Aus der sicheren Distanz von mehreren Hundert Kilometern kommt die preisgekrönte Zeit-Kolumnistin Özlem Topçu zu dem Schluss, dass der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München durchaus keine Enttäuschung sei, sondern „viel bringt. Sogar sehr viel“. So findet Frau Topçu, dass es schon eine tolle Sache ist, dass es an der Schuld von Beate Zschäpe inzwischen – nach 366 Tagen Prozess und über vier Jahren Prozessdauer – keine Zweifel mehr gibt und die „Beweisaufnahme die Anklage in vollem Umfang bestätigt“ habe. Zum Beleg zitiert sie hierzu ausgerechnet Thomas Bliwier, einen der Anwälte von Mitgliedern der Familie Yozgat, die als Hinterbliebene des am 4. April 2006 in einem Kasseler Internetcafé mutmaßlich vom NSU ermordeten, damals 21-jährigen Halit Yozgat Nebenkläger im Münchener Verfahren sind. Gerade die bohrenden Fragen und Zweifel, die die Nebenklagevertreter im Fall Yozgat unermüdlich formuliert haben, sind bis heute ungeklärt und offen. İsmail Yozgat, Halits Vater, hat angekündigt, dass er das Urteil von München nicht anerkennen werde, solange die offenen Fragen nicht annähernd geklärt sind. Gegen den damaligen Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz Andreas Temme, der – obwohl zweifelsfrei zur Tatzeit am Tatort anwesend – bis heute behauptet, nichts, aber auch gar nichts mitbekommen zu haben, läuft nun ein Strafverfahren wegen uneidlicher Falschaussage und das Londoner Forschungsteam „Forensic Architecture“ weist ihm zudem nach, dass er die Unwahrheit gesagt haben muss.
Author: Fritz Burschel
Das braune Elend: Pogrom in Bautzen
Wer solche Medien hat, braucht keine „Lügenpresse“ mehr. Allein die Schlagzeilen des – pars pro toto – Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) stellen eine Realität dar, die es nicht gibt. Diese Art der Darstellung ist eine unterlassene Hilfeleistung, eine Anstiftung zum Pogrom und deckt die eigentlichen Täter_innen in Bautzen, nämlich den organisierten Rechtsterrorismus in Deutschland.
„Polizei: Gewalt ging von Asylsuchenden aus“, „Krawalle in Bautzen: ‚Stimmung ist bedrohlich und angespannt‘“, „Alkoholverbot und Ausgangssperre für junge Flüchtlinge“ – die Geschichte geht dann so: Besoffene Flüchtlinge haben einen bedrohlichen Krawall verursacht und bekommen dafür Hausarrest und Alkoholverbot, sie haben angefangen und sind „unser“ Problem.
„NSU-Watch Brandenburg“ nimmt Arbeit auf
Einen guten Start wünschen wir
„NSU-Watch Brandenburg“ stellt sich der Öffentlichkeit vor
Anlässlich der 1. Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Thema „Organisierte rechtsextreme Gewalt und Behördenhandeln, vor allem zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ im Brandenburger Landtag, stellt sich das Projekt „NSU-Watsch Brandenburg — Hinter den Kulissen“ am 12.07.2016 der Öffentlichkeit vor. Die rassistische Mordserie des NSU markiert eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Geschichte. Die Taten des NSU, sein Netzwerk und die Rolle der Behörden sind noch lange nicht aufgeklärt. Gerade auch im Land Brandenburg stellt sich die Frage: Welche Rolle spielten, was wussten die Behörden?
