Auf einem Kongress in München diskutiert die Antifaschistische Bewegung neue Politikstrategien
Was heißt Antifa? Vier Jahre nach dem Auffliegen des NSU, nach über zwei Jahren rassistisch- völkischer Eskalation, pogromartiger Ausschreitungen in Heidenau, Freital und anderen Orten, täglichen Angriffen auf Geflüchtete und ihre Supporter*innen und dem (Wieder-)Erstarken der AfD scheint diese Frage zurzeit dramatische Relevanz zu haben. Zu tun gäbe es genug für die antifaschistische Bewegung in Deutschland, befände diese sich nicht seit mehreren Jahren in einer strukturellen Krise. Daher müssen neue Organisierungs- und Politikkonzepte her. Raus aus der Defensive, hin zu einer handlungsfähigen Bewegung, die Antworten parat hat. Der Antifa-Kongress in München hat diese Diskussion nun erneut in den Mittelpunkt gestellt.
Die Krise als Normalzustand
Die (autonome) Antifa-Bewegung scheint an den aktuellen Entwicklungen zu scheitern.
Viele Aktivist*innen haben sich ins Private zurückgezogen, ganze antifaschistische Gruppen haben sich über die letzten Jahre aufgelöst oder umbenannt, wie zum Beispiel die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) oder die Autonome Antifa F aus Frankfurt (mittlerweile „Kritik und Praxis“). Ein neuer Organisierungszyklus der radikalen Linken mit starken Auswirkungen auf die Antifa-Bewegung scheint angebrochen, antifaschistische Politik für zahlreiche Linke nicht mehr ausreichend zu sein. In vielen Regionen hat die Antifa ein Nachwuchsproblem, staatlich geförderte Projekte wie die mobilen Beratungsteams laufen ihr zudem in Sachen Expertise allmählich auf etlichen Feldern den Rang ab.
Hinzu kommt, dass der rassistisch-völkische Rollback der letzten Jahre nur punktuell zurückgeschlagen werden konnte, der „Volksmob“ jedoch immer mehr an Stärke gewinnt. Dresden scheint, trotz der antifaschistischen Erfolge rund um den jährlichen Naziaufmarsch, nun dank den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) endgültig an die rassistischen Normalbürger*innen verloren zu sein. Auf die Ausschreitungen in Heidenau und Freital etwa konnte nur noch sporadisch reagiert werden, stattdessen haben in bestimmten Gebieten längst neonazistische Weltbilder die Hegemonie errungen. Rassismus ist in vielen Gebieten Grundkonsens und Normalzustand. Auch organisierte Neonazis stehen wieder im öffentlichen Fokus. Sie treten als „Volksvertreter“ auf und genießen Zuspruch für das Anzünden von Flüchtlingsheimen und die Gefährdung Geflüchteter. Die Masse schweigt nicht nur, sie jubelt. Und greift nicht selten selber zum Brandbeschleuniger.
Gleichzeitig setzen sich viele Menschen für Geflüchtete ein. So hießen tausende Aktivist*innen im „Sommer der Migration“ die ankommenden Menschen an den Bahnhöfen willkommen. Auch wenn diese Positivereignisse antirassistischen und antifaschistischen Strukturen zum Teil Kräfteschübe verpassten, so scheint sie die Herbstdepression nun umso schwerer zu treffen. Die „härteste Asylrechtsverschärfung aller Zeiten“ (CSU) wurde ohne nennbaren Gegenprotest verabschiedet, die Pegida-Bewegung erfreut sich nach zunächst sinkenden Teilnehmer_innen-Zahlen im Frühjahr erneuten Zulauf und die Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte haben sich in den letzten Monaten weiter verstärkt.
