Auch in diesem Jahr fand im römischen Stadtteil Tuscolano der jährliche Gedenkmarsch für die drei faschistischen Jugendlichen Franco Bigonzetti, Francesco Ciavatta und Stefano Recchioni in der Via Acca Larentia statt. Sie waren dort im Januar 1978 erschossen worden. Und wie im vergangenen Jahr waren auch in diesem Jahr viele italienische Faschist*innen aus unterschiedlichen Gruppen erschienen, um den drei Toten den römischen Gruß und ein „Presente!“ zu entbieten. Die Bedeutung des jährlichen Totenkults hat unter der Hegemonie von „CasaPound Italia“ in den letzten 10 Jahren stetig zugenommen und ist für die extreme Rechte Italiens immer weiter ins Zentrum gerückt. Unter den zahlreichen Delegationen waren auch Mitglieder ausländischer Gruppierungen aus Kanada, Griechenland, Polen, Schweden, der Ukraine usw. angereist. Auch eine illustre Mischung teutonischer Rechter hatte sich eingefunden, um am historischen Sitz der faschistischen Partei Nachkriegs-Italiens, des „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) den längst Verstorbenen einen letzten Gruß nachzubrüllen. Die Runde der Deutschen spannte sich dabei von der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg, dem Leiter des völkisch-nationalistischen Projekts „Ein Prozent für unser Land“ und Chef des „Jungeuropa Verlags“, Philip Stein, einigen Anhängern der Identitären Bewegung (IB) bis hin zu einem Autor, der für das Online-Portal „Philosophia Perennis“ des AfD-nahen Theologen David Berger über (neu-rechte) Ereignisse in Italien schreibt.
„Italia docet“
„Italien lehrt“: Dies war das Postulat des Rechtsintellektuellen und Publizisten Arthur Moeller van den Bruck (1876 — 1925) nach dem Marsch auf Rom der italienischen Schwarzhemden im Oktober 1922, in dessen Anschluss der italienische König Viktor Emanuel III dem Führer der Faschisten Benito Mussolini die Regierungsgewalt überschrieb. Van den Bruck, der im Jahre 1909 einige Zeit als Bohemien mit Künstlern in Florenz verkehrte, hatte dieses Credo schon im Jahr 1911 in Bezug auf den italienischen Futurismus in der Zeitung „Der Tag“ (18.11.1911) verwandt. Im Jahr 1922 zählte van den Bruck zu den prominentesten Vertretern der sogenannten Konservativen Revolution der 1920er Jahre und ein weiteres Mal nutzte er dieses Credo als Titel für einen Artikel in der Zeitung Gewissen des rechtsintellektuellen Juniklubs. Damit prägte er ein Motto, das für viele europäische Rechte der 1920er Jahre Gewicht hatte. Als einer der Ersten verfolgte er mit großer Aufmerksamkeit die Entwicklung des italienischen Faschismus unter Mussolini. Hierin sah er eine richtungweisende Synthese von Nationalismus und Sozialismus und einen Teil einer „konservativen Gegenbewegung“, die durch Europa gehen müsse. Der von dem ehemaligen Sozialisten Mussolini stark geprägte Faschismus erreichte in der Zwischenkriegszeit bzw. bis zur Etablierung des deutschen NS-Systems, ein Vorbild- und Modellcharakter für ähnliche Bewegungen in ganz Europa. Rom avancierte zu einem „Gravitationszentrum“ (Hans Woller) für alle neu entstandenen faschistischen Bewegungen und Parteien. Und eine Audienz beim „Duce“ (dt.: Führer) Mussolini kam quasi einer Akkreditierung in der faschistischen Welt gleich.
Viele Wege führen nach Rom
Ob man in einer Art Analogie von dem historischen „Italia docet“ auf die heutigen Motive für die rechten Pilgerfahrten nach Rom schließen kann? Wer weiß. Das kann einem vermutlich nur die schwarz-braune Pilgerschar selbst beantworten. Der „Dritte Weg“ zumindest schreibt – ganz im Sinne eines transnationalen Ideologietransfers und „völkischer Solidarität“: „Unsere nationalrevolutionäre Bewegung versteht sich selbst nicht nur als im Kampf um Deutschland, sondern auch im Kampf um Europa stehend. Daher ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, uns mit anderen europäischen Bewegungen auf Basis einer gleichen oder ähnlichen Weltanschauung und einem ähnlichen politischen Selbstverständnis auszutauschen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. .… Wir kämpfen einen gemeinsamen Kampf für ein gemeinsames Ziel: Ein freies Europa.“
In diesem Sinne legte am 7. Januar 2019 Klaus Armstroff, der Parteivorsitzende des „III. Weges“, für die über zwanzigköpfige Reisegruppe Trauerschleifen und eine Totenkerze vor der Ehrentafel am MSI-Sitz ab. Einen Abend zuvor hatten die deutschen Recken schon auf dem Konzert „Il fuoco sacro“ (dt.: „Das heilige Feuer“) den italienischen Bands Bronson, SPQR, BellatoR, Drittacore und Hobbit gelauscht. Und im Zuge ihrer Reise besuchten sie die Sehenswürdigkeiten der „ewigen Stadt“, den Vatikan, die Engelsburg, das Kolosseum, und — ganz im Sinne der Tradition — das Paradebeispiel faschistischen Bombasts, die Esposizione Universale di Roma (EUR), das Gelände der Weltausstellung in Rom 1942. Der „III. Weg“ schrieb von einem „unvergesslichen Eindruck der Gesamtatmosphäre. Hier konnte mit jedem Atemzug ein Stück europäischer Geschichte geatmet werden und sich die Größe der europäischen Kultur tief in das Herz eingraben.“ Laut ihrem Bericht besuchte die Reisegruppe von der Infrastruktur „CasaPounds“ die Bar „Cutty Sark“ und das „CasaPound“ in der Via Napoleone III. Hier führte sie Alberto „Zippo“ Palladino durchs Haus und sie ließen sich auf dem bekannten Flachdach zusammen mit ihrer Begleiterin Olena Semenyaka, der Koordinatorin für internationale Beziehungen der “Azov Reconquista”-Gruppe und Mitglied des Presse Service des ukrainischen Azov Regiments, für ein Gruppenfoto ablichten. Olena Semenyaka ist in Deutschland wie in Italien keine Unbekannte und Reconquista Україна hatte erst am 6. Januar einen Werbefilm für „CasaPound Italia“ auf Youtube online gestellt.