Als das Kerntrio des NSU abtauchte und mordend durchs Land zog, waren andere Neonazis und dazu V‑Leute des Verfassungsschutzes nicht fern. Ganz nah dran: der Spitzel mit dem Decknamen „Piatto“, ein besonders brutaler Neonazi, der für seine Informationen zehntausende Euro vom brandenburgischen Geheimdienst bekam. Er lieferte bereits kurz nach dem Abtauchen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhard konkrete Hinweise auf deren Verbleib. Der Brandenburger Verfassungsschutz platzierte ihn nach seiner vorzeitigen Haftentlassung in Chemnitz und damit im direkten Unterstützungsumfeld des Kern-Trios. Es stellen sich die Fragen: Hätten Brandenburger Behörden die Morde verhindern können? Finanzierte der Brandenburger Verfassungsschutz mit der Bezahlung seines V‑Manns “Piatto” und anderer V‑Personen den Auf- und Ausbau der Brandenburger Neonaziszene maßgeblich mit? Welche neonazistischen Strukturen und Protagonist_innen waren für Anschläge, Überfälle und Morde in Brandenburg verantwortlich?
NSU-Watch Brandenburg will helfen, diese und viele andere wichtige Fragen aufzuklären. Wir werden den brandenburgischen Untersuchungsausschuss zum Thema „Organisierte rechtsextreme Gewalt und Behördenhandeln, vor allem zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ kritisch und unabhängig begleiten, indem wir eigene Berichte und Protokolle von den Sitzungen erstellen. Außerdem werden wir eigene Recherchen und Analysen veröffentlichen, um die neonazistische Szene und die fragwürdige Rolle der Geheimdienste und Ermittlungsbehörden transparent zu machen und ihre unterstützenden Tätigkeiten für die brandenburgische militante Neonaziszene aufzudecken. Unser Blick ist dabei ebenso auf den gesellschaftlich verankerten Rassismus gerichtet, der letztlich die rassistischen Anschläge und Morde – die es in Brandenburg auch ohne den NSU gab – ermöglicht(e). NSU-Watch Brandenburg ist Teil des bundesweiten NSU Watch-Netzwerkes aus antifaschistischen und antirassistischen Initiativen und Einzelpersonen.
brandenburg.nsu-watch.info
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Kreatives Aktenhandling: Wie lange kann der Verfassungsschutz noch seine Mitverantwortung an NSU-Verbrechen vertuschen?
Der Angeklagte im NSU-Prozess Ralf Wohlleben trug vor seiner Inhaftierung Ende 2011 nachts ein T‑Shirt. Das möchte man zwar gar nicht wissen, aber dieses Schlaf-Shirt hat es in sich: „Eisenbahnromantik“ steht in Fraktur auf seiner Vorderseite und darunter sind die Gleisanlagen vor der bekannten Silhouette des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau abgebildet. Nach Wohllebens Einlassungen im Münchener Verfahren Ende 2015, wo er sich im Grunde als verfolgte Unschuld und ebenso aufrechten wie friedliebenden Nationalisten präsentierte, hatten sich die Ankläger der Bundesanwaltschaft (BAW) des vielsagenden Asservats erinnert und eine Polizeizeugin geladen, die zu diesem Fund aussagen sollte. Das Beweisstück jedenfalls dokumentiert doch eine gewisse ideologische Eindeutigkeit der politischen Ausrichtung des Angeklagten Wohlleben. Weiterlesen „Kreatives Aktenhandling: Wie lange kann der Verfassungsschutz noch seine Mitverantwortung an NSU-Verbrechen vertuschen?“
Rezension: „Tiefer Staat“ oder doch Wachkoma?
Wetzel, Wolf: Der Rechtsstaat im Untergrund. Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität, Papyrossa Verlag, 219 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978−3−89438−591−0
Er hat ja so recht, der Wolf Wetzel! Nein, im Ernst, wenn er schreibt: „Nehmen wir einmal an, dass die Geheimdienste 13 Jahre von der Existenz des NSU nichts gewusst haben und Jahrzehnte nichts von den systematischen Ausspähungen britischer und US-amerikanischer Geheimdienste … Für diese systematische Ahnungslosigkeit muss man keine Milliarden Euro ausgeben!“ (S. 25), dann hat er einfach recht. Er hat überhaupt fast durchgehend recht, auch wenn nicht viel neues in seinem jüngsten Kompendium „Der Rechtsstaat im Untergrund. Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität“ zu finden ist.
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