Filmpremiere: „Can’t be silent“

Konzertreise durch Lagerland

Julia Oel­kers ist mit ihrem berüh­ren­den Doku-Film „Can’t be silent“ ganz bei den „Refu­gees“

Good things come to tho­se who wait“, steht mit Edding an einer Tür in der Asyl­un­ter­kunft im baden-würt­tem­ber­gi­schen Reut­lin­gen. Hier wohn­te Sam vier lan­ge Jah­re lang. Wer die lako­ni­schen Bil­der sieht, die die Regis­seu­rin Julia Oel­kers für ihren Film „Can’t be silent“ hier ein­ge­fan­gen hat, wür­de hier nicht eine Nacht blei­ben wol­len. Man kennt die gewalt­tä­ti­ge Trost­lo­sig­keit deut­scher Flücht­lings­la­ger und ist doch immer wie­der von deren Wucht über­rascht. Und vie­le gute Din­ge sind Sam in der lan­gen Zeit auch nicht wider­fah­ren, wie der sar­kas­ti­sche Spruch an der Tür ver­spricht. Nach wie vor ist der 29-jäh­ri­ge Gam­bier von Aus­wei­sung und Abschie­bung bedroht. Nur eine „gute Sache“ ist ihm in Deutsch­land begeg­net: die Mög­lich­keit mit einem Band­pro­jekt als Musi­ker auf Tour­nee zu gehen.

Der Band­lea­der Heinz Ratz kam auf die­se Idee, nach­dem er mit dem Fahr­rad 80 Sam­mel­un­ter­künf­te für Asyl­su­chen­de in ganz Deutsch­land besucht hat­te. Er traf unter­wegs jede Men­ge begna­de­ter Musiker_innen unter den Men­schen in den deut­schen Lagern und hat sechs von ihnen für sein mul­ti­na­tio­na­les Tour­pro­jekt „Strom & Was­ser feat. The Refu­gees“ gewin­nen kön­nen: Sam, MC Nuri Ismai­l­ov aus Dage­stan, den Tromm­ler Jaques Zam­ble bi Vie (30) und den Sän­ger Reve­li­no Mon­dehi, 24 Jah­re alt, bei­de von der Elfen­bein­küs­te, Hosain Ami­ni, den 18-jäh­ri­gen afgha­ni­schen Rap­per, und die Ham­bur­ger Beat­box-Vir­tuo­sin Olga.

Und die zwei­te „gute Sache“ war, dass die­se bun­te Band von Oel­kers‘ Team und ihrem bewähr­ten Kame­ra­mann Lars Mai­baum beglei­tet wer­den konn­te. Dar­aus ist ein wun­der­schö­ner, hoch pre­kär aus Spen­den, Zuschüs­sen [unter ande­rem der Rosa Luxem­burg Stif­tung] und Crowd­fun­ding finan­zier­ter Doku­men­tar­film gewor­den, ein ergrei­fen­der Road­mo­vie mit Protagonist_innen, die zum Teil seit vie­len Jah­ren in der Fal­le des deut­schen Asyl­ver­fah­rens sit­zen. Jah­re­lang wer­den Men­schen unter gro­tesk unwür­di­gen Bedin­gun­gen in Lagern und Sam­mel­un­ter­künf­ten fest­ge­hal­ten, ihnen wird die Befrie­di­gung der ele­men­tars­ten Grund­be­dürf­nis­se der Selbst­ver­sor­gung, per­sön­li­chen Auto­no­mie und frei­en Ent­fal­tung vor­ent­hal­ten und sie wer­den gezwun­gen, ihr Leben dem mie­sen deutsch-euro­päi­schen Abschot­tungs­re­gime zu unter­wer­fen, das als „struk­tu­rel­ler Ras­sis­mus“ noch mil­de beschrie­ben ist.

Heinz hat uns geret­tet“, sagt Jac­ques Zam­ble bi Vie. „Ohne die­ses Pro­jekt wäre ich immer­zu nur im Lager, immer in Bram­sche.“ Die seit lan­gem ange­pran­ger­te „Resi­denz­pflicht“, die ihn seit vier Jah­ren in die­sem nie­der­säch­si­schen Ort fest­hält, ist eine beson­ders per­fi­de Beson­der­heit des deut­schen Asyl­ver­fah­rens­rechts. Für die Ein­hei­mi­schen mag das Leben in Bramsche/Hesepe erträg­lich sein. Für einen Flücht­ling ist es ein Gefäng­nis. Nur mit Son­der­ge­neh­mi­gung kön­nen die „Refu­gees“ auf die auf­re­gen­de Rei­se mit Ratz‘ Band „Strom & Was­ser“ gehen. Julia Oel­kers beglei­tet die Tour­nee mit einem auf­merk­sa­men und par­tei­li­chen Blick, nimmt sich viel Zeit für die erschüt­tern­den Lebens­um­stän­de der Geflüch­te­ten, denen sie im Tour­bus eine Zeit lang ent­kom­men können.