Ansonsten gaben der Bericht der Pilgergruppe, sowie das am 17. Januar ausgestrahlte Interview mit Alberto Palladino genau die Halbwahrheiten und Verdrehungen wieder, die man von einer solchen Glaubensgemeinschaft erwarten kann. So sprachen sie über das Entrichten des römischen Grußes während des Trauermarsches: „Dazu werden ebenso viele Hände zum römischen Gruß in die Luft gereckt, trotz dessen Strafbarkeit. Kein Gesetz kann die Ausführung dessen verhindern, was den Teilnehmern Befehl des Gewissens ist“. Und weiter: „Der ‚rechtspopulistische‘ italienische Präsident [sic!], Matteo Salvini, von der Partei Lega äußerte im Übrigen erst vor Kurzem: ‚Der richtige Platz für diejenigen, die ihre Hand heben, ist das Gefängnis‘. Er verdeutlichte damit seine Geistesbruderschaft mit seinen bundesdeutschen Politkollegen.“
Zunächst ist der römische Gruß in Zusammenhang mit dem Gedenken an Verstorbene in Italien nicht (mehr) strafbar. Das Gesetz, das ihn unter Strafe stellte, kam im übrigen so gut wie nie für den römischen Gruß zur Anwendung. Im Juni 2017 ist außerdem zum Entsetzen vieler italienischer Demokrat*innen vom römischen Kassationsgerichtshof per Dekret die Straflosigkeit des römischen Grusses im Zusammenhang mit einem Gedenken an Verstorbene verkündet worden (Sentenza n. 28298⁄2017). So ist erst letzte Woche in Turin ein Prozess gegen neun „CasaPound“-Mitglieder eingestellt worden, die am 22. Oktober 2017 den römischen Gruß auf einem Friedhof entrichtet hatten und dafür angezeigt worden waren.
Und was den Kommentar des Innenministers — nicht Präsidenten — Salvini angeht: Dies dürfte sich auf ein Interview beziehen, in dem er sagte: „Posto giusto per chi aggredisce è la galera“ (dt.: „Der richtige Platz für die, die Andere angreifen, ist das Gefängnis“). Diese Aussage bezog sich auf einen Angriff von Faschist*innen der „Avanguardia Nazionale“, „Forza Nuova“ und „Fiamme Nere“ am Nachmittag des 7. Januar auf dem zentralen Friedhof Roms. Während einer Kundgebung zu Acca Larentia waren dabei zwei Journalisten des „L’Espresso“ attackiert worden. Einer der Angreifer soll der lokale „Forza Nuova“-Führer Giuliano Castellino sein. Castellino war früher Mitglied der „Fiamma Tricolore“, als auch „CasaPound“ noch Teil der faschistischen Traditions-Partei war. Zusammen besetzten die beiden Gruppen 2007 ein Haus in der Via Valadier und nannten es Casa d’Italia Prati.
Auf der Kundgebung in der Via Acca Larentia dürften die Kameraden des „III. Wegs“ weiteren Deutschen begegnet sein. So z.B. Philip Stein, dem Leiter der rechten Kampagnenplattform „Ein Prozent für unser Land“ und des Jungeuropa-Verlags. Es ist nicht Steins erster Besuch in Rom und beim MSI-Sitz in der Acca Larentia. Schon im April 2017 saß er auf dem Podium des Kongresses Europa – Comunita di popoli civilta des „Blocco Studentesco“, der Schüler- und Studierendenorganisation der „CasaPound Italia“. Neben ihm saßen Adriano Scianca, der Kultursprecher der „CasaPound“, Chiara del Fiacco, die einflussreiche Faschistin und Inhaberin des rechten Modeladens „Badabing“, der neu-rechte Autor Julien Langella aus Frankreich, der Historiker Valerio Benedetti von „Il Primato Nazionale“ und andere Exponent*innen der extremen Rechten Europas. Zum Acca Larentia in Rom 2019 soll Philip Stein in Begleitung von Volker Ziercke und Jörg Dittus aus dem Milieu der Identitären angereist sein.
