Symposium zur Würdigung des Werkes der jüngst verstorbenen Birgit Rommelspacher
Unerwartet und plötzlich ist Birgit Rommelspacher gestorben: Am 16. April dieses Jahres im Alter von 69 Jahren in Frankfurt. Dort hatte sie an der Goethe-Universität Tage zuvor eine Seniorprofessur angetreten. Anfang Juli fand im Audimax der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin-Hellersdorf nun eine Gedenkveranstaltung statt, die Birgit Rommelspacher als Mensch und ihr Werk als Aktivistin und Wissenschaftlerin würdigte. Rommelspachers intellektueller Scharfsinn in der Gesellschaftsanalyse und ihre gerechten sowie mutigen Forderungen, ihre störende und auch selbstreflektierende Kritik hätten ohne ihre soziale Kompetenz die Anwesenden nicht derart nachdrücklich verändert. Durch ihr Leben inmitten der Menschen, die am Gedenkabend zu Wort kamen, hatte sie ebenso gewiss wie mit ihrer wissenschaftlichen und politischen Arbeit einen großen Einfluss.
Zu Beginn des Abends präsentierten drei Weggefährtinnen der ASH, Iman Attia, Swantje Köbsell und Nivedita Prasad, das auf vier Stunden angelegte Programm. Die drei Frauen hatten diesen Abend lange vor Rommelspachers Tod als Festveranstaltung als Buchpräsentation geplant. Sie wollten sie an diesem Abend mit einem Sammelband überraschen. Jetzt ist das Buch ohne die darin Geehrte erschienen. «Dominanzkultur reloaded» (2015), so der Titel, umfasst Artikel zu Rommelspachers Konzept und gleichnamigen Werk «Dominanzkultur» von 1995. Darin wird die Dominanzkultur von den Autor_innen der einzelnen Beiträge aus verschiedensten Perspektiven und Zusammenhängen betrachtet. Das Buch bildet Birgit Rommelspachers Werk dadurch in dessen Breite und Differenz ab. Unter anderem finden sich Artikel, die Dominanzkultur in Verbindung mit Ableism (Swantja Köbsell, Judy Gummerich), Homonationalismus (Zülfukar Çetin), dem Porajmos (Isidora Randjelović) und im Feld der Intersektionalität analysieren.
Schon bei den Grußworten von ASH-Prorektorin Bettina Völter und den Vertreter_innen von Heinrich-Böll-Stiftung (HBS), Gitti Hentschel, und Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), Koray Yılmaz-Günay und Katharina Pühl, wurde die besondere Stimmung an diesem Abend deutlich. Für Völter sei das Ziel dieser Veranstaltung, eine Kollegin zu würdigen. Birgit Rommelspacher habe Spuren an der ASH hinterlassen und dieser zu Ansehen verholfen, weshalb die ASH ihr viel zu verdanken habe. Hentschel, die ehemalige Frauenbeauftrage an der AHS, bezeichnete sich selbst als «langjährige Birgit-Verbündete». Sie drückte ihre Verwunderung darüber aus, dass jungen Studierenden, selbst im Bereich Gender Studies, teilweise der Name Rommelspacher nicht mehr geläufig sei. Das Gedenken an diesem Abend zielte für sie daher auch darauf ab, Rommelspacher wieder breiter im gesellschaftlichen und feministischen Diskurs zu rezipieren. Neben deren gesellschaftspolitischen Analysen erwähnte sie mit Nachdruck die starke Praxisorientierung im Werk der Verstorbenen. Rommelspacher habe eine generell positive Haltung gegenüber den Menschen eingenommen und habe ihre Fassungslosigkeit gegenüber «gemeinen Menschen» strategisch in ihrer Arbeit kanalisieren können.
Im Anschluss betonte Koray Yılmaz-Günay von der RLS, was nach ihm zahlreiche andere im Verlauf des Abends aufgriffen und bestätigen: Birgit Rommelspacher begegnete Menschen «auf Augenhöhe». Seine Kollegin Pühl erinnerte an die enge Verknüpfung von Rommelspachers theoretischem Herangehen mit Überlegungen zu politischer Praxis und Handlungsfähigkeit. Für Pühl seien viele von Rommelspachers Ideen daher Teil der politischen Weiterbildung, weshalb sie von einem «Weiterarbeiten im Geiste von Birgit Rommelspachers» sprach.
