Sich den NSU-Prozess schönreden

Schön­heit ist eine Fra­ge der Per­spek­ti­ve: Der Bun­ker am Straf­jus­tiz­zen­trum in der Mün­che­ner Nym­phen­bur­ger­stra­ße, in des­sen Innern der NSU-Pro­zess läuft Foto: Burschel

Aus der siche­ren Distanz von meh­re­ren Hun­dert Kilo­me­tern kommt die preis­ge­krön­te Zeit-Kolum­nis­tin Özlem Top­çu zu dem Schluss, dass der NSU-Pro­zess vor dem Ober­lan­des­ge­richt in Mün­chen durch­aus kei­ne Ent­täu­schung sei, son­dern „viel bringt. Sogar sehr viel“. So fin­det Frau Top­çu, dass es schon eine tol­le Sache ist, dass es an der Schuld von Bea­te Zsch­ä­pe inzwi­schen – nach 366 Tagen Pro­zess und über vier Jah­ren Pro­zess­dau­er – kei­ne Zwei­fel mehr gibt und die „Beweis­auf­nah­me die Ankla­ge in vol­lem Umfang bestä­tigt“ habe. Zum Beleg zitiert sie hier­zu aus­ge­rech­net Tho­mas Bli­wier, einen der Anwäl­te von Mit­glie­dern der Fami­lie Yoz­gat, die als Hin­ter­blie­be­ne des am 4. April 2006 in einem Kas­se­ler Inter­net­ca­fé mut­maß­lich vom NSU ermor­de­ten, damals 21-jäh­ri­gen Halit Yoz­gat Neben­klä­ger im Mün­che­ner Ver­fah­ren sind. Gera­de die boh­ren­den Fra­gen und Zwei­fel, die die Neben­kla­ge­ver­tre­ter im Fall Yoz­gat uner­müd­lich for­mu­liert haben, sind bis heu­te unge­klärt und offen. İsm­ail Yoz­gat, Halits Vater, hat ange­kün­digt, dass er das Urteil von Mün­chen nicht aner­ken­nen wer­de, solan­ge die offe­nen Fra­gen nicht annä­hernd geklärt sind. Gegen den dama­li­gen Mit­ar­bei­ter des hes­si­schen Lan­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz Andre­as Tem­me, der – obwohl zwei­fels­frei zur Tat­zeit am Tat­ort anwe­send – bis heu­te behaup­tet, nichts, aber auch gar nichts mit­be­kom­men zu haben, läuft nun ein Straf­ver­fah­ren wegen uneid­li­cher Falsch­aus­sa­ge und das Lon­do­ner For­schungs­team „Foren­sic Archi­tec­tu­re“ weist ihm zudem nach, dass er die Unwahr­heit gesagt haben muss.

Wei­ter­le­sen „Sich den NSU-Pro­zess schönreden“

Das braune Elend: Pogrom in Bautzen

Auch 2014 und 2015 zeigten Nazis Präsenz in Bautzen. Foto von 2015: Caruso Pinguin, flickr, CC BY-NC 2.0
Auch 2014 und 2015 zeig­ten Nazis Prä­senz in Baut­zen. Foto von 2015: Caru­so Pin­gu­in, flickr, CC BY-NC 2.0

Wer sol­che Medi­en hat, braucht kei­ne „Lügen­pres­se“ mehr. Allein die Schlag­zei­len des – pars pro toto – Mit­tel­deut­schen Rund­funks (MDR) stel­len eine Rea­li­tät dar, die es nicht gibt. Die­se Art der Dar­stel­lung ist eine unter­las­se­ne Hil­fe­leis­tung, eine Anstif­tung zum Pogrom und deckt die eigent­li­chen Täter_innen in Baut­zen, näm­lich den orga­ni­sier­ten Rechts­ter­ro­ris­mus in Deutschland.

Poli­zei: Gewalt ging von Asyl­su­chen­den aus“, „Kra­wal­le in Baut­zen: ‚Stim­mung ist bedroh­lich und ange­spannt‘“, „Alko­hol­ver­bot und Aus­gangs­sper­re für jun­ge Flücht­lin­ge“ – die Geschich­te geht dann so: Besof­fe­ne Flücht­lin­ge haben einen bedroh­li­chen Kra­wall ver­ur­sacht und bekom­men dafür Haus­ar­rest und Alko­hol­ver­bot, sie haben ange­fan­gen und sind „unser“ Problem.