Man lernt MC Nuri ken­nen, des­sen Fami­lie seit unfass­ba­ren zehn Jah­ren im nie­der­säch­si­schen Gif­horn fest­ge­hal­ten wur­de. Nuri ist dort zur Schu­le gegan­gen und spricht fast akzent­frei deutsch. Im Film bringt er ein Lied über die­ses him­mel­schrei­en­de Leben zu Gehör. Der Film lässt den Geschich­ten der Flücht­lin­ge viel Raum und setzt deren aus­sichts­lo­se Lebens­la­gen mit dem Aus­nah­me­ereig­nis der Kon­zert­rei­se als dem „Was wäre wenn?“ ins Ver­hält­nis. Bei Betrachter_innen löst das, nach­dem die Film­hel­den ihre Her­zen erobert haben, zuneh­mend Wut und Fas­sungs­lo­sig­keit aus. Und weil Film­leu­te und Band immer mehr zu einem Team wer­den, kommt es auch an kei­ner Stel­le zu dem Miss­ver­ständ­nis, dass hier Musiker_innen als Bei­spiel gewählt wur­den, um dadurch ihre Leis­tungs­fä­hig­keit und Markt­kom­pa­ti­bi­li­tät her­aus­zu­strei­chen und so das deut­sche Abschie­be­re­gime sei­ner Inef­fi­zi­enz zu über­füh­ren, weil es dem deut­schen Unter­hal­tungs­markt sol­che Talen­te vor­ent­hält: kei­nes­wegs. Auch Heinz Ratz wird nicht als Ret­ter insze­niert, der sich der „Opfer“ ange­nom­men hat. Wir sehen hier kei­ne Opfer, son­dern Leu­te, deren Fähig­kei­ten negiert, deren Ener­gie geraubt, deren Zukunft zer­stört und deren Rech­te miss­ach­tet wer­den. Und das mit vol­ler Absicht und mit büro­kra­tisch-poli­zei­li­chen Mit­teln, dem staat­li­chen Ras­sis­mus eben, der die­se Indi­vi­du­en zu einer läs­ti­gen, anony­men Mas­se von Bitt­stel­lern degra­diert, die der Will­kür der Behör­den aus­lie­fert sind. Und die ein­fach nur wie­der ver­schwin­den sol­len, kos­te es, was es wolle.

Höhe­punkt des Films ist denn auch die Ver­lei­hung der „Integrations“-Medaille an Heinz Ratz aus den Hän­den der „Inte­gra­ti­ons­be­auf­trag­ten“ der Bun­des­re­gie­rung, Maria Böh­mer. Die Kame­ra ist dabei, Ratz spricht ein paar deut­li­che, kri­ti­sche Wor­te, das neh­men die Demokrat_innen in ihrer Libe­ra­li­tät auch ger­ne hin. Dass er die Musi­ker sei­nes Pro­jekts mit­ge­bracht hat, inter­es­siert hier nie­man­den. Sie müs­sen der Ver­lei­hung vor­ne auch fern­blei­ben, sind nur als Zaun­gäs­te des heuch­le­ri­schen Gesche­hens zuge­las­sen. Es geht auch nicht um sie, son­dern um das Enga­ge­ment eines Deut­schen für Flücht­lin­ge – das hat doch mit den Flücht­lin­gen nichts zu tun! Wer die deut­sche Gesetz­ge­bung gegen Flücht­lin­ge kennt, weiß, dass alles mög­li­che damit erreicht wer­den soll, aber mit Sicher­heit nichts, was den ohne­hin zwei­fel­haf­ten Namen „Inte­gra­ti­on“ ver­dien­te. Und Frau Böh­mer weiß das, auch als sie sich mit Hosain Ami­ni zu einem Foto zusam­men­stellt: was küm­mert sie das Schick­sal die­ses jun­gen Man­nes, was des­sen bevor­ste­hen­de Abschiebung.

