot­wein trank (S.68). „Wol­les“ (S.157) Verteidiger_innen Nico­le Schnei­ders und Olaf Klem­ke beschei­nigt sie, „ganz nor­ma­le Men­schen“ zu sein, die „sich so ihre Gedan­ken zu Deutsch­land machen“ (S. 68). An die­ser Ein­schät­zung ändert auch nichts, dass sie Nazi­pro­pa­gan­da­an­trä­ge stell­ten, die etwa nach­wei­sen soll­ten, dass „Füh­rer­stell­ver­tre­ter“ Rudolf Hess sei­nem erbärm­li­chen Leben in der Span­dau­er Haft nicht selbst ein Ende gesetzt habe, son­dern ermor­det wor­den sei. Als Sach­ver­stän­di­gen dazu woll­ten sie „His­to­ri­ker“ und NPD-Bun­des­vor­stands­mit­glied Olaf Rose hören.
Wäh­rend Wie­rig für alles, was Anti­fa und links ist und einen ange­mes­se­nen Umgang mit den Opfern des NSU for­dert, nur abgrund­tie­fen Hass übrig hat, legt sie sich für den brau­nen Auf­stand im Lan­de mäch­tig ins Zeug, basht die „Mul­ti­kul­ti-Vegan-Impf­ver­wei­ge­rer-Frak­ti­on“ und hal­lu­zi­niert ganz im Sti­le von AfD und Pegi­da ein „Rede­ver­bot für die Rech­ten“ (S. 71). Ist doch so: “… wenn es vor knapp 80 Jah­ren die Juden waren, (…) so sind es heu­te die Rech­ten“ (S. 163).
Nach der Lek­tü­re bleibt im Grun­de nur die Fra­ge, wie die Per­sön­lich­keits­stö­rung heißt, unter der die Autorin lei­det und die sie fast fünf Jah­re auf der fal­schen Sei­te gebüh­ren­fi­nan­ziert in einem Ver­fah­ren aus­har­ren ließ, in dem ihr ohne­hin zu wenig „Gesangs­ein­la­gen und Tanz“ vor­ka­men. Denn zu ger­ne wäre sie mit dem in sei­ner Leder­ja­cke „ziem­li­chen coo­len“ Bun­des­an­walt Die­mer (S.57) zum Gesamt­werk der „Böh­sen Onkelz“ durch den Saal gepogt (S. 207). Viel­leicht soll­te die Staats­an­walt­schaft statt des­sen lie­ber prü­fen, ob hier nicht eigent­lich ein Fall beson­ders fie­sen Man­dan­ten­ver­rats vorliegt.