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NSU-Watch Brandenburg“ nimmt Arbeit auf

Einen guten Start wün­schen wir 

NSU-Watch Brandenburg“ stellt sich der Öffentlichkeit vor

Anläss­lich der 1. Sit­zung des Unter­su­chungs­aus­schus­ses zum The­ma „Orga­ni­sier­te rechts­extre­me Gewalt und Behör­den­han­deln, vor allem zum Kom­plex Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund (NSU)“ im Bran­den­bur­ger Land­tag, stellt sich das Pro­jekt „NSU-Watsch Bran­den­burg — Hin­ter den Kulis­sen“ am 12.07.2016 der Öffent­lich­keit vor. Die ras­sis­ti­sche Mord­se­rie des NSU mar­kiert eine Zäsur in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Ge­schichte. Die Taten des NSU, sein Netz­werk und die Rol­le der Behör­den sind noch lan­ge nicht auf­ge­klärt. Gera­de auch im Land Bran­den­burg stellt sich die Fra­ge: Wel­che Rol­le spiel­ten, was wuss­ten die Behörden?

Als das Kern­trio des NSU abtauch­te und mor­dend durchs Land zog, waren ande­re Neo­na­zis und dazu V‑Leute des Ver­fas­sungs­schut­zes nicht fern. Ganz nah dran: der Spit­zel mit dem Deck­na­men „Piat­to“, ein beson­ders bru­ta­ler Neo­na­zi, der für sei­ne Infor­ma­tio­nen zehn­tau­sen­de Euro vom bran­den­bur­gi­schen Geheim­dienst bekam. Er lie­fer­te bereits kurz nach dem Abtau­chen von Zsch­ä­pe, Mund­los und Böhn­hard kon­kre­te Hin­wei­se auf deren Ver­bleib. Der Bran­den­bur­ger Ver­fas­sungs­schutz plat­zier­te ihn nach sei­ner vor­zei­ti­gen Haft­ent­las­sung in Chem­nitz und damit im direk­ten Unter­stüt­zungs­um­feld des Kern-Tri­os. Es stel­len sich die Fra­gen: Hät­ten Bran­den­bur­ger Behör­den die Mor­de ver­hin­dern kön­nen? Finan­zier­te der Bran­den­bur­ger Ver­fas­sungs­schutz mit der Bezah­lung sei­nes V‑Manns “Piat­to” und ande­rer V‑Personen den Auf- und Aus­bau der Bran­den­bur­ger Neo­na­zi­sze­ne maß­geb­lich mit? Wel­che neo­na­zis­ti­schen Struk­tu­ren und Protagonist_innen waren für Anschlä­ge, Über­fäl­le und Mor­de in Bran­den­burg verantwortlich?

NSU-Watch Bran­den­burg will hel­fen, die­se und vie­le ande­re wich­ti­ge Fra­gen auf­zu­klä­ren. Wir wer­den den bran­den­bur­gi­schen Unter­su­chungs­aus­schuss zum The­ma „Orga­ni­sier­te rechts­extre­me Gewalt und Behör­den­han­deln, vor allem zum Kom­plex Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund (NSU)“ kri­tisch und unab­hän­gig beglei­ten, indem wir eige­ne Berich­te und Pro­to­kol­le von den Sit­zun­gen erstel­len. Außer­dem wer­den wir eige­ne Recher­chen und Ana­ly­sen ver­öf­fent­li­chen, um die neo­na­zis­ti­sche Sze­ne und die frag­wür­di­ge Rol­le der Geheim­diens­te und Ermitt­lungs­be­hör­den trans­pa­rent zu machen und ihre unter­stüt­zen­den Tätig­kei­ten für die bran­den­bur­gi­sche mili­tan­te Neo­na­zi­sze­ne auf­zu­de­cken. Unser Blick ist dabei eben­so auf den gesell­schaft­lich ver­an­ker­ten Ras­sis­mus gerich­tet, der letzt­lich die ras­sis­ti­schen Anschlä­ge und Mor­de – die es in Bran­den­burg auch ohne den NSU gab – ermöglicht(e). NSU-Watch Bran­den­burg ist Teil des bun­des­wei­ten NSU Watch-Netz­wer­kes aus anti­fa­schis­ti­schen und anti­ras­sis­ti­schen Initia­ti­ven und Einzelpersonen.

