Ein Kongress in Berlin, eine Tagung in Köln und ein Gesprächskreis in Hamburg werfen Schlaglichter auf eine verworrene Debatte
Die Wahl zum Europäischen Parlament (23.–25. Mai 2014) steht kurz bevor und vielerorts finden sich Berichte über den bevorstehenden Einzug „rechtspopulistischer“ oder extrem rechter Parteien. Der Kontinent driftet nach rechts stellte kürzlich der Bayerische Rundfunk stellvertretend für die große Mehrheit der deutschen Medien fest. Vergleichbare Debatten in der Vergangenheit lehren uns, dass, sollte es zu einem starken Zugewinn rechter Parteien kommen, nach einem kurzen Aufschrei die Thematik ziemlich schnell wieder in der Versenkung verschwinden wird. Doch eine solche öffentliche Auseinandersetzung mit der extremen Rechten ist auch per se kein Gewinn. Sehr oft wird vergessen, dass der Wahlausgang selbst nur Ausdruck und Ergebnis einer sehr viel tiefer liegenden Entwicklung ist. Einige Ansätze einer fruchtbareren Analyse zeigten sich u.a. auf der von der Interventionistischen Linken (IL) ausgerichteten und von der Rosa Luxemburg Stiftung unterstützten Konferenz „Antifa in der Krise?!“ Mitte April in Berlin und auf dem „Gesprächskreis Rechts“ der RLS im Mai in Hamburg.
Zentrale Probleme bei der öffentlichen Debatte über den Aufschwung der europäischen Rechten offenbarten sich hingegen auf einer Konferenz der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), welche sie zusammen mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland ausgerichtet hatte. „Europa auf der Kippe?“ war die zentrale Fragestellung, die gleich zu Beginn vom renommierten Politikwissenschaftler Cas Mudde verneint wurde. Er wandte sich vor allem gegen den medial oft thematisierten Zusammenhang zwischen den Folgen der europäischen Krisenpolitik und dem Abschneiden extrem rechter Parteien. Für Mudde ist dieser Zusammenhang u.a. dadurch widerlegt, dass sich in zahlreichen „Bail-Out-Ländern“(das sind die Länder, die derzeit von den Rettungsmaßnahmen der Europäischen Institutionen abhängig sind) wie etwa Zypern, Irland, Portugal oder Spanien keine nennenswerten extrem rechten Parteienstrukturen etablieren konnten. Er betonte zudem, dass sich der zu erwartende Gesamtstimmenanteil von Parteien die als „far right“ oder „radical right“ definiert werden können, nur durch die großen Stimmzuwächse in Frankreich (Front National) und Ungarn (Jobbik) von den Ergebnissen vergangener Wahlen auf europäischer Ebene abheben wird. Durch einen Vergleich der Ergebnisse der rechten Parteien bei vergangenen nationaler Parlamentswahlen versuchte er aufzuzeigen, dass nur einige der jeweils aktuellen Parteiformationen ihr höchstes Ergebnis bei den letzten nationalen Wahlen hatten, also mit Nichten von einer aktuellen Hochphase in ganz Europa ausgegangen werden könne (der vollständige Vortrag Muddes ist nachzulesen in der Schwerpunktausgaben „Europawahl 2014“ APuZ (64) 12/2014). Auf der einen Seite waren Muddes Thesen – einer Keynote angemessen – bewusst zugespitzt und geben Vertreter_innen der oft allzu schnell vorgetragenen Gleichung zwischen Krisenfolgen und rechter Mobilisierung Aufgaben auf, die es zu lösen gilt. Das ist gut, weil es hilft die Analyse weiter zu schärfen und einfachen Deutungsansätzen nicht vorschnell zu folgen. Die Blickrichtung des Beitrages jedoch zeigt, ebenso wie andere Statements auf der Konferenz und in der aktuellen medialen Betrachtung, zentrale Differenzen auf zwischen dem öffentlichen Diskurs und einer notwendigen antifaschistischen Perspektive. Denn der Focus auf den Wahlergebnissen verschließt den Blick auf die einzelnen europäischen Gesellschaften, in denen extrem rechte Parteien wirken und ihre Stimmen gewinnen. Dies tun sie in einer Stimmung, die nicht von ihnen alleine, sondern auch im Zusammenspiel mit den sogenannten „etablierten Parteien“ erzeugt wird. Zurecht wird aus antifaschistischen Kreisen regelmäßig darauf verwiesen, dass die Politik einer CDU/CSU in Deutschland oder der PP (Partido Popular) in Spanien mit ihrer rassistischen oder nationalistischen Stimmungsmache in entsprechenden Debatten einen Anteil daran hat, dass es extrem rechte Parteien schwer haben sich rechts von ihnen zu etablieren. Schlicht ignorant war in diesem Zusammenhang der Kölner Eröffnungsbeitrag von Stephan Koppelberg als Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, der in der Hauptsache darum besorgt schien, dass „Populisten und Extremisten“ die wunderbaren europäischen Institutionen zerstören könnten. Für Menschen die in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union alltäglicher rassistischer Ausgrenzung ausgesetzt sind oder als „Minderheiten“ in ihrer Entfaltung eingeschränkt oder dem Leben selbst bedroht sind, sind diese Institutionen allerdings höchstens dann relevant, wenn ihnen durch sie Schutz garantiert und effektiv die Minderheitenrechte der EU durchgesetzt werden. Ob Koppelberg diesen Aspekte meinte bleibt offen. Wenn ja, so hat er zumindest verschwiegen, dass es gerade in diesem Punkt nicht wirklich gut um die Wirksamkeit der EU-Institutionen bestellt ist. Die Berichte der zahlreichen internationalen Aktivist_innen auf dem erwähnten Kongress in Berlin waren in dieser Hinsicht ein guter Anlass, den Blick auf die Gesellschaften selbst und ihre politischen Prozesse zu konzentrieren. Nur bei einer Betrachtung der einzelnen Fallbeispiele lässt sich ein realistischer Eindruck gewinnen, ob wir es tatsächlich mit einer Zunahme rassistischer und nationalistischer Mobilisierung in Europa zu tun haben. Auf dem Antifa-Kongress in Berlin ging es um genau diese realistische Perspektive. Auch weil nicht nur auf Parteien geschaut wurde, die als „rechtsextrem“ oder „rechtspopulistisch“ gelten.
Womit ein zweiter problematischer Aspekt der aktuellen Debatte benannt wäre. Der geradezu manische Versuch der Klassifizierung der in Rede stehenden Parteien. Grafiker_innen haben mit Schaubildern und Tabellen in unterschiedlichen Print- und Onlinemedien versucht, das Parteienspektrum Europas umfassend darzustellen. Gelungen ist es selbstverständlich nicht. Zu unterschiedlich sind die Konzepte und Ansätze rechter Parteienformationen in den vielen Regionen Europas. Lässt man sich dann so sinnlose Titulierungen wie „europaskeptisch“, „europakritisch“ und „europafeindlich“ ein bisschen ausführlicher durch den Kopf gehen, wird deutlich welcher Erzählung diese Kategorisierung ausschließlich dienlich sind: Nämlich der einer Gegnerschaft zur aktuellen Krisenpolitik als Hauptproblem rechter Wahlerfolge. Auch auf den Podien der Konferenz in Köln schien es zu mühsam, die Sinnhaftigkeit der Begriffe zu überprüfen und zu analysieren, worauf genau sich die unterschiedlichen Gegenpositionen zur Europäischen Union (EU) gründen und vor allem welche vielfältigen Europaentwürfe in der extremen Rechten erkennbar sind. Die Wortwahl Koppelbergs im erwähnten Beitrag richtete sich vermutlich nicht von ungefähr auf „Extremisten und Populisten“ und war damit – der allfälligen Extremismus-Doktrin verpflichtet – spürbar auch gegen Parteien wie das griechische Linksbündnis Syriza gerichtet. Würde man die „Euroskepsis“ aufschlüsseln und konkretisieren, wären solche Vereinfachungen haltlos. Im Umkehrschluss führen sie dazu, dass Parteien wie der ungarische Fidesz von Ministerpräsident Victor Orbán, die in der Fraktion der europäischen Konservativen (EVP) organisiert sind und auf europäischer Ebene die Austeritätspolitik brav mittragen, per se aus der Betrachtung herausfallen – ungeachtet ihres völkisch-nationalen Charakters und des autoritären Umbaus der ungarischen Gesellschaft. Der Blick bleibt eben auf Brüssel fixiert. In diesem Fall auch bei Cas Mudde.
Fabian Virchow plädierte während des RLS-“Gesprächskreises“ im Mai in Hamburg dafür, dass es dringend einer umfassenden Untersuchung bedürfe, die ohne generalisierende Aussagen eine Bestandsaufnahme rechter und extrem rechter Parteien und Organisationen in Europa vornimmt. Ein überzeugender Überblick liegt trotz zahlreicher Publikationen in den letzten Jahren bisher nicht vor. Es ist anzunehmen, dass nach einer solchen detaillierten Analyse des rechten Parteien- und Organisationsspektrums auch Muddes quantitativer Vergleich rechter Wahlergebnisse anders zu lesen ist. Denn nichts ist in seiner Darstellung darüber ausgesagt, ob und wie sich Parteien in ihren Inhalten gewandelt haben und welche Schwerpunktsetzung daraus folgt. Auch ihre Wirkung als „pressure groups“, die es geschafft haben, bei Themen wie Migration die Politikentwürfe anderer Parteien nach rechts zu verschieben, sie geradezu vor sich her zu treiben, ließe sich so zielführend untersuchen.
