Mit Hartnäckigkeit Aufklärung erzwingen

Foto von Marco Schott Drei­ein­halb Jah­re nach dem Mord an Burak Bek­taş Ist immer noch kein Täter ermittelt

Seit drei­ein­halb Jah­ren beschäf­tigt ein Mord Ber­lin: In der Nacht vom 5. April 2012 wird im Stadt­teil Neu­kölln mehr­fach auf eine fünf­köp­fi­ge Grup­pe jun­ger Ber­li­ner mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund geschos­sen. Der Täter ent­kommt uner­kannt, zwei jun­ge Men­schen wer­den schwer­ver­letzt, eine Per­son, Burak Bek­taş (22 Jah­re), stirbt noch am Tat­ort an sei­nen Ver­let­zun­gen. Ob es sich um einen ras­sis­ti­schen Mord han­delt, ist seit­her umstritten.

Der Fall Burak Bektaş

Am Abend des 5. April tref­fen sich Burak und sei­ne Freun­de, jun­ge Män­ner aus tür­ki­schen, ara­bi­schen und rus­si­schen Einwanderer*innenfamilien im Alter zwi­schen 16 und 22 Jah­ren an der U‑Bahnstation Britz-Süd und lau­fen Rich­tung Rudo­wer­stra­ße in der Nähe des Kran­ken­hau­ses Neu­kölln. Kurz nach ein Uhr set­zen sie sich auf eine Bank. Gegen 1:15 Uhr kommt ein etwa 1,80 Meter gro­ßer Mann, beklei­det mit einem grün-schwar­zen Kapu­zen­pull­over, auf die Grup­pe zu. Unmit­tel­bar vor den Jun­gen zieht er eine Pis­to­le und feu­ert in kur­zen Abstän­den ins­ge­samt fünf Schüs­se auf die Grup­pe ab. Dann flüch­tet der Schüt­ze in eine Neben­stra­ße. Zurück blei­ben zwei Schwer­ver­letz­te und Burak , der noch vor Ort sei­nen Ver­let­zun­gen erliegt.

Sowohl zu dem Mord an Burak, als auch zu dem Über­griff über­haupt gibt es kei­ne Hin­wei­se auf das Tat­mo­tiv. Die poli­zei­li­chen Ermitt­lun­gen, eine Durch­su­chung der nähe­ren Umge­bung nach der Tat­waf­fe sowie eine aus­führ­li­che Befra­gung der Anwohner*innen bringt die Ermittler*innen nicht wei­ter. Buraks Freun­de beschrei­ben den Täter als „wei­ßen“ Mann, zwi­schen 40 und 50 Jah­ren, der zur Tat­zeit eine Müt­ze und Bart trug.

Der Mord in Neu­kölln und der NSU

Die Tat geschieht ein hal­bes Jahr nach der „Ent­tar­nung“ des „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds“ (NSU), der Jahr­zehn­te lang von den staat­li­chen Behör­den unbe­hel­ligt zehn ras­sis­ti­sche Mor­de in Deutsch­land bege­hen konn­te. Der Fall Burak weist Par­al­le­len zu der Mord­se­rie des NSU auf: Die enor­me Kalt­blü­tig­keit, die Zufäl­lig­keit sowie die Her­kunft der Opfer aus migran­ti­schen Com­mu­ni­ties. Ähn­lich den Mor­den des NSU tap­pen die Ermitt­lungs­be­hör­den seit drei­ein­halb Jah­ren im Dun­keln. So lag der Fokus zunächst auf dem „Durch­leuch­ten“ der Betrof­fe­nen nach mög­li­chen Ver­bin­dun­gen ins „kri­mi­nel­le Milieu“ und etwa­igen Pro­ble­men mit Geld, Waf­fen oder Dro­gen. Als die­se Rich­tung kei­ne Ergeb­nis­se lie­fer­ten, gerie­ten die Ermitt­lun­gen ins Sto­cken. Nach neus­ten Erkennt­nis­sen sind eini­ge Hin­wei­se jedoch nicht kon­se­quent genug ver­folgt wor­den, ähn­lich wie bei den Mor­den des NSU.

