«Gastarbeiterinnen» in Kärnten. Arbeitsmigration in Medien und persönlichen Erinnerungen

«Gast­ar­bei­te­rin­nen» in Kärn­ten resul­tiert aus einem For­schungs­pro­jekt an der Alpen-Adria-Uni­ver­si­tät Kla­gen­furt, das die Spu­ren der weib­li­chen Arbeits­mi­gra­ti­on unter­sucht. Es ist in drei Tei­le geglie­dert: Nach der Ein­lei­tung wird der theo­re­ti­sche Rah­men der Arbeit zu Migra­ti­on, Erin­ne­rung und Geschlecht dar­ge­stellt, dann wer­den Tages­zei­tun­gen der 1960er und 1970er Jah­re unter­sucht und zum Schluss Aus­zü­ge aus bio­gra­fi­schen Inter­views doku­men­tiert und reflektiert.

Migra­ti­on und die damit zusam­men­hän­gen­den Erfah­run­gen ver­än­dern Men­schen und Gesell­schaf­ten, im Her­kunfts- und im Ankunfts­land. Sie müs­sen, so die For­de­rung der Autorin­nen, sicht­bar gemacht und damit Bestand­teil der natio­nal­ge­schicht­li­chen Meis­ter­er­zäh­lung wer­den. Zwi­schen 1962 und 1973 wer­den in Öster­reich gezielt Arbeits­kräf­te ange­wor­ben, v.a. im benach­bar­ten Jugo­sla­wi­en. Ihre Zahl steigt von 24.000 im Jahr 1964 auf 204.000 im Jahr 1972. Dies ent­sprach ca. einem bzw. dann acht Pro­zent der abhän­gig Beschäf­tig­ten. Die Hälf­te aller «Gast­ar­bei­ter_innen» in Öster­reich waren Frau­en. Sie waren in der Regel nicht «nach­zie­hen­de Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge», son­dern migrier­ten selbst­be­stimmt. In Öster­reich herrscht sei­ner­zeit ein wirt­schaft­li­cher Boom und des­halb Arbeits­kräf­te­man­gel. Die Arbeit­ge­ber for­dern eine Libe­ra­li­sie­rung, die Gewerk­schaf­ten ein Gesetz gegen Aus­län­der­be­schäf­ti­gung. Schließ­lich wer­den die auch aus Län­dern bekann­ten Kon­tin­gent­lö­sun­gen ver­ein­bart. In Fol­ge kommt es ab Anfang der 1970er Jah­re zu einer ras­sis­ti­schen Unter- und Umschich­tung des Arbeits­mark­tes: Die «Gast­ar­bei­te­rin­nen» arbei­ten v.a. in den typisch weib­li­chen Beru­fen des schlecht bezahl­ten Dienst­leis­tungs­sek­tors, etwa der Gas­tro­no­mie und in den Indus­trie­be­ru­fen mit hohem Hand­ar­beits­an­teil. Im Gegen­zug haben Bio-Öster­rei­cher_in­nen bes­se­re Aufstiegschancen.

Nach die­ser Skiz­ze der sozio-öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen folgt der theo­re­ti­sche Teil, der deut­lich zeigt, wie eng kol­lek­ti­ve Erin­ne­rung mit Macht ver­knüpft ist. Weder per­sön­li­che Erin­ne­run­gen noch das über die Fami­lie hin­aus­rei­chen­de «kul­tu­rel­le» Gedächt­nis sind sta­tisch. Was dazu gehört und was – erst recht öffent­lich – sag­bar ist, ist einer per­ma­nen­ten Aus­ein­an­der­set­zung unter­wor­fen. In die­sem Zusam­men­hang fällt auf, dass «Gastarbeiter_innen» vom kol­lek­ti­ven Gedächt­nis aus­ge­schlos­sen sind. Die­ses natu­ra­li­siert die Nati­on und ihre Ange­hö­ri­gen auch über nicht änder­ba­re Tat­sa­chen, etwa die Haut­far­be, das Geschlecht oder den Geburts­ort. Die «ande­ren» sind aus­ge­schlos­sen und kon­stru­ie­ren durch die­sen Aus­schlie­ßungs­pro­zess die Nati­on — und die dazu pas­sen­den Erin­ne­run­gen — mit. Die Autorin­nen lie­fern hier auf weni­gen Sei­ten eine ful­mi­nan­te Über­sicht über die ein­schlä­gi­ge Debat­te zu Migra­ti­on, Macht, Erin­ne­rung und Geschlecht.

