Ein Prozess, der uns alle angeht

Am 20.4. hat der Pro­zess gegen die Gol­de­ne Mor­gen­rö­te (Chry­si Avgi) in Athen begon­nen. Kurz dar­auf wur­de er wegen feh­len­der juris­ti­scher Ver­tre­tung eines der Ange­klag­ten unter­bro­chen und auf den 7.5. ver­tagt. Wor­um geht es in die­sem Pro­zess und wie­so ist er sowohl für Grie­chen­land, als auch für ganz Euro­pa wichtig?

Die Gol­de­ne Mor­gen­rö­te ist eine nazis­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on, aktiv in Grie­chen­land seit 1982. Etwa zehn Jah­re lang war sie eine Rand­grup­pe, die offen mit Nazi-Sym­bo­len auf­trat, aber nie als Gefahr ernst­ge­nom­men wur­de. Ihren mar­gi­na­len Sta­tus konn­te die Orga­ni­sa­ti­on erst Anfang der 1990er über­win­den, vor allem in den natio­na­lis­ti­schen Debat­ten der Zeit, die sich auf­grund des auf­kei­men­den Ras­sis­mus und des Streits über den Namen des neu­ge­grün­de­ten Bal­kan-Staats Maze­do­ni­en ent­zün­de­ten. 1998 kam es zu einem Mord­ver­such gegen drei lin­ke Stu­den­ten, seit den Nuller Jah­ren tritt die Gol­de­ne Mor­gen­rö­te als Par­tei zu Natio­nal- und Kom­mu­nal­wah­len an. Erst zehn Jah­re spä­ter stell­te sich der ers­te Wahl­er­folg ein, und zwar mit der Erobe­rung eines Sit­zes im Athe­ner Stadt­rat bei der Kom­mu­nal­wahl 2010. Es folg­te das bekann­te Wahl­er­geb­nis bei der Natio­nal­wahl 2012, wo Chry­si Avgi es schaff­te, mit­ten in der grie­chi­schen Finanz- und Poli­tik­kri­se, mit einer gro­ßen Frak­ti­on ins Par­la­ment ein­zu­zie­hen. Die Par­tei erhielt 6,98% (440.000 Stim­men) und erlang­te damit 18 Man­da­te. Die­ser rake­ten­haf­te Auf­stieg lässt sich auf ver­schie­de­ne Grün­de zurück­füh­ren, vor allem die Austeri­täts­po­li­tik seit 2009 und die damit ein­her­ge­hen­de Aus­sichts­lo­sig­keit, und Rekord­hö­he der Arbeits­lo­sig­keit, die Hilf­lo­sig­keit des Staa­tes im Umgang mit Migrant_innen seit den Neun­zi­gern, der anfangs laten­te und spä­ter offe­ne Ras­sis­mus der grie­chi­schen Gesell­schaft, die Annah­me einer neo­na­zis­ti­schen Agen­da und Rhe­to­rik durch kon­ser­va­ti­ve Par­tei­en, die Salon­fä­hig­keit einer rechts­extre­men Par­tei (LAOS) durch Regie­rungs­be­tei­li­gung, die Unter­stüt­zung von Chry­si Avgi durch bestimm­te Medi­en, die Ver­flech­tung ihrer Mit­glie­der mit staat­li­chen Insti­tu­tio­nen – vor allem die Infil­trie­rung des Poli­zei­ap­pa­rats, die Ent­wer­tung des gesam­ten poli­ti­schen Sys­tems und letzt­end­lich der Demokratie.

Ver­stärkt durch den Sta­tus einer par­la­men­ta­ri­schen Par­tei, konn­te Chry­si Avgi die Gewalt­ta­ten ihrer Sturm­trup­pen wei­ter betrei­ben: nächt­li­che Patrouil­len durch Vier­tel, in denen vie­le Migrant_innen woh­nen, Ein­schüch­te­rung, Het­ze, Angrif­fe auf Ausländer_innen, Lin­ke, Homo­se­xu­el­le, Gewerkschafter_innen, Auf­ruf zur Gewalt, Mord­ver­su­che… Im Janu­ar 2013 wur­de der paki­sta­ni­sche Arbei­ter Shehzad Luq­man auf der Stra­ße ermor­det, im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res wur­den Gewerkschafter_innen der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei (KKE) bru­tal ange­grif­fen, bis am 17.9.2013 der grie­chi­sche Anti­fa-Hip-Hop-Musi­ker Pav­los Fys­sas ersto­chen wur­de. Dies war der Punkt, an dem die dama­li­ge Regie­rung beschloss, nach einer lan­gen Peri­ode des Dul­dens, end­lich juris­tisch gegen Chry­si Avgi vor­zu­ge­hen: Kurz nach dem Mord an Fys­sas wur­de die Par­tei­füh­rung fest­ge­nom­men und die Poli­zei lei­te­te Ermitt­lun­gen ein.