Ein ent­schei­den­der Unter­schied zu der Mord­se­rie des NSU besteht aber den­noch; Die Initia­ti­ve für die Auf­klä­rung des Mor­des an Burak Bek­tas ver­sucht durch das Schaf­fen einer kri­ti­schen Öffent­lich­keit Ein­fluss auf die Ermitt­lun­gen der Poli­zei zu neh­men. So wird durch die Bestän­di­ge Arbeit der Initia­ti­ve das Tat­mo­tiv Ras­sis­mus immer wie­der mit dem Mord in Ver­bin­dung gebracht und Ermitt­lun­gen in die­ser Rich­tung gefor­dert. Nichts­des­to­trotz sind die poli­zei­li­chen Ermitt­lun­gen auch hier nicht kon­se­quent genug. So wur­den akten­be­kann­te Neo­na­zis im direk­ten Wohn­um­feld zwar befragt, bun­des­weit agie­ren­de Neo­na­zis mit Waf­fen­schei­nen jedoch nicht wei­ter über­prüft, obwohl aus den Erfah­run­gen des NSU noch bekannt sein soll­te, dass ras­sis­ti­sche Mor­de nicht auf das nähe­re Wohn­um­feld der Täter*innen beschränkt sind.

IMG_20151005_171320Initia­ti­ve für die Auf­klä­rung des Mor­des an Burak Bektaş

Auf­grund der zeit­li­chen Nähe zum Auf­flie­gen des NSU, sowie die Ähn­lich­keit der Tat hat sich die anti­ras­sis­ti­sche und anti­fa­schis­ti­sche „Initia­ti­ve für die Auf­klä­rung des Mor­des an Burak Bek­tas“ gegrün­det. Neben der Orga­ni­sa­ti­on meh­re­rer Demons­tra­tio­nen an den Todes­ta­gen von Burak ver­an­stal­tet die Initia­ti­ve seit 2013 in regel­mä­ßi­gen Abstän­den Gedenk­kund­ge­bun­gen in Berlin.

Bei den Kund­ge­bun­gen wie kürz­lich am Mon­tag, 5.10.2015, an der U‑Bahn-Sta­ti­on Britz ‑Süd, an der sich Burak mit sei­nen Freun­den in der Tat­nacht traf, wer­den Fly­er und Info­ma­te­ria­li­en ver­teilt, die über den Mord auf­klä­ren. Dabei wer­den die Organisator_innen auch von der Fami­lie von Burak unter­stützt: Die Fami­lie soll, so das erklär­te Ziel der Initia­ti­ve, mit ihren Erin­ne­run­gen nicht allein gelas­sen wer­den. „Die gemein­sa­me Erin­ne­rung schafft Soli­da­ri­tät, was für die Fami­lie unge­mein wich­tig ist“, so Ulrich von der Initiative.

Zen­tra­le For­de­rung ist die stär­ke­re Fokus­sie­rung auf Ras­sis­mus als Tat­mo­tiv, das zwar von den Ermitt­lungs­be­hör­den angeb­lich mit­ge­dacht, aber nicht kon­se­quent genug ver­folgt wird. Der Initia­ti­ve nach könn­te die Idee des „Füh­rer­lo­sen Wider­stan­des“ eine „direk­te“ Ver­bin­dung zwi­schen den Mor­den des NSU und dem Mord an Burak sein.

White Resis­tance“ und „Füh­rer­lo­ser Widerstand“

Die in der rech­ten Sze­ne seit den 1980ern kur­sie­ren­den Mate­ria­li­en wie die „Tur­ner-Tage­bü­cher“, „Eine Bewe­gung in Waf­fen“ oder dem „White Resis­tance Manu­al“ ver­brei­ten die Idee der „Taten statt Wor­te“, in der ein­zel­ne fana­ti­sche Rassist*innen zu „Krie­gern“ im „Ras­sen­krieg“ heroi­siert wer­den und der „Füh­rer­lo­se Wider­stand“ Rechts­ra­di­ka­ler und die Orga­ni­sie­rung in Zel­len­struk­tu­ren gefor­dert wird.

Die Voll­stre­cker sehen sich als Teil einer ideo­lo­gi­schen Bewe­gung, die sich in der Pflicht sehen, den „natio­na­len Kampf“ mit Mor­den an Migrant*innen oder Vertreter*innen des Staa­tes bis zum Äußers­ten zu füh­ren. Beken­ner­schrei­ben sol­len grund­sätz­lich nicht hin­ter­las­sen wer­den, die Tat selbst soll für sich spre­chen und für Angst und Ver­un­si­che­rung bei den Betrof­fe­nen sor­gen. Es soll das Bild ver­mit­telt wer­den, immer und über­all zuschla­gen zu kön­nen. Die Aus­wahl der Opfer folgt dabei auch einem schein­bar zufäl­li­gen Mus­ter und dient wei­ter der Ver­un­si­che­rung in den migran­ti­schen Communities.

