Laizität, oder: wie sag ich’s meinen deutschen Genoss_innen?

Nicht erst seit den Anschlä­gen auf die Redak­ti­on von Char­lie Heb­do und auf einen kosche­ren Super­markt, und seit alle Char­lie sind, bli­cken deut­sche Lin­ke häu­fig mit sehn­süch­ti­gen Augen nach Frank­reich, wo sie die offi­zi­el­le Tren­nung von Staat und Kir­che benei­den, die sie sich für Deutsch­land her­bei­seh­nen. Lai­zi­tät, oder Säku­la­ris­mus nach fran­zö­si­scher Art, hat eine lan­ge und kom­pli­zier­te Geschich­te, genau­so wie die vie­len ande­ren For­men der Seku­la­ri­tät, die im glo­ba­len Nord­wes­ten ent­wi­ckelt und teil­wei­se im „Rest“ der Welt umge­setzt wur­den. Die fran­zö­si­sche Repu­blik wird oft als die idea­le und defi­ni­ti­ve Tren­nung von Poli­tik und Reli­gi­on dar­ge­stellt, da sie kei­ne staat­li­chen Sub­ven­tio­nen für Reli­gi­on vor­sieht. Die­se radi­ka­le Tren­nung soll die Reli­gi­ons­frei­heit garan­tie­ren, sowie für Indi­vi­dua­li­sie­rung und Pri­va­ti­sie­rung der Reli­gi­on sor­gen. Für die deut­sche Lin­ke, die täg­lich mit der soge­nann­ten „hin­ken­den Tren­nung“ des deut­schen Säku­la­ris­mus in Form von Kir­chen­steu­ern, Reli­gi­ons­un­ter­richt an staat­li­chen Schu­len oder mit Kreu­zen in den Gericht­saa­len Bay­erns kon­fron­tiert ist, klingt es ver­lo­ckend, eine genui­ne Befrei­ung der Poli­tik von der Reli­gi­on wie in Frank­reich zu schaf­fen. Der deut­sche Staat ist – auch wenn es kei­ne offi­zi­el­le Staats­re­li­gi­on gibt – christ­lich, und macht auch kei­nen gro­ßen Hehl draus.

 Lai­zi­tät ist eine Form von Säku­la­ris­mus, die für Frank­reich spe­zi­fisch ist und gera­de auf­grund ihrer his­to­ri­schen Wur­zeln in der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on, aber auch in der Pari­ser Kom­mu­ne, deut­sche lin­ke Begeis­te­rung her­vor­ruft. Jedoch ent­hält die Lai­zi­tät auch inhä­ren­te Unvoll­kom­men­hei­ten und Ungleich­hei­ten, die auf den ers­ten Blick unsicht­bar sind, wie die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung pri­va­ter christ­li­cher und jüdi­scher Schu­len seit 1959 und die juris­ti­schen „Aus­nah­men“ inner­halb der une et indi­vi­si­ble (eins und unteil­bar) Repu­blik, wie in den Depar­te­ments Mosel­le, Haut-Rhin und Bas-Rhin. Da sie noch nicht Teil Frank­reichs sind als das Gesetz der Lai­zi­tät 1905 in Kraft tritt, bleibt in die­sen Gebie­ten die Geset­zes­la­ge des Kon­kor­dat Regimes aus dem Jahr 1801 bestehen, in dem Katho­li­zis­mus, Pro­tes­tan­tis­mus und Juden­tum vom Staat aner­kannt wer­den. In bei­den Fäl­len hat der Islam noch kei­ne Aner­ken­nung bekom­men und nur 10% der mus­li­mi­schen Schu­len bekom­men Geld vom Staat gegen­über 90% der katho­li­schen und jüdi­schen Schulen.

Wenn die Lai­zi­tät also – vor allem für Men­schen, die den reli­giö­sen Norm­vor­stel­lun­gen nicht ent­spre­chen oder nicht ent­spre­chen wol­len – erst mal nach einer guten Idee klingt, so liegt das Pro­blem unter ande­rem dar­in, dass sie seit dem Beginn des neu­en Jahr­tau­sends zu einem natio­na­len Gut erklärt wur­de, mit dem eine befürch­te­te Isla­mi­sie­rung Frank­reichs bekämpft wer­den müs­se. Es wird eben nicht über Lai­zi­tät dis­ku­tiert, wenn Rechts­ra­di­ka­le, Chris­ten und rechts­ra­di­ka­le Chris­ten die Regie­rung dazu brin­gen, das ABC der Gleich­heit[1] wie­der zurück zu neh­men. Es wird aber über Lai­zi­tät dis­ku­tiert, wenn Kopf­tuch tra­gen­de Schü­le­rin­nen aus der Schu­le aus­ge­schlos­sen wer­den, Kopf­tuch tra­gen­den Müt­tern ver­wei­gert wird, ihre Kin­der aus Schu­le und Kin­der­gar­ten abzu­ho­len oder Mäd­chen der Schu­le ver­wie­sen wer­den, weil ihre Röcke zu lang (!) seien.