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brandenburg.nsu-watch.info
brandenburg@nsu-watch.info



Kreatives Aktenhandling: Wie lange kann der Verfassungsschutz noch seine Mitverantwortung an NSU-Verbrechen vertuschen?

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Hin­ter die tris­ten Mau­ern des Münch­ner OLG hat man immer noch einen bes­se­ren Ein­blick als hin­ter die des GBA, des BKA oder des .       Bild: Fritz Burschel

Der Ange­klag­te im NSU-Pro­zess Ralf Wohl­le­ben trug vor sei­ner Inhaf­tie­rung Ende 2011 nachts ein T‑Shirt. Das möch­te man zwar gar nicht wis­sen, aber die­ses Schlaf-Shirt hat es in sich: „Eisen­bahn­ro­man­tik“ steht in Frak­tur auf sei­ner Vor­der­sei­te und dar­un­ter sind die Gleis­an­la­gen vor der bekann­ten Sil­hou­et­te des Ver­nich­tungs­la­gers Ausch­witz-Bir­ken­au abge­bil­det. Nach Wohl­le­bens Ein­las­sun­gen im Mün­che­ner Ver­fah­ren Ende 2015, wo er sich im Grun­de als ver­folg­te Unschuld und eben­so auf­rech­ten wie fried­lie­ben­den Natio­na­lis­ten prä­sen­tier­te, hat­ten sich die Anklä­ger der Bun­des­an­walt­schaft (BAW) des viel­sa­gen­den Asser­vats erin­nert und eine Poli­zei­zeu­gin gela­den, die zu die­sem Fund aus­sa­gen soll­te. Das Beweis­stück jeden­falls doku­men­tiert doch eine gewis­se ideo­lo­gi­sche Ein­deu­tig­keit der poli­ti­schen Aus­rich­tung des Ange­klag­ten Wohl­le­ben. Wei­ter­le­sen „Krea­ti­ves Akten­hand­ling: Wie lan­ge kann der Ver­fas­sungs­schutz noch sei­ne Mit­ver­ant­wor­tung an NSU-Ver­bre­chen vertuschen?“

Rezension: „Tiefer Staat“ oder doch Wachkoma?

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Buch­co­ver zu „Rechts­staat im Unter­grund“ von Wolf Wetzel

Wet­zel, Wolf: Der Rechts­staat im Unter­grund. Big Brot­her, der NSU-Kom­plex und die not­wen­di­ge Illoya­li­tät, Papy­ros­sa Ver­lag, 219 Sei­ten, 14,90 Euro, ISBN 978−3−89438−591−0

Er hat ja so recht, der Wolf Wet­zel! Nein, im Ernst, wenn er schreibt: „Neh­men wir ein­mal an, dass die Geheim­diens­te 13 Jah­re von der Exis­tenz des NSU nichts gewusst haben und Jahr­zehn­te nichts von den sys­te­ma­ti­schen Aus­spä­hun­gen bri­ti­scher und US-ame­ri­ka­ni­scher Geheim­diens­te … Für die­se sys­te­ma­ti­sche Ahnungs­lo­sig­keit muss man kei­ne Mil­li­ar­den Euro aus­ge­ben!“ (S. 25), dann hat er ein­fach recht. Er hat über­haupt fast durch­ge­hend recht, auch wenn nicht viel neu­es in sei­nem jüngs­ten Kom­pen­di­um „Der Rechts­staat im Unter­grund. Big Brot­her, der NSU-Kom­plex und die not­wen­di­ge Illoya­li­tät“ zu fin­den ist.

Wei­ter­le­sen „Rezen­si­on: „Tie­fer Staat“ oder doch Wachkoma?“