Ein grundlegendes Interview, das alle Fragen beantwortet, die im Zusammenhang mit dem Akkreditierungsverfahren für den NSU-Prozess, das Multitasking unseres Autors Friedrich Burschel als Freier Journalist, Korrespondent für Radio LOTTE Weimar und andere Medien sowie als Referent und Mitarbeiter der Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin aufgetaucht sind. Das Interview führte Christoph Farkas vom Weimarer Studierendern-Magazin Lemma
Ich komme klassisch aus der Antifa, von Jugendzeiten an; dabei waren von Beginn an sehr konkrete Probleme mit mehr oder minder organisierten Alt- und Neonazis oder – anfangs noch häufiger – marodierenden Suff-Nazis im Vordergrund, erst über die Jahre entwickelte sich das Thema mit allen Facetten zu meinem wissenschaftlichen, publizistischen und bildnerischen Schwerpunkt. Insbesondere mein Engagement im Bereich des Antirassismus in den Jahren um die Jahrtausendwende – etwa in der Kampagne «kein mensch ist illegal» – hat mir deutlich gemacht, dass ein reiner Abwehr-Antifaschismus, der sich nur mit den Nazis, ihrem Denken, ihrer Gewalt, der Musik und der Farbe der Schnürsenkel auseinandersetzt, zu kurz greift. Mit einer Prozessbeobachtungsgruppe, mit der ich heute noch eng zusammenarbeite und aktuell den Erinnerungs-Blog RE:Guben betreibe, habe ich 1999/2000 den sog. Gubener Hetzjagdprozess vor dem Landgericht Cottbus über 83 Verhandlungstage verfolgt und dokumentiert. Uns ist damals noch einmal sehr klar geworden, was für ein tragischer Irrtum darin liegt, Nazi-Umtriebe und gesellschaftlichen, aber auch staatlichen Rassismus getrennt zu denken: bis heute sind das im Grunde unterschiedliche Szenen, die sich um die Themen kümmern, was dann ja auch dazu geführt hat, dass etwa der Blick für die Hintergründe der NSU-Morde und der darin waltende haarsträubende Rassismus gegenüber den Betroffenen der Anschläge und den Hinterbliebenen der Erschossenen auch für viele von «uns» verstellt gewesen ist…
Sie sind als einstiger Chefredakteur auch heute noch eng mit Radio Lotte verbunden. Wie ist Ihre gemeinsame Geschichte mit dem Medium?
Um das kurz klar zu stellen: ich war nur wenige Monate Interims-Chefredakteur von Radio Lotte, weil ich da gerade arbeitslos war und so einspringen konnte als eine Besetzungslücke entstanden war. Das war im Jahr 2008. Die wichtigste Zeit war die, als ich die «Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus» bei Radio Lotte innehatte. Gefördert aus dem Bundesprogramm Civitas – Stichworte: Kanzler Schröder, «Aufstand der Anständigen», «Bundesantifasommer» etc. — war diese Stelle damals direkt beim Weimarer Stadtradio angesiedelt und so konnte Lotte nicht nur sein ohnehin starkes Engagement im Bereich von Anti-Nazi-Aktionen weiter vertiefen und ausbauen. Nazi-Aufmärsche und Umtriebe gab es zu dieser Zeit in Weimar genug: unter den Anmeldern damals übrigens auch das eine oder andere Mal Ralf Wohlleben, der als NSU-Unterstützer heute in München mit angeklagt ist. Aber auch die Weimarer Szene, zeitweilig mit einer ziemlich aggressiven, aber nicht blöden Kameradschaftsführerin oder dem Chef des «Nationalen Widerstands Weimar», der als Jugendlicher Ende der 1990er einen vietnamesischen Gemüsehändler am Graben niedergestochen und schwer verletzt hatte, hatte genug zu bieten: es tauchten unter anderem Fotos der Gruppe auf, wo sie im Wald schwarz vermummt und maskiert mit Waffen und Baseballschlägern posierten… Also, die Tendenz zu dem, was wir jetzt als NSU vor Augen haben, war in der Thüringer Szene eine generelle Tendenz, wenn vielfach auch einfach nur als Pose. Radio Lotte war als Stadtradio mit wöchentlichen Beiträgen zum Thema dabei oder auch als Demo-Radio mit Sondersendelizenz – da gab es tolle Aktionen direkter Kommunikation zwischen den Anti-Nazi-Protesten auf der Straße und dem Sendestudio, damals noch am Herderplatz. Mir geht das Herz auf, wenn ich an die Live-Einlage der Sängerin Etta Scolo denke, die damals in Weimar zu Gast war und für uns 600 Gegendemontrierenden «Bella Ciao» sang, was auch über den Äther lief. Sternstunden!
Wie stehen Sie zu Bürgerfunk im Allgemeinen? Für welche Medien berichten Sie noch?