Der zwei­te Teil ist eine auf 360 Arti­keln beru­hen­de Quel­len­ana­ly­se. Die Arti­kel stam­men aus zwei Tages­zei­tun­gen, die der SPÖ bzw. der ÖVP nahe­ste­hen und deren Auf­la­ge zwi­schen 1964 und 1976 zwi­schen jeweils 25 und 40.000 schwankt. Ihr ein­deu­ti­ger Tenor ist, das «Gastarbeiter_innen» als Pro­blem dar­ge­stellt wer­den. Sie gehö­ren nicht dazu, was schon allein dar­an deut­lich wird, dass der Begriff in über hun­dert Arti­keln in deren Über­schrift steht. Gast­ar­bei­te­rin­nen wer­den oft als Opfer, «Gast­ar­bei­ter» als Täter dar­ge­stellt und die «Gastarbeiter_innen» die­nen als Gegen­fo­lie zum ein­hei­mi­schen «wir». Der hege­mo­nia­le Dis­kurs wie­der­um debat­tiert im Unter­su­chungs­zeit­raum die Eman­zi­pa­ti­on der wei­ßen öster­rei­chi­schen Frau­en, unter ande­rem durch ihre stei­gen­de Berufs­tä­tig­keit – wäh­rend Lohn­ar­beit für Migran­tin­nen längst Nor­ma­li­tät ist.

Die Inter­views im letz­ten Teil illus­trie­ren das The­ma dann noch auf eine sehr per­sön­li­che Wei­se: Sechs Frau­en berich­ten über ihre Geschich­te. Sie migrier­ten mit Hil­fe von fami­liä­ren oder freund­schaft­li­chen Netz­wer­ken. Kon­takt zu den staat­li­chen Ver­mitt­lungs­stel­len hat­te von den sechs Inter­view­ten kei­ne. Für sie waren die har­te Arbeit und der gerin­ge Lohn kei­ne Umstän­de die sie in Fra­ge stellten.

Zusam­men­ge­fasst ist «Gast­ar­bei­te­rin­nen» in Kärn­ten ein klu­ges, gut geschrie­be­nes und preis­wer­tes Buch, in dem sich wis­sen­schaft­li­che The­men und per­sön­li­che Pas­sa­gen gut ergän­zen. Sei­ne Lek­tü­re kann unein­ge­schränkt emp­foh­len wer­den. Es zeigt die Ambi­va­len­zen der «Auto­no­mie der Migra­ti­on» und noch mehr, dass Migran­tin­nen damals nicht in ers­ter Linie Ehe­frau­en und Müt­ter sind, die als Opfer unter dem Migra­ti­ons­pro­zess zu lei­den haben. Ob das natio­na­le Nar­ra­tiv nun um die Per­spek­ti­ve von Migrant_innen erwei­tert oder nicht bes­ser radi­kal kri­ti­siert wer­den soll­te, das ist dann frei­lich eine ganz ande­re Debatte.

 

Eli­sa­beth Koch, Manue­la Sarin­ger, Rose­ma­rie Schöff­mann und Vik­to­ri­ja Rat­ko­vić: «Gast­ar­bei­te­rin­nen» in Kärn­ten. Arbeits­mi­gra­ti­on in Medi­en und per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen; Dra­va Ver­lag, Kla­gen­furt 2013, 142 Sei­ten, 14,80 EUR

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