Powersharing: Was machen mit Macht?!

Macht klingt für die meis­ten erst ein­mal nach etwas, das ziem­lich weit weg ist. Nach etwas, das Vor­ge­setz­te oder Staats­ober­häup­ter haben. Tat­säch­lich geht beson­ders viel Macht von Insti­tu­tio­nen und den Men­schen aus, die dar­in hohe Posi­tio­nen beset­zen. Aber Macht­struk­tu­ren wer­den auch durch all­täg­li­che Hand­lun­gen pro­du­ziert und gestärkt. Wenn es Men­schen gibt, die auf­grund ihrer ver­meint­li­chen Her­kunft durch Ras­sis­mus dis­kri­mi­niert und aus­ge­schlos­sen wer­den, haben die­je­ni­gen die als natür­lich zuge­hö­rig gel­ten, auto­ma­tisch bes­se­re Chan­cen. Durch täg­li­che Ein- und Aus­schlüs­se wer­den man­che Men­schen dis­kri­mi­niert, ande­re haben dadurch Vor­tei­le und Privilegien.

Der Ansatz des Power­sha­ring rich­tet sich an alle die, die struk­tu­rell pri­vi­le­giert sind und ein poli­ti­sches Inter­es­se dar­an haben, die­se Struk­tu­ren hin zu einer gerech­te­ren Ver­tei­lung von Macht und Zugän­gen zu ver­schie­ben. Daher fragt der Power­sha­ring-Ansatz danach: Wie und wo kann ich mei­ne Hal­tung und mein Han­deln ver­än­dern, um mich für eine gerech­te Gesell­schaft einzusetzen?

Die­ses Dos­sier han­delt vor allem von Empower­ment im Kon­text von Ras­sis­mus­er­fah­run­gen. Es gibt aber wei­te­re Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen hin­sicht­lich Klas­se, Sexua­li­tät, Gen­der, Behin­de­rung oder Alter, die in ihrem gleich­zei­ti­gen Wir­ken (Inter­sek­tio­na­li­tät) Aus­wir­kun­gen auf unse­re täg­li­chen Erfah­run­gen haben. Zum Bei­spiel dar­auf, ob wir beim Bröt­chen­kau­fen nett und freund­lich begrüßt wer­den, auf unse­re Chan­cen auf dem Woh­nungs- und Arbeits­markt, ob wir Kin­der adop­tie­ren, um die Welt rei­sen oder unse­re Reli­gi­on frei leben können.

Kei­ne Abwehr, son­dern Verantwortung

Vie­le pri­vi­le­gier­te Men­schen sind sich ihrer Pri­vi­le­gi­en gar nicht bewusst. Denn für sie ist es ganz nor­mal, als selbst­ver­ständ­li­cher Teil der Gesell­schaft wahr­ge­nom­men und zum Bei­spiel nicht stän­dig gefragt zu wer­den, wo man selbst bzw. die Eltern oder Groß­el­tern her­kä­men. Tat­säch­lich hat All­tags­ras­sis­mus in Deutsch­land eine erschre­cken­de Nor­ma­li­tät. Die ers­te bewuss­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Ver­stri­ckung in Ras­sis­mus ist für vie­le Wei­ße sehr unan­ge­nehm. Nicht sel­ten wird daher zunächst mit Abwehr­me­cha­nis­men reagiert: «Ich hab das doch nicht so gemeint», «Das wird man ja wohl noch sagen/fragen dür­fen», «Ich bin ja kein Ras­sist, aber…» oder «Sei doch nicht so empfindlich».

Die Erkennt­nis an Ras­sis­mus – einem Sys­tem, das Men­schen kol­lek­tiv abwer­tet und ent­wür­digt – betei­ligt zu sein, erzeugt ver­ständ­li­cher Wei­se unan­ge­neh­me Gefüh­le. Beim Power­sha­ring-Ansatz geht es dar­um, ande­re Lebens­rea­li­tä­ten anzu­er­ken­nen und einen pro­duk­ti­ven Umgang mit den eige­nen Pri­vi­le­gi­en zu fin­den, etwa ange­lern­te Nor­ma­li­tä­ten in Fra­ge zu stel­len und gege­be­nen­falls auf­zu­ge­ben. Das kommt nicht Ver­bo­ten oder Vor­schrif­ten gleich, son­dern bedeu­tet einen ver­ant­wort­li­chen Umgang mit sich selbst und anderen.