Bürgerfunk, Freie Radios, Offene Kanäle, nicht-kommerzielle Internetradios sind unterschätzte und wenig beachtete Medien, die eine enorme Bedeutung für die Alltagskultur in den Gemeinwesen haben. Die sehr nahe Anbindung von und unmittelbare Kommunikation zwischen dem Sender und seinen Hörerinnen und Hörern knüpft an die tollsten Möglichkeiten des Mediums im Brechtschen Sinne an: die Schwelle, da mal hinzugehen, etwas beizutragen, sich fortzubilden oder einfach auch mit mit einem Anliegern, einem Projekt lokal, regional in die Öffentlichkeit zu gehen, ist sehr niedrig und ermöglicht eine sehr rezipientennahe Kommunikation im Gemeinwesen. Bürgermedien werden auf gesetzlicher Grundlage – neben öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk – als dritte Säule des Rundfunks angeboten und leider sehr häufig in der Wahrnehmung übersehen: das wird ihrer Rolle keinesfalls gerecht.
Rund um Radio Lotte ist jetzt eine Art Pool entstanden, an den bislang über zwanzig andere Bürgerradios, Bürger-TV-Sender und Freie Radios angeschlossen sind, die auf die Beiträge zum Prozess zugreifen können. Das ergibt dann doch eine ganz hübsche Reichweite…
Aber ich schreibe auch für ein paar andere linke Medien wie analyse und kritik oder hinterland und natürlich – vertiefend – auch für meinen Arbeitgeber, die Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin. Entscheidend ist dabei, dass ich das als unabhängiger Beobachter ohne materielle Interessen tue und allfällige Honorare an unsere Partner von NSU-Watch weiterreiche…
Ich kann mir vorstellen dass die Reiseplanungen rund um den Prozess (wie zuletzt durch die kurzfristige Vertagung) ziemlich problematisch sind. Wie und wie oft pendeln Sie nach München, mit was für einer Prozessdauer rechnen Sie?
Na, der Prozess ist bisher schon auf 2 ½ Jahre angesetzt, das könnte u.U. auch mehr werden (vor allem, wenn das Gericht weiterhin mal so eben ein paar Termine aufhebt ;-); es war für mich, der ich ja in beiden Akkreditierungsrunden erfolgreich war, von vornherein klar, dass ich nicht ständig im Gerichtssaal präsent sein können würde. Es wäre lebensfern, etwas anderes zu erwarten oder zu verlangen: ich lebe und arbeite in Berlin und werde zwar so oft wie möglich nach München fahren – ich komme ja auch aus der Gegend – aber sicher selten häufiger als einen Tag in der Woche. Ich bin sehr froh, mit den Kolleginnen und Kollegen von NSU-Watch zusammenarbeiten zu können, die ich lange kenne und deren Arbeit ich exzellent finde: wenn meine «Platzkarte» bei ihnen in München verwahrt ist, ist sie in den besten Händen. NSU-Watch ist eine Initiative unabhängiger Antifa-Recherchegruppen aus dem ganzen Land und bemüht sich, eine kontinuierliche, tägliche, unabhängige Berichterstattung aus dem Gerichtssaal sicherzustellen und wird dann auch Radio Lotte und seinen Pool bedienen…
Was sind Ihre Schwerpunkte bei der Berichterstattung? Hauptaugenmerk Ihrer Berichterstattung scheint auf der Rolle des Verfassungsschutzes zu liegen, erst kürzlich haben Sie auch zum Thema referiert. Interessant fand ich Ihre Kommentare über die Prozessbegleitung anderer Medien.
Die Performace und das Outfit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe wird sicher nicht zu meinen Schwerpunkten zählen. Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass es die Aufgabe insbesondere unabhängiger Medien sein wird, die oft überzogenen Erwartungen an das Gerichtsverfahren aufzugreifen und mit den Ergebnissen der vier Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und unabhängiger Antifa-Recherche zusammenzubringen und so ein Gesamtbild dieses Grauens zu ermitteln, das so etwas wie der Wahrheit vielleicht am nächsten kommen könnte. Das Gericht wird sich schwerlich um die Verstrickung des Staates in das NSU-Netzwerk bekümmern: das wird Aufgabe der gesellschaftlichen und medialen Auseinandersetzung und unabhängiger Recherche sein. Und dazu werden wir nach Kräften beitragen, vor allem wo es um die Rolle des sog. Verfassungsschutzes, anderer Geheimdienste (BND, MAD u.a.), ihre V‑Leute und die z.T. aufgeflogenen Vertuschungsversuche durch Innenministerien und Behörden geht. Dabei wird es unsere Aufgabe sein, uns nicht vom Klein-Klein einer Gerichtsverhandlung, ablenkendem Medienhype und den Lügen der Verantwortlichen dumm machen zu lassen.
Wie bereiten Sie sich auf Ihre Arbeit dort vor? Wie intensiv verfolgen Sie die Kommentare anderer Medien, wie ist der Austausch unter den Journalisten (auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Spottes, der LOTTE zunächst zuteil wurde)?