In der darauf folgenden Einführung in Rommelspachers wissenschaftliches Lebenswerk stand gemäß dem Titel des Sammelbands das Konzept der Dominanzkultur im Mittelpunkt. Wie in «Dominanzkultur reloaded» ging es um verschiedene Formen der Diskriminierung: von Rassismus über Heteronormativität bis Ableism. Mit-Initiatiorin Köbsell hob hervor, Rommelspachers «Dominanzkultur» habe Mitte der 1990er Jahre in vielerlei Hinsicht «Pionierarbeit» geleistet, insbesondere im darin enthaltenen Kapitel zu «Behindertenfeindlichkeit», die inzwischen unter dem Schlagwort Ableism gefasst wird. Bis zuletzt arbeitete Rommelspacher zum Thema Säkularismus, wobei sie einen christlichen Säkularismus als Kern der gegenwärtigen Dominanzkultur ausmachte, in dem die Kirchen als eine ethnische Instanz fortbestünden.
Im Laufe des Abends wurden am Podium zahlreiche Begegnungen, teilweise sehr individueller und kurzweiliger Art, mit Birgit Rommelspacher geschildert. Nach einem Schubert-Intermezzo am Klavier bot sich in einem «Open Space» spontan Gelegenheit, dem Publikum, in dem auch die Lebensgefährtin Rommelspachers und andere Familienangehörige anwesend waren, persönliche Worte über die Verstorbene zu sagen. Dabei tauchten auch Relikte von Rommelspachers legendären «Werkstattgesprächen» auf. So nannte sie Abende, zu denen sie Studierende einlud, um über Themen gemeinsam nachzudenken und sich auszutauschen. Ein selbstgemachtes Ankündigungsplakat zum Thema «Frauen und Rechtsextremismus» dokumentierte – datiert auf den 10.1.1990 – ihre dialogorientierte Arbeit mit Studierenden auf Augenhöhe.
Daran anschließend folgten drei wissenschaftliche Vorträge. Isidora Randjelović, Judy Gummich und Sabine Hark, die alle drei auch mit Artikeln im Sammelband «Dominanzkultur reloaded» vertreten sind, begannen ihre jeweiligen Präsentationen jedoch ebenso mit persönlichen Bezügen zu Birgit Rommelspacher. Randjelović etwa war selbst Studentin bei ihr gewesen und sagte, dass es Rommelspacher selbst vermutlich nicht klar gewesen sei, welche große persönliche Bedeutung sie auf sie als Studentin gehabt habe.
Den Abschluss bildete eine szenische Lesung von Esther Dischereits «Blumen für Otello – Über die Verbrechen von Jena» (2014), vorgetragen von Dischereit selbst und İpek İpekçioğlu. Mit «Blumen für Otello» macht Dischereit mit poetischen Klageliedern die Opfer der rassistischen NSU-Morde und ihrer Angehörigen sichtbar. Ihre Kollegin İpekçioğlu war ebenfalls Studentin an der AHS bei Birgit Rommelspacher und betonte vor der Lesung, Rommelspacher habe ihre Autorität als Professorin an einer Hochschule mit ihrer Menschlichkeit ausgefüllt.
Rommelspachers Wirken als Wissenschaftlerin und politische Aktivistin (und öfters auch als Hobbyköchin für ihre Freund_innen) sowie ihre hohe soziale Kompetenz wurden von den Redner_innen an diesem Abend immer wieder mit Dankbarkeit gewürdigt. Sie wurde in den Erzählungen ihrer Mitmenschen als eine integre Frau gezeichnet, welche ihre Ideale und Prinzipien unabhängig von Nachteilen vertrat. Viel Bewunderung ihr gegenüber und auch zahlreiche inspirierende Gedanken gegen Diskriminierung und für ein respektvolles Miteinander waren zu vernehmen. Laut den Organisatorinnen wäre es in Rommelspachers Sinn gewesen, sich an diesem Abend sowohl auf einer theoretischen und sachlichen als auch auf einer künstlerischen, literarischen Ebene mit der Politik und Gesellschaft und dabei besonders mit den dortigen Diskriminierungen durch die «Dominanzkultur» auseinanderzusetzen. Am Ende waren fünfeinhalb Stunden dichten und anrührenden Programms vergangen, statt der geplanten vier: auch das eine Abschiedsgruß an die Verblichene.