Überhaupt mangelt es der gegenwärtigen Analyse der politischen Entwicklung vor allem am Blick auf Wechselwirkungen. Orhan Kemryan Tahir von der bulgarischen Organisation „Civil Society in Action“, die sich vornehmlich für die Rechte von Roma einsetzt, wies in Köln auf einen solchen Zusammenhang hin, der sich einem starren Blick auf Wahlergebnisse und die Zusammensetzung europäischer Institutionen zwangsläufig entzieht, jedoch die vielfältigen Auswirkungen rassistischer Mobilisierung in Europa sehr gut offenlegt: Die Bestrebungen der Bundesregierung zur Rücknahme der Freizügigkeitsregelungen für Migrant_innen aus Rumänien und Bulgarien würden in beiden Ländern mit großem Ärger verfolgt. Dieser werde v.a. gegen Angehörige der Roma-Community kanalisiert, denen die Verantwortung dafür gegeben wird, dass bulgarische Immigrant_innen einen derart schlechten Ruf haben. Der diesen Effekt auslösende antiziganistische Diskurs in der Bundesrepublik wird zwar regelmäßig von extrem rechten und „rechtspopulistischen“ Parteien aufgegriffen, kennt dabei aber keine Partei- und Millieugrenzen und wird von Regierungsparteien ebenso wie in den Mainstreammedien befeuert.
Trotz der Anwesenheit vieler Expert_innen aus den unterschiedlichen Ländern ist es auf der Konferenz in Köln nicht gelungen, Kooperationen, internationale Vernetzung und Lernprozesse in der extremen Rechten aufzuzeigen und zu diskutieren. Hier scheint aber auch auf Seite der antifaschistischen Bewegung noch großer Nachholbedarf zu bestehen, denn die Zusammenführung der Diskussionen und die Weiterführung der internationalen Debatten an konkreten Aspekten erwies sich auch auf dem Kongress in Berlin eher als Zukunftsprojekt.
Dabei ist das Verständnis dieser Prozesse eine Grundvoraussetzung sowohl für die wissenschaftliche Analyse wie für die Entwicklung antifaschistischer Strategien. In Köln fragte kaum eine/r der Wissenschaftler_innen nach Orten internationaler Strategieentwicklung in der extremen Rechten. Der jährliche extrem rechte „Unabhängigkeitsmarsch“ in Warschau oder das „Magyar Sziget“-Festival in Ungarn finden als Kristallisationspunkte extrem rechter Subkultur und außerparlamentarischer rechter Bewegungen außerhalb der antifaschistischen Bewegung überhaupt keine Berücksichtigung in den Debatten. Generationelle Veränderungen haben auch in Mittelosteuropa eine Funktionärs- und Bewegungselite in der extremen Rechten hervorgebracht, die aufgrund verbreiteter Fremdsprachenkenntnisse nicht nur untereinander, sondern im gesamten europäischen Kontext Verbindungen pflegt und Erfahrungsaustausch betreibt. Treffpunkte hierfür finden sich nach Einschätzung der Referent_innen in Berlin genau am Rande der genannten Massenevents. So gibt es offenbar die Strategie, nicht mehr nur einen Akteur zu stärken sondern verschiedene Organisationen und auf unterschiedliche Milieus ausgerichtete Akteure in der extremen Rechten aufzubauen, wie sie im Osteuropapanel in Köln für die Slowakei (Peter Ucen) und Ungarn (Attila Mong) beschrieben wurde, aber u.a. auch in Polen sichtbar ist. Dies sollte nicht als zufällige Entwicklung gesehen, sondern unter den Aspekten eines „policy transfers“ betrachtet werden. All dies wird aber nur gelingen, wenn sich die Debatte von den generalisierenden Aussagen wieder stärker den jeweiligen Regionen und Ländern und deren präziser Analyse zuwenden.
Außer Frage steht, dass auch in aktivistischen Kreisen eine internationalistische Perspektive ausgebaut und stets erneuert werden muss. In dieser Hinsicht war der Kongress in Berlin maximal ein Zwischenschritt und es bedarf viel Arbeit die dort geknüpften und verknüpften Kontakte zu pflegen. Nur dann wird es einer antifaschistischen Bewegung in Europa allerdings gelingen, Antworten auf rassistische und nationalistische Mobilisierungen zu finden. Über Wahlereignisse und Aufmerksamkeitsfenster in der öffentlichen Debatte hinaus und vor allem in diese intervenierend.