Ich habe nichts gegen die Kolleginnen und Kollegen und trage ihnen auch die – in Teilen verständliche – anfängliche Irritation wegen Radio Lotte nicht nach. Mit etlichen bin ich am ersten Verhandlungstag ins Gespräch gekommen, viele kenne ich als exzellente Kennerinnen und Kenner der Materie: alles kein Problem. Ein Problem ist aber der mediale Mainstream, der bestimmte Tatsachen nicht wahrhaben will oder bewusst verleugnet. So erstaunt es mich etwa, mit welcher Überheblichkeit viele der «Großen» in der Debatte auftreten, als ginge die Welt ohne die Ergüsse ihrer Edelfedern unter. Als aber noch von «Dönermorden» die Rede war, hat nicht eines dieser Medien die offizielle, durch und durch rassistische Version des Hergangs in Frage gestellt oder tatsächlich so etwas wie die vielgepriesene investigative Recherche losgetreten: nicht gerade ein Ruhmesblatt kritischen Journalismus‘ in Deutschland.
Die Verstrickung des Staates in zumindest einige der NSU-Verbrechen wird nicht nur von der Bundesanwaltschaft, sondern auch von vielen großen Medien a priori in Abrede gestellt: dem gilt es unabhängige Recherche entgegenzusetzen und gesicherte, aber verleugnete und verharmloste Erkenntnisse in der Berichterstattung stark zu machen. Das ist mein, das ist unser Job.
Können Sie ihre Arbeit beim Prozess kurz skizzieren? In einem Beitrag war schon von den Turnhallen-mäßigen Bedingungen zu hören — wie lang geht so ein Verhandlungstag?
Ganz kurz: man sitzt schwitzend auf einer Empore über dem Gerichtssaal, zu Hundertst – 50 Journalistinnen und Journalisten, 51 Zuschauende. Zwar soll die Belüftung jetzt verbessert werden, aber die ersten Prozesstage waren fast unerträglich: eingeklemmt zwischen den Kolleginnen und Kollegen balanciert man seinen Laptop auf den Knien und hackt wackelig seine Eindrücke hinein. Und die Luft wird nicht nur olfaktorisch schwerer, sondern auch dünner, denn unten im Saal hocken ja auch noch jede Menge Menschen: knapp 50 Nebenklagevertreterinnen und ‑vertreter sowie einige sie beauftragende, unerschrockene Opferangehörige, dann die 5 Angeklagten mit ihren bislang 11 Verteidigern, ein 5‑köpfiges Richterkollegium mit Ersatzleuten, 5 Vertreterinnen und Vertreter der Bundesanwaltschaft, Protokollantinnen, Justizvollzugspersonal und Polizei – Hammer! Und in den Pausen dürfen diejenigen Journalistinnen und Journalisten, die ihren Platz nicht verlieren wollen, den Saal nur in eine Art Gehege auf einem angrenzenden Treppenabsatz verlassen, wo ein Wasserspender steht und belegte Brötchen angeboten werden. Die schmalen Fenster des Gerichtssaals wurden im Zuge der Vorbereitungen und Umbaumaßnahmen kurzerhand zugemauert, was nicht gerade zum Wohlbefinden der Eingepferchten beiträgt. Drangvolle Enge auch unten, wo Zeuginnen und Zeugen auf Armeslänge neben der Hauptangeklagten zu sitzen kommen, eingekeilt zwischen den anderen Prozessbeteiligten…Eigentlich weiterhin eine Zumutung und die Frage, wie es möglich ist, dass das Gericht sich hier so hartleibig zeigt. Als gäbe es keine geeigneteren Säle in München, wo der ganze Zirkus um Akkreditierungen und Sitzungssaal nicht in so unwürdige Weise vom eigentlichen Anlass des Prozesses – zehn kaltblütigen Morden, bislang drei bekannten Sprengstoffanschlägen, einer davon in Köln mit einer grauenhaften Nagelbombe, 15 Bankraube und weitere Verbrechen – abgelenkt hätte.
Und schließlich, was sind Ihre größten Hoffnungen und Erwartungen den Prozess betreffend?
Meine Hoffnung ist, dass der Prozess dazu beiträgt, die wohl brutalste Serie rechten Terrors in der BRD mit aufzuklären und den dahinterliegenden größten Geheimdienstskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte sowie das fundamentale Problem eines erschreckend weitgehenden rassistischen Konsenses in unserer Gesellschaft zu erhellen und uns allen so Möglichkeiten an die Hand zu geben, dagegen endlich entschlossen vorzugehen. Nichts weniger sind wir den Menschen schuldig, die ermordet wurden, die von diesem Staat und seinen Stellen gegängelt und gedemütigt wurden und die als Community «mit Migrationshintergrund» in ihrem Grundvertrauen in die hiesige Gesellschaft erschüttert worden sind.