Antifa-Kongress
In dieser komplexen politischen Lage zwischen Ohnmacht und Selbstermächtigung fand am 31.10.2015 in Bayern, dem Stammland der rechtspopulistischen CSU und einer traditionell schwachen Linken, ein regionaler Antifa-Kongress zum Austausch und zur Vernetzung statt. Die etwa 150 mehrheitlich aus Bayern kommenden Teilnehmer*innen konnten sich in zwei linken Münchner Locations, dem „Cafe Marat“ und der Kneipe „Südstadt“, in Workshops über altbekannte Themenkomplexe wie Antirepression und Internetsicherheit, aber auch aktuelle Entwicklungen neonazistischer Bewegungen, wie der neu gegründeten Kleinstpartei „Der dritte Weg“ und „Die Rechte“, informieren. Der Fokus lag dabei neben Informationsgewinnung und Weiterbildung jedoch auch auf Vernetzung, Austausch und der Entwicklung möglicher Strategien aus der Krise.
Feminismus und das mit dem Älterwerden
Daneben gab es auch Workshops zu Themen abseits klassischer Antifa-Felder. Besonders der Workshop „F*antifa! Antifa und das böse Wort mit F“, der die Geschichte feministische Organisierung innerhalb der Antifaszene beleuchtete und zur Diskussion einer neuen antifaschistischen feministischen Bewegung einlud, sowie die Arbeitsgruppe „Aber zum richtig gut sein, da hab ich keine Zeit“ zum Komplex Antifa/linksradikale Politik/Älterwerden lieferten nicht nur interessante Analysen sondern auch spannende Impulse zur nachhaltigen Organisierung.
Während es bei ersteren neben historischen Einblicken in (queer-)feministische Antifagruppen vor allem um eine berechtigte Kritik an dem Konzept antifaschistischer Politik ging, konnten sich die Teilnehmer*innen des zweiten Workshops, der von einem Vertreter der Naturfreundejugend Berlin geleitet wurde, über ihre Erfahrungen und Probleme mit dem Älterwerden und antifaschistischer Politik austauschen. In diesen Workshops war auch die Heterogenität in einem insgesamt sehr stark jugendlich und männlich geprägten Kongresses am höchsten. Obwohl beide Workshops spannende Ansätze boten, ließ sich leider wenig Neues aus ihnen ziehen und der Erkenntnisstand blieb meist vage bis beliebig.
„Weitermachen oder alles auf Start?!“
Da die linke Szene und dementsprechend auch die antifaschistische Bewegung in Bayern einen schweren Stand hat, nahm der Erfahrungsaustausch und die Vernetzung am Nachmittag einen großen Raum ein. Dabei tauschten sich die Versammelten über aktuelle Aktivitäten der Neonazis in den jeweiligen Gebieten und auch über mögliche Organisierungs- und Politikkonzepte aus.
Auf einer sehr gut besuchten Abendveranstaltung „Weitermachen oder alles auf Start?!“ diskutierten geladene Aktivist*innen aus Dresden, Leipzig, Frankfurt auf dem Podium und mit dem Publikum ausführlich über die Fragenkomplexe: Wie weiter mit der Antifaschistischen Bewegung? Welche Strategien und Methoden gibt es im Kampf gegen rechtspopulistische Strömungen und Parteien? Was heißt aktuelle antifaschistische Politik?
Back to the Nineties?
Obwohl auf dem Podium heterogene Positionen aufschienen, waren sich die Aktivist*innen aus den Zusammenhängen der Interventionistischen Linken, dem kommunistischen Bündnis „Ums Ganze…“, beides bundesweite linke Großstrukturen, sowie die Vertreter*innen kleinerer antifaschistischer Gruppen und dem VVN-BdA durchaus einig, was die Analyse der aktuellen Situation anging. Allen ist die Marginalisierung der Antifa-Bewegung und eine notwendige Neuausrichtung antifaschistischer Politik bewusst.
Kontroversen entwickelten sich vor allem an der Einschätzung der aktuellen Geschehnisse. Während einige Vertreter*innen auf dem Podium und Personen aus dem Publikum einen gesellschaftlichen Rollback und eine ähnliche Entwicklung wie in den Neunzigerjahren befürchten und damit auch eine Fokussierung antifaschistischer Politik auf „klassische“ Neonazis und ihren Strukturen befürworteten, markierten Vertreter der Gruppe „Kritik und Praxis“ aus Frankfurt (Teil des „Ums Ganze“-Bündnisses) und von der „Interventionistischen Linken“ (IL) aus Leipzig weitere politische Strategien.