Trotz der ursprüng­li­chen Absicht, die Bür­ge­rIn­nen der neu­en Nati­on im all­täg­li­chen Leben kom­plett von der Auto­ri­tät der katho­li­schen Kir­che zu befrei­en und eine Gleich­be­hand­lung für die Unter­drück­ten – Juden, Unge­tauf­te, Frei­den­ker – vor dem Gericht zu eta­blie­ren, wur­de Lai­zi­tät in der Geschich­te Frank­reichs sowohl von den Herr­schen­den als auch von poli­tisch mar­gi­na­len Grup­pen stets neu aus­ge­legt und ange­wandt. Auch wenn sie erst mit der Kom­mis­si­on Sta­si (2003) offi­zi­ell zum natio­na­len Wert erklärt wur­de, so stellt sie doch schon lan­ge eine spe­zi­fisch fran­zö­si­sche Form des Säku­la­ris­mus dar. Die Vor­stel­lung, man könn­te den Staat in einer christ­lich domi­nier­ten Gesell­schaft von sämt­li­chen reli­giö­sen Ein­flüs­sen frei hal­ten ist eine Illu­si­on. Was de fac­to pas­siert ist, dass mit dem Kampf­be­griff Lai­zi­tät seit dem neu­en Jahr­tau­send aus­schließ­lich gegen Mus­li­me vor­ge­gan­gen wird, obwohl die kon­ser­va­ti­ven bis rechts-radi­ka­len Chris­ten die viel Stär­ke­re Bedro­hung dar­stel­len. Die Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Nilü­fer Göle erin­nert dar­an, dass Lai­zi­tät immer eine dop­pel­te Bedeu­tung gehabt hat: einer­seits ging es dar­um, den Ein­fluss der reli­giö­sen Insti­tu­tio­nen auf den Staat und das Bil­dungs­we­sen zurück zu drän­gen. Ande­rer­seits ging es aber von Anfang an auch immer dar­um, ein staat­lich ver­brief­tes Recht auf Glau­bens­frei­heit zu ver­tei­di­gen und zwar für sämt­li­che Kon­fes­sio­nen. Die­ser zwei­te Teil ist bei der Natio­na­li­sie­rung der Lai­zi­tät zuneh­mend auf der Stre­cke geblie­ben. So kann man es als Kon­ti­nui­tät sehen, dass die extre­me Rech­te sich die­ses Kon­zept zu Eigen macht. Nicht nur der Front Natio­nal benutzt die Lai­zi­tät um den mus­li­mi­schen Teil der fran­zö­si­schen Bevöl­ke­rung zu diskriminieren.

Wenn fran­ko­phi­le deut­sche Lin­ke sich zu Char­lie erklä­ren, weil für sie die fran­zö­si­sche Lai­zi­tät ein anstre­bens­wer­tes lin­kes Gut ist, igno­rie­ren sie bes­ten­falls, gegen wen Lai­zi­tät in Frank­reich als Kampf­be­griff ein­ge­setzt wird und gegen wen nicht, schlimms­ten­falls tei­len sie die Posi­tio­nen des anti-Mus­li­mi­schen Ras­sis­mus: die Gren­ze zwi­schen bestimm­ten Anti­deut­schen und Pegi­da-Ras­sis­t_in­nen wird immer dün­ner. Was es braucht in der deut­schen sowie in der glo­ba­len Lin­ken, ist eine kla­re Absa­ge an Natio­na­lis­mus, eine kla­re Posi­tio­nie­rung gegen anti-Mus­li­mi­schen Ras­sis­mus und einen kri­ti­schen Blick dar­auf, wann Lai­zi­tät zur ras­sis­ti­schen Ideo­lo­gie wird.

[1] Eine Hand­rei­chung an Lehr­kräf­te zur Sen­si­bi­li­sie­rung gegen Homo­pho­bie und Geschlechterstereotype.

 

 

Cor­ne­lia Möser ist Wis­sen­schaft­le­rin am Cent­re natio­nal de la recher­che sci­en­ti­fi­que (CNRS) und asso­zi­iert am Ber­li­ner Cent­re Marc Bloch. Sie ist Autorin von « Femi­nis­mus en tra­duc­tions. Thé­o­ries voy­a­ge­u­ses et tra­duc­tions cul­tu­rel­les » das 2013 in den Edi­ti­ons des Archi­ves Con­tem­po­rai­nes in Paris erschie­nen ist.

Nur Yase­min Ural ist Dok­to­ran­din an der Eco­le des Hau­tes Etu­des en Sci­en­ces Socia­les in Paris und asso­zi­iert am Ber­li­ner Cent­re Marc Bloch. Seit Okto­ber 2015 ist sie an der Frei­en Uni­ver­si­tät als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin tätig.