Deu­tungs- und Defi­ni­ti­ons­macht aufgeben

Eine Mög­lich­keit, die­se Ver­ant­wor­tung wahr­zu­neh­men, ist ein reflek­tier­ter Umgang mit der eige­nen Spra­che. Ein popu­lä­res Bei­spiel ist die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Fra­ge «Woher kommst du?» Lei­der gehört die­se Fra­ge ein­schließ­lich pene­tran­tem Nach­boh­ren und inten­si­ver Ahnen­for­schung nach wie vor zu den täg­li­chen Kon­ver­sa­tio­nen, die Wei­ße mei­nen PoCs auf­drän­gen zu müs­sen. Dahin­ter steht die Fan­ta­sie, dass es Leu­te gebe, die schon immer hier waren und wel­che, die irgend­wann neu- und dazu-gekom­men sei­en. Wem die­se Fra­ge das nächs­te Mal unter den Nägeln brennt, der könn­te sich vor­ab ein­mal über­le­gen, was damit eigent­lich zum Aus­druck gebracht wer­den soll. Wel­che Bil­der habe ich gera­de im Kopf, und wo kom­men die wohl her?

Wer die eige­ne Neu­gier­de zügelt, hat die Chan­ce, das Gegen­über als Sub­jekt und nicht als blo­ße Pro­jek­ti­ons­flä­che der eige­nen Fan­ta­sie ken­nen­zu­ler­nen. Viel­leicht spielt für die Per­son ihre Migra­ti­ons­bio­gra­phie eine gro­ße Rol­le, viel­leicht aber auch ihre Vor­lie­be für Astro­phy­sik, schar­fes Essen oder Base-Jum­ping. Mir gefällt in die­sem Kon­text das tür­ki­sche Sprich­wort: «Fra­ge nie­man­den nach sei­ner Her­kunft, er wird sie mit sei­nen Erzäh­lun­gen offenbaren.»

Ein­schrei­ten und Türen öffnen

Ras­sis­mus wird häu­fig als Pro­blem von den­je­ni­gen ange­se­hen, die ihn aus­ba­den müs­sen. In der mas­si­ven und all­täg­li­chen Form kann Ras­sis­mus aber nur statt­fin­den, weil es täg­lich unzäh­li­ge Men­schen gibt, die ihn durch­ge­hen las­sen. Daher ist auch unpas­send, von PoC als den von Ras­sis­mus «betrof­fe­nen» zu spre­chen. Ras­sis­mus betrifft alle. Die­je­ni­gen, die struk­tu­rell bevor­zugt sind, haben jedoch das Pri­vi­leg, sich nicht zwangs­läu­fig damit aus­ein­an­der­set­zen zu müssen.

In Zei­ten, in denen in Deutsch­land Zehn­tau­sen­de mit ras­sis­ti­schen Paro­len durch die Stra­ßen zie­hen, ist die all­ge­mei­ne Ver­wun­de­rung und Alarm­be­reit­schaft wie­der ein­mal groß. Wich­tig ist aber auch, bei ver­meint­lich klei­nen Aus­gren­zun­gen und dis­kur­si­ven Brand­stif­tun­gen zu wider­spre­chen, denn die ras­sis­ti­sche All­tags­kul­tur bil­det den Nähr­bo­den für den mar­schie­ren­den Mob.

Power­sha­ring bedeu­tet eine akti­ve Hal­tung ein­zu­neh­men und sich selbst als Teil der Gesell­schaft wahr- und ernst zu neh­men. Wer sich nach Res­sour­cen im eige­nen Umfeld umsieht, wird auf vie­len Ebe­nen Mög­lich­kei­ten fin­den, sich gegen Ras­sis­mus und für die Stär­kung von Empower­ment-Ange­bo­ten ein­zu­set­zen. Sei dies in All­tags­si­tua­tio­nen wie im Super­markt, im Jugend­ver­ein oder im Freun­des­kreis, oder auf struk­tu­rel­ler Ebe­ne z.B. bei der Stel­len- oder Wohnungsvergabe.