Hosain Asi­ni aka MC Tre­los, den wir glück­lich bei sei­nem Auf­tritt auf dem Folk­fes­ti­val im thü­rin­gi­schen Rudol­stadt erle­ben und der sich über das Inter­net mit sei­nen afgha­nisch-spra­chi­gen Rap-Pro­test-Songs eine beacht­li­che Fan­ge­mein­de unter afgha­ni­schen Jugend­li­chen geschaf­fen hat, ist im nächs­ten Moment wie­der nur noch einer von Zehn­tau­sen­den, die von Abschie­bung bedroht sind, ein abge­lehn­ter Asyl­an­trags­stel­ler, der jede Nacht mit dem Ein­drin­gen poli­zei­li­cher Roll­kom­man­dos in sein Qua­si-Gefäng­nis rech­nen muss, wenn es gewalt­sam zum Flug­ha­fen geht.

Hosain Ami­nis Freund und Namens­vet­ter Mei­sam Ami­ni, der Hosains Clips bei you­tube ein­stell­te, lan­det zum Schluss aus­ge­rech­net in einem von Deutsch­lands schlimms­ten Abschie­be­la­gern, der ZAST im Bran­den­bur­gi­schen Eisen­hüt­ten­stadt. Der wirk­lich üble Abschie­be­knast dort ist in eine „Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung“, die ZAST eben, inte­griert und sym­bo­li­siert so den ein­zi­gen Zweck die­ser Lager in Deutsch­land: wer hier um Asyl nach­sucht, kann im Grun­de auch gleich ins Abschie­be­ge­fäng­nis durch­ge­reicht wer­den – er oder sie hat in Deutsch­land kei­ne Chan­ce. Denn obwohl die Asyl­su­chen­den die ZAST jeder­zeit ver­las­sen kön­nen, sorgt eine feind­lich-ras­sis­ti­sche Umge­bung, die ört­li­che Nazi-Sze­ne und dich­te, schi­ka­nö­se Poli­zei­kon­trol­len all­über­all dafür, dass der Flücht­ling bald wie­der „heim“ fin­det in sein „Asyl­heim“, wie die Refu­gees es im Film nen­nen. Und das ist so schon seit rund 20 Jah­ren (wie der Autor die­ser Zei­len aus eige­ner Anschau­ung bezeu­gen kann: Repor­ta­ge über Eisen­hüt­ten­stadt 1999, S. 60).

Mei­sam Ami­ni muss bald das Land ver­las­sen, den Kon­ti­nent, der ihn in Grie­chen­land mit einem Gefäng­nis emp­fing und nun über das schau­er­li­che Eisen­hüt­ten­städ­ter Gefäng­nis wie­der aus­zu­spu­cken droht, Er trifft sei­nen Freund Hosain noch ein­mal in Ber­lin bei einem Kon­zert in der Hei­lig­kreuz­kir­che in Kreuz­berg. Trä­nen flie­ßen. Bald ist die Tour zu Ende und die Büh­nen­stars keh­ren zurück in ihre zwei­fel­haf­te Exis­tenz als Men­schen zwei­ter oder kei­ner Klasse.

Die wun­der­ba­re Doku „Can’t be silent“ bleibt im Sinn mit ein­fühl­sa­men Kon­zert­auf­nah­men, wo einem etwa bei einem Solo­ge­sangs­part von Sam Gän­se­haut über den Kör­per läuft. Und mit nüch­ter­nen und scho­nungs­lo­sen Bil­dern vom staat­li­chen Schre­ckens­re­gime über Flücht­lin­ge und von aus­ge­lie­fer­ten Men­schen, die kopf­schüt­telnd und ver­wun­dert die­se hoh­le Unmensch­lich­keit und Per­fi­die schildern.

Ein Film der mobi­li­siert und wütend macht und dar­an erin­nert, dass sich die deut­sche und euro­päi­sche Abschot­tungs­po­li­tik und Flücht­lings­ab­wehr seit den 1990er Jah­ren kein Jota zum Bes­se­ren ver­än­dert hat und ent­schlos­se­nen Pro­test und akti­ve Soli­da­ri­tät mit Geflüch­te­ten, Flücht­lin­gen, Refu­gees und Migrant_innen einfordert.

 

Can’t be silent“, Doku­men­tar­film, Regie: Julia Oel­kers, Deutsch­land 2013, 85 Minu­ten. Mit einer gro­ßen Pre­mie­re star­tet der Film am 13.August im Frei­luft­ki­no Kreuz­berg in Ber­lin. Ab dem 15.8. läuft er dann im Movie­men­to, den Hacke­schen Höfen und im Licht­blick Kino in Ber­lin und in vie­len ande­ren Städ­ten. Mehr Infos zum Film, alle ande­ren Ter­mi­ne und Städ­te und den nagel-neu­en Trai­ler gibts hier.

 

Die­ser Blog-Ein­trag erscheint in bear­bei­te­ter Ver­si­on in der 23. Aus­ga­be des hin­ter­land-Maga­zins des Baye­ri­schen Flüchtlingsrates

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