Das braune Elend: Pogrom in Bautzen

Auch 2014 und 2015 zeigten Nazis Präsenz in Bautzen. Foto von 2015: Caruso Pinguin, flickr, CC BY-NC 2.0
Auch 2014 und 2015 zeig­ten Nazis Prä­senz in Baut­zen. Foto von 2015: Caru­so Pin­gu­in, flickr, CC BY-NC 2.0

Wer sol­che Medi­en hat, braucht kei­ne „Lügen­pres­se“ mehr. Allein die Schlag­zei­len des – pars pro toto – Mit­tel­deut­schen Rund­funks (MDR) stel­len eine Rea­li­tät dar, die es nicht gibt. Die­se Art der Dar­stel­lung ist eine unter­las­se­ne Hil­fe­leis­tung, eine Anstif­tung zum Pogrom und deckt die eigent­li­chen Täter_innen in Baut­zen, näm­lich den orga­ni­sier­ten Rechts­ter­ro­ris­mus in Deutschland.

Poli­zei: Gewalt ging von Asyl­su­chen­den aus“, „Kra­wal­le in Baut­zen: ‚Stim­mung ist bedroh­lich und ange­spannt‘“, „Alko­hol­ver­bot und Aus­gangs­sper­re für jun­ge Flücht­lin­ge“ – die Geschich­te geht dann so: Besof­fe­ne Flücht­lin­ge haben einen bedroh­li­chen Kra­wall ver­ur­sacht und bekom­men dafür Haus­ar­rest und Alko­hol­ver­bot, sie haben ange­fan­gen und sind „unser“ Problem.

In Wirk­lich­keit ist die Lage aber so und das weiß jeder, der die zurück­lie­gen­den Mona­te Revue pas­sie­ren lässt, auch ohne einen Moment im brau­nen Elend von Baut­zen gewe­sen zu sein: Seit fast drei Jah­ren baut sich in Deutsch­land eine mör­de­ri­sche faschis­ti­sche Bedro­hung auf, in wel­cher orga­ni­sier­te Nazis und ein völ­ki­scher Mob in lebens­ge­fähr­li­cher Stim­mung zusam­men­fin­den. Seit 2014 bis Mit­te 2016 hat es 2500 Angrif­fe auf Asyl­be­wer­ber-Unter­künf­te im gan­zen Land gege­ben, ras­sis­ti­sche Angrif­fe, Belei­di­gun­gen und Demü­ti­gun­gen gar nicht mit­ge­zählt. Die­se Stim­mung ist mit der Ankunft Zehn­tau­sen­der Men­schen aus Syri­en, Irak, Afgha­ni­stan und etli­che afri­ka­ni­schen „fai­led sta­tes“ ab Mit­te 2015 noch­mals gefähr­lich eska­liert und durch das Ver­hal­ten von Poli­tik, Behör­den und Medi­en, die vor dem Pegida‑, Bürgerwehr‑, „Ein­Pro­zent“-, „Reichs­bür­ger“-, „Iden­ti­tä­ren“-, „AfD“- und Inter­net-Mob zurück­wei­chen, wei­ter ange­heizt wor­den. Es nimmt nicht wun­der, dass, nach­dem eine schwe­re Brand­stif­tung in Baut­zen (und in tau­send ande­ren Städ­ten des Lan­des) weit­ge­hend ohne Kon­se­quen­zen blieb, dass deut­sche Nazis sich ermäch­tigt füh­len, in die­sem mör­de­ri­schen Sin­ne fort­zu­fah­ren und auf Geflüch­te­te los­zu­ge­hen, die nicht mit der Soli­da­ri­tät ihrer Umge­bung oder dem Schutz der „Sicher­heits­be­hör­den“ rech­nen können.

Sie ver­ab­re­den sich – ist ja jetzt alles so prak­tisch – zum „Aus­län­der­klat­schen“ per Face­book und zie­hen Rich­tung Geflüch­te­ten-Unter­kunft. Die Poli­zei merkt nichts. Sie kommt erst dazu, als sich die 20 (in Wor­ten: Zwan­zig) Bedroh­ten begin­nen gegen einen Mob von 80 (in Wor­ten: Acht­zig) zu weh­ren: Schon das offi­zi­ell bestä­tig­te Zah­len­ver­hält­nis beschreibt eine Notwehr-Situation.

Inter­pre­tiert wird es poli­zei­lich und medi­al anders: Es sind die „Unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­ge“ – Nachrichtensprecher_innen über­neh­men gleich das Ver­wal­tungs­kür­zel „UMFs“ –, die nicht mit Alko­hol umge­hen kön­nen und auf Kra­wall gebürs­tet sind und dann auch noch – welch Miss­brauch des Gast­rechts – nicht nur auf die zusam­men­ge­rot­te­ten teu­to­ni­schen Her­ren­men­schen los­ge­hen, son­dern sogar auf die Polizei.

Die 1990er Jah­re schei­nen auf, tau­sen­de Geschich­ten kom­men ins Gedächt­nis, wo in die­ser Manier kras­ses­te ras­sis­ti­sche Angrif­fe zu „Aus­ein­an­der­set­zun­gen unter Jugend­li­chen“, zu „Kra­wall“ und „Schlä­ge­rei“ und die Opfer zu Tätern erklärt wer­den. Eine Opfer-Täter-Umkehr, die einen pogrom­ar­ti­gen Nor­mal­zu­stand im Lan­de zu einem „Inte­gra­ti­ons­pro­blem“ erklärt. Das haben „wir“ alles erlebt und seit­her sind mehr als 180 Men­schen von Rassist_innen umge­bracht wor­den, eine Nazi-Kil­ler-Zel­le konn­te unge­hin­dert über Jah­re mor­den und ein hel­di­sches Bei­spiel set­zen für mord­be­rei­te Nazis im gan­zen Land. Nein, das hat der Autor nicht in sei­nem Furor pole­misch zuge­spitzt: Das BKA hat erst im Janu­ar davor gewarnt, dass sich im orga­ni­sier­ten Neo­na­zis­mus Zel­len wie der NSU bil­den könn­ten. Aber doch nicht in Baut­zen: Die woll­ten doch nur eine Face­book-Par­ty vor dem Flücht­lings­la­ger feiern.

Es bleibt nur Wut und Empö­rung über die­ses wider­li­che Zusam­men­spiel von Behör­den, Medi­en, „besorg­ten Bür­gern“ und ihren neu­en Freun­den, den orga­ni­sier­ten Nazis in Deutsch­land. Bleibt nur zu hof­fen, dass noch genü­gend soli­da­ri­sche Men­schen mit huma­ner Ori­en­tie­rung in die­sem völ­lig ver­wahr­los­ten Sach­sen übrig sind, die den Bedräng­ten von Baut­zen und anders­wo zur Sei­te ste­hen, ihnen zuhö­ren und mit ihnen die Not­wehr organisieren.

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