Mit einem offe­nen Auge auf den All­tag und das Umfeld erge­ben sich zahl­rei­che Hand­lungs­mög­lich­kei­ten für Enga­ge­ment. Das bedeu­tet aber nicht zwangs­wei­se in jede Pre­sche zu sprin­gen, son­dern sich gege­be­nen­falls auch selbst zurück­zu­neh­men, um nicht für ande­re zu spre­chen. Soli­da­ri­sche Bünd­nis­ar­beit erfor­dert Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und soll­te nicht zu bevor­mun­den­der Ver­ein­nah­mung wer­den. Unsi­cher­hei­ten, ob und wann Unter­stüt­zung sinn­voll und gewünscht ist, kann meis­tens pro­duk­tiv mit einer offe­nen und fra­gen­den Grund­hal­tung begeg­net werden.

Ras­sis­mus nicht mittragen

Vor­tei­le und Pri­vi­le­gi­en die sich aus dem ras­sis­ti­schen Sys­tem für Wei­ße erge­ben ein Stück weit auf­zu­ge­ben, geschieht aus dem eige­nen Inter­es­se an einer ega­li­tä­ren Gesell­schaft und nicht etwa aus gut­mü­ti­gem Wohl­wol­len den ver­meint­lich «Ande­ren» gegenüber.

Eine anti­ras­sis­ti­sche Hal­tung zu leben, erfor­dert Anstren­gung, denn sie trifft täg­lich auf Wider­stand und Abwehr der ras­sis­ti­schen Nor­ma­li­tät. Durch den täg­li­chen bewuss­ten Aus­tritt aus der Kompliz_innenschaft mit Dis­kri­mi­nie­rung kön­nen alle dar­an mit­ar­bei­ten, dass sich Struk­tu­ren wan­deln. Ras­sis­mus wird durch die ver­än­der­te Hal­tung ein­zel­ner nicht von heu­te auf mor­gen ver­schwin­den. Aber wenn wir in einer tat­säch­lich gerech­ten und inklu­si­ven Gesell­schaft leben wol­len, ist es unser aller Auf­ga­be, Ras­sis­mus und ande­ren Dis­kri­mi­nie­run­gen die all­täg­li­che Nor­ma­li­tät zu nehmen.

 

Nata­scha Salehi-Shah­ni­an ist Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin (M.A.) und arbei­tet zu den The­men Bil­dungs­chan­cen, Ras­sis­mus, Ori­en­ta­lis­mus, Femi­nis­men of Color und Empower­ment in Berlin.

 

Wei­te­re Bei­trä­ge im Dos­sier «Empower­ment?!»:

Mar­wa Al-Rad­wany und Ahmed Shah: Mehr als nur ästhe­ti­sche Korrekturen

Pas­qua­le Vir­gi­nie Rot­ter: We can breathe

Ozan Kes­k­in­kılıç: Erin­nern ist Empowerment

Isi­do­ra Rand­jelo­vić: Rech­te statt Fürsorge

Mona El Oma­ri und Sebas­ti­an Flea­ry: «If you can’t say love…» – Ein Empower­ment-Flow zu Indi­vi­du­um, Dia­spo­ra-Com­mu­ni­ty und päd­ago­gi­scher Reflexion

Tuğ­ba Tanyıl­maz: Päd­ago­gin 2.0

Doro­thea Lin­den­berg und Eli­sa­beth Nga­ri: Von per­sön­li­chen Pro­ble­men zu poli­ti­schen Forderungen

Tahir Del­la: Schwar­ze Men­schen zwi­schen Fremd­wahr­neh­mung und Selbstbestimmung

Nuran Yiğit: Empower­ment durch Recht

Ire­ne Run­ge: Gemein­de­zu­ge­hö­rig­keit oder jüdi­sche Iden­ti­tät? Wie Eth­nie und Reli­gi­on sich ergänzen

Žakli­na Mam­uto­vič: Empower­ment ist ein poli­ti­scher Begriff

Fatoş Ata­li-Tim­mer und Paul Mecher­il: Zur Not­wen­dig­keit einer ras­sis­mus­kri­ti­schen Sprache

Son­gül Bitiș und Nina Borst: Gemein­sam könn­ten wir das Haus rocken!