Zentral bei ihren Vorschlägen war die gemeinsame Einschätzung, dass Deutschland sich seit den Neunzigerjahren sehr stark verändert habe. Rassistische und völkische Positionen würden in Teilen zwar vertreten, seien aber nicht mehr bundesweit mehrheitsfähig. Vielmehr habe sich unter den Wirkungen der vorangegangen Migrationsbewegungen der Siebziger‑, Achtziger- und Neunzigerjahre eine deutsche „postmigrantische“ und liberalere Gesellschaft entwickelt. Das Aufbegehren des völkischen Mobs kann somit auch als eine Gegenbewegung von „Rechts“ gedeutet werden. Anstelle gesamtgesellschaftlichen Rollbacks Aufbegehren einer „völkisch“-rassistischen Minderheit.
Die Vorstellung einer veränderten deutschen gesellschaftlichen Struktur ist zwar spannend und mag als grundlegende Analyse wichtig sein, behindert in der aktuellen Situation aber nicht das Wüten des „völkischen“ Mobs. Weiterhin bleibt abzuwarten, ob mit einer Verschärfung der Migrationsbewegung die Stimmung noch (weiter) kippt. Momentan zeichnet sich eher eine weitere Polarisierung ab. Gleichzeitig sagt die Analyse nichts darüber aus, wie eine gemeinsame antifaschistische Politik in Zukunft aussehen kann.
Antifa heißt mehr als nach Heidenau fahren
Anschlussfähiger waren indes im Rahmen der Diskussion präsentierte Konzepte, die zu den aktuellen gesellschaftlichen Konfliktlinien passen, wie die antifeministischen und antimodernen Thesen der Pegida-Bewegung oder der AfD aufzugreifen und diese zu kritisieren und zu demaskieren. So berichteten Aktivist*innen aus Leipzig von einer feministischen Mobilisierung und abschließenden Demonstration mit 2000 Teilnehmer*innen gegen den Leipziger Pegida-Ableger Legida (Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes).
Auch antifaschistische Perspektiven auf Stadtteilkämpfe gegen Gentrifizierung oder Proteste gegen Prekarisierung spielten eine Rolle. Wichtig sei es, die eigene Szene zu verlassen und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, wie ein Antifa aus Frankfurt erklärte. Um den gesellschaftlichen Deutungskampf für sich zu behaupten, müssten auch grobe Vorstellung einer anderen Gesellschaft transportiert und andere Themenkomplexe antifaschistisch bespielt werden. Antifa heiße unter den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen eben auch etwa Arbeitskampf bei Amazon, merkte eine Person aus dem Publikum an.
Ein Tag Antifa-Kongress im Herbst
Abgesehen von spannenden Auseinandersetzungen müssen sich die Podiumsteilnehmer*innen jedoch den Vorwurf gefallen lassen, dass die Strategie des „antifaschistischen Kampfes ums Ganze“ bisher keine Wirkung gezeigt hat und auf dem Papier zwar sinnvoll, aber in der Praxis häufig auch an den eigenen Vorstellungen und Hürden scheitert. Die Antifa debattiert zwar wieder, aber wie eine antifaschistische Politik im Jahr 2015 aussehen kann, bleibt nebulös. Dabei scheinen betriebliche Arbeitskämpfe und gelegentliche Ausflüge in die Provinz unvereinbar oder unverbunden nebeneinanderzustehen.
Doch vielleicht ist es genau diese Heterogenität, die den Anforderungen der aktuellen Situation angemessen ist. Letztlich bleibt die Frage der Ausrichtung antifaschistischer Politik auch nach diesem Kongress unbefriedigend beantwortet. Doch statt sich im Pessimismus moderner Gesellschaftskritik zu verlieren, ist es, sich das einzugestehen, schon ein guter Anfang. In diesem Sinne, weitermachen!