Aber auch das AfD-Umfeld durfte auf dem Aufmarsch nicht fehlen. Auf dem Online-Portal Philosophia Perennis des theologischen Rechtsauslegers David Bergers erschien am 16. Januar ein begeisterter Erlebnisbericht über den faschistischen Aufmarsch mit dem Titel Stille in Rom … des Architekturhistorikers Wulf D. Wagner, einem Mitunterzeichner der Erklärung 2018. Der 51jährige schwule Theologe und Publizist Berger ist Kuratoriumsmitglied der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Die Nähe Bergers politischer Positionen zu denen der CasaPound Italia ist auch an anderer Stelle seines Blogs – in einem von ihm gegebenen Interview in der Januarausgabe 2019 der „Il Primato Nazionale“ — ersichtlich. Das Interview, das der als Mister Homophobia 2017 prämierte Berger dem faschistischen Monatsblatt gab, kann man auf seinen Blog unter dem Titel „Hüten wir uns vor der Auflösung des klassischen Ideals von Ehe und Familie!“ einlesen und wurde schon von dem Magazin Queer.de thematisiert.
Kritik an der Kooperationsbereitschaft mit Faschist*innen, dem Interviewpartner Valerio Benedetti und den geäußerten Positionen Bergers versucht man mit einem Nachtrag zu Wagners Artikel beizukommen. Der Junghistoriker Valerio Benedetti, der im Jahr 2017 von Frankfurter Antifaschist*innen als Theoretiker und Ideologe des Neo-Faschismus geoutet wurde, wird auf Bergers Blog zu einem bekannten Publizisten stilisiert. Kein Wort zu dessen Wirken in Italien und Deutschland, wie z.B. dessen Auftritt im letzten August in Dresden beim Jungeuropa Verlag. Das faschistische Monatsblatt „Il Primato Nazionale“, das seit seinem Bestehen jedes Cover und jede Aufmacher-Story mit einer hasserfüllten Feindmarkierung gegen Demokrat*innen und Humanist*innen versieht, wird auf Bergers Blog zu einer „ernst genommenen Zeitschrift“. Und man befindet: „Jeder freie Denker und Historiker darf schreiben, wo er will. Wenn die linke TAZ, das ‚Neue Deutschland‘ oder die neurechte Sezession oder Tumult mich fragen, schreibe ich dort. Was ein anderer drei Seiten zuvor oder zwei nach mir schreibt, hat mit mir nichts zu tun. Es ist unser Recht unsere Gedanken und unser Wissen zu verbreiten!“
Da kann man nur sagen: Gleich und gleich gesellt sich gern. Nicht nur David Berger als Kurator der AfD-Stiftung gibt der faschistischen „Il Primato Nazionale“ ein Interview. Auch Georgia Meloni, die Parteivorsitzende der (post)faschistischen Fratelli d‚Italia, gibt in dieser Januar-Ausgabe dem Magazin ein Interview. Mit ähnlichen rhetorischen Abwehrmustern wie Berger reagierte im Jahr 2014 der glamouröse Philosoph und angebliche Marx-Experte Diego Fusaro, auf den man sich auf Bergers Blog als Kronzeugen für die angebliche Unverfänglichkeit der „Il Primato Nazionale“ beruft. Fusaro wurde im Februar 2014 für seinen ersten angekündigten Auftritt bei „CasaPound Italia“ unter dem Titel „Ció che è vivo ciò che è morto in Marx“ (dt.: „Was lebt und was tot ist bei Marx“) öffentlich kritisiert. Damals schreckte der bis dato nur als Marx-Spezialist bekannte und gern auf linken, globalisierungskritischen Veranstaltungen gesehene Akademiker noch vor seinem Auftritt im Hauptsitz der „CasaPound Italia“ zurück.
Eine politische Einsicht lag dem aber nicht zugrunde. Zwar sah sich Diego Fusaro zu einer Distanzierung von den Faschist*innen genötigt, jammerte aber, er sei in seinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt – wie heute David Berger. Mittlerweile ist Fusaro gänzlich in der Neuen Rechten angekommen, debattiert auf Konferenzen mit dem Grandseigneur der „Nouvelle Droite“ Alain de Benoist, dem russischen National-Bolschewisten Aleksandr Dugin, dem wegen Ermordung eines Polizisten verurteilten Mailänder Faschisten, Verlegers und Autors Maurizio Murelli u.a., hält Vorträge auf „CasaPound“-Kongressen und schreibt Gastbeiträge in diversen neu-rechten Publikationen.
Angesichts dieses offensichtlichen transnationalen Ideologietransfers deutscher Rechter, russischer Nationalist*innen, französischer Völkischer und italienischer Faschist*innen und der zunehmenden „Seriosifizierung“ dieser kruden Diskurse bis hinein in die parlamentarische Rechte muss man sich nicht über den gesamt-europäischen Rechtsruck wundern.