Ellwangen und kein Ende. Zu den Angriffen Alexander Dobrindts auf das Grundrecht

Weiter geht es mit der Debatte zu Ellwangen. Wir dokumentieren die Pressemitteilung des Republikanischen Anwaltsverein RAV vom 7. Mai 2018
 Frontal-Angriff auf den Rechtsstaat — Alexander Dobrindt (CSU) gegen das Grundrecht auf Rechtsschutz

In der ver­gan­ge­nen Woche schei­ter­te in Ell­wan­gen der Ver­such der Direkt­ab­schie­bung eines Asyl­be­wer­bers nach Ita­li­en. Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge hat­te des­sen Asyl­an­trag zuvor als unzu­läs­sig abge­lehnt, weil es Ita­li­en für die Durch­füh­rung des Ver­fah­rens für zustän­dig hielt.

Kurz nach der geschei­ter­ten Abschie­bung rück­ten meh­re­re hun­dert, teils schwer bewaff­ne­te (Sonder-)Einheiten der Poli­zei nachts in die Lan­des­auf­nah­me­ein­rich­tung ein, um den Betrof­fe­nen fest­zu­neh­men. Die­ser befin­det sich seit­dem in Abschie­be­haft. Sein Rechts­an­walt geht davon aus, dass Ita­li­en nicht zustän­dig ist und eine Abschie­bung daher rechts­wid­rig wäre. Immer­hin 40 Pro­zent der Abschie­be­schei­de wer­den von deut­schen Gerich­ten wegen men­schen­recht­li­cher Beden­ken abgelehnt.

Der Vor­sit­zen­de der CSU-Lan­des­grup­pe im Bun­des­tag, Alex­an­der Dob­rindt, äußer­te am Wochen­en­de gegen­über der Bild am Sonn­tag: »Es ist nicht akzep­ta­bel, dass durch eine aggres­si­ve Anti-Abschie­be-Indus­trie bewusst Bemü­hun­gen des Rechts­staa­tes sabo­tiert und eine wei­te­re Gefähr­dung der Öffent­lich­keit pro­vo­ziert wird«. Wer mit Kla­gen ver­su­che, die Abschie­bung von Kri­mi­nel­len zu ver­hin­dern, so Dob­rindt, arbei­te nicht für das Recht auf Asyl, son­dern gegen den gesell­schaft­li­chen Frieden.

Weder in dem kon­kre­ten Fall, noch grund­sätz­lich geht es bei Asyl­su­chen­den um ›Kri­mi­nel­le‹, noch han­delt es sich bei medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung und Dia­gnos­tik (Stich­wort ›Gefäl­lig­keits­gut­ach­ten‹) oder bei der Rechts­ver­tre­tung von Geflüch­te­ten um eine ›Indus­trie‹. Für alle mit dem Rechts­staat in Kon­flikt befind­li­chen Per­so­nen gilt:

Die gericht­li­che Über­prü­fungs­mög­lich­keit von Behör­den­ent­schei­dun­gen ist ein zen­tra­les Ele­ment des Rechts­staats und gera­de aus die­sem Grun­de in Art. 19 Abs. 4 GG als Grund­recht jedes Men­schen for­mu­liert. Die Auf­ga­be der Anwalt­schaft ist es, den Ein­zel­nen zur Wah­rung sei­ner Grund­rech­te gegen den Staat zu schüt­zen. Damit wird der Rechts­staat nicht sabo­tiert, son­dern ver­tei­digt.

Fakt ist: Unan­ge­kün­dig­te Direkt­ab­schie­bun­gen – die Betrof­fe­nen wer­den meist mit­ten in der Nacht aus den Hei­men geholt, ihnen wird sodann über meh­re­re Stun­den ohne rich­ter­li­chen Beschluss die Frei­heit ent­zo­gen – bedeu­ten für den Abzu­schie­ben­den sowie alle übri­gen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Heims mas­si­ve Stress­zu­stän­de und lösen oft exis­ten­zi­el­le Ängs­te aus. Im Jahr 2017 gab es allein am Flug­ha­fen Frankfurt/Main 18 Fäl­le von Selbst­ver­let­zun­gen oder Sui­zi­den im dor­ti­gen Transitgewahrsam.

Oft steht zum Zeit­punkt der Abschie­bung noch gar nicht end­gül­tig fest, ob die­se recht­mä­ßig durch­ge­führt wer­den kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn noch Rechts­mit­tel gegen die Abschie­bung anhän­gig sind oder aber noch ein­ge­legt wer­den sollen.

Fakt ist: Dob­rindt argu­men­tiert ras­sis­tisch. Ohne jeden Skru­pel dis­kre­di­tiert er Geflüch­te­te zunächst in ideo­lo­gisch-mora­li­scher Hin­sicht, um ihnen sodann das Recht auf Rech­te gänz­lich abzu­spre­chen. Er legt damit die Axt an einen zen­tra­len rechts­staat­li­chen Grund­pfei­ler, die Rechts­weg­ga­ran­tie, und dif­fa­miert zugleich gezielt die Anwalt­schaft in ihrer Arbeit für die Durch­set­zung der Rech­te von Geflüch­te­ten. Mach­te man sich sei­ne Ter­mi­no­lo­gie zu eigen, dann wäre Dob­rindt bei­des: ›Gefähr­der‹ und ›Ver­fas­sungs­feind‹; er macht sich zum Vor­rei­ter eines Rechts­ver­ständ­nis­ses, das Nicht-Deut­sche aus­schlie­ßen will.

»Das, was Dob­rindt hier in völ­kisch-natio­na­lis­ti­scher Rhe­to­rik for­dert, ist nichts Ande­res als staat­lich ange­ord­ne­ter Ver­fas­sungs­bruch. Eine gan­ze Grup­pe von Men­schen soll außer­halb des Rechts gestellt wer­den – Anwäl­tin­nen und Anwäl­te, die die gericht­li­che Über­prü­fung behörd­li­cher Ein­grif­fe betrei­ben, wer­den dif­fa­miert – das ist der Auf­ruf zum Feind­recht«, so die stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de des RAV, Rechts­an­wäl­tin Fran­zis­ka Nedelmann.

»Wir wer­den die­se Men­schen selbst­ver­ständ­lich wei­ter­hin ver­tre­ten und unter Aus­schöp­fung aller Rechts­mit­tel ver­su­chen, ihre Rech­te zu wah­ren«

Dob­rindts Angrif­fe gegen die Anwalt­schaft mögen dem Buh­len um Wäh­ler am rech­ten Rand geschul­det sein. Sie offen­ba­ren sein vor­kon­sti­tu­tio­nel­les Staats­ver­ständ­nis jen­seits ver­fas­sungs­recht­lich-demo­kra­ti­scher Standards.

Für den RAV liegt die Gefähr­dung des gesell­schaft­li­chen Frie­dens in der Schaf­fung von Mas­sen­un­ter­brin­gun­gen, gesell­schaft­li­cher Iso­lie­rung, Ent­recht­li­chung von Men­schen­grup­pen durch die Ein­rich­tung sog. ›Anker­zen­tren‹, der Ent­ker­nung des Asyl- und Auf­ent­halts­rechts sowie der ver­ant­wor­tungs­lo­sen Het­ze von Tei­len der Politik.

Die enga­gier­te und kon­se­quen­te Ver­tei­di­gung der Grund­rech­te Ein­zel­ner, die selbst­ver­ständ­lich auch bei der Fra­ge einer Aus­wei­sung oder Abschie­bung Berück­sich­ti­gung fin­den müs­sen, soll durch geziel­te poli­ti­sche Inter­ven­tio­nen wie die von Dob­rindt dis­kre­di­tiert und per­spek­ti­visch abge­schafft wer­den. Hier­ge­gen gilt es sich zur Wehr zu setzen.