Mit einer erheb­li­chen Ver­spä­tung wur­de die Ankla­ge­schrift zusam­men­ge­stellt. Auf 2.000 Sei­ten wer­den 69 Men­schen wegen Mor­des, ver­such­ten Mor­des, Gewalt­tä­tig­keit und ille­ga­len Waf­fen­be­sit­zes ange­klagt. Man­che von ihnen wer­den wegen Betei­li­gung und Füh­rung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung ange­klagt – lei­der fehlt hier die Ankla­ge wegen Grün­dung einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung, da die Staats­an­walt­schaft nur Taten nach 2008 berück­sich­tigt. In die­sem Mega-Pro­zess, der vor­aus­sicht­lich meh­re­re Jah­re dau­ern wird, wer­den drei Fäl­le gemein­sam ver­han­delt: der Mord­ver­such an den ägyp­ti­schen Fischern in Pera­ma, der bru­ta­le Angriff auf die KKE-Gewerk­schaf­ter_in­nen in Keratsini, der Mord an Pav­los Fys­sas. Dazu kommt die Ankla­ge wegen Betei­li­gung an/Führung einer kri­mi­nel­len Vereinigung.

Die Ankla­ge­schrift beinhal­tet unbe­zwei­fel­ba­re Bewei­se, dass Chry­si Avgi als eine kri­mi­nel­le Ver­ei­ni­gung mit einer stren­gen hier­ar­chi­schen Struk­tur Gewalt­ta­ten began­gen hat. Der grie­chi­sche Staat hat­te bis­her nicht nur das rech­te, son­dern bei­de Augen zuge­drückt. Jetzt gibt es die Gele­gen­heit, die gan­ze Par­tei als kri­mi­nel­le Orga­ni­sa­ti­on ein­zu­stu­fen. Die SYRI­ZA-Regie­rung hat bis­her eine gewis­se Hilf­lo­sig­keit gezeigt. Eine ers­te For­de­rung der anti­fa­schis­ti­schen Bewe­gung ist die Ver­le­gung des Pro­zes­ses in einen geeig­ne­ten Gerichts­saal mit öffent­li­chem Zugang – der Pro­zess fin­det im Moment in einem Gefäng­nis­raum statt, der zu klein und nur schwer zugäng­lich ist.

Die anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung hat bis­her ange­mes­sen reagiert – nicht nur mit Demos, Gegen­de­mos und Kund­ge­bun­gen, son­dern auch durch die Neben­kla­ge im Fall der ägyp­ti­schen Fischer –  eine Initia­ti­ve (Jail­Gol­den­Dawn) von Anwäl­ten aus der anti­fa­schis­ti­schen und anti­ras­sis­ti­schen Sze­ne. Wich­tig ist auch die Beob­ach­tung und kri­ti­sche Beglei­tung des Pro­zes­ses durch die Initia­ti­ve Gol­den­Dawn­Watch, inspi­riert durch NSU-Watch in Deutsch­land, die am Ende jedes Pro­zess­tags einen umfas­sen­den Bericht auf Grie­chisch und auf Eng­lisch ver­öf­fent­licht und über die Umstän­de und die Medi­en­be­richts­er­stat­tung auf GR und EN informiert.

Sicher ist der Pro­zess nur eine Sei­te des Kampfs gegen (Neo-) Nazis­mus, sowohl in Grie­chen­land als auch euro­pa­weit. Der wich­tigs­te Teil ist nach wie vor die Bekämp­fung von neo­na­zis­ti­schen Ideo­lo­gien und ihrer Ver­brei­tung in der Gesell­schaft – und die­ser Kampf muss ver­stärkt wei­ter­ge­hen. Aber eine exem­pla­ri­sche Bestra­fung der Täter und eine Ver­ur­tei­lung von Chry­si Avgi als kri­mi­nel­le Ver­ei­ni­gung wären ein bedeu­ten­der Schlag gegen Nazis in Grie­chen­land und viel­leicht ein ers­ter Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung für ein Umden­ken in der Gesell­schaft. Wir blei­ben dran.

Ioan­na Meita­ni lei­tet das Ver­bin­dungs­bü­ro der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung in Athen.

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