Der Mord an Burak ver­lief nach einem ähn­li­chen Mus­ter, nur durch die bestän­di­ge Arbeit der Initia­ti­ve für die Auf­klä­rung des Mor­des an Burak wer­den die­se Bezü­ge immer wie­der auch an die Öffent­lich­keit getra­gen. Ziel ist es auch wei­ter­hin durch das kon­se­quen­te Erin­nern einer mög­li­chen Auf­klä­rung näher zu kommen.

 

IMG_20151005_172657

Ras­sis­mus oder Ruhe­stö­rung als Motiv

In der letz­ten Woche bekam der Fall Burak wie­der neue Auf­merk­sam­keit. Mit­te Sep­tem­ber wur­de ein Bri­te in Neu­kölln eben­falls ohne erkenn­ba­ren Grund erschos­sen. Anders als im Fall Burak B. konn­ten die Ermitt­lungs­be­hör­den direkt nach der Tat mit einem 62-jäh­ri­gen Ver­däch­ti­gen und einer Waf­fe auf­war­ten. Zur­zeit sitzt der Tat­ver­däch­ti­ge in Unter­su­chungs­haft und schweigt zu den Anschul­di­gun­gen. Bei dem 62-jäh­ri­gen Neu­köll­ner han­delt es sich angeb­lich um einen Waf­fen­narr, der in der Nähe bei­der Tat­or­te in der Ring­bahn­stra­ße wohnt. Die Poli­zei geht von dem Tat­mo­tiv „Ruhe­stö­rung“ aus, da der 31-Jäh­ri­ge Bri­te aus einer Dis­ko­thek gekom­men ist, in der er häu­fi­ger als DJ arbei­te­te. Die Bou­le­vard-Pres­se stell­ten mög­li­che Zusam­men­hän­ge zu dem Mord an Burak her, so mut­ma­ßen sie, dass auch hier das Tat­mo­tiv Ruhe­stö­rung gewe­sen sein könn­te. Zudem scheint der Ange­klag­te Rolf Z. bereits bei den Unter­su­chun­gen zu dem Mord an Burak als mög­li­cher Ver­däch­ti­ger im Gespräch gewe­sen zu sein. Nach Anga­ben von Ermitt­lern, gab es bereits 2007 oder 2008 eine Haus­durch­su­chung bei Rolf Z. , bei der auch Patro­nen gefun­den wur­de, eine Über­prü­fung nach mög­li­chen Über­ein­stim­mun­gen mit den Pro­jek­ti­len, die auf Burak geschos­sen wur­den, fan­den jedoch nicht statt.

Anfang Okto­ber ver­kün­de­te die Staats­an­walt­schaft, dass es bis­her kei­ne erkenn­ba­ren Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Mor­den gebe, der Fall von Burak jedoch noch­mals gründ­lich geprüft wer­de. Die Burak-Initia­ti­ve kri­ti­siert das Ver­hal­ten der Staats­an­walt­schaft, da mit einer Prü­fung aller ein­ge­hen­den Hin­wei­se ein wei­te­rer Mord ver­mut­lich hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen. Sie wen­de­ten sich direkt an die Öffent­lich­keit und ver­öf­fent­lich­ten in einer Pres­se­mit­te­lung einen Fra­ge­ka­ta­log an ver­meint­li­che Zeug*innen zu der Ver­bin­dung von Rolf Z. zum Mord an Burak und ins neo­na­zis­ti­sche Milieu. Die Initia­ti­ve wird zusam­men mit der Fami­lie solan­ge wei­ter­ma­chen bis der Mord voll­stän­dig auf­ge­klärt ist. Die Hart­nä­ckig­keit scheint zu min­des­tens medi­al Erfol­ge zu haben: Der ber­lin-bran­den­bur­ger Rund­funk RBB wird ab dem 15.10.2015 wöchent­lich in einer aus­führ­li­chen Pod­cast-Rei­he  über den Mord an Burak B. Berichten.

In den nächs­ten Tagen wird hier noch ein aus­führ­li­ches Inter­view mit der Initia­ti­ve für die Auf­klä­rung des Mor­des an Burak Bek­